Atelier (Anton Gschwendtner) - München

Atelier (Anton Gschwendtner) - München

Münchens nächster Platzhirsch?

In grosse Fussstapfen zu treten, ist nicht jedermanns Sache. Und die Spuren, die Anton Gschwendtners Vorgänger im Atelier hinterliess, sind riesig. Sie stehen in direkter Linie zu einem gewissen Eckart Witzigmann. Denn Jan Hartwig erkochte im Atelier - 23 Jahre nach der Schliessung von Witzigmanns legendärer Aubergine in 1994 - endlich wieder drei Sterne für München. Fast ein Vierteljahrhundert ist eine gefühlte Ewigkeit in der Stadt, die das deutsche Küchenwunder Ende der 1970er Jahre massgeblich mitgeprägt hat. Doch bereits kurze vier Jahre später kündigte Hartwig seinen Abschied als Küchenchef im Atelier an.
Die Besitzerfamilie des Hotels Bayerischer Hof, in dem das Atelier untergebracht ist, liess sich bei der Suche nach einem geeigneten Nachfolger nicht lumpen, und holte in Anton Gschwendtner schliesslich einen bereits hochdekorierten neuen Mann mit Stallgeruch an den Herd. Der Oberbayer hatte sich in den Nullerjahren schon mal als Souschef im Bayerischer Hof bewiesen und an seiner letzten Wirkungsstätte, dem Olivo in Stuttgart, erstmals zwei Sterne als Küchenchef erkocht. Wenige Monate nach der Übernahme des Küchenzepters in München gelang es ihm, auch hier direkt wieder zwei Sterne ins Haus zu holen. Viel geschmeidiger hätte der Übergang also kaum laufen können.
Dass der Chef keine Anlaufschwierigkeiten hatte, bekräftigte mich in meinem Vorhaben, das Atelier zum Hauptgrund für meinen Trip in die bayerische Hauptstadt zu machen. Schliesslich hat es hier offensichtlich jemand darauf abgesehen, die Erfolgsgeschichte des mittlerweile weltweit bekannten und renommierten Restaurants möglichst nahtlos weiterzuschreiben. Mal sehen, ob und wie das Gschwendtner und seine Mannschaft schaffen.

Drei Apéros bilden den Auftakt. Vorne Carne Cruda vom Kalbsfilet mit Salzzitrone und Don Bocarte Sardelle. Trotz Sardelle und Zitrone ein sehr fein ziselierter Snack mit schönem Crunch. In der Mitte Kärntner Saiblingskaviar der Familie Sicher mit fermentierter Karotte und Pistazie. Sehr elegant. Oben eine Hamachi-Praline mit grüner Currycrème, Ingwer und Yuzu. Ausladend abgeschmeckt und daher ziemlich kräftig, ohne dabei Eleganz vermissen zu lassen.

Das Amuse-Bouche besteht aus einer Chawanmushi, die mit einer grosszügigen Portion gezupftem Taschenkrebs, einer Soja-Ponzu-Vinaigrette sowie Blüten und Kräutern getoppt ist. Das Zusammenspiel von süsslich-jodigem Krebs und der salzig-sauren Vinaigrette mit der opulenten Chawanmushi ist grundsätzlich ausgezeichnet. Allerdings ist die Chawanmushi (ein japanischer Eierstich) etwas zu grosszügig portioniert und dürfte auch noch ein bisschen delikater (sprich leichter) gearbeitet sein. So erscheint das Amuse ein wenig zu üppig und bei stets gleichmässiger Löffelbelegung bleibt noch reichlich Ei im Teller übrig, das solo weggelöffelt werden muss. In Summe aber dennoch sehr gut.

Makrele aus der Vendée, Kaviari Kristal Kaviar, Rettich, Nori und Tofucreme ist der erste offizielle Gang des Abends. Bevor das Ensemble seine gesamte Klasse zeigt, besticht erstmal die Makrele durch ihre hervorragende Qualität. Der Fisch verträgt eine durchaus kräftige Einfassung, was Gschwendtner auch ausnutzt. Einerseits zeigt sich das Ensemble angenehm salzig, jodig, fleischig und voller Meer. Auf der anderen Seite steht eine dezente Schärfe mit anregendem Crunch, die für Frische sorgt, sowie eine üppige Cremigkeit, die die ohnehin vorhandene Opulenz zusätzlich akzentuiert.

