Silver (Mitja Birlo) - Vals

Silver (Mitja Birlo) - Vals

Als im vergangenen Sommer bekannt wurde, dass Sven Wassmer das Silver verlassen will, haben die darauf folgenden Ereignisse an einen Trainerwechsel im Fussball erinnert. Der starke Mann an der Seitenlinie kommuniziert öffentlich seinen Abwanderungswunsch, kurz darauf wird er von der Vereinsführung vor die Tür gesetzt und als Nachfolger wird der ehemalige Assistent installiert. Ziemlich genau so geschehen als Mitja Birlo, ehemaliger Souschef Wassmers, nach dessen Rauswurf das Zepter in der Küche übernommen hat. Das unerwartete Erbe, das der gebürtige Bielefelder angetreten hat, ist ein nicht zu unterschätzendes. Schliesslich hat Wassmer das Silver gemeinsam mit seinem Team überhaupt erst auf die kulinarische Landkarte gesetzt. Mit einem ureigenen Stil innerhalb von zwei Jahren zwei Michelin Sterne und 18 Gault Millau Punkte erkocht und für mächtig Furore gesorgt. Auch mich hat er mehrfach begeistert (hier und hier nachzulesen). Doch Wassmer ist Vergangenheit in Vals. Birlo die Gegenwart. Oder vielleicht doch nicht? Schliesslich haben die beiden so lange gemeinsam gekocht, dass es nur natürlich wäre, wenn sich die Küchen sehr stark ähneln würden. Was im Umkehrschluss dann auch bedeuten würde, dass die Qualität in etwa die gleiche sein müssen, nicht? Spannende Fragen, die heute Abend auf den Tellern beantwortet werden. Denn die Wahrheit liegt schliesslich auf dem Platz, um bei der Fussball Analogie zu bleiben. Ohne weitere Umschweife geht’s los.

silver_mitja_birlo_ente

Den Start macht eine sehr flott servierte Abfolge von Snacks, beginnend mit Kartoffel und Valser Ente. Knusprig, herzhaft, wuchtig.

silver_mitja_birlo_rinderherz

Überraschend elegant und fast schon zart ist das unscheinbare Rinderherz mit Zwiebeln.

silver_mitja_birlo_broccoli

Ein erstes Ausrufezeichen setzt die Küche mit Broccoli, Couscous und Hanf. Fabelhaft, wie der bescheidene Kohl hier in all seinen Facetten zelebriert wird.

silver_mitja_birlo_kohlrabi

Sogar noch besser ist der Kohlrabi mit Buchweizen. Der Kreuzblütler wird zusammen mit Zitrusfrüchten komprimiert, was ihm eine bemerkenswerte Frische verleiht. Dazu die nussige Knusprigkeit des Buchweizens, fertig ist ein Amuse für die Ewigkeit. Diese Petitesse sollten sie sich hier oben patentieren lassen.

silver_mitja_birlo_krokette

Etwas weniger spektakulär ist die fluffig-knusprige Käsekrokette mit Holunder. Letzterer sorgt aber für einen spannenden, unerwarteten und vor allem köstlichen Twist.

Was für ein starker Auftakt! Die fünf Happen folgen einer klaren Spannungskurve, bei der Crunch und Frische eine integrale Rolle spielen, um den Ton für das kommende Mahl zu setzen und alle Sinne für das gleich beginnende Menü zu schärfen.

silver_mitja_birlo_chawanmushi

Erster offizieller Gang ist Chawanmushi mit Valser Topinambur und Kaviari Kristal Kaviar. Dieser japanische Eierstich hat in den letzten Jahren auch in Mitteleuropa vermehrt Einzug in die gehobene Küche gehalten. Die leichte Textur und die Möglichkeit der simplen Aromatisierung des Eis bieten unzählige Möglichkeiten, um damit zu spielen. Birlo entscheidet sich für den Klassiker “Ei mit Ei“. Während der Kaviar eine relativ straffe Jodigkeit ins Spiel bringt, erweitert die Jerusalem Artischocke das Geschmacksspektrum um eine erdige Süsse. So ist eigentlich der Brückenschlag zwischen den Elementen sichergestellt, nur so richtig zünden will das bei mir nicht. Was vor allem am Kaviar liegt, der hier ein bisschen zu dominant auftritt. Gut, aber nicht der potenzielle Kracher, den man vielleicht erwarten könnte.

