La Riva (Dominique Schrotter) - Lenzerheide

Steter Fluss

Das Bündnerland ist nicht nur flächenmässig der grösste Schweizer Kanton, sondern war mit insgesamt 21 Sternen im Guide Michelin 2023 nach Zürich auch das am zweitmeisten ausgezeichnete Genusseldorado der Schweiz. Im Rampenlicht stehen zumeist zwar Andreas Caminadas Schauenstein sowie die Restaurants im mondänen St. Moritz, doch auch abseits der ausgetretenen Pfade gibt es einiges zu entdecken.
Ich hoffe, heute eine solche Entdeckung zu machen und kehre zum ersten Mal ins besternte La Riva ein. Das Küchenzepter schwingt hier seit 2012 Dominique Schrotter. Der joviale Chef hat in der Schweiz unter anderem in den Brigaden von Robert Haupt im Flühgasse und in Rolf Grobs Rössli gekocht. Letzteres war lange Zeit mein Go-to Restaurant für simple, hochklassige Küche. Weitere Wanderjahre führten Schrotter auch nach Asien und Australien, bevor er schliesslich im La Riva sesshaft wurde.
Das Restaurant befindet sich in einem schmucklosen Haus in unmittelbarer Nähe des Heidsees, etwas ausserhalb des Dorfkerns von Lenzerheide. Drinnen bestimmt einladendes, warmes Holz das Bild. Am Tisch bekomme ich eine handgeschriebene Menükarte sowie eine ebenfalls handgeschriebene Karte mit der Weinbegleitung. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das zuletzt in einem besternten Restaurant gesehen habe. Ein sehr sympathischer und persönlicher Touch.
Selbstredend ist klar, dass es heute keine Entscheidungen zu treffen gibt. Ich begebe mich gerne in die Hände eines fähigen Teams. Der Millésime 2012 von Henriot im Glas gefällt, überbrückt die kurze Wartezeit und stärkt die Vorfreude auf die kommenden Stunden.

Da ich nicht weiss, was mich heute erwartet, staune ich erstmal nicht schlecht über die Amuses. Im Detail sind das: Links: Balfego Thunfisch Sashimi mit Kimchi, Tiraditio, eingelegte Gurke und Ponzuschaum. Mitte: Zander Roulade mit Engelshaar und XO-Sauce und Thai Basilikum. Rechts: Kagoshima Wagyu A5 Nigiri mit Aal und Bottarga. Ein wilder, scheinbar willkürlicher Streifzug durch Ost- und Südostasien, mit Anleihen an die peruanische Küche sowie das Mittelmeer. Früher nannte man das mal Fusionküche - was bei mir zugegebenermassen zu hochgezogenen Augenbrauen führt. Allerdings erweist sich meine plötzlich aufgetauchte leichte Anspannung als vollkommen unbegründet. Denn jeder Happen für sich überzeugt durch ein fein austariertes und trotz der teilweise prägnanten Aromen beinahe filigran anmutendes Geschmacksbild. Auch eine gewisse Verbindung zwischen den drei Snacks lässt sich durchaus herstellen. Überraschend gut.

Nach dem fernöstlich geprägten Einstieg, bewegt sich der Blumenkohl mit Feige, Senf, Mandel und Kerbel zumindest gefühlt etwas näher an heimischen Gefilden. Kleinteilig deklinierte Hauptprodukte, kreisrund angerichtet, wirken in etwa so anachronistisch wie die Fusionküche. Doch auch dieser Teller weiss zu gefallen. Zwar droht das Ganze immer wieder mal in eine allzu lieblich-süsse Gefälligkeit abzudriften, doch irgendwo kommt immer ein wenig belebende Schärfe und kühl-frische Kräuterigkeit her, die für die nötige Balance sorgt. Kein Meistwerwerk, aber ein locker-leckeres Gericht.

Weiter geht’s mit einem Zweierlei vom Kalb, begleitet von Oliven, Buttermilch und Essiggurke. Zum einen ist da ein Tatar, zum anderen die Zunge (dünn aufgeschnitten und als Sülze). Dieser Teller macht alles richtig, was man nur richtig machen kann. Jedes einzelne Produkt ist klar identifizier- und schmeckbar. Das exzellente Fleisch wird von den durchaus kräftigen Mitspielern optimal eingefasst. Vor allem das Säurespiel ist punktgenau justiert und bringt eine willkommene Leichtigkeit ins Spiel. Geschmacklich erweisen sich die Oliven als sehr aparte Wahl, da sie dem Gericht einen unerwarteten Twist Richtung Mittelmeer verleihen. Dazu bieten die unterschiedlichen Texturen ein abwechslungsreiches Mundgefühl. Grosse Klasse.

