Haerlin (Christoph Rüffer) - Hamburg
Haerlin (Christoph Rüffer) - Hamburg
Die Bank in Hamburg
Geht es ins wunderschöne Hamburg, stehen vor Reiseantritt zwei Dinge unverrückbar fest: übernachtet wird im altehrwürdigen Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten. Diniert wird im Haerlin. Das Hotel an der Binnenalster darf getrost als Legende des Hansestadtes bezeichnet werden und hat seit seiner Eröffnung vor bald 125 Jahren nichts von seinem Charme eingebüsst. Die Grandezza, die Eleganz, die Kombination von aus der Zeit gefallenen Elementen und modernem Luxus ist einfach nur herrlich. Ein richtiges, traditionelles Grand Hotel in einer europäischen Grossstadt eben.
Christoph Rüffer, seines Zeichens Chef des zweifach besternten Haerlin (Gourmetrestaurant des Hauses) als altehrwürdige Institution zu bezeichnen, wäre etwas despektierlich. Doch nach 20 Jahren im Haus ist er mit Sicherheit zu einer Hamburger Instanz der gepflegten Hochküche geworden. Die zwei Macarons verteidigen er und sein Team seit mittlerweile bald zehn Jahren und das Haerlin wird auch immer wieder mal für den Aufstieg in höchste Michelin-Weihen gehandelt. In anderen Worten: ein Abend im Haerlin ist nahezu immer eine Bank. Mein letzter Besuch liegt bereits wieder zwei Jahre und damit viel zu lange zurück. Deshalb freue ich mich nach einem Tag gemütlichen und ausgiebigen Flanierens durch die Stadt und einem Pre-Dinner-Cocktail auf der Dachterrasse des Hotels umso mehr auf den Abend.
Sobald man durch die hohen Holzflügeltüren ins Restaurant eintritt, wird man von der gediegen-luxuriösen Atmosphäre förmlich genötigt, zu relaxen. Zuerst schweift der Blick ein wenig umher, erfeut sich am Ambiente und am beruhigenden Wasser direkt auf der anderen Strassenseite, um sich schliesslich in aller Ruhe mit der Menükarte sowie den mannigfaltigen Möglichkeiten der flüssigen Abendverköstigung auseinanderzusetzen.
Auch wenn es die gemütliche Umgebung anders vermuten lässt, ist ein gemächlicher Start nicht das Ding von Küchenchef Rüffer, der den Abend mit drei Snacks eröffnet. Den Anfang macht eine absolut gloriose Tartelette mit Königskrabbe und Dillblüten. Hauchzarter, delikater, ultraknuspriger Teig, süsslich-jodiges, herrlich nach tiefstem, kristallklarem Salzwasser schmeckendes und nicht zu kaltes Krabbenfleisch. Getoppt von etwas Saiblingsrogen für die Textur und der die Krabbe umwerfend ergänzende, mystisch angehauchte Dillblüte. Kinnlade unten beim ersten Bissen. Das ist mal eine Ansage.
Ebenfalls exzellent ist ein extrem leichter Algenchip mit ordentlich Crunch, auf dem etwas Rindertatar und Estragon liegt. Hervorragendes Fleisch, zurückhaltend abgeschmeckt, das von der grünen Anisnote des Krauts und der subtilen Salinität und Nussigkeit der Alge vortrefflich umspielt wird.
Nach den beiden kühlen, eleganten Snacks folgt mit Kartoffelschaum, Buttermilch und Räucherfisch quasi der warme Gegenentwurf. Elegant ist das zwar auch, doch vor allen Dingen ist es süffig, schlotzig, angenehm salzig. Die Säure der Buttermilch und das fette Fleisch des Aals samt toll eingebundenem Räucheraroma sorgen dafür, dass das Ganze nicht zu eindimensional gefällig daherkommt. Ein durch und durch grandioser Auftakt, der Erinnerungen an vergangene Grosstaten weckt.
