Silver (Mitja Birlo) - Vals

Silver (Mitja Birlo) - Vals

Raumschiff in den Bergen

Die meisten Reisenden zieht es wohl nach wie vor der spektakulären Natur und der weltbekannten Therme wegen nach Vals. Vor allem aber der Besuch von letzterem lässt sich prima mit der heimlichen Hauptattraktion des kleinen Bergdorfs mitten im Nirgendwo verbinden: einem Essen im 7132 Silver. Hier steht seit 2018 Mitja Birlo als Küchenchef am Herd, der mich bereits kurz nach seinem Amtsantritt ziemlich begeistert hat (zum Artikel). Dass seit meinem ersten und bisher gleichzeitig letzten Besuch mehr als drei Jahre vergangen sind, hat natürlich auch mit den äusseren Umständen zu tun, ist aber gemessen an der damals erzeugten Resonanz dennoch viel zu lange. Höchste Zeit also für eine Gedächtnisauffrischung.
Nach einem kurzen, aber sehr entspannenden Ausflug in die Therme, wo ich im Aussenbereich den immer wieder aufs Neue beeindruckenden Einzug der Dunkelheit über die gegenüberliegende Bergkette in aller Ruhe geniessen konnte, stehe ich rechtzeitig und tiefenentspannt am Empfang des Restaurants - wo ich aber niemanden sehe. Eine Sekunde der Stille später taucht hinter dem Tresen plötzlich eine lachende Mitarbeiterin auf und führt mich nach einer leicht erschreckten aber sehr herzlichen Begrüssung ins Restaurant.
Seit meinem ersten Dinner hier, damals noch mit Sven Wassmer in der Küche, zieht mich die scheinbar aus der Zeit gefallene Innenarchitektur des Silver gleichbleibend in ihren Bann. Ich fühle mich unweigerlich an Filme der 60er und 70er erinnert, wähne mich in einem Mix aus stylischer Kubrick-Dystopie und Lynch-Surrealismus. Einmal am grosszügigen Tisch vor der Fenster platziert und kurz darauf genüsslich an einem Glas Cristal 2012 von Roederer nippend, bin ich spätestens wieder im Hier und Jetzt angekommen. Und richtig hungrig. Wie gut, dass es gleich losgeht.

Den Start macht eine luftig-knusprige Brezel mit Kürbis. Salzig, süss, scharf, cremig. Das ist zwar eher gut als grossartig, jedoch durchaus spannend - und setzt mit der nachgelagert einsetzenden Schärfe auch gleich den Ton für den Abend.

In einem sehr delikat gearbeiteten Knusperröllchen liegt Lumare Saibling, getoppt von seinen Rogen und abgerundet durch Salzzitrone. Die würzige, säurebetone Einfassung harmoniert sehr gut mit dem leicht fetten Fisch und akzentuiert trefflich seinen feinen Geschmack.

Am besten gefällt mir aber aus dem Auftakt-Trio der letzte Snack, Kohlrabi mit Buchweizen. Saftig, geradezu animierend crunchy, erneut getragen von einem sehr lebendigen Säurespiel, das die Erdigkeit des Kohls kontrastiert. Einen solchen Happen wünschte man sich im Dutzend für ruhige Abende zuhause. Exzellent.

Auch wenn der Auftakt bereits durchaus vielversprechend ausfiel, spürt man bereits beim ersten Bissen vom Kalmar aus der Bretagne mit Dashi und Paprika, dass das Gaspedal nun erstmals richtig durchgedrückt wird. Ein fantastisch zarter, subtil jodiger und dezent salziger Kalmar verbindet sich wunderbar mit der kräftigen, dabei dennoch leichten Dashi, die den eher dezenten Eigengeschmack des Meeresbewohners toll akzentuiert. Dem steht die durchaus pikante Paprika gegenüber, die dem Ganzen eine gewisse Wucht und durch die rauchigen Anklänge eine tolle Tiefe verleiht. Liest sich simpel, regt aber nicht nur die Papillen, sondern auch die Synapsen an. Verdammt gut.

