Restaurant Damien Germanier (Damien Germanier) - Sion
Restaurant Damien Germanier (Damien Germanier) - Sion
Unbekanntes Terrain
Bis zum vergangenen Sommer waren längere Urlaube daheim in der Schweiz nie ein wirkliches Thema. Schliesslich ist es anderswo, weiter weg, immer attraktiver als vor der eigenen Haustüre. Das Gras grüner, das Meer vor der Türe, die Restaurants spannender und entdeckenswerter. Doch spätestens seit Beginn der Pandemie sind die an Goethes Gedicht Erinnerung angelehnten geflügelten Worte “Warum in die Ferne schweifen?” nicht mehr nur rhetorischer Natur.
Heisst für mich, ab ins Auto und dem Sonnenuntergang entgegen in Richtung Westen. Die Romandie gleicht für mich einem fast unbeschriebenen Blatt Papier. Obwohl nur einen Katzensprung entfernt, zieht es mich sehr selten in die Westschweiz. Ich war öfters in Kopenhagen, Hong Kong oder Hamburg als in Lausanne, Genf oder Neuchâtel. Warum eigentlich? Schliesslich gibt es auch in vernünftiger Fahrdistanz viele hochdekorierte Restaurants zu erkunden. Und dank des zu überwindenden Sprachgrabens kommt vielleicht zusätzlich noch etwas mehr Ferienfeeling auf als, sagen wir mal, am Bodensee.
Da ich mich auf mir komplett unbekanntes Terrain begeben möchte, lande ich ziemlich schnell beim höchstdekorierten Restaurant in Sion im Kanton Wallis. Damien Germanier ist namengebender Chef des besternten Etablissements. Mehr weiss ich nicht, als ich an einem sonnig-heissen Mittag vor dem Lokal parkiere. Überrascht bin ich erstmal von der Umgebung. Der Anblick erinnert mit den vielen kleinen, aneinander gereihten Läden an eine Strip Mall in Los Angeles. Ist ja bekanntlich auch im Westen. Das Restaurant selbst ist innen, passend zur Fassade, in nüchternen grau- und brauntönen gehalten. Wirklich einladend wirkt das zwar nicht, doch das soll dem Genuss keinen Abbruch tun.
Der Chef persönlich erkundigt sich am Tisch nach allfälligen Unverträglichkeiten und Abneigungen sowie nach dem allgemeinen Appetit und verschwindet mit allen relevanten Infos schnell wieder in die Küche. Eine lokales Flüssigerzeugnis (Petite Arvine Fût de Chêne von Philippe Darioli) ist ebenfalls schnell gefunden. Es kann losgehen.
Zu Beginn zeigt sich ein sehr seltener Anblick. Ich kann mich zumindest nicht erinnern, wann mir zuletzt eine Praline als erstes Amuse Bouche serviert wurde. Dieses eiskalte Häppchen mit Paprika und Zitronengras ist durch und durch erfrischend und weckt alle Rezeptoren.
Drei weitere Amuses werden aufgetragen, die sich jeweils einer Hauptzutat widmen: Fenchel, Schwarzer Knoblauch sowie Karotte. Sie sind leider nicht der Rede wert und hinterlassen keinerlei nachhaltigen Eindruck.
Nach dem überschaubaren Auftakt, macht es der erste Gange Ochsenschwanzsülze mit Kichererbsen und geräuchertem Chèvre viel besser. Das gezupfte und komprimierte Fleisch hat eine tolle Textur, schmilzt am Gaumen förmlich dahint, ist jedoch ein bisschen zu handzahm abgeschmeckt. Auch die Erbsen wirken, als ob sie lediglich eingeweicht und anschliessend in Wasser gekocht wurden. Bereits ein bisschen Salz würde helfen, doch immerhin gefällt die relativ bissfeste Konsistenz, die die Sülze gekonnt kontrastiert. Als ziemlich ungewöhnliche Beigabe erweist sich der Chèvre, fungiert er doch genau genommen als einziges Würzelement in diesem Ensemble. Stellt man sich seine Gabel sorgfältig zusammen, kann man den Reiz dieser Zusammenstellung durchaus erkennen und es schmeckt auch ganz gut. Landet jedoch nur ein kleines Stückchen Käse zu viel im Mund, dominiert dieser komplett. Auch wenn es im Prinzip nicht schlecht ist, erinnert das doch eher an ein Bistro als an ein Sterne-Restaurant.