Ich komme heute übrigens in den Genuss, sowohl einen Teil der Premier Cru als auch der Grand Cru Weinbegleitung probieren zu können. Die Amuses wurden von einem Glas Plénitude 2 Vintage 2002 von Dom Pérignon begleitet. Ein sensationeller Champagner, den ich noch nie zuvor gekostet habe und der die Messlatte für die noch folgenden Säfte sehr hoch legt. Genauso wie die kulinarische Eröffnung. Die Erwartungen sind nicht eben kleiner geworden. So muss es sein.
Bevor das eigentliche Menü beginnt, grüsst die Küchenmannschaft mit der Collection von Kleverhof-Tomaten mit Sauerampfer ein letztes Mal. Der Demeterhof, 30 Kilometer nördlich vom Haerlin in Schleswig-Holstein gelegen, bietet gemäss eigener Aussage aktuell 1001 unterschiedliche Tomatenvarietäten an. Ein Bruchteil davon findet den Weg auf den Teller, der nun vor mir steht. Neben den unterschiedlichen Nachtschattengewächsen und dem Sauerampfer kommt noch ein luftiges Burrataschäumchen zum Einsatz, unter dem wiederum etwas Couscous liegt. Rüffer spielt clever mit den Erwartungen an den altbekannten Caprese, in dem er mit einem Auge in Richtung Orient und mit dem anderen in den herb-frischen Norden schielt. Mit einem Zwinkern, versteht sich. Der einzige Grund, weshalb dieses Gericht nicht mit dem Eröffnungstrio mithalten kann, sind die Tomaten. Sie sind zwar von überdurchschnittlicher Qualität, können jedoch nicht ganz mit den dauersonnengeküssten Verwandten aus dem Süden mithalten. Die hätte es gebraucht, um aus diesem sehr guten Teller einen nahezu perfekten zu machen.
Bei der nun folgenden Menüeröffnung Bachforelle aus dem Illmenautal mit Bergamotte, Kerbel und Erdartischockensud brauche ich gar nicht lange um den heissen Brei herumzureden. Genau um solche Kreationen erleben zu können, gehe ich essen. Sie geht weit über das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten (brillant) und das selten in dieser Güte erlebte Hauptprodukt (absolut makellose Referenzqualität) hinaus. Sie berührt ganz tief drinnen, lässt mich die Augen schliessen, um diesen unvergesslichen Genussmoment unauslöschlich zu verinnerlichen. Eigentlich ist jedes weitere Wort müssig, ich will mich dennoch an einer Beschreibung versuchen. Der Fisch ist von unfassbarer Zartheit und Noblesse. Rechts davon liegt ein Tatar, eingehüllt in Sauerrahm und Quinoa (etwas kräftiger), links sein knackiger Rogen auf einer ungemein exquisiten Kerbelmousse. Zusammengebracht werden die Fischstücke von einem enorm tiefen, dabei geradezu vornehm erscheinenden Sud (vielleicht liegt es am goldenen Schimmer), der keine Wünsche offen lässt. Das dürfte schwer zu toppen sein. Doch selbst wenn der Rest des Abends ein kompletter Reinfall wäre, würde ich die Reise nach Hamburg nur für diesen einen Teller jederzeit wieder antreten.
Rüffer entscheidet sich nach der grandiosen Forelle nicht für einen kompletten Stilbruch, setzt bei Roter Carabinero mit Muscheln, Fenchel und Krustentier-Ingwertee aber ganz andere Akzente. Auch wenn der Grundtenor ebenfalls sehr auf Eleganz getrimmt ist, besticht dieses Ensemble durch mehr Würze und kräftigere, pointiertere Aromen. Natürlich ganz ohne auch nur ansatzweise plakativ zu wirken. Diese Vermischung aus mediterranem Grundgerüst umrahmt von französischer Saucenkunst mit punktgenau eingearbeiteter Reminiszenz an Fernost ist einfach umwerfend gut. Das liegt nicht nur an der kompositorischen Klasse und der umgemein beeindruckenden Balance, sondern vor allem auch an den wiederum absolut makellosen Meeresfrüchten. Diese kühl-jodige Salinität und subtile maritime Süsse wohnt nur den besten ihrer Art inne. Superb.
