7132 Silver (Sven Wassmer) - Vals
Das Wetter meint es gut mit mir. Es ist zwar bitterkalt, doch die Sonne scheint und die Strassen sind geräumt. Hätte ich meinen Tisch einen Tag früher reserviert, wären Schneeketten unumgänglich gewesen, um das abgelegene Bergdorf Vals zu erreichen. Die Fahrt den Berg hoch - mit den vielen Serpentinen und dem Gegenverkehr samt Postauto, dem gleissend hellen Schnee und Tauwasser auf den Strassen - ist zwar immer noch abenteuerlich, doch nach meinem Lunch im frisch besternten Weiss Kreuz in Malans (zum Bericht) bin ich gut gesättigt und rolle darum gemütlich die Strassen aufwärts gen Val Lumnezia.
Mein Ziel ist das 7132 Hotel, das neben den berühmten Thermen auch den Grund meiner Reise beherbergt, das Restaurant Silver. Sven Wassmer, Chef und Vordenker des Restaurants, ist der Shootingstar der Schweizer Gastroszene der letzten Jahre. Gault Millau Entdeckung des Jahres, Aufsteiger des Jahres, 18 Punkte, zwei Michelin Sterne. Das alles in etwas mehr als zwei Jahren. Auch mich hat Wassmer bei meinem ersten Besuch vor eineinhalb Jahren begeistert (zum Bericht). Es ist also höchste Zeit für eine Gedächtnisauffrischung.
Das eigentümliche Interieur des Hotels, welches mich auch bei diesem Besuch wieder an einen David Lynch Film erinnert, hat sich nicht verändert. Ein langer, dunkler Gang führt von der Lobby ins Silver. Am Empfang werde ich sehr freundlich willkommen geheissen und direkt an meinen Tisch geführt. Und siehe da, das Restaurant hat ein kleines Facelift erfahren. Nur dezent zwar, aber es ist nun merklich schlichter und weniger "spacig". Was geblieben ist, ist die spärliche Beleuchtung am Tisch, die das Fotografieren der Gerichte ungefähr so abenteuerlich gestaltet wie die Fahrt hierher. Nachdem ich es mir gemütlich gemacht habe, warte ich gespannt auf die Eröffnung.
In kurzer Abfolge kommen die ersten Snacks aus der Küche. Los geht's mit einer ungeheur tiefen und kräftigen, dabei hocheleganten Langustinen Dashi.
Mörschwiler Ribelmais Poularden Praline mit Valser Heu ist wunderbar knusprig, saftig, heiss und vollmundig.
Hof Dusch Topinambur mit Hefe und Silver Trockenfleisch changiert gekonnt zwischen erdiger Süsse, Salzigkeit und der typisch komplexen, ebenfalls leicht süsslichen Hefenote.
Beim Bündner Hanf mit Silver Bergkäse Crème steht der Crunch des Gebäcks im Vordergrund. Eine etwas kräftigere Käsearomatik wäre hier aus meiner Sicht wünschenswert.
Den Abschluss des Snack-Feuerwerks macht der Pratvaler Sellerie mit Waldameise. Ein berauschend guter kleiner Happen, der den bescheidenen und oft unterschätzten Sellerie in seiner ganzen aromatischen Pracht zelebriert. Durch die Ameisen erhält die Knolle einen frischen, zitrussigen Akzent. Jedes mal aufs Neue eine Entdeckung, diese kleinen Aromenbomben. Wer immer noch denkt, diese Insekten dienen lediglich der Show, der ist schief gewickelt.
Das war eine hochinteressante Ouvertüre, die einen stimmigen kleinen Vorgeschmack auf das Menü gegeben hat. Gegenüber meinem letzten Besuch hat die Küche in Sachen Snacks merklich zugelegt. Das lässt die ohnehin schon hohen Erwartungen natürlich zusätzlich ansteigen. Kurz durchschnaufen, dann geht's richtig los...
