Du Bourg (Christian Aeby) - Biel

Du Bourg (Christian Aeby) - Biel

Kompromisslos konsequent

Umgekehrte Vorzeichen: Kurz nach meinem Besuch haben Fiona und Christian Aeby angekündigt, ihr besterntes Restaurant Du Bourg in Biel per Ende Januar 2025 zu schliessen. Der nachfolgende Bericht soll dennoch kein Schwanengesang sein, sondern hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Schliesslich haben sich die Aebys auch aufgrund ihrer Zukunft dazu entschieden, die Pforten zu schliessen. Erstmal soll es eine wohlverdiente Familienauszeit geben, danach widmet man sich neuen Projekten. Die Gründe, warum man unbedingt noch rechtzeitig nach Biel reisen sollte, um noch in den Genuss der Küche von Christian Aeby zu kommen, sind schnell gefunden.
Bevor es zum Wesentlichen geht, hier noch ein paar kurze Worte zum Chef. Aeby hat nicht den heutzutage oftmals üblichen Weg eines ambitionierten Kochs gewählt und zahlreiche Prestigestellen abgearbeitet, um seinen Lebenslauf aufzuhübschen. Im Sternebereich hat er “nur” in der exzellenten (und viel zu früh geschlossenen) Eisblume in Worb sowie unter Alain Baechler im Des Trois Tours in Fribourg gearbeitet.
Der Wunsch, selbständig ein Restaurant zu führen, war bereits früh vorhanden, weshalb er gemeinsam mit seiner damaligen Freundin und heutigen Ehefrau Fiona im Januar 2021 das Bu Bourg in der Bieler Altstadt eröffnete. Beide sind damals gerade 25-jährig. Erste Auszeichungen liessen nicht lange auf sich warten. Im Jahr nach der Eröffnung wurde ein Stern erkocht, der bis zur Schliessung des Lokals erhalten bleibt. Soweit die wichtigsten Eckdaten. Jetzt geht’s zum Dinner im Du Bourg.

In den historischen Gemäuern (das Haus wurde ca. 1500 errichtet) des renovierten Kellers werden zum exzellenten Schaumwein No Name 2020 von Charles Rolaz nacheinander vier Amuses serviert. Los geht’s mit einem Arrangement aus Cicorino Rosso und Paprika. Angenehme Bitternoten werden durch eine rauchige Süsse anregend ergänzt. Es folgt eine kühle Blumenkohlmousse, eingeklemmt zwischen zwei Scheiben salziger Brezeln. Sehr natürlich und puristisch, in der Mousse fehlen vielleicht ein, zwei Flöckchen Salz. Ein Beignet gefüllt mit Pouletschenkel und Pilzen wird als nächstes aufgetragen. Zwei umwerfende Bissen, die erstmals zeigen, zu was Aeby im Stande ist. Während die saftige, heisse und vortrefflich gewürzte Füllung sehr gut ist, ist es das Gebäck, das heraussticht. Wolkenleicht, eine hauchdünne und ultraknusprige Kruste, das Innere des Teiges optimal zu einer fluffigen Perfektion gebacken, die mich die Augen schliessen lässt. Handwerklich ist das eines der besten Beignets, die ich jemals gegessen habe. Wow! Gehört ab sofort in die The Important Stuff Hall of Fame. Wortwörtlich zurück auf den Boden der Tatsachen holt mich eine Tartelette mit unterschiedlichen Randenzubereitungen. Knackig, kross, leicht und filigran. Nach diesem überaus vielversprechenden Einstieg geht es nun nach oben ins gemütliche Restaurant.

Der Brotgang wird im Du Bourg nach nordischem Vorbild zelebriert und hat es in sich. Auf dem Tisch befinden sich: Sauerteigbrot, Zopfknopf, Butter, Moutarde de Bénichon und Rillettes von der Lachsforelle. Die Köstlichkeit dieser ungewöhnlichen Kombination ist kaum in Worte zu fassen. Angefangen bei den beiden Broten selbst, die kaum besser gelungen sein könnten. Doch als besonders apart erweisen sich die Beilagen. Der Moutarde de Bénichon, eine mir bis anhin unbekannte Delikatesse aus dem Kanton Fribourg, ist eine Art süss-saure Gewürzkonfitüre mit Senf, Vin cuit (bei dem es sich trotz des Namens nicht um Wein, sondern um eingekochten Birnensaft handelt) und weihnachtlich anmutenden Gewürzen. Passt perfekt zur Butter und beides zusammen ist auf einem Stückchen des luftigen Zopfs einfach umwerfend. Nicht minder gelungen sind die herrlich cremigen Rillettes, die mit erfrischend knackigen Gurken angereichert sind. Auch in diesem Fall, besonders gemeinsam mit dem Brot gegessen, ein absoluter Hochgenuss.