Auch das Mosaik von Hamachi und Lachs mit Fenchel und Orange sowie stilisiertem Knusperfischskelett ist ganz klar in Südeuropa zu verorten. Der klassische Akkord von ätherischem, frischem Fenchel und der süsssauren Orangenfrucht wird vorzüglich durch die Säure von Verjus ergänzt. Diese herbe Frische gibt dem ohnehin schon gelungenen Ganzen den letzten Kick. Sommer auf einem Teller, wenn man so will.

Wann habe ich zuletzt eine Variation von der Gänseleber serviert bekommen? Es muss zumindest so lange her sein, dass der nächste Gang aus der Reihe tanzt. Klar, Foie gras spielt in vielen Spitzenrestaurants nach wie vor eine mehr oder weniger grosse Rolle, aber dann zumeist singulär oder als Teil eines Gerichts. Schrotter schert sich nicht um Moden und lässt die Leber als Eis sowie als Terrine auftragen, dazu gesellen sich Preiselbeere, Sanddorn und ein Stück Briochetoast. Letzteres ist etwas zu trocken geraten, was sich aber durch die reichlich vorhandene Cremigkeit der Foie locker ausgleichen lässt. Üppiger Schmelz, mundfüllende Opulenz, ausladende Frucht, pointierte Säure, alles passt, um diesem Gang gelebte Zeitlosigkeit zu attestieren. Ist zur Abwechslung auch mal wieder ganz schön.

Tief in die Klassikkiste greift nun die schöne Tranche gebratener Steinbutt mit Estragon, Safran und Pastinake. Safran und Estragon sind intensive Produkte, die erstmal in Einklang gebracht werden müssen. Schrotter bleibt auch hier seiner feingliedrigen Linie treu, schält die Essenz des Krauts und des Gewürzes heraus und bringt sie in eine absolute, zenhafte Harmonie. Jedem Bissen schwingt eine ätherische Note mit, die das delikate Fischfleisch zusätzlich betont. Sehr gut.

Mit Laksa, Kaviar, Scampi, Jakobsmuschel und Fingerlimes wagt die Küche nochmal den Blick gen Osten. Die oftmals scharfe malayische Nationalsuppe (allgemein aus einer Art Kokoscurry mit Tamarinde und Nudeln bestehend) wurde hierzu etwas gebändigt und präsentiert sich von einer sehr eleganten Seite. Was nicht heissen soll, dass nicht auch ordentlich Wumms in Form von Schärfe und Säure vorhanden ist. Die Fingerlimes erweisen sich als vorzügliche Aufbrecher, die die süsslich-maritime Jodigkeit des Granats konterkariert. Persönlich würde ich mir eine etwas ausgeprägtere Schärfe wünschen, was aber nicht nach Jedermanns Gusto sein dürfte.

Die La Riva Küchenmannschaft will es heute wissen und serviert eine Nudel-Timbale. Ein Relikt längst verloren geglaubter Tage der französischen Hochküche, das mir schon sehr lange nicht mehr serviert wurde. Da Pasteten - eine Timbale ist eine Version einer Pastete - auch wieder auf dem Vormarsch sind, komme ich in Zukunft vielleicht wieder öfters in den Genuss. Diese gelebte Reminiszenz wird mit Hirsch zubereitet und von verschiedenen Zubereitungen der Artischocke begleitet. Fast alles stimmt an diesem wunderbarem Teller. Von der exzellent gewürzten Farce über den glänzend schimmernden, die Lippen mit einer sanften Klebrigkeit benetzenden Saucenfilm, der die Pasta appetitlich einhüllt, bis hin zur kontrastierenden Bitternis des Korbblütlers. Grossartig. Lediglich ein klein wenig wärmer dürfte es sein. Die nicht ganz optimale Temperierung schmälert den Genuss aber glücklicherweise kaum.