Das erste etwas substanziellere Gang ist ein absoluter Kracher. Ganz ehrlich, mir fällt beim ersten Bissen vor lauter Begeisterung fast die Kinnlade auf den Tisch, so unbeschreiblich gut schmeckt das. Die Silver Waffel mit Kombu, Kaviari Kristal Kaviar und wilder Kelly Auster beeindruckt durch das Zusammenspiel von jodig-frischen Meeresaromen, präsenter Salinität und der fluffigen, dabei leicht knusprigen Waffel, die ihrerseits etwas Süsse und Substanz auf den Teller bringt. Dieses Konglomerat ist geschmacklich komplex, ohne dass der Genuss zu stark von Bauch in Richtung Kopf driftet. Hierfür lediglich zwei Sterne zu verteilen, grenzt eigentlich fast schon an eine Freichheit.
Gelagerte Pastinaken von Marcel mit handgetauchter Jakobsmuschel und Valser Holunder hat es nach so einem grandiosen Gang naturgemäss etwas schwer und erreicht auch nicht ganz die Klasse des Vorgängers. Doch das hübsche Arrangement weiss dennoch zu überzeugen. Im ersten Moment erscheint die Kombination von süsser St. Jacques und dem ebenfalls eher lieblichen Wurzelgemüse nicht gerade wie eine offensichtliche Partnerschaft. Doch da das Gemüse auch eingelegt auf den Teller kommt und dazu die leicht herben, floralen Noten des Holunders der Süsse paroli bieten, umschifft Wassmer ein allzu gefälliges Gesamtbild gekonnt. Die dezenten Röstaromen der exzellenten Muschel fungieren als zusätzlicher Gegenpol und lockern das Geschmacksbild so weiter auf. Ausgezeichnet.
Sehr reduziert kommt der Lumare Saibling mit Valser Tanne und Valser Sahne daher. Der Duft, der vom Teller aufsteigt, erinnert auf positive Weise an verbrannte Teile eines Nadelbaums und verströmt eine herb-romantische Note. Zusammen mit der gehaltvollen Sahne ergibt das eine wuchtige, sehr intensive und äusserst ungewöhnliche Sauce, die vom Mut Wassmers und seinem Selbstverständnis als Koch zeugt. Man könnte denken, dass der arme Fisch unter all dieser Intensität hoffnungslos begraben wird, doch weit gefehlt. Dieses Prachtexemplar stammt von der Alpenfischzucht Lumare und verbringt sein Leben in frischem Valser Quellwasser. Der glasklare Geschmack des Fleisches kann es problemlos mit dem flüssigen Begleiter aufnehmen und verschmilzt dabei regelrecht mit der Sauce zu einem der spannendsten und ungewöhnlichsten Fischgerichte, das mir jemals vorgesetzt wurde.
Die Grossartigkeit will nicht abreissen. Surselva Schweineschwanz, Silver XO und Pratvaler Federkohl ist die Quintessenz der Küche von Sven Wassmer: Lokal verwurzelt, in der Welt zuhause (oder wie genau lautet der Werbespruch dieses grossen deutschen Weissbierherstellers?). Die Textur des Schweineschwanzes liegt irgendwo im Spannungsfeld von zarter Fleischeslust, dezentem Crunch und dieser vor allem in China sehr beliebten Beschaffenheit, zwischen gallert-artig und knorpelig, die für ein sensationelles Mundgefühl sorgt. Dazu die ultra-komplexe, tiefe und dezent scharfe XO Sauce, die das Schwänzchen perfekt ergänzt. Zum Schluss noch etwas knuspriger Kohl, fertig ist das nächste Highlight, das ein zusätzliches Macaron verdient hätte. Ich kann mir gut vorstellen, dass das kein Gericht für jedermann ist. Vor allem nicht für diejenigen, die Fine Dining ausschliesslich mit klassischen Luxusprodukten und altbekannten Geschmäckern und Texturen assoziieren. Umso schöner ist es zu sehen, dass sich Wassmer keinen Deut um mögliche Erwartungen schert und einfach macht, worauf er Bock hat. Und das macht er verdammt gut.