Eigentlich hätte man den nun folgenden Atlantik-Seeteufel mit Meerwasser-Beurre blanc, grünen Erbsen und Kaviar in der Dramaturgie vor dem vermeintlich intensiveren Meeresgetier erwartet. Allerdings wissen grosse Köche wie Rüffer ganz genau, welcher Ablauf für höchstmöglichen Genuss sorgt. Ähnlich einem Musiker, der an seinem Konzert zwar loslegt wie die Feuerwehr, aber nach den scheinbar nicht mehr zu toppenden 15 Minuten immer noch weitere grosse Hits im Köcher hat, die das Publikum wieder (oder noch mehr) zum Kochen bringen. Ganz ähnlich verhält es sich in diesem Fall. Die Forelle schien das frühe, unübertreffbare Highlight zu sein, der Carabinero kam dem aber doch bereits wieder erstaunlich nah, und nun lässt mich der Seeteufel wieder imaginär die Hände in die Luft werfen und lauthals das Rüffer-Medley mitsingen. Dieser Teller ist für mich die Quintessenz des Haerlin Chefs. Produkte höchster Güteklasse, souverän modernisierte französische Klassik, ein (grosszügiger) Touch Luxus, perfekte Balance. Der zweite Hall Of Fame-Teller des Abends. Eine Seltenheit, die nur die Allerbesten zustande bringen.
Bevor es zu den Hauptgängen geht, setzt man ganz klassisch auf eine Papillen-Erfrischung. Die Details habe ich mir nicht notiert, jedoch ist das in Summe etwas arg süss geraten.
Bresse Gauloise-Huhn mit gegrillten Steinpilzen, Sesam und Ingwer-Limettenjus zeigt höchst beeindruckend, warum richtig gutes Geflügel als Hauptgang fast immer eine tolle Idee ist. Vor allem, wenn es so betörend inszeniert ist. Natürlich ist das Huhn von Züchter Lars Odefey butterzart, hat dennoch einen angenehmen Biss und vorrangig richtig viel Geschmack. Da dürfen die Beilagen ruhig ein wenig Schmackes haben. Angefangen bei den exzellenten, fleischigen und mit verführerischen Röstnoten ausgestatteten Pilzen. Orange glänzend gesellt sich ein samtiges Kürbispürée dazu, das eine angenehme Süsse ins Spiel bringt. Diese wird von der fantastischen Jus mit ihren zarten Zitrusspitzen optimal konterkariert, so dass ein in sich geschlossenes, rundes Ganzes entsteht. Als neckischer Clou entpuppt sich ein mit Schenkelfleisch gefülltes Gyoza, das es eigentlich gar nicht gebraucht hätte, welches jedoch gerade mit etwas Jus so saulecker ist, dass ich es nicht missen möchte.
Hauptgang Nummer zwei besteht aus einem wunderbar rosa gebratenen Rehrücken aus der Heide mit Zimtzwiebeln, Hefecrème und weissen Cassisbeeren. Aufgrund des Zimts schmeckt die erste Gabel zu Beginn (etwas zu) weihnachtlich, doch die intensive Würznote entpuppt sich schnell als hervorragend eingebunden. Und als tolle Kombination zum grandiosen Wild. Als äusserst spannend entpuppt sich die Hefecrème, die mit ihrem komplexen Geschmacksprofil für ein sehr apartes Esserlebnis sorgt, das ich in dieser Form noch nicht vorgesetzt bekam. Gemeinsam mit der Pistazie, in Form von zwei Sphären, zeigt sich eine sehr ausgeprägte und mollige Nussigkeit. Damit das Ensemble nicht zu üppig daherkommt, bringen die Beeren ihre herbe Säure auf den Teller, die für die nötige Balance sorgt. Als ob das noch nicht genug wäre, versteckt Rüffer nochmal ein kleines Extra auf dem Teller: eine Praline vom Reh. Sie rückt das Gericht kurzzeitig in ein ziemlich deftiges Licht, was im Kontext der vorherrschenden Eleganz jedoch für willkommene Abwechslung sorgt. Grosse Klasse.