silver_mitja_birlo_saibling

Der folgt jedoch auf dem Fusse mit Saibling aus Cumbel, Fenchel und Valser Schildampfer. Was in diesen “Igel“ nur schon beim Anrichten für eine Arbeit reinfliessen muss. Wahnsinn. Bereits optisch spektakulär. Und geschmacklich noch besser, als er aussieht. Die Fische werden im nahen Val Lumnezia in frischem Quellwasser gezüchtet, sind dadurch rein und glasklar im Geschmack. Sie kommen kurz mariniert zum Einsatz, was dem Fleisch eine angenehme, leicht feste Textur gibt. Eingefasst von der subtilen Anisnote des Fenchels und des überbordend frischen, säurebetonten Knöterichgewächses ergibt das einen superben Dreiklang, dessen hocharomatisches und komplexes Geschmacksbild man aufgrund der lediglich drei Zutaten so sicher nicht erwarten würde. Ein weiterer Höhepunkt des Abends.

silver_mitja_birlo_lattich

Vegetarisch geht’s weiter mit Lattich, Surselva Berg Sanddorn und Senf. In der gehobenen Gastronomie wird viel zu wenig Salat serviert. Warum eigentlich, wenn man so ein grossartiges Produkt wie diesen Lattich zur Verfügung hat? Kurz gegrillt ist er noch knackig, etwas herb und weist einen Hauch von Raucharomen auf. Zusätzlich gibt’s den Salat auch als Crème. Dem wird lediglich die pointierte Säure des Sanddorns sowie eine ebenfalls säurebetonte Vinaigrette zur Seite gestellt - federleicht und geradezu betörend knackig. Es klingt so einfach und schmeckt dabei so verdammt gut. Diesen Teller möchte ich nochmal bestellen. Und dann nochmal.

silver_mitja_birlo_taschenkrebs

Bretonischer Taschenkrebs, Hirse und Kohl sind die Protagonisten des nächsten Gangs, die zu einer sehr komplexen Komposition verwoben werden. Jeder Bissen zeigt einen anderen Ausschnitt der geschmacklichen Palette dieses einnehmend hübschen Tellers. Mal steht die maritim-süssliche Jodigkeit im Vordergrund, dann spielt sich die zartsinnige Nussigkeit des Süssgrases in den Mittelpunkt oder die intensive, aber gut eingebundene “Kohligkeit“. Das alles ohne dass einer der Darsteller jemals das Rampenlicht nur für sich alleine beanspruchen würde. Es handelt sich hier um ein höchst elegantes Ensemblestück, bei dem jedem Mitspieler die gleiche Wichtigkeit eingeräumt wird. Fantastisch.

silver_mitja_birlo_steinbutt

Beim Atlantik Steinbutt mit Pastinake und Petersilie stechen als erstes die kräftigen Farben ins Auge. Vor allem das perlenähnliche Leuchten des Butts - auf französisch auch als “Nacré“ bekannt - das auf dem Foto leider nicht perfekt reproduziert ist. Ein Teller, den man aufgrund seiner Schönheit eigentlich gar nicht essen möchte. Doch was muss, das muss nun mal. Handwerklich ist das tadellos und auch durchaus originell konzipiert, jedoch in Summe etwas zu süss. Die Pastinake erweist sich als zu bestimmend. Da man sie relativ problemlos portionieren kann, ist das im Grunde nicht weiter schlimm, dennoch könnte man diesen Gang meiner Meinung nach mit etwas Feinjustierung noch besser machen.

silver_mitja_birlo_taco

Es folgt Valser Entenbrust mit Rotkohl und Maroni. Relativ starke Rauchnoten machen sich am Tisch bemerkbar, was in mir kurzzeitig die Sorge weckt, dass man kaum etwas anderes schmecken wird. Zum Glück täusche ich mich. Zwar ist das Geräucherte präsent, jedoch als unterstützendes Würzelement und nicht als alles überlagernder Duft. So ist das saftige Fleisch aromatisch sinnvoll erweitert worden und ergibt mit dem knackigen Kohl und dem krossen, erstaunlich geschmackvollen Taco ein sehr intensives Ganzes, dem es trotz aller Intensität nicht an Feinsinnigkeit fehlt.

silver_mitja_birlo_reh

Als Hauptgang lässt Birlo ein Surselva Reh mit Blumenkohl und Gemüsepaste auftragen. Schön zu sehen, dass hier jemand versteht, wie er mit einem Sous-Vide-Gerät umzugehen hat. Das kernige Fleisch hat nämlich immer noch eine schöne, kaubedürftige Struktur, die bei dieser Technik in den falschen Händen sonst gerne mal zu etwas Mussartigem mutiert. Sehr gelungen ist auch der durchdeklinierte Blumenkohl, der, wie der Broccoli beim Einstieg, sein gesamte geschmackliche Vielfalt von herb bis süss zeigen darf und ganz hervorragend zum Reh passt. Veredelt wird das Gericht durch eine begeisternde Sauce basierend auf einer intensiven Jus, die mit reichlich Butter und Trüffeln angereichert wird und sich wie ein samtiger Film an seine Mitspieler schmiegt. Hier ist keine falsche Scheu angebracht, denn davon gehört auch noch der letzte wertvolle Tropfen mit dem Finger vom Teller geleckt.