Von einem ganz anderen Kaliber ist Deklination der Karotte. Aus dem Wurzelgemüse macht Germanier ein mit Kümmel aromatisiertes Glacé, einen Biscuit, packt Stücke von fermentierter Karotte dazu und lässt am Tisch noch eine mit Ingwer abgeschmeckte Jus angiessen. Auch wenn der Gesamteindruck relativ süss ist, driftet man dank der präsenten Schärfe des Ingwers und der kräftigen, orientalischen Kümmelnote nie in plumpe Belanglosigkeit ab. Auch das Texturspiel zeigt sich relativ abwechslungsreich und trägt zusätzlich zum guten Gelingen bei. Man kann beileibe nicht von einem unvergesslich guten Gang sprechen, doch in Summe ist das stimmig zusammengestellt, gut umgesetzt und zeigt diese gewisse Liebe zum Detail, die man man in einem solchen Restaurant erwartet.
Beim Felchen aus dem Genfersee mit Zitrone und Kapern sticht als erstes die, nennen wir es mal zurückhaltende, Portionierung des Fischs auf. Das rechteckige Stückchen in der Brühe ist kaum so gross wie der mein Daumenglied. Die auf dem Tellerrand liegenden, knusprig frittierten Teile sind noch kleiner und der Fisch darin kaum wahrnehmbar. Was schade ist, denn der als solcher erkennbare Fisch im Teller ist von sehr guter Qualität. Auch die durchaus mutige, da mit reichlich markanter Säure aufwartende Einfassung würde gut dazu passen. Doch zum Kombinieren ist leider fast nichts da. Eigentlich gibt es sowohl an der Idee als auch an der handwerklichen Umsetzung nichts zu bemängeln, und endlich ist auch mal ein wenig Druck und Lebendigkeit vorhanden, die Proportionen sind jedoch total misslungen und lassen keinen wirklichen Genuss aufkommen. Schade.
Weiter geht’s mit einem Klassiker der französischen Küche, der Quenelle de Brochet. Germanier brät die pochierten Hechtklösschen zusätzlich an, bevor er sie unter Fenchel vergräbt und eine Art Bouillabaisse-Sauce angiessen lässt. Durch das Anbraten verliert die Quenelle jegliche Struktur, die sie ansonsten auszeichnet. Eine Quenelle de Brochet muss luftig und leicht sein. Zumindest in einem gehobenen Restaurant. Ähnlich wie beim Ochsenschwanz zuvor wirkt jedoch auch dieser Teller eher wie für ein Bistro konzipiert. Ein Eindruck der durch die sehr dicke, dabei erstaunlich kraftlose Sauce/Suppe und den relativ grobschlächtig arrangierten (und erneut nicht gewürzten) Fenchel verstärkt wird. Ganz generell hege ich auch Zweifel, ob die Wahl des Hechtes zum mediterran anmutenden Rest wirklich Sinn macht. Mir zumindest erschliesst sich diese Kombination nicht.
Was bisher an Würze fehlte, wird nun alles auf einen Schlag bei der Variation der Navette mit Radieschen und Belper Knolle nachgeholt. Erdig, angenehm dezente Bitternoten, subtile Schärfe. Die Speiserübe ist ein oft zu unrecht verschmähtes Gemüse, das man viel öfters essen sollte. Sie und die Radieschen werden abwechslungsreich durchdekliniert (eingelegt, gebraten, roh) und von der würzigen, salzigen Belper Knolle trefflich begleitet. Eigenständiges Geschmacksbild, stimmig komponiert, handwerklich tadellos umgesetzt, kurzum: sehr gut.
Ähnlich gut ist der Hauptgang. Zur fettigen Kalbsbrust gibt es Rhabarber und Zwiebel sowie eine geschmacklich gelungene Jus. Es wird hier gekonnt mit Süsse und Säure gespielt. Letztere ist aufgrund des hohen Fettgehalts des zarten Fleischs besonders wichtig und sorgt für die nötige Balance. Die relativ stark reduzierte Jus bringt ein gewisses Mass an Tiefe ins Gericht, die es für einen gelungenen Teller einfach braucht. Stimmig.
