Zoe (Fabian Raffeiner) - Bern

Zoe (Fabian Raffeiner) - Bern

Zoe is(s)t vegetarisch

Glücklicherweise gibt es heutzutage eine grosse Anzahl von hervorragenden Köchen. Solche, die es schaffen, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, sind allerdings immer noch eher rar gesät. Über deren Küche man nach dem Essen bei einem späten Absacker denkt: Das war verdammt gut und könnte der Anfang von etwas Grossartigem sein. So ist es mir vor einigen Jahren nach einem Dinner bei Fabian Raffeiner im besternten Meridiano ergangen. Das Restaurant schloss leider kurz nach meinem Besuch seine Pforten und Raffeiner verschwand im Berner Kursaal etwas in der Versenkung des Gastronomieangebots. Mir blieb er jedoch nachhaltig in Erinnerung.
Deshalb freute ich mich doppelt, als sein Name im Frühjahr 2023 endlich wieder auftauchte. Gemeinsam mit Partner Mark Hayoz begab er sich in die Selbständigkeit und eröffnete das Zoe in Bern. Ein ambitioniertes vegetarisches Restaurant. Diese Information war für mich Grund genug, einen Ausflug in die Hauptstadt zu planen. Ein Ort, den ich sowieso sehr mag, jedoch viel zu selten besuche.
Am Mittag vor dem Dinner kehre ich zu einem wie immer exzellenten Lunch in Markus Arnolds lässiger Steinhalle ein. Anschliessend geniesse ich ein paar gemütliche Stunden an der Aare mit einer exzellenten Flasche Wein im Gepäck. Nachdem ich mich frisch gemacht habe, schlendere ich an diesem heissen Sommerabend durch die sehenswerten Gassen der Berner Altstadt, die Teil des Unesco-Weltkulturerbe sind. Das Zoe befindet sich in der schmucken Münstergasse. Das historische, unebene Kopfsteinpflaster der Gasse dient auch als Terrasse des Restaurants. Auch wenn die Justierung zur Unwackeligkeit meines Stuhls und Tischs erst etwas fisselig ist, verspricht alleine schon die Atmosphäre dieses Orts einige gemütliche Stunden. Vor allen Dingen bin ich natürlich sehr gespannt, ob sich der positiv nachhallende erste Eindruck von Raffeiners Küche heute an neuer Wirkungsstätte verfestigt.

Dass sich der Chef während seiner unfreiwilligen Sterneabstinenz nicht von seinem Qualitätsanspruch verabschiedet hat, zeigen bereits die ersten Snacks: Mini-Lattich, Rote Zwiebel, Kartoffelknusper - Brennnessel, Hanfsamen, Gemüsepickle-Gel - Tartelette, Champignon, Belper Knolle. Sehr raffiniert, dennoch kraftvoll und trotz der unterschiedlichen geschmacklichen Ausprägungen in der spürbaren Eleganz geeint. Verheissungsvoll.

Ich bin kein grosser Fan von Ersatzprodukten der veganen Küchen, auch wenn in den vergangenen Jahren in diesem Bereich ein grosser Sprung nach vorne gelungen ist. Deshalb stehe ich der veganen Sour Cream (als der Hitze nach einem längeren Gespräch mit dem Service Tribut zollender Taler obenauf) mit Gurkenvariation und gepickelten Senfsamen erstmal etwas kritisch gegenüber. Da die Basis der “Sour Cream” aus Cashewnüssen besteht, bildet sie einen fast schon ausladend üppigen, nussigen Boden, der gekonnt kontrastiert werden will. Die Frische und Knackigkeit der Gurke sowie die präsente Säure der knusprigen Samen fangen die Üppigkeit gemeinsam mit einer kräuterigen Vinaigrette gut ein. In Summe schmackhaft und besser als erwartet.

Wie ein Klassiker der Alltagsküche in die gehobene Gastronomie transportiert werden sollte, zeigt die Zoe Küche bei den bunten Seeländer Tomaten mit Stracciatella di Bufala, Basilikum und Pinienkernen. Auch das letzte Fitzelchen sonnengeküsste Süsse und Umami wird aus den Paradeisern rausgekitzelt. Eingebettet in die süss-säuerliche Cremigkeit des saftigen Käses, akzentuiert durch die intensive, herb-kräuterige Frische des Basilikums sowie die elegante Reichhaltigkeit der Samen, ergibt sich ein herrlich unkompliziertes, dennoch anspruchsvolles Potpourri des Sommers. Köstlich.

Kräuterseitling, fermentierter Knoblauch, Petersilie und Buchweizen sind die Protagonisten des nächsten Tellers. Hier steht das Umami für mich zu stark im Mittelspunkt. Pilze, Knoblauch und Buchweizen verfügen alle bereits über ein mehr oder weniger stark inhärentes Umami. Dieses wird durch die jeweiligen Zubereitungen noch mehr betont, was dem Ganzen eine umheimlich geballte Wucht verleiht. Dem steht nur die Petersilie gegenüber (der man durchaus auch noch eine gewisse Herzhaftigkeit zuschreiben kann). Es fehlt an einem Gegenpol in der Form von Säure, der für etwas Balance und Kraftentschleunigung sorgt. Man kann das zwar gut geniessen, jedoch wirkt es auf Dauer etwas zu eindimensional und heftig.

