Igniv (Daniel Zeindlhofer) - Zürich

Igniv (Daniel Zeindlhofer) - Zürich

Der Spass steht im Mittelpunkt

Was Andreas Caminada anfasst, wird zu Gold. Selbst Ideen wie das Sharing Konzept des Igniv, das zu Beginn von einigen Ewiggestrigen kritisch betrachtet wurde (zumindest hinter vorgehaltener Hand), hat der Tausendsassa erfolgreich etabliert. Nach dem ersten Nest in Bad Ragaz sind mittlerweile drei Igniv-Dependancen zum Portfolio hinzugekommen. Mit dem Ableger in Bangkok hat sich Caminada auch erstmals über die Landesgrenzen der Schweiz gewagt, ganz nach dem Vorbild moderner Gastroentrepreneure à la Ducasse, Bottura und Alléno, die nicht mehr länger “nur” Köche sind, sondern Unternehmer.
Dass bei einem gewissen Expansionsdrang in der Schweiz früher oder später auch ein Lokal in Zürich zum Thema wird, liegt in der Natur der Sache. Schliesslich hat sich die Limmatstadt in den vergangenen fünf Jahren klar als der kulinarische Hotspot des Landes etabliert. Da passt ein hochklassiges Konzept wie das Igniv perfekt in die lebendige Szene. Im Zürcher Nest zeichnet sich Daniel Zeindlhofer für die Küche verantwortlich. Auch er entstammt der Caminada-Schmiede, war Sous-Chef auf Schloss Schauenstein und leitete danach gemeinsam mit seiner Partnerin Ines Triebenbacher Caminadas Restaurant Vista in Sagogn. Letztere ist auch im Igniv als Restaurantleiterin an seiner Seite und ist Herrin des toll bestückten Weinkellers, mit einem besonderen Augenmerk auf Champagner. Neben dem Restaurant selbst bietet das Lokal, das im Marktgasse Hotel im historischen Niederdorf untergebracht ist, auch erstmals eine hauseigene Bar. Hier bekomme ich bei einem exzellenten Drink von Chef de Bar Philipp Kössl auch die ersten Kleinigkeiten serviert.

Das Auftaktquartett Sellerietartelette – Apfel – Forellenroggen – Rogenmayo – Nori Algen, Ei Royale – Chickenstock Royal Nussbutter – Blumenkohl – getrocknete Sojasauce, Brot – Gambero Rosso – Jalapeno - Kohl - Zucchini, Rettich-Radieschen-Röschen – Koriander weiss durchs Band zu gefallen. Besonders der pikante Taco und die knackigen Röschen stechen hervor und machen nochmal richtig Lust, ins Restaurant an den Tisch zu wechseln, um richtig loszulegen.

Woran man ebenfalls sieht, dass Andreas Caminada den Zwängen der Kochjacke längst entwachsen ist, ist das Design seiner Restaurants. Auch in Zürich hat er dafür wieder mit der spanischen Designerin Patricia Urquiola zusammengearbeitet. Sie verpasste dem Lokal einen Anstrich in petrolblauem Retrochic, das durch die Farbpalette einer Blutorange von Schale bis Fleisch kontrastiert wird. Gemütlich und stylisch zugleich, eine seltene und sehr gelungene Kombination.
Obschon das Restaurantdesign einlullend faszinierend ist, macht sich der Hunger wieder bemerkbar. Wie treffend, dass die Vorspeisen serviert werden. Foie Gras – Dunkle Schokolade – Physalis und Laugenbrioche, Forelle leicht gegart – Senfmousse – Kaviar – Rotkohl sowie Rindsröllchen – Bete – Zwiebel - Dill auf dem linken Bild. Rechts Lattich – Kimchi – Geräucherte Paprika. Ein Salat gehört zu jedem Igniv Menü. Beim Lattich geht es vor allen Dingen um den Crunch und die Frische. Der Rest ist nur (notwendiges) Beiwerk, das in diesem Fall etwas zu intensiv ausfällt und den delikaten Salat dadurch zu überlagern droht. Bei allen anderen Tellern ist die Feinjustierung gelungen. Was bei einem Sharing-Konzept wie diesem besonderen Spass bereitet, ist das gleichzeitige Eintauchen in unterschiedlichste Geschmackswelten. Bei den Vorspeisen pendelt Zeindlhofer gekonnt zwischen der bereits erwähnten knackigen Frische, opulentem und mundfüllendem Schmelz mit toll kontrastierender Fruchtsäure, delikatem Fischfleisch gepaart mit lebendiger Süsse-Säure-Schärfe sowie saftigem, kräftigem Rind mit erdig-süsslichen Nuancen und leicht kräuteriger Schärfe. Mit der Brioche setzt er sogar ein frühes Highlight, das mich so begeistert, dass ich beim Service umgehend nach einem zweiten Stück fragen muss.

Weiter geht’s mit der zweiten Vorspeisensequenz bestehend aus Langustine mit Gerste, einem Hummer-Liebstöckl-Dip mit Cedrizitrone sowie einem Herbstsalat mit Dörrbirne und geräucherter Molke. Die Kaisergranate machen sich von weit her bemerkbar, da sie auf einem relativ stark rauchenden Tischgrill serviert werden. Die Krebse selbst können das Räuchern problemlos aushalten, ihre maritime Süsse kommt nach wie vor gut zum Vorschein und diese versteht sich prächtig mit den Beach-BBQ-Aromen. Dazu sind sie herrlich knackig. Volltreffer. Weniger positiv wirken sich die Rauchschwaden auf den Weingenuss aus. Für die nächsten Minuten riecht und schmeckt der 2015er Les Clos von Piuze säuerlich und metallisch. Sei’s drum, die Schwaden verflüchtigen sich glücklicherweise wieder. Der Salat ist eine Ansammlung von unterschiedlich zubereitetem Gemüse sowie der zurückhaltend dosierten süssen Birne an herb-frischer Vinaigrette. Gut.