Nicht minder gelungen ist der Menüeinstieg Kaviari »Kristal« Kaviar, fermentierte Maroni und Braune Butter. Nussigkeit unterschiedlichster Provenienzen und in vielfältigen Abstufungen bietet eine überaus kreative und andersartige Deklination einer ganzen Aromenwelt, und nicht wie üblich eines einzelnen Produkts. Der Kaviar bringt saline Noten mit, erinnert an Mandeln und Meerwasser. Die Maroni hingegen zeichnet sich durch ihre Üppigkeit und den ausladend süsslichen Geschmack aus, der durch das Fermentieren einen etwas herberen Anstrich erhält. Dann ist da noch die klassische Beurre Noisette mit ihrem opulenten Schmelz und den Röstaromen mit Karamellnuancen. Um dem Ensemble einen Kick zu verleihen, setzt Birlo, wie so oft, auf Zitrusnoten. In diesem Fall auf Orangenzesten, die zwar intensiv daherkommen, aber dennoch perfekt eingebunden sind und für eine orientalische, beinahe mystische Frische sorgen. Sehr clever komponiert, sehr akkurat umgesetzt. So darf es gerne weitergehen.

Eine wunderschön perlmutt-schimmernde Tranche eines Steinbutts aus der Bretagne kombiniert Birlo japanisch mit Ponzu und Shiso. Was als erstes auffällt, ist die Textur des Fisches. Zart, dabei dennoch fest. Erreicht wird das durch kurzes Einlegen, Räuchern und anschliessendes Confieren. Ein Aufwand, den man bei einem der wohl schmackhaftesten Fische nicht betreiben müsste, könnte man sich denken, doch es lohnt sich. Denn dadurch wird ein unvergleichliches Mundgefühl erzeugt. Gepaart mit ganz, ganz subtilen Rauchnoten, die den delikaten Geschmack des Butts um eine punktgenau passende Note erweitern. Die Einfassung zeigt sich zwar kraftvoll, aber präzise dosiert. Die Kräuter, zu denen neben Shiso auch Dill und Kerbel gehören, sind herb und frisch. Kleine Perlen von geröstetem Buchweizen sorgen zwischendurch für nussiges Knuspern. Die hervorragende Sauce bringt alles zusammen und ummantelt jeden Bissen mit einer Kombination aus Umami und pointierter Säure. Dazu kommt irgendwo wieder ein hintergründiger Schärfekick daher. Absolut grossartig und der vermeintlich frühe Höhepunkt des Abends.

Weiter geht’s mit einem Klassiker des Hauses. Sellerie mit Rande und Schwarzem Pfeffer wird am Tisch von einer Köchin fertig zubereitet und angerichtet, während dazu einiges erklärt und erzählt wird, das ich mir leider nicht merken kann. Doch was zählt ist sowieso das, was schliesslich auf dem Teller liegt. Und das überzeugt mich leider nur in Ansätzen. Ich bin grosser Fan von Sellerie, gerade auch als Hauptkomponente eines Gemüse-zentrischen Gerichts. In diesem Fall ist mir der Sellerie allerdings ein gutes Stück zu weich (oder weit, wie man möchte) gegart worden. Dazu geht sein eigentlich durchaus prägnanter Eigengeschmack ziemlich unter. Die oben aufliegende Sellerie-Soja-Crème ist zu karamellig und dicht. Die angegossene Randensauce zu stark vom Pfeffer geprägt. Dieser Umstand erscheint besonders bedauernswert, da man beim genauen Hinschmecken klar erkennen kann, dass sich hinter all dem plakativen Pfeffer eine hervorragende Sauce versteckt. Schade darum.

