Igniv (Daniel Zeindlhofer) - Zürich

Igniv (Daniel Zeindlhofer) - Zürich

Teilen auf einem neuen Level

Manche Entwicklungen sind schwer vorauszusehen. Mein letzter Lunch im Igniv Zürich hat mir zwar viel Spass und Genuss bereitet, doch dass das schmucke Restaurant von Patron Andreas Caminada im Zürcher Niederdorf im nächsten Guide Michelin auf zwei Sterne hochgestuft wird, war während des Menüs nicht kristallklar. Der Ehrgeiz und das zweifellos vorhandene Talent zum Aufstieg auf diese Stufe hingegen schon. Wie alle Ignivs wurde auch die Zürcher Dependance von der spanischen Designerin Patricia Urquiola ausgestattet. Man merkt schon beim Betreten des Lokals, dass hier eine bestimmte Stimmung erzeugt werden soll. Ungezwungen, anregend und stylisch. Wenigen Gastronomen gelingt die Symbiose aus hochklassigem Essen, exzellentem Service, Design und einladend heimeliger Atmosphäre zu einem unvergleichlichen Gesamterlebnis wie Caminada. Alles ist darauf ausgerichtet, den Gästen eine möglichst schöne Zeit zu bereiten. Dass ich eine solche in den nächsten Stunden erleben werde, daran zweifle ich keine Sekunde, als ich an meinem Tisch am Fenster Platz nehme.
Mit einem Glas des exzellenten Rosé Brut Premier Cru von R. Pouillon & Fils wird mir die mitunter schwierigste Entscheidung des heutigen Mittags einfach gemacht. Die Lust auf Rosé Champagner ist geweckt. Eine Flasche Rosé de Saignée Extra Brut von Emmanuel Brochet soll die Küche von Daniel Zeindlhofer begleiten. Die Auswahl der Gerichte bleibt wie immer dem Chef überlassen. Vergnügt und voller Vorfreude harre ich der Dinge, die da kommen.

Vier Petitessen zum Teilen bilden den Auftakt: Igniv Ei, Erbse, Milken, Miso - Sauerrahm, Sauerklee - Rhabarber, Zander - Alge, Jalapeño. Jeder einzelne Snack überzeugt durch Akkuratesse, ein differenziertes Geschmacksbild und die augenscheinlich sorgfältige Komposition und Umsetzung. Zusammen bilden sie ein sich im Kreisgang steigerndes Miteinander, das alle Boxen tickt. Ein unaufdringlicher, aber gleichwohl äusserst starker sowie schlüssiger Auftakt und sogleich ein erster Fingerzeig, wohin die Reise heute Mittag gehen wird.

Während die Snacks fein ziseliert aufeinander Bezug nahmen und sich ergänzten, sind die Vorspeisen thematisch nur lose aufeinander abgestimmt. Folglich steht jeder Teller für sich und kann auch so genossen werden. Zuerst widme ich mich dem Scampi mit Shiso und Sauerampfer. Durch das Grillen wird die maritime, nussige Süsse des Kaisergranats zusätzlich akzentuiert. Deshalb setzt Zeindlhofer mit kräftig-herben und pfeffrig-frischen Elementen ausbalancierende Gegenpole, die durch ihre (teilweise der Zubereitung zu verdankenden) Knusprigkeit auch ein kurzweiliges Texturspiel bieten.

Karotte, Joghurt und Kopfsalat besticht durch die gelungene Neuzusammensetzung eines schlichten Salats mit Joghurtdressing, wenn man so will. Das ist, abgesehen von der feingliederigen Optik, genauso ein Teller, bei dem man sich fragt, warum so etwas scheinbar Simples nicht auch zu Hause gelingt. Köstlich sommerlich. Wollte man unbedingt das Haar in der Suppe suchen, könnte man höchstens konstatieren, dass die Süsse je nach Gabelbelegung etwas zu sehr in den Vordergrund rückt und dadurch die perfekte Balance verhindert. Dass man auf solche Feinheiten überhaupt hinweisen muss, zeigt, in welche Richtung sich die Küche des Igniv bewegt.