Saftiges, zartes und herrlich mürbes Wagyu Short Rib wird beim nächsten Gang knackig-frisch von Sellerie, Shiso und Apfel eingefasst. Balance ist auch hier das Zauberwort. Das angenehm durchzogene Rind profitiert von der Säure und der herb-minzigen Frische, die die Üppigkeit ein wenig auflockern. Der Sellerie hingegen verstärkt den Umami-Eindruck des Fleisches und sorgt neben einer erdigen Süsse vor allem auch durch seine Knackigkeit für ein abwechslungsreiches Texturspiel. Das ist in Summe zwar nicht sonderlich aufregend, schmeckt aber einfach richtig gut.

Auch beim letzten herzhaften Gang geht die Küchenmannschaft nochmal richtig in die Vollen. Das Rindsfilet Wellington, Trüffel, Spinat, Kartoffel und Karotte besticht erneut durch seine Ausgewogenheit. Man könnte denken, dass sich die fortwährende Suche nach Harmonie und Balance in gepflegter Langeweile niederschlägt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Es ist wohltuend, die wiederkehrende Präzision und das fein ziselierte Zusammenspiel durchaus kräftiger Geschmäcker zu geniessen, ohne dabei durchgehend von unnötigen Ablenkungen gefordert zu werden. Das ist ganz einfach ein absolut köstlicher Teller auf hohem Niveau. Vive les classiques!

Zum Schluss des Menüs gibt’s noch ein wenig Tableside Action. Der Chef legt bei der Crêpe Suzette mit Blutorange, Vanille und Sabayone direkt selbst Hand an. Was sich nach einem in Summe zwar relativ leichten, aber dennoch ausgiebigen Menü als relativ schwerer Mix zweier weiterer Klassiker anhört, funktioniert dank eines kleinen Kniffs dennoch überraschend gut. Die Blutorange unterlegt das Ganze nämlich mit einer herberen, frischeren Säure, als das beispielsweise die gängige Orange tun würde. So erhält die luftig aufgeschlagene Crème sowie die exzellenten, dünnen Crêpes (wie es sich gehört, es sind schliesslich keine Pfannkuchen) einen auflockernden Partner zur Seite gestellt. Immer noch recht üppig, aber nicht erschlagend. Sehr schön.

Sogar ein kleiner Griff in die Petits Fours Box liegt noch drin…

Was Dominique Schrotter und sein Team heute gezeigt haben, kann nur ein Prädikat erhalten: hervorragend! In welcher unaufgeregten Konstanz ein hervorragendes Gericht nach dem anderen serviert wird, hat Seltensheitswert. Im Herzen klassisch französisch, aber mit Einflüssen aus aller Welt in sanftem Gewand. Harmonie, Balance, Exzellenz in seiner erfrischenden Unaufgeregtheit. Schrotters Küche ist das Gegenteil eines Marktschreiers. Es ist ein mit allen Wassern gewaschener Leisetreter, der ohne viel Aufhebens ganz einfach durchs Band überzeugt.
Dass das Bündnerland einem Schlaraffenland gleicht, ist auch Restaurants wie dem La Riva zu verdanken. Restaurants, die sich etwas abseits der ausgetreten Pfade bewegen, sich genau dadurch ein gewisse Trendresistenz erarbeitet haben, die erfrischend anders daherkommen. Und eines ist nach dem Dinner im La Riva sowieso klar: Um Schrotters Küche zu geniessen, kann man auch bedenkenlos mal einen Umweg in Kauf nehmen.


Weinbegleitung:
Millésime 2012, Champagne Henriot
Grüner Veltliner Smaragd Honivogl 2016, Weingut Franz Hirtzberger
Riesling Smaragd Ried Klaus 2016, Weingut Jamek
Ignis Kryoséléction Zweigelt 2014, Weingut Schnell
Chardonnay 2017, Christian Hermann
Pouilly-Fuissé “Clos de Monsieur Noly” Vieilles Vignes 2007, Domaine Valette
Pinot Noir Unique 2019, Weingut Donatsch
Castello Luigi Rosso 2011
Château Batailley 2000
Tokaji Aszú 3 Puttonyos 2016, Oremus


La Riva
Voa davos Lai 27
7078 Lenzerheide
Schweiz
+41 81 384 26 00
Website

 

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