Es folgt ein Surprise Intermezzo. Links ein ultradeikates, ätherisch-luftiges Beignet, getoppt mit einer grosszügigen Portion Kaviar. Das ist Simplizität in seiner besten Form und zeigt, dass auch das altbekannte Thema Kaviar auf Teig spielerisch aufs nächste Level geführt werden kann. Absolut grossartig. Auf ähnlich hohem Niveau bewegt sich der Alpenlachs mit Muschel Velouté und Lauch. Höchst elegant ist auch die Kombination des durchaus kräftigen Fisches von Lostallo mit der mutig abgeschmeckten, sich opulent um jeden Bissen schmiegenden Velouté. Aufgebrochen wird das Duo durch die rustikale Schärfe des Zwiebelgewächses, das einen markig-bescheidenen Gegenpol setzt. Eine rundum gelungene Überraschung.

Bei den Hauptgängen geht die Küche nochmal richtig in die Vollen. Links Taube BBQ mit Zwetschge Süsssauer, in der Mitte Kartoffelcréme – Steinpilze - Haselnuss - Markbein, Wilder Brokkoli – Estragon Beurre Blanc – Trüffel – Eigelb - Schwarzwurzel, Dörrbirnen-Toast, rechts Lammnacken – Backerbsen – Fermentierter Knoblauch - Chili Sud. Bis auf eine Ausnahme (bei der Kartoffelcrème sass der Griff in den Salztopf etwas gar locker) ist das ein richtiges Fest und steht sinnbildlich für das gelungene Konzept des Igniv. Die Möglichkeiten der Abwechslung, der Einfallsreichtum beim Kombinieren und das kommunale Erlebnis wirken bei diesen Tellern exemplarisch. Alles schmeckt für sich genommen bereits sehr gut und in Kombination oft noch besser. Der Wunsch nach Mehr wird beim heutigen Essen nie so deutlich, wie bei den Hauptgängen. Ganz grosse Klasse.

Desserts gehören im Caminada-Kosmos seit jeher zu den Höhepunkten eines jeden Essens. Entsprechend gross ist nochmal die Vorfreude auf den letzten Akt. Von oben links im Uhrzeigersinn: Schokoladennest – Gewürzmilch, Apfel-Taco – Karamell. Quarksoufflé. Ei Royale – Rosé Champagner – Feige. Sanddorn Curd -Shortbread Glaze - Sanddornsorbet– Zuckerwatte. Wie man es gewohnt ist, zeigen sich die Desserts als gelungener Mix zwischen simpel anmutenden Kreationen mit reichlich molligem Wohlfühlfaktor (Schokolade, Soufflé) und moderneren Schöpfungen (Taco, Sanddorn, Feige). Ähnlich wie bei den Hauptgängen zuvor tanzt auch hier wieder ein Teil aus der Reihe. Bei der Feige ist das gesamte Ensemble so kalt (ist zwar ein Eis, aber wirklich gnadenlos hart gefroren), dass sich aromatisch rein gar nichts zu entfalten vermag. Schade darum, aber der Rest überzeugt dafür komplett und setzt mit dem sehr gelungenen Sanddorn-Teller noch ein weiteres veritables Highlight zum Schluss.

Was bei keinem Besuch im Igniv fehlen darf, ist ein Gang zum Candy Store. Eine Auswahl kleiner Delikatessen lasse ich mir heute allerdings für daheim einpacken.

Die Zürcher Igniv-Mannschaft hat sich richtig gut eingegroovt und liefert auf hohem Niveau. Etwas anderes ist beim Schirmherren Andreas Caminada auch nicht zu erwarten. Zeindlhofer geniesst, wie alle anderen Igniv-Chefs auch, viele Freiheiten und kann sich bei seinen Kreationen austoben. Das sorgt für reichlich Abwechslung auf den Tellern, die dank der offenen und undogmatischen Art der Küche keine Sekunde Langeweile aufkommen lassen. Das kommunale Erlebnis bereitet auch im Zürcher Nestableger grossen Spass. Dies ist auch ein gutes Stichwort, denn der Spass steht gemeinsam mit dem Teilen klar im Mittelpunkt des Konzepts. Der Austausch am Tisch selbst, aber auch mit dem lockeren Service und der überaus charmanten, nie um einen Spruch verlegenen Ines Triebenbacher, machen das Igniv definitiv zu einer Bereicherung für Zürich.


Die Weinbegleitung (plus Sidebottle) von Ines Triebenbacher:
2000 Männedorfer Räuschling, Fam. Lüthi Weinbau, Zürich, Schweiz
2015 Chablis Grand Cru Les Clos, Patrick Piuze, Burgund, Frankreich
2019 Completer, Schwarzenbach Weinbau, Zürich, Schweiz
2014 Chardonnay, Weingut Schipf, Zürich, Schweiz
1995 Château Clarke, Bordeaux, Frankreich
Bouzy Vintage 2012, Paul Clouet, Champagne, Frankreich


Igniv
im Marktgasse Hotel
Marktgasse 17
8001 Zürich
Schweiz
+41 (0)44 266 10 10
Website

 

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