silver_mitja_birlo_blauer_bueffel

Statt auf einen Käsewagen setzt man im Silver auf ein Stück perfekt gereiften Blauer Büffel von Willi Schmid, der von Birne und Lavendel begleitet wird. So ziemlich jedes Erzeugnis dieses aussergewöhnlichen Käsers aus dem Toggenburg ist einfach phänomenal, doch dieser Blauschimmelkäse zählt sicherlich zu seinen unangefochtenen Aushängeschildern. Was mich neben dem Käse besonders beeindruckt, ist das unscheinbare Fladenbrot, denn hier wird der Lavendel verarbeitet. Eine höchst ungewöhnliche Angelegenheit, die aber regelrecht berauschend wirkt. Gerade auch zusammen mit dem Käse. Ein berauschendes Brot? Das kenne ich sonst eigentlich nur aus dem Steirereck in Wien. Unbedingt wiederholenswert.

silver_mitja_birlo_randensorbet

Den Übergang zum süssen Teil des Menüs macht ein am Tisch mit Stickstoff zubereitetes Randensorbet mit Whiskey Sour, das die Papillen nochmals ordentlich wachrüttelt.

silver_mitja_birlo_blaubeere

Valser Blaubeere, Yuzu und Lakritze ist ein Dessert, wie man es sich in einem umfangreichen Menü wie dem heutigen wünscht. Im Vordergrund steht die ausladende Frucht der Beeren, deren Säure von der Yuzu wunderbar aufgenommen und zusätzlich akzentuiert wird. Dazu sorgt die japanische Zitrusfrucht für eine prononcierte Frische mit etwas wohltuender Bitterkeit. Die Lakritze hingegen macht sich nicht vordergründig als dritte Kraft bemerkbar, sondern tänzelt eher wie ein zarter Schimmer am Gaumen und bringt so eine mystische Qualität ins Spiel. Unverschämt gut.

silver_mitja_birlo_malz

Ungewöhnlich und spannend ist die Kombination von Malz, Pflaume und Lorbeer. Das Rosengewächs zeigt natürlich einerseits diese typische, leicht dumpfe Fruchtnote, andererseits kitzelt die Küchenmannschaft aber auch die gesamte Säure aus ihr heraus. Das ist auch gut so, denn der ziemlich süsse Malz braucht unbedingt einen Gegenpol. Den Lorbeer hingegen schmecke ich nicht wirklich raus, was ich aber als nicht weiter schlimm erachte. Gut, jedoch nicht auf dem Niveau der ersten Süssspeise.

silver_mitja_birlo_plunder

Auch der neue Chef verzichtet auf eine riesige Auswahl an Friandises und serviert nur ein einziges Petit Four, dafür in Perfektion. Heute ist das ein Plunder mit Wacholderhonig. In der Tat könnte man an diesem exzellenten Schlusspunkt rein gar nichts verbessern.

Ganz ehrlich: mit so einer starken Vorstellung habe ich nicht gerechnet. Was Mitja Birlo und sein Team heute Abend abgeliefert haben, hat mich stark beeindruckt. Die stilistischen Parallelen mit seinem Vorgänger sind natürlich nicht von der Hand zu weisen. Doch obwohl beide eine ähnliche Philosophie pflegen, ist das, was schlussendlich auf dem Teller landet, geschmacklich doch klar differenzierbar. Aber genug mit den Vergleichen. Birlos Küche soll und muss für sich stehen. Das tut sie und schafft es, auf ganzer Linie zu überzeugen. Alle Gerichte sind schlüssig komponiert, handwerklich tadellos umgesetzt und es war bei den 17 Tellern heute Abend kein einziger dabei, den ich nicht gerne wieder essen würde. Auch wenn es zwei, drei Gänge gab, bei denen etwas Feinjustierung zu einem noch besseren Endergebnis führen könnte. Dennoch war nichts dabei, was das hervorragende Gesamtbild getrübt hat. Um es ganz simpel auszudrücken: das Essen hier schmeckt einfach verdammt gut. Dazu ist es abwechslungsreich, spannend, zugänglich, ohne dass es an Komplexität fehlen würde. Ein Sonderlob gebührt auch dem nach wie vor exzellenten Service und besonders Sommelier Dominic Lackner. Es zeigt sich bei der gelungenen Weinbegleitung, dass er in Amanda Wassmer-Bulgin und Marian Henss zwei hervorragende Lehrmeister gehabt hat. Auch das “neue” Silver weiss zu begeistern und Mitja Birlo wird sich mit seiner Küche sicher schnell einen eigenen Namen machen.


Restaurant Silver
7132 Hotel
7132 Vals
Schweiz
+41 (0)58 713 20 00
Website


Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Informationen zu unserem Umgang mit Pressekonditionen findest du in den FAQ.