Bei Randen, Rind und Ingwer wird ein schlichtes Tatar neu interpretiert. Durch den süsslich-erdigen Akkord der Bete sowie die vorsichtig dosierte Schärfe und den subtilen Kick des Ingwers wird das Ganze mit einem dezent asiatisch anmutenden Anstrich versehen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch eine verhältnismässig kräftige Dashi, die mit ein wenig Meerrettichöl sowohl die Schärfe des Ingwers aufnimmt als auch den Eigengeschmack des Fleisches betont. Da die Proportionen genau austariert sind, steht das überraschend kernige Rind stets im Mittelpunkt und wird von seinen fein abgestimmten Begleitern stimmig eingefasst. Sehr schön.

Noch einnehmender präsentiert sich der Hamachi mit Sellerie und Tigermilch, der das ohnehin schon sehr ansprechende Niveau nochmals spürbar anhebt. Wie hier durch den Sellerie und die Beigabe von Algen eine ungeheuer pure, maritim anmutende Umamiunterlage für samtenen Fisch (und etwas Kaviar) geschaffen wird, ist einfach nur umwerfend. Man fühlt sich gleichzeitig in drei Welten schwebend: fernöstliche Eleganz, südamerikanische Frische und Grossmutters Kohlrouladenwucht. Beeindruckend und ungemein wohlschmeckend. Gleichzeitig gibt der letzte Teller aus dem Vorspeisenquartett auch die Flughöhe für das Kommende vor…

… die der erste Teller der vier Zwischengänge problemlos halten kann. Spargel, Gurke und Zitrone begeistert durch seinen Mix aus kurzweiliger, frühsommerlich-grüner Gartenfrische mit zarten Bitternoten, herber aber gut eingebundener Säure und dem eigentlich Clou, einer nussigen, opulenten Rapshollandaise, die dem Ganzen die bodenständige Unterlage verleiht. Am liebsten hätte ich von jeder Kreation, die bisher serviert wurde, noch einen weiteren Teller gegessen, aber hiervon eine Schüssel, die während des gesamten Essens auf dem Tisch steht und aus der man sich zwischendurch nach Lust und Laune bedienen kann, das wäre wirklich grandios.

Die Grossartigkeit reisst auch beim Kimchi mit Kohlrabi und Tomate nicht ab. Obschon man jedes Element bei jedem Bissen klar schmecken kann, spielt hier doch ganz klar die Würzigkeit des Kimchi die Hauptrolle. Sie legt sich wie ein optimal dosierter Schleier über jede Gabel, pointiert mal die Knackigkeit des Kohls und kontrastiert gleichzeitig seine dumpfe Erdigkeit, nimmt dann das fruchtige Umami der Tomate auf und befeuert mit der subtilen Schärfe deren Eigengeschmack. Einfach grandios.

Den kleinen Tischgrill kenne ich bereits von früheren Besuchen. Allerdings war das Grillgut noch nie so lecker wie die Pilze mit Artischocke und Kombu. Eine weitere Umamibombe erster Güteklasse. Verführerische Rauch- und Grillaromen stehen den saftigen und knackigen Pilzen naturgemäss sehr gut. Während die Algen die inhärente Fleischigkeit der Pilze betonen und sie um eine zusätzliche Dimension erweitern, setzt die Artischocke mit ihrer eleganten Bitternis einen geradezu nobel wirkenden Gegenpol. Ein Meisterstück.

Ganz klassisch wird es bei der Gänseleber auf Crêpe mit Morchel. Zeindlhofer zeigt, dass er die ganze Klaviatur der modernen Küche beherrscht, in der die Klassik nach wie vor das Fundament bildet. Opulent und reichhaltig. Von betörend zartem Schmelz. Flüchtig-fluffig und doch nachhaltigen Eindruck hinterlassend. Wow.

Eine kleine Pause tut jetzt gut. Die vier Zwischengänge versuchten sich furios gegenseitig zu übertrumpfen. Was in Summe dafür sorgte, dass das zweifellos die beste Sequenz von Köstlichkeiten war, die ich bisher aus der Igniv Zürich Küche gekostet habe. Dieses Niveau zu halten dürfte schwierig sein, doch mittlerweile traue ich dieser Mannschaft an diesem Mittag auch das zu.