In eine ähnliche Kerbe schlägt die Lachsforelle der Fischzucht Birnbaum mit Brunnenkresse, Kalbszunge & gebeiztes Eigelb. Der Chef mag es offensichtlich würzig, ausladend und - im Kontext eines Fine Dining Restaurants - deftig. Der Kontext ist hier natürlich mit das Wichtigste. Schliesslich zeigt sich auch beim zweiten Gang trotz prägnanten Einzelelementen das, was eine gelungene Hochküche auszeichnet: Harmonie und ein gewisses Mindestmass an Eleganz. Anders gesagt, obwohl das auf den ersten Bissen ziemlich brüsk erscheinen mag, zeigt sich nach und nach das wunderbar akkurat komponierte Zusammenspiel der einzelnen Komponenten, das in einem exzellenten Ganzen mündet.

Auch bei einem meiner absoluten Lieblingsprodukte erwartet man im Normalfall eher etwas handfestes. Doch beim gegrillten Aal mit Erbse, grüner Spargel, Verbene und Gräten-Dashi zeigt die Küche ihre sommerlich-leichte Seite. Dem süsslich-fetten Fischfleisch, das durch das Grillen zusätzlich mit verführerischen Rauchnoten aufwartet, wird eine knackig-frische Begleitung zur Seite gestellt. Zwar bringen sowohl Erbse als auch Spargel ebenfalls eine inhärente Süsse mit, allerdings sorgen sie mit ihrer grünen Frische und knackigen Textur gleichzeitig für Auflockerung im eher lieblichen Dickicht. Der Hauptlockermacher ist allerdings die punktgenau dosierte und vortrefflich gewählte Verbene, die mit ihrer zitrussigen Frische einen richtig Kick verleiht. Abgerundet und zusammengebracht wird das Ganze durch die zurückhaltende Dashi. Grossartig konzipiert und perfekt umgesetzt.

Weiter geht’s mit einem prächtigen Kaisergranat, der von Chorizo, Gochujang-Krautwickerl und Pinienkernen begleitet wird. Die spanische Paprikawurst und die bayerisch-koreanischen Kohlrouladen lassen vermuten, dass es hier dank reichlich Fett und Schärfe ordentlich scheppert. Allerdings weiss Gschwendtner die intensiven Aromen zu zähmen und gekonnt in die Hochküche zu transponieren. Man könnte darüber diskutieren, ob die Wurst und die rote Chili Paste etwas zu stark ihrer Intensität und Kraft beraubt wurden. Doch das ist Geschmackssache. Für mich hätten die Aromen durchaus etwas pointierter ausfallen dürfen. Vor allem auch, weil der süsslich-knackige Granat mit ein bisschen Wucht problemlos mithalten kann. Alles in allem ist das aber persönlichen Vorlieben geschuldet, denn das fertige Gericht ist immer noch ganz hervorragend.

Eine angenehm portionierte Tranche Wagyuentrecôte aus Kagoshima bildet den Mittelpunkt des Hauptgangs. Dazu gesellen sich weisser Spargel, Pfifferlinge, Kokosnuss, Koriander und Serundeng (gemahlene, geröstete Kokosnuss mit Gewürzen). Das Fleisch ist saftig, nussig, kräftig, fast ein wenig kernig und natürlich mit üppigem Schmelz ausgestattet. Die Einfassung wirkt auf den ersten Blick etwas überladen, ist allerdings sehr fein abgestimmt und wird durch die beiden Saucen vortrefflich eingebunden, ohne dem Wagyu den Platz an der Sonne streitig zu machen. Ziemlich grossartig.

Obwohl ich zu Beginn des Abends noch das Gefühl hatte, dass der Chef bei den Portionen gerne etwas über die Stränge schlägt, lässt sich nun doch noch etwas Raum für Käse finden. Es wäre auch eine Schande, sich die wie immer perfekt gereiften Erzeugnisse von Maître Affineur Antony entgehen zu lassen.

Herrlich frühsommerlich präsentiert sich das erste Dessert von heimischer Erdbeere mit Joghurt und Kerbel. Die sehr reife Frucht wirkt fast schon barock, wird aber vom perfekt dosierten, frisch-säuerlichen Joghurt punktgenau konterkariert. Ein pures Harmoniespiel. Um diese ein wenig aufzubrechen, wird mit dem subtilen, anis-kräuterigen Kerbel ein wohldosierter, neckischer Spannungsbogen kreiert.