Von einem ganz anderen Kaliber ist das Presa vom Iberico mit Karotte und Federkohl. Kerniges, saftiges Nackenstück vom iberischen Schwein, das für sich genommen bereits ein Erlebnis ist. Dazu eine sehr simple, aber höchst effektive Begleitung, die etwas Süsse und etwas Bitternis beisteuert. Alles untermalt von einer absolut perfekten, nicht zu kräftig eingekochten Jus. Daneben im Schälchen findet sich gegrilltes Wintergemüse, das mit verführerischen Röstaromen und willkommenem Biss kongenial abrundet. À propos abrunden: Sommelière Florentina Shenari serviert zu diesem Gang ein Glas 1999er Vega Sicilia Unico, das mir in diesem Moment wirklich allumfassenden, ultimativen Genuss beschert. Unfassbar gut und geradezu nach einer zweiten Portion schreiend. Doch die Vernunft siegt, wie so oft, da ja noch ein bisschen was kommt.

Bisher waren alle Teller strukturiert und reduziert. Beim Hauptgang zeigt sich nun dafür die verspielte Seite des Chefs, die sich in einer Variation der Valser Ente entlädt. Im Detail sind das eine Consommé mit Liebstöckel, Leber mit Kürbis, Brust (auf einem Stück Knochen aufgespiesst), die Keule als Dimsum, dazu erneut Kürbis mit dem Herz der Ente sowie eine Brioche. Mal was ganz anderes, gerade auch aufgrund der Kleinteiligkeit und angenehm übersichtlichen Grösse aller Komponenten. Besonders zu gefallen weiss die über drei Tage gekochte, mit etwas Bärlauchöl gewürzte Brühe und die exzellente Brust. Das Dimsum ist zwar geschmacklich ebenfalls sehr gut, der Teig dürfte aber handwerklich etwas feiner gearbeitet sein. Ebenfalls gut, wenn auch ziemlich mächtig, ist die Leber, der eine gewisse Rustikalität innewohnt, die weniger an Foie gras, sondern an Pâté de campagne erinnert. Dem aufgespiessten Kürbis hingegen kann ich nicht allzu viel abgewinnen, genauso wie der zu trocken geratenen Brioche. Auch wenn zwei Elemente nicht optimal gelungen sind, weiss dieser Hauptgang der etwas anderen Art ingesamt zu überzeugen.

Den Übergang ins letzte Drittel des Menüs macht ein Frozen Valser Joghurt mit Kikusui Junmai Sake und Wachholder, das ein Servicemitarbeiter unter Zuhilfenahme von flüssigem Stickstoff und reichlich Körpereinsatz direkt am Tisch zubereitet. Das Ergebnis dieser spätabendlichen Ertüchtigung ist nichts weniger als sensationell. Geradezu unverschämt cremig. Federleicht dank nachdrücklicher Säure. Gekonnt changierend zwischen fernöstlicher Exotik und frisch-herbem Schweizer Nadelwald. Ganz, ganz grosses Kino. Noch dazu beim vermeintlich egalsten Teil des Abends.

Ich und Käsegang, das ist eine Kombination, die in den seltensten Fällen wirklich passt. Ein Phänomen, das sich auch heute mal wieder bestätigt. Aus einem 18 Monate gereiften Valser Rustico hat man eine Royale hergestellt, über die einige Späne schwarzer Trüffel gehobelt wird. Um es kurz zu machen: ich verstehe nicht, wieso man so etwas mit Käse macht und es schmeckt mir in diesem Fall auch einfach überhaupt nicht.

Dass Trüffel (jetzt die weissen aus Alba) auch beim Dessert eine Rolle spielen wird, habe ich nicht erwartet. Unter dem intensiv duftenden Edelpilz liegt ein gefrorenes Birchermüesli mit Valser Heidelbeeren. Klingt erstmal abwegig und irgendwie dem Motto folgend: was nicht passt, wird passend gemacht. Das gelingt hier in absolut überzeugender Manier. Die Verbindung aus einem bescheidenen Frühstücksklassiker mit reichlich Beerenfrucht, Nussigkeit und angenehmer Kühle sowie dem warmen, erdigen, leicht würzig nach Knoblauch und auch Honig duftenden Trüffel funktioniert blendend und wirkt keineswegs forciert. Genau sowas braucht man doch zum Schluss eines langen Menüs. Unbekümmerte Lässigkeit, die hervorragend schmeckt.