Ungewöhnlich mutet der Übergang vom herzhaften in den süssen Teil des Menüs an. In der Mitte des Tellers liegt ein schneeweisses Zwiebelsorbet, das von Gewürzbrot und Balsamio-Karamell umspielt wird. Von der Zwiebel wurde nur die Süsse rausgearbeitet, ansonsten präsentiert sich das Sorbet relativ neutral. Ob das nun positiv oder negativ ist, ich bin hin und her gerissen. Einerseits müsste der Hauptbestandteil eines Gerichts präsent und schmeckbar sein. Andererseits, will man wirklich ein nach Zwiebel schmeckendes Glacé essen, das einem die Tränen in die Augen treibt? Wohl eher nicht. Folglich stehen mehr die weihnachtlichen Aromen des Gewürzbrots und der süss-saure Karamell im Vordergrund. Das funktioniert prima und so zeigt sich trotz der Zwiebel ein gefälliges und unkompliziertes Gericht.
Walliser Erdbeeren, Piment d’Espelette, Pistazie, Wasabi und Estragon sind die Protagonisten des nächsten Gangs. In diesem Fall zahlt sich Germaniers generelle Zurückhaltung beim Würzen aus. Das Piment d’Espelette und noch viel mehr der Wasabi funktionieren in so einem Kontext nur, wenn sie sehr, sehr vorsichtig dosiert eingesetzt werden. Genau das wurde hier punktgenau umgesetzt. Die Erdbeeren könnten noch eine Spur intensiver sein (es ist Mai zum Zeitpunkt meines Besuchs und entsprechend früh in der Saison), zeigen jedoch bereits, warum man Früchte, Obst und Beeren aus dem Wallis besonders schätzt. Dem gegenüber steht die buttrige, üppige Nussigkeit der Pistazie. Zwei Pole, die sich wunderbar ergänzen. Durch die Präsenz des Estragons ergibt sich eine tolle frische Dichte, die sich über jeden Bissen legt. Die beiden Scharfmacher hingegen setzten subtile Akzente und fügen sich treffllich ins Gesamtbild ein. Exzellent.
Sogar noch einen Ticken besser ist die Schokolade mit Rote Bete und Granatapfel. Das erprobte Zusammenspiel von süsslich-bitterer Schoki und der erdigen Gemüsesüsse der Rande scheint einfach nie langweilig zu werden. Zumindest mir nicht. Auch die Schwere, die dieser Kombination teilweise innewohnt, sucht man glücklicherweise vergebens. Durch die herben, knackigen Säurespitzen des Granatapfels wird das Ensemble optimal aufgelockert, während die prägnante Frucht einen passenden und willkommenen zusätzlichen Akzent setzt. Zu diesem Zeitpunkt macht auch die überschaubare Portionsgrösse richtig Sinn.
Petits Fours gibt’s zum Espresso natürlich auch noch.
Mein erster Kurztrip in die Westschweiz seit mehreren Jahren fiel überraschend ernüchternd aus. Damien Germanier ist beileibe kein unbegabter Koch und das Essen hat in Teilen auch durchaus Spass gemacht, aber zieht man den Vergleich zu exakt gleich bewerteten Restaurants in anderen Teilen der Schweiz, fällt das höchstbewertete Sittener Restaurant (1 Stern, 17 Punkte) merklich ab. Beispielsweise das Mesa in Zürich ist exakt gleich bewertet. Oder auch das EquiTable. Der exzellente Schlüssel in Mels. Das von mir sehr geschätzte La Brezza in Ascona. Es zeigt, mal wieder, die Krux mit der Verlässlichkeit der Guides auf. Den Stern rechtzufertigen fällt bereits schwer. Aber die Punkte im Gault Millau wirken geradezu grotesk. Neben den erwähnten Lokalen fallen mir aus dem Stand ein dutzend Restaurants ein, die schlechter bewertet sind, aber objektiv betrachtet nicht nur einfach ein bisschen besser aufkochen, sondern sich in einer anderen Liga bewegen. Das hat, wie erwähnt, alles freilich nichts mit der Leistung von Germanier und seiner Mannschaft zu tun. Vielleicht habe ich auch einfach einen schlechten Tag erwischt. Soll ja vorkommen. Ich würde deshalb dennoch jedem interessierten Foodie empfehlen, bei Damien Germanier einzukehren, wenn man sowieso in der Nähe ist, um sich ein eigenes Bild der Küche des sympathischen Chefs und seinem Lokal im wilden Westen der Schweiz zu machen.
Restaurant Damien Germanier
Rue du Scex 33
1950 Sion
Schweiz
+41 (0)27 322 99 88
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