Weiter geht's mit dänischem Kaisergranat, Bergsanddorn und Valser Schildampfer. Mit Sanddorn ist es immer so eine Sache, denn das Ölweidengewächs tendiert dazu, alle seine Mitspieler in die Ecke zu drängen und einfach mal draufzuhauen - in der Hoffnung, dass nur er alleine erschmeckt werden möge. Auch hier ist die scharfe Säure und überbordende Fruchtigkeit sehr präsent, aber glücklicherweise ohne dabei den qualitativ hervorragenden Kaisergranat zu überlagern. Auch der für einen zusätzlichen Säurekick sorgende Schildampfer ist nicht fehl am Platz, sondern bringt als sinnvolle Ergänzung eine andere Art der Frische - weicher und "kräuteriger" - ins Spiel und rundet diesen Teller so gekonnt ab.
Es folgt ein vegetarisches Intermezzo bestehend "Corne de Gatte" Kartoffeln, Trüffeln und Schweizer Bergkäse. Die ursprünglich aus Belgien stammenden Erdäpfel kommen vom Biohof La Sorts aus dem Albulatal, haben eine angenehm wachsige Textur, und ein leicht nussiges und buttriges Aroma. Bereits für sich genommen ein Hochgenuss und die ideale Unterlage für die Mitspieler. Durch die Beigabe des cremigen, nicht allzu rezenten Bergkäse entsteht ein winterliches Wohlfühlgericht, das durch die weissen Trüffeln zu einer Luxusversion der klassischen Schweizer "Gschwellti" mutiert. Was soll man hieran nicht mögen können? So einfach und so gut. Und zu diesem Zeitpunkt im Menü genau richtig, da man dem Kopf einen 'simplen' Genuss gönnt, bevor die Hauptgänge serviert werden.
Surselva Reh, Valser Berg Chutney und Pratvaler Peperoni zeigt eindrücklich, dass sich Wassmer auch bei den Hauptgängen weiterentwickelt hat. Bei meinem letzten Besuch waren die beiden Fleischgänge die einzigen kleinen Durchhänger eines ansonsten grossartigen Menüs. Nicht so heute. Das kernige, optimal gegarte Wild überzeugt durch seinen kräftigen Eigengeschmack und leichte Röstnoten. Sehr passend eingefasst durch das fruchtig-säuerliche Chutney, wodurch alles schön leicht und beschwingt daher kommt. Die Sauce hingegen, hergestellt über Tage aus dutzenden Kilos Paprika, bringt ordentlich Wumms ins Gericht und eine unheimliche Komplexität, die angenehm fordernd ist und sowohl Synapsen als auch den Gaumen ordentlich bechäftigt.
Der zweite Hauptgang besteht aus einem Stück Hochrippe von Martina, einem 7 Jahre alten Valser Hochlandrind vom Hof Padanatsch, das lediglich von Schwarzwurzlen aus Pratval begleitet wird. Und einer Sauce natürlich. Saftiges, schön marmoriertes Fleisch, etwas erdige Süsse von der Schwarzwurzel, die durch eine Art Panade Textur ins Gericht bringt, eine elegante und kräftige Jus - mehr braucht es einfach nicht, wenn alle Produkte sorgsam ausgewählt sowie von bester Qualtät sind und so liebevoll behandelt werden wie im Silver. Dank der optimalen Portionierung jedes Tellers isst man sogar den zweiten Hauptgang mit Freude zu Ende.