Quizfrage für alle Vielsterneesser: welcher Zubereitung/Technik kann man aktuell in keinem Restaurant entkommen? Alle, die nun an Chawanmushi gedacht haben, dürfen sich zu den Gewinnern zählen. Der japanische Eierstich wird im Du Bourg mit Swiss Shrimps aromatisiert, dazu gibt es unterschiedliche Zubereitungen der Karotte. Für mich ist dieses Ensemble trotz des an und für sich relativ gelungenen Geschmacksbildes nur in Ansätzen gelungen. Angefangen bei der Chawanmushi selbst, die etwas fester und weniger flockig sein müsste, bis hin zur insgesamt etwas zu ausgeprägten Süsse. Selbst wenn ich den Drang nachvollziehen kann, lokal gezüchtete Shrimps aus der Schweiz in die Menüs zu integrieren, bietet dieses Produkt in einem Fine Dining Kontext zu wenig Substanz. Dies gilt eigentlich bis auf wenige Ausnahmen für Shrimps ganz allgemein. Deshalb verbuche ich das Ganze mal als Spielerei, die es ins Menü geschafft hat.

Mit Sellerie und Zwiebelgewächse findet die Küche jedoch umgehend wieder in die Spur. Während die bescheidene Wurzelknolle einmal durchdekliniert wird (geschmort, roh eingelegt, püriert) und dadurch eine ganze Bandbreite von unterschiedlichen Aromen und texturellen Erfahrungen bietet, findet sich der Kern dieser Kreation ganz unscheinbar auf dem Tellerboden. Eine enorm intensive, dabei stets elegante und fast schon puristische Zwiebelessenz. Wo beim Sellerie das Spektrum durch die unterschiedlichen Zubereitungen dargestellt wird, vereint dieses Elixier die gesamte Palette der Zwiebel in sich. Würze, Kraft, Umami, Süsse, alles ist da und in vollkommener Balance. Dazu kommt, dass die unterschiedlichen Ausprägungen des Selleries durch diesen betörenden Stoff optimal eingefasst werden. So simpel, so grossartig.

Nicht weniger gelungen ist der Zander mit Fenchel. Der Fisch stammt ebenfalls aus der Zucht (Alpenzander aus Susten im Kanton Wallis), ist qualitativ aber ein ganz anderes Kaliber als die Schrimps zuvor. Und generell ein Produkt, das für die gehobene Gastronomie weitaus tauglicher ist. Der Fisch ist bereits vorgeschnitten (gewürfelt), damit man mit dem Löffel nur noch eintauchen muss. Saftig, aromatisch, köstlich. Doch besonders beeindruckend ist Aebys Umgang mit dem Gemüse. Ätherisch leicht legen sich mystisch anmutende Anisnoten sanft über jeden Bissen. Wie aromatisch dicht und gleichzeitig wolkenleicht, fast schon flüchtig, dieser Teller daherkommt, erstaunt und beeindruckt zugleich.

Wer bei dem Gericht, das jetzt auf den Tisch kommt, an Schweinebauch denkt, liegt mit seiner Annahme gar nicht so falsch - und liegt inhaltlich dennoch völlig daneben. Auch Christian Aeby, der den Teller am Tisch präsentiert, macht sich einen Spass daraus und spielt mit der Erwartungshaltung des Gastes. Das verführerisch überglänzte und mit markanten Röstspuren übersehene Stück, das in der Mitte des Tellers thront, ist nämlich Kürbis. Sorgfältig wird das Nachtschattengewächs erst angegart, dann gegrillt. Das Resultat ist absolut umwerfend. Zart, aber auf keinen Fall weich, sondern sogar mit einem recht prägnanten Biss. Hocharomatisch zwischen umamireicher Herzhaftigkeit und subtiler Gemüsesüsse changierend. Dazu die überaus appetitlichen und perfekt dosierten Röstaromen. Ein Schaum vom Kürbis sowie ein kleiner Klecks Püree werden lediglich noch durch geröstete Mandeln ergänzt. Es klingt so einfach, ist aber alles andere das. Mühelos eines der besten Kürbis-Gerichte, die ich jemals gekostet habe und eine der besten Kreationen des Jahres.

Zu Beginn des Abends wurde der Schenkel des Patte Noire de la Gruyère Pouletsverarbeitet, für den Hauptgang wird nun die Brust des Vogels verwendet. Sie wird behutsam über längere Zeit auf dem Grill im "On and Off Verfahren" gegart. Dabei wird das Fleisch immer wieder für einige Augenblicke über die Kohle gegrillt und anschliessend ruhen gelassen. Dieser Vorgang wird so lange wiederholt, bis das Ergebnis perfekt ist. Einerseits erhält das Huhn dadurch eine ziemlich würzige Wucht, andererseits bleibt das Fleisch wunderbar saftig. Dazu gibt es ganz bescheiden etwas Weisskohl mit ein paar Kräutern und eine exzellente, tiefe Jus. Mehr braucht es einfach nicht, wenn sich alle Einzelkomponenten so nahe am Optimum bewegen und das Gesamtwerk vollkommen harmonisch in sich ruht.