Genau im selben Stil geht es mit einer Crêpe mit Orange und Estragon weiter. Aufgepasst beim Annoncieren, denn auch diesem Dessert steckt der Schalk im Nacken. Denn angekündigt wird es nicht wie im Menü beschrieben, sondern als Crème Suzette. Also eine Mischung aus Crème Brûlée und Crêpe Suzette. Auch wenn das Geschmacksbild eigentlich altbekannt ist, ergibt sich durch die Kombination der beiden Klassiker in modernem Gewand ein stimmiges, neuartiges Ganzes. Dabei bleibt alles simpel und nachvollziehbar und vor allem einfach zum Weglöffeln gut.

Auch bei den Petits Fours, oder genauer gesagt dem Petit Four, denn es gibt zum Abschluss nur eine kleine Nascherei, bleibt sich die Pâtisserie treu und setzt auf einen gewissen Überraschnungseffekt. Dieser liegt hier in der Verwendung von Wachteleierlikör (!) aus Vals, aus denen Pralinen hergestellt werden. Mir ist in meiner Esskarriere schon einiges vorgesetzt worden, was ich nicht kannte, und dazu gehörte bis heute auch ein Likör aus Wachteleiern. Die Pralinen sind zwar hervorragend, aber ich komme vor allem nicht über die Verwendung von winzig kleinen Wachteleiern hinweg, die dafür zu tausenden verwendet werden müssen! Manchmal sind es wortwörtlich die kleinen Dinge im Leben…

Der erste Eindruck von Mitja Birlos Küche hat sich nach meinem zweiten Besuch verfestigt. Hier ist jemand am Werk, der den richtigen Mix gefunden hat. Zwischen nonchalanter Lässigkeit und seriösem Handwerk. Sinnvollem Aufwand und reduziertem Pragmatismus. Lokaler Verwurzelung und komplett undogmatischer Weltoffenheit.
Auch wenn sich die Küche im 7132 Silver seit meinem ersten Dinner bei Birlo vor etwas mehr als drei Jahren nochmals spürbar weiterentwickelt hat, ist das Ende der Fahnenstange mit Sicherheit noch nicht erreicht. Ganz im Gegenteil. Der Sprung, den Birlo gemacht hat, wirkt eher wie der Anfang von etwas Grossem, als das Ende einer noch kurzen Entwicklung. Die Hörner scheinen beinahe abgestossen, ohne dass der Charakter des Chefs in den Gerichten verloren geht. Das ist eine Kunst, die vielen Köchen in ihrer Entwicklung abgeht. Auf dem Teller immer sich selbst zu sein und gleichzeitig für den Gast zu kochen, ohne sich dabei anzubiedern. Das liest sich esoterischer, als es in Wirklichkeit ist. Am besten einfach einen Tisch bei Mitja Birlo im 7132 Silver buchen und nach Vals fahren, um die Hauptattraktion des Bergdorfs selbst zu erleben.


Die Weinegleitung von Florentina Shenari:
Louis Roederer Cristal, 2012 Champagne, Frankreich
Dom Pèrignon Brut Millésime Jeff Koons, 2004 Champagne, Frankreich
Thomas Studach Chardonnay, 2014 Malans, Schweiz
Château Lynch Bages Grand Cru Classé, 1994 Pauillac, Bordeaux
Vega-Sicilia Unico, 1999 Ribera del Duero, Spanien
Batic Cabernet Franc, 2018 Vipava, Slowenien
Ahearne Wild Skins, 2018 Hvari, Kroatien
Cidre du Vulcain “Turgowy", 2019 Freiburg, Schweiz
Château d`Yquem, 1998 1er Cru Classé Supèrieur Sauternes, Frankreich


7132 Silver
im 7132 Hotel
7132 Vals
Schweiz
+41 (0)58 713 20 00
Website

 

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Informationen zu unserem Umgang mit Pressekonditionen findest du in den FAQ.