Was bei keinem Besuch in einem der Igniv Outlets fehlen darf, sind die Nuggets. Dass allerdings ausgerechnet hier ein erster kleiner Dämpfer folgt, habe ich nicht erwartet. Der Teig erscheint zwar noch etwas voluminöser und luftiger als sonst, allerdings auch eine Spur trockener. Dadurch entsteht nicht der behagliche Wohlfühlbissen, der diesen Snack ansonsten auszeichnet. Es scheint etwas zu wenig von dem ausgezeichneten Fleisch im Verhältnis zum Teig zu sein und der Teig dürfte einen Hauch zu lange gebacken worden sein, was zu einer minimalen Disharmonie führt. Auch wenn man grosszügig in die hervorragende Barbecue-Sauce dippt. Das ist immer noch sehr gut, jedoch nicht absolut ungezügelte Wonne, die man gewohnt ist.

Ganz ähnlich verhält es sich mit den Schmorbraten Tortellini und Nussbutter. In Summe ist das zwar wiederum sehr schmackhaft. Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, dass der Pastateig einen Hauch zu dick ist, die Fleischfüllung ein Spürchen zu trocken und das Ganze durch den Käse und die Butter ein bisschen speckig wirkt. Es braucht hier nicht zwingend ein kontrastierendes Element, beispielsweise in Form einer Säure, allerdings müssen dann die Proportionen und Zubereitung makellos sein. Wie bei den Nuggets zuvor ist das aber Klagen auf hohem Niveau.
Zeindlhofer und seine Mannschaft haben die Messlatte bis zu den Nuggets und der Pasta sehr hoch gelegt. Dadurch treten kleine Unzulänglichkeiten noch stärker hervor und das Unvollkommene wird sichtbarer.

Wieder voll auf Flughöhe bewegt sich der Räucheraal mit Radieschen und Kaviar. Die rare heimische Delikatesse aus dem Bodensee wird als Mousse serviert, getoppt von einer Lage herrlich knackiger Radieschen, die dezent auf der Zunge kitzeln, sowie einer ordentlichen Portion Kaviar und einer mildwürzigen Kräutervinaigrette. Trotz der Kombination durchaus starker Geschmäcker, ergibt sich ein überaus elegantes und feingliedriges, zart anmutendes Gericht. Es geht hier weniger um die vordergründige Wahrnehmung einzelner Produkte und ihrer exemplarischen Qualitäten, sondern um das exquisit ausgearbeitete Miteinander. Gleichermassen lecker und berührend.

Während die Teller der bisherigen Gänge zwar durchaus miteinander kombiniert werden konnten, standen sie doch auch relativ klar für sich selbst und nahmen, ausser bei den Snacks zu Beginn, nicht zwingend direkt Bezug aufeinander. Man konnte ergänzen und kombinieren, musste aber nicht. Bei den nun folgenden Hauptgängen ist die Unterteilung jedoch klar. Die Spargeln mit Dörrbirne und Kohl sowie die Kartoffeln mit Schnittlauch sind Beilagen zu den zentralen Protagonisten des abschliessenden herzhaften Menüteils.

Ein Hauptdarsteller ist das hausgemachte Pastrami, das Zeindlhofer mit Rettich und “Dönersauce” kombiniert. Durch die grosszügige Würzung verträgt das saftige Rind die kräftige Einfassung problemlos. Neben unterschiedlichen Rettichen sind das vor allem eingelegte rote Zwiebeln und natürlich die Sauce. Die, wie mir der Service erklärt, ursprünglich immer als Joghurtsauce beschrieben und annonciert wurde, bis der Chef klarstellte, dass es nun mal eine Dönersauce sei und auch so auf der Speisekarte stehen solle. Jedenfalls ist das eine ebenso neckische wie fulminante Interpretation des Fastfoodklassikers, die mit Fleisch und Gemüse eine Liaison eingeht, die nachklingt. Charmant und herausragend gut.