Nach dem sehr gelungenen Einstieg in die süsse Welt des Atelier wird mit Rhabarber, Milchreis, Mandel und Tahiti Vanille noch eins draufgesetzt. Angefangen beim simplen Milchreis, mit Sicherheit die beste Version dieses beliebten Kindheitsklassikers, die ich jemals gegessen habe. Natürlich funktioniert auch das Drumherum fantastisch. Die Feinabstimmung, das Zusammenspiel, der Einklang, alles ist goldrichtig. Doch damit nicht genug. Denn trotz, oder vielleicht gerade wegen, der Zugänglichkeit fühlt man sich richtig in diese Kreation hinein. Sie nimmt einen regelrecht gefangen. Am treffendsten lässt es sich wohl mit einer altbekannten Redensart umschreiben: es wird einem warm ums Herz. Richtig, richtig grosse Klasse.

Im Atelier wählt man einen etwas anderen Weg und schickt statt einem Pré- ein Aprés-Dessert, das süsse Äquivalent zur Chawanmushi vor einigen Stunden. So spiegelt das Ende des Menüs den Anfang und schliesst quasi den Kreis. Ein cleverer kleiner Kniff. Wenn Papaya mit Grüntee und Buttermilch allerdings nicht schmeckt, ist das ganze Storytelling natürlich umsonst. Doch dieses angenehm säurebetonte, etwas herbe und lebendige Intermezzo ist auch geschmacklich absolut gelungen und lässt mich trotz hohem Sättigungsgrad noch relativ beschwingt auf die letzten Kleinigkeiten freuen.

Denn eine kleine Auswahl von allesamt gelungenen Petits Fours darf selbstverständlich auch hier nicht fehlen.

Das war ein richtig starkes Menü ohne nennenswertem Durchhänger. Obwohl die Stilistik nicht dieselbe ist, weist sie doch immer wieder gewisse Ähnlichkeiten zu Christian Baus Küche auf. Geschmacklich intensive, kompakte Kreationen, die die volle Aufmerksamkeit des Essers fordern. Dabei lassen sie dennoch nie diese gewisse Eleganz vermissen, die es auf diesem Level einfach braucht.
Reminiszenzen an Bau. Die jüngere Geschichte des Restaurants um Jan Hartwig. Die Linie zu Witzigmann. Die zwei Sterne aus dem Stand für Anton Gschwendter. All das führt natürlich direkt zur Frage, ob sich das Atelier wieder zum Münchner Platzhirsch hochschwingt, die drei Sterne zurück in den Bayerischer Hof holt und sich der neue Chef in die illustre Riege der Münchner Drei-Sterne-Köche einreihen kann. Sowas ist schwierig zu prognostizieren. Dass die Ambitionen, höchste Michelin-Weihen zu erreichen, da sind, ist unverkennbar. Durchaus möglich, dass Gschwendtner die grossen Fussstapfen, die ihm hier vorgezeichnet wurden, dereinst füllen wird. Es lohnt sich auf jeden Fall, die Erfolgsgeschichte des Restaurants sowie die Entwicklung unter Gschwendtner und seiner Mannschaft genau mitzuverfolgen.


Weinbegleitung von Shazhad Talukder:
Pierre Gimmonet et Fils 2014 Club Special Brut
Weingut Clemens Busch 2011 Riesling „Marienburger Felsterrassen“ Große Lage Deutschland, Mosel
Domaine de la Truffiere 2012 Vin de Pays Frankreich, Languedoc
Weingut August Kessler 2013 Cuvée Max Spätburgunder Deutschland, Rheingau
Cantina Terlan 2016 Vorgerb Pinot Bianco Riserva Italien, Südtirol
Hatsumago Honjozo Kimoto Tradition Japan, Yamagata
Grahams 2017 Late Bottled Vintage Port Portugal, Douro/Porto
Weingut Nick Weis St. Urbanshof 2004 Riesling Auslese „Ockfener Bockstein“ Deutschland, Mosel


Atelier
im Hotel Bayerischer Hof
Promenadeplatz 2-6
80333 München
Deutschland
+49 89 21 20 743
Website

 

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