Beim nun folgenden Käsegang steht die Andeerer Sinfonie von Maria Meyer & Martin Bienerth aus der Sennerei Andeer im Mittelpunkt. Dabei handelt es sich um einen mindestens 10 Monate gereiften Halbhart- oder Hartkäse, der von einem Schüttelbrot, Pickles und Honig begleitet wird. Eine sehr hübsche, urige Präsentation: der Käse wird stilecht vom Gast mit einem Silver-Sackmesser geschnitten. Die Produkte aus der Sennerei Andeer zählen zu meinen liebsten Schweizer Erzeugnissen, einfach fantastisch. Aufmerksame Leser meiner Artikel werden wissen, dass ich zum Käse lediglich ein Stückchen Brot präferiere, und keine weiteren Beilagen. Gekostet werden müssen sie natürlich trotzdem und sie passen ganz ausgezeichnet. Vor allem, weil sie nicht als Ablenkung, sondern unterstützend fungieren.
Ein Klassiker des Hauses ist das Grapefruitsorbet mit fassgereiftem Negroni. Letzerer hat sein Bad im Fass noch länger genossen als bei der letzten Inkarnation und ist entsprechend herb und adstringierend, beides auf äusserst positive Weise, versteht sich. Gemeinsam mit dem erfrischenden Sorbet ein Rachenputzer höchster Güteklasse.
Das Hauptdessert Pratvaler Rote Bete 2.0 punktet nochmal hoch. Trotz der naturgemäss eher zuckrigen Meringue ist das Geschmacksbild nämlich weit entfernt davon übersüss oder gar klebrig zu sein. Obwohl die Rande zusätzlich eine natürliche Gemüsesüsse mitbringt, schafft es die Küche das "Kompott", das unter dem Zuckergebilde versteckt ist, als Gegenpol einzusetzen. Erdig, nur dezent süsslich, eine leichte Säure und eine angenehme Frische steuern dem vermeintlich übermächtigen Zucker entgegen. Ein so simpler wie cleverer Aufbau. Aromatisch ist das nichts ultrakomplexes, doch nach einem langen Menü genau das Richtige um mit einem Lächeln auf dem Gesicht im Nu verputzt zu werden.
Oma's Bräzeli ist ein süsser Spass wie aus dem Bilderbuch. Herrlich knusrig, gehaltvoll - aber nicht zu üppig -, ein schönes Zusammenspiel von Knusper und cremigem Eis. Davon könnte ich glatt noch ein, zwei Stücke verdrücken!
Zum Schluss gibt's noch ein gelungenes Petit Four, den Cotton Cake "Inspiration Oma's Käsekuchen".
Man braucht nicht um den heissen Brei herum zu reden: Wassmer ist sehr ambitioniert und ich halte es spätestens seit dem heutigen Dinner für realistisch, dass er vor seinem vierzigsten Geburtstag drei Sterne nach Vals holt. Aktuell ist er der wohl spannendste Koch des Landes. Seine teilweise ultrapuristische Küche ist geprägt von starken Aromen, ungewöhnlichen Kontrasten und einer eigenen Handschrift. Eine Autorenküche im besten Sinne, wie sie in der Schweiz nur sehr, sehr wenige Köche pflegen und die definitiv das Potenzial für höchste Weihen besitzt.
Ein Besuch ist natürlich allein aufgrund von Wassmers Küche Pflicht, doch auch das nicht ganz unwichtige Drumherum überzeugt. Allen voran die Weinbegleitung seiner Frau Amanda Wassmer Bulgin, die ein wandelndes Weinlexikon ist und dieses Wissen mit ansteckendem Enthusiamus überaus charmant zu vermitteln weiss. Was sie zu den Gerichten ins Glas bringt, ist einfach umwerfend gut. Auch der Service weiss mit seiner informierten, dabei unaufgeregten und legeren Art zu gefallen.
Das 7132 Silver bietet jeden nur erdenklichen Grund, eine kulinarische Pilgerreise nach Vals anzutreten. Und eines ist klar, wer jetzt hinfährt, erlebt "history in the making".
Restaurant Silver
7132 Hotel
7132 Vals
Schweiz
+41 (0)58 713 20 00
Website
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