Ebenso köstlich ist der Maibock mit Zwiebel und Estragon. Während die Zwiebel eine bodenständig-süssliche Komponente einbringt, sind es vor allem der ätherische Estragon sowie die fantastisch tiefe, grosszügig bemessene Sauce, die diesen Hauptgang gemeinsam mit dem hervorragenden Wild zum Hochgenuss machen. Das Ganze wirkt sehr puristisch, zeichnet sich aber dennoch durch eine beeindruckende Tiefe und Komplexität aus.

Das Igniv Ei hat seinen nächsten Auftritt in der süssen Version mit Mandel und Salzkaramell. Dazu gesellt sich eine Tartelette mit Sanddorn und Kamille. Simpel, aber nicht langweilig. Gefällig, aber nicht belanglos. Genau das macht die Süssspeisen in jedem Igniv aus.

Nahe an der Perfektion ist das luftige Sauerrahmsoufflée. Man kann gar nicht anders, als mit einem beherzten Löffelhieb durch den knusprigen Deckel in das angenehm säurebetonte, sehr luftige Innere einzutauchen und die eigentlich fast noch zu heisse Eierspeise sofort zu vernaschen.

Ganz hervorragend ist auch die weisse Schokolade mit Kräutern. Durch den herb-grünen, frischen Anstrich bewegt sich dieses Gericht in moderneren Gefilden und zeigt, dass die Igniv Pâtisserie nicht nur schmeicheln, sondern auch ein wenig fordern kann. Über allem steht aber stets der unkomplizierte Wohlgenuss.

Die Kombination von beinahe unwirklich parfümierten und überbordend köstlichen Erdbeeren mit Vermouth und Meringue ist vorzüglich. Die ultra-intensive Beerenfrucht profitiert von der subtil eingewobenen, kräuterigen Bitternis des aufgespriteten Weins sowie dem süssen Crunch der Meringue. Zusätzlich bieten kräuterige Akzente den Beeren kontra.

Herrlich erfrischend und leicht ist die Kombination von Rhabarber und Zitrone. Mit dem Slogan “So schmeckt der Sommer“ bewarb vor ca. 30 Jahren eine deutsche Eiscremefirma ihre Produkte. Genau das hat die Igniv Mannschaft mit diesem unverschämt erfrischenden und deliziösen Dessert hinbekommen. In ungleich besserer Qualität, versteht sich.

Ein Besuch im Candy Store muss natürlich sein, allerdings lasse ich mir die Petits Fours für zu Hause einpacken, um sie am Abend zu geniessen.

Seit meinem letzten Besuch hat das Team um Chef Daniel Zeindlhofer einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. Abgesehen von den Nuggets und der Pasta bewegt sich das gesamte Menü auf einem beeindruckenden Niveau, das man hier noch nie gegessen hat. Die zwei Michelin-Sterne, die seit dem Guide 2022 über dem Igniv leuchten, sind absolut gerechtfertigt.
Zeindlhofers Küche ist mittlerweile sehr kohärent. Trotz seines Hangs zur kräftigen Würzung sind seine Kreationen von einer wunderbaren Eleganz und Leichtigkeit geprägt. An Weltoffenheit und Vielfalt hat sich glücklicherweise nichts geändert. Nur dass alles spür- und schmeckbar stringenter umgesetzt wird. Die Sturm-und-Drang-Phase als Chef eines ambitionierten Restaurants, das sich auch an den anderen Nestern messen lassen muss, scheint vorbei zu sein. Die gesamte Mannschaft wirkt ruhig, gelassen und eingespielt.
Dieses Menü hat mich begeistert. So einfach lässt sich der Besuch am besten zusammenfassen. Meine Erwartungen an eine gute Zeit wurden noch dazu bei weitem übertroffen. Was will man mehr? Ein Besuch im Igniv gehört ab sofort zum Pflichtprogramm eines jeden pflichtbewussten Geniessers, der in Zürich ist. Ganz nebenbei ist es eines der wenigen verbliebenen Spitzenrestaurants, die auch am Mittag geöffnet haben.


Igniv
im Marktgasse Hotel
Marktgasse 17
8001 Zürich
Schweiz
+41 (0)44 266 10 10
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