Den Einstieg in die süsse Welt des Haerlin macht Himbeere mit Kopfsalat, Tonkabohne und Passionsfrucht. Leicht, modern, angenehm säurebetont und frisch. Für meinen Geschmack dürfte die Tonkabohne noch etwas prominenter ausgearbeitet sein, um dem Ganzen einen nachspeisigeren Charakter zu verleihen. Dennoch gut.
Zuvor gab eine moderne und helle Leichtigkeit den Ton an, die Kombo aus Altländer Kirschen mit Sylter Milch, Buchweizen und Schokoladenkaramell zeigt sich eher dunkel, relativ schwer und in der Komposition klassisch. Für sich genommen ist jedes Element durchaus schmackhaft - und der Dreiklang natürlich bewährt - jedoch segelt man sehr stark an der berüchtigten Death-By-Chocolate-Kante. Zwar machen sich die Kirschen und das Eis bemerkbar, dominant ist jedoch ganz klar die Schokolade. Ein bisschen Feintuning bei den Proportionen würde hier sicher nicht schaden. Gegebenenfalls könnte man sich sogar überlegen, die Schoko nur als Würzelement einzusetzen und den Kirschen sowie der Milch den Vorrang zu lassen. In Summe zwar in Ordnung, mehr aber leider auch nicht.
Einige Petits Fours dürfen auch zu später Stunde natürlich nicht fehlen und wissen trotz nicht mehr vorhandenem Hungergefühl durchaus zu gefallen.
Ich habe es eingangs gesagt und sage es nach diesem Mahl in aller Deutlichkeit nochmal: Christoph Rüffers Küche ist eine Bank. Sicher und zuverlässig. Absolut souverän und im besten Sinne unaufgeregt, ohne jedoch Langeweile zu verströmen oder gar mit Höhepunkten zu geizen. Ganz im Gegenteil. Das heutige Menü war gespickt mit Kreationen, die ich jederzeit wieder essen wollen würde und dafür auch eine Reise nach Hamburg anträte. Wann hatte ich zuletzt gleich zwei Hauptgänge, die komplett zu überzeugen wussten?Verbesserungspotenzial gibt es eigentlich einzig bei den Desserts. Doch wenn die restlichen Gerichte so unglaublich gut sind, fällt das auch viel weniger ins Gesamtgewicht.
Letztlich bleibt zum Haerlin eigentlich nur etwas zu sagen: absolutes Pflichtprogramm. Auch, wenn man einen Trip nach Hamburg nur für ein Dinner bei Christoph Rüffer plant. Am besten in Verbindung mit einem längeren Aufenthalt im wundervollen Hotel Vier Jahreszeiten, um die Perle des Nordens in vollen Zügen zu geniessen.
Die Weinbegleitung von Sommelier Christian Scholz:
Plénitude 2 Vintage 2002 Dom Pérignon
Riesling GG Pittermännchen Diel
Nossa Calcarico Bical 2019 Filipa Pato
Riesling Kirchenstück 2012 Reichsrat von Buhl
Chassagne-Montrachet Vieilles Vignes 2016 Domaine Vincent & François Jouard
Corton-Charlemagne Grand Cru 2011 Bouchard Père & Fils
Meursalt Perrières 2008 Bouchard Père & Fils
Y 2005 Château d’Yquem
Sankt Paul Spätburgunder 2009 Weingut Friedrich Becker
Riesling Scharzhofberger Spätlese 2012 Egon Müller
Grandfather Rare Tawny Penfolds
Restaurant Haerlin
im Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten
Neuer Jungfernstieg 9-14
20354 Hamburg
Deutschland
+49 (040) 349 433 10
Website
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