Auf das Acquerello Risotto mit Erbse, Morchel, Sbrinz und Madeira freue ich mich bereits beim Lesen des Menüs besonders. Ähnlich wie beim ToMozza zuvor, kann ein scheinbar banales Alltagsgericht aus der Küche eines wirklich begabten Chefs oftmals für höchsten Genuss sorgen. Genau das passiert in diesem Fall. Der exzellente, gereifte Reis aus dem Piemont ist natürlich perfekt gegart und weist einen appetitlichen Biss auf. Auch bei diesem Teller schöpft Raffeiner alles an Umami aus, was irgendwie möglich ist (Umami ist sicherlich das Thema des Abends, wie man unschwer feststellen kann). Hier schafft der Chef auch die nötige Balance: Grüne Frische und Süsse durch die Erbsen und ein geradezu luxuriös anmutender Wumms durch den Madeira. Insgesamt ist das ein üppiges Sommergericht, aber eben auch ein verdammt gutes und der vermeintliche Höhepunkt des Abends.

Letzter herzhafter Gang des Menüs ist eine BBQ Aubergine mit Baumnussmiso, Sonnenblumenkernen, Minze und schwarzer Nuss. Allein schon an der Struktur der Eierpflanze ist zu erkennen, dass hier kein fleischänhliches Ersatzerlebnis geschaffen werden soll. Saftig ist sie zwar, aber texturell näher an bissfest als an butterzart. In meinen Augen perfekt getroffen. Um das Schlagwort dieses Dinners kommt man auch bei dieser Kreation nicht rum. Die Grillaromen der Aubergine, das hervorragende Miso, ebenso die Sonnenblumenkerne und mit Abstrichen die eingelegte Baumnuss - Umami pur. Doch letztere lockert dieses komplexe, wuchtige und erstmal dunkel wirkende Konglomerat gemeinsam mit dem vor nasendurchpustender, orientalisch-frischer Brise nur so strotzenden Minze gekonnt auf. Hauptgänge wie diesen wünsche ich mir viel öfters. Die Aromen sind vertraut, wirken in dieser Kombination dennoch neuartig. Beide Seiten des Mittelmeeres und Fernost vereint mit alpinen Einflüssen. Sowohl in der Konzeption als auch in der Ausführung sehr stark. Und der Wohlgeschmack steht, wie bei Raffeiner üblich, immer an vorderster Stelle.

Beim Dessert Erdbeer, Joghurt, Schokolade und Kakaofruchtsaft zeugt das Fünf-Franken-Stück nicht etwa von Einfallslosigkeit oder gar schlechtem Geschmack der Küche - wer will denn schon Geld essen? - sondern bezieht sich auf eine vor Ort vorhandene, interaktive Kunstinstallation. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Am besten einfach mal selbst vorbeigehen, um das Werk zu erleben. Doch zurück zum Wesentlichen. Diese Süssspeise schmeckt nämlich ganz hervorragend. Frucht und füllige Säure stehen klar im Vordergrund, die Schokolade dient lediglich als perfekt portioniertes Würzelement. Dadurch wird die Komplexität erhöht und die Kernelemente Erdbeere und Joghurt werden um eine sinnvolle Geschmackskomponente ergänzt, ohne überlagert werden. Ein gleichermassen beschwingter wie toller Abschluss.

Für das eigentliche Ende des Abends sind natürlich die Friandises zuständig. Diese stehen dem Hauptdessert kaum nach und sind auffelend gut gelungen. Satt bin ich zwar längst, doch die drei Petitessen kann ich allein schon aufgrund ihrer Güte nicht stehen lassen. Im Detail sind das: Kirsche, dunkle Schokolade und Kakao-Pulver - Dehydriertes Schokomousse und Mispel-Gel - Apfel-Sorbet, Mandel und Fichte.

Im Zoe versucht Fabian Raffeiner durch das Herausarbeiten des Umamis und die Fokussierung darauf eine mundfüllende, würzige Breitbildküche zu schaffen. Das gelingt ihm auch sehr gut. Lediglich beim Kräuterseitling wurde dieser Bogen für meinen Geschmack heute überspannt. Ob der Umami-Fokus nur in der ersten Phase der neu geschaffenen vegetarischen Umgebung so deutlich zutage tritt oder dauerhaft zum Küchenkonzepts des Zoe gehört, wird sich wohl noch weisen. Über das gesamte Menü hinweg gesehen, würde ich sich stärker differenzierende Teller begrüssen. Das würde der Dramaturgie des Essens gut tun und etwas mehr Abwechslung ins Spiel bringen.
Dass sich das Zoe bereits ein halbes Jahr nach Eröffnung mit einem Macaron des Guide Michelin schmücken durfte, überraschte mich nach meinem Dinner nicht. Es bestätigt meinen sehr positiven zweiten Eindruck der Küche von Fabian Raffeiner. Und das ist erst der zweite Anfang.


Restaurant Zoe
Münstergasse 39
3011 Bern
Schweiz
+41 (0)31 318 33 33
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