Wie das halt so ist, wenn Konsequenz durchgehend auf hohem Niveau gelebt wird, kann man mich dann sogar mit einem Käsegang überzeugen. Links im Teller ist ein Schaum vom Étivaz, getoppt von einem Zwetschgenglacé. Am Tisch erklärt der Chef, dass er den würzigen, im Kupferkessel über offenem Feuer hergestellten Käse aus den Waadtländer Alpen, in einem anderen Aggregatszustand präsentieren wollte. Lange wurde rumgetüftelt, bis man schliesslich beim naheliegendsten Verflüssiger landete: Wasser. Das erklärt auch, warum der Schaum eigentlich nur wie eine abgeschwächte, aber fast unverfälschte Version seines festen Urzustandes schmeckt. Das fruchtige Eis passt hervorragend dazu. Rechts liegt ein knusprig gebratenes Stück Brioche, darauf mit der Microplane fein geriebener Étivaz, abermals ergänzt um Zwetschge. Ebenfalls köstlich.

Einer weiteren Herausforderung hat sich die Küche mit einem Dessert gestellt, das sich um Rotkohl drehen soll. Aeby motivierte sein blutjunges Team, glaubte aber selbst nicht so recht daran, dass es klappen würde - schliesslich kann man den strengen Kohlgeruch weder komplett beseitigen, noch überlagern. Am Ende wurde er von seinem Team dermassen überrascht, dass es die Kreation sogar ins Menü geschafft hat. Klar denkt man sich beim ersten Bissen, das ist unverkennbar Rotkohl. Aber die herzhaften, dumpfen, schmorigen Noten sind fast vollständig in den Hintergrund gerückt. Im Vordergrund stehen eine präsente Süsse sowie eine überraschende Fruchtigkeit. Diese wird von etwas Preiselbeere aufgenommen und um einen belebenden Säurekick ergänzt. Ein Crumble mit Lebkuchengewürz bereichert das Texturspiel, während ein cremiger Cheesecake Struktur und Zusammenhalt verleiht. Die Rotkohl Challenge wurde äusserst schmackhaft und überzeugend gemeistert.

Während das erste Dessert ein gelunges Experiment war, setzt man bei der Birne mit Haselnuss auf Bewährtes. Der Teller ist geprägt von einer geradezu einlullenden Molligkeit. Unweigerlich denkt man Weihnachten, knisterndes Holz im Kaminfeuer, geselliges Beisammensein und den genussvollen Abschluss des Familienfests. Diese Assoziationen werden ohne auch nur den Hauch einer aufgesetzt wirkenden Plakativität geweckt. Auch, weil diese Kreation viel raffinierter und leichter ist, als es die meisten Familiendesserts daheim sein dürften. Absolut köstlich und, wie die meisten Gerichte heute Abend, wohltuend unaufgeregt, dabei aber höchsten Ansprüchen genügend.

Auch bei den exquisiten Friandises - Tarte von dunkler Ganache und Karamell, Sanddorncrème mit Schokoladensorbet, Joghurtsablé mit Kirschen vom Sommer - lässt die Küche keinen Millimeter nach. Ein köstlicher Abschluss eines beeindruckenden Menüs.

Christian Aeby ist auf diesem Niveau einer der konsequentesten und kompromisslosesten Köche der Schweiz. Er zeigt mit seinem Mini-Team in Wohnzimmerwohlfühlatmosphäre, wie moderne, lokal verwurzelte Hochküche in Reinkultur in der Schweiz funktioniert. Weit entfernt von forcierter Nüchternheit und stumpfsinnigen Dogmen mit lang auserzählten Geschichten ist es die Reduktion auf das Wesentliche, den Fokus auf den Genuss und die unmittelbare Zugänglichkeit, die auf ganzer Linie beeindruckt.
Bleibt sehr zu hoffen, dass sich die Aebys nach der wohlverdienten Familienauszeit für ein neues Projekt begeistern können. Und dort die Gäste genauso faszinieren, wie mich heute im Du Bourg.


Die Weinbegleitung von Fiona Aeby:
No Name Charles Rolaz, CH, 2020
Chasselas de Fichillien Cru de l'hopital, CH, 2022
Hapbee Frank John, D, 2021
Chardonnay S. Elena Petrussa, 1, 2022
Tendresse 3 Saules, F, 2022
Viognier Orange Davaz x Noah Bachofen, CH, 2022
Blaufränkisch Wachter Wiesler, A, 2018
Les Farradjales Domaine de Courbissac, F, 2019
Weissherbst Michael Broger, CH, 2023
La Demoiselle Domaine Laballe, F, 2021


Du Bourg
Burggasse 12
2502 Biel
Schweiz
+41 32 322 03 02
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