Rote Wand Chef's Table (Max Natmessnig) - Lech am Arlberg

Rote Wand Chef's Table (Max Natmessnig) - Lech am Arlberg

Mut zahlt sich aus

Hört man als in New York lebender und nicht mal 30-jähriger Koch hin, wenn der Berg ruft? Heisst man Max Natmessnig und ist Souschef am Tresen des damals vielleicht heissesten Dreisterners der Welt (Chef’s Table at Brooklyn Fare von César Ramirez), lautet die Antwort etwas überraschend: Ja. Wenn am anderen Ende der Leitung Josef “Joschi” Walch spricht und mit dem ersten Chefkochposten in einem etablierten und gleichwohl sehr ambitionierten Gourmethotel lockt, spitzt ein mit Weitsicht ausgestatteter Mensch zumindest die Ohren - und entscheidet sich, im Falle von Natmessnig, in die österreichische Heimat zurückzukehren. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt. Bereits wenige Monate nachdem der Chef 2017 seinen eigenen Chef’s Table in Zug bei Lech am Arlberg zu bespielen begann, rückte der Gault Millau zum Start direkt 18 Punkte raus. Über die Verlässlichkeit des kleinen Guides lässt sich natürlich vortrefflich streiten. Doch mein erster Besuch kurz nach der Eröffnung, noch einige Wochen vor der Punktevergabe, zeigte bereits, dass der zukünftige Raketenstart absolut gerechtfertigt war (zum Bericht). Würde man das in die immer noch verlässlichere Michelin-Sprache übersetzen wollen, sind das zwei glasklare Sterne. Mit klar erkennbarem Potenzial nach oben. Meine Begeisterung kannte kaum Grenzen, weshalb ich mich nach viel zu langer Abstinenz umso mehr auf den neuerlichen Besuch am U-förmigen Tresen freue.
Nach einem überaus herzlichen Empfang reicht die Zeit nach dem Bezug des Zimmers nur noch für ein kurzes Frischmachen, da ich heute zu den Early Bird Gästen gehöre. Die wenigen Plätze am Chef’s Table werden, ganz nach amerikanischem Vorbild, zweimal pro Abend besetzt. Für manche immer noch eine Unsitte, doch gerade in immer schwieriger werdenden Zeiten nur allzu verständlich. Solange sich der vermeintliche Zeitdruck nicht negativ auf den Genuss niederschlägt, habe ich damit überhaupt kein Problem. Treffpunkt ist die Hotelbar, wo ein Willkommensdrink serviert wird. Danach gehen alle Gäste gemeinsam rüber ins Schualhus, das den Chef’s Table beherbergt und wo Patron Walch früher tatsächlich selbst die Schulbank drückte.

Die Amuses werden in einer kleinen Stube gereicht, bevor es nach oben an den Tresen geht. Den Anfang macht eine Rettich Consommé, die gleich mal zeigt, wo Natmessnigs Hammer hängt. Sehr weit oben nämlich. Ungemein kräftig und intensiv, dabei sehr elegant und geprägt von einer Tiefe, die meine Kinnlade nach unten fallen lassen würde, sässen nicht noch andere Gäste neben mir. Am besten beschreibt dieses geheimnisvoll tiefbraun schimmernde Elixir ein Wort: Wow! Ein Beef Tartelette mit Romesco überzeugt durch exzellentes Fleisch, das handwerklich sehr fein gemachte Tartelette und die zurückhaltende Würzung. Zum Schluss gibt es hervorragende Bergforelle direkt aus dem Dorf mit Kren. Ein Produkthighlight, dessen delikater Eigengeschmack durch den vorsichtig dosierten Kren (oder Meerrettich, für alle Nicht-Österreicher) perfekt akzentuiert wird. Was für ein Auftakt.

Weiter geht’s mit dem nächsten Trio. Bei der Kartoffel mit Forellenkaviar liegt auf einer Art luftigem Kartoffel-Soufflé ein dicker Klecks luxuriöser Schmand, der wiederum getoppt wird von einer grosszügigen Menge kaltem, knackigem Rogen. Perfektion auf wenigen Kubikzentimetern. Nichts weniger. Genau dasselbe gilt für das kleine Cornet mit Kürbis, King Crab und Sanddorn. Das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten, die Feinjustierung, die Balance und - am wichtigsten - der Geschmack sind schlicht atemberaubend. Immer noch sehr gut, aber nicht auf dem enorm hohen Niveau der vorherigen Snacks, ist ein kleines Tartelette, belegt mit opulenter Geflügelleber und herber, sauer-fruchtiger Johannisbeere. Nach diesem fulminanten Auftakt geht es nach oben…

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… wo die Chefs bereits mit der Vorbereitung des ersten Gangs begonnen haben, der nicht mehr lange auf sich warten lässt. Eine ausgelöste und erwärmte Auster liegt auf luftigem Misoschaum, darauf wird eine grosszügige Nocke Kaviar gelöffelt. Das Ergebnis dieses Dreiklangs ist absolut sensationell. Die dicken, saftigen, fleischigen Stücke der Molluske sprühen förmlich vor jodiger Meeresfrische und sind kongenial eingefasst. Einmal natürlich durch den superben, komplexen, ebenfalls dezent jodigen und herrlich nussigen Kaviar von N25, der die Fine Dining Szene im Sturm erobert hat und aktuell Everybody’s Darling zu sein scheint. Kein Wunder bei dieser Qualität. Die Nussigkeit des schwarzen Golds schlägt die Brücke zur kräftigen, aber nicht überpowernden Miso, die durch ihre Süsse und mundfüllende Opulenz wiederum die Auster akzentuiert und das Zusammenspiel der Komponenten perfekt abrundet. Es lässt sich kaum beschreiben, wie gut diese paar Happen wirklich schmecken. Ganz simpel gesagt: dies ist eine der besten Austern-Kreationen, die ich jemals gegessen habe.

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Hinter der etwas kryptischen Annoncierung Saba und Aguachile verbirgt sich eine Makrele (Saba=japanisch für Makrele) sowie mit der Aguachile eine Sauce mexikanischen Ursprungs, die wörtlich übersetzt Chiliwasser heisst. In Küchenlingo kann man sagen, dass die Sauce der peruanischen Ceviche ziemlich ähnlich ist. Hauptbestandteil bildet auch hier die pointierte Säure einer Zitrusfrucht (in diesem Fall Limette), jedoch gesellt sich noch Chili und Koriander dazu. Dazu kommen einige dünn geschnittene, knackige Scheiben unterschiedlicher Rettiche. Für den fettigen und öligen, dabei äusserst delikaten Fisch bietet diese energisch-intensive Sauce die optimale Ergänzung. Sie kontrastiert die Makrele einerseits optimal und vermag es andererseits auch, eigene Akzente zu setzen. Mich beeindruckt besonders, wie es Natmessnig schafft, das Geschmacksbild in den Kontext der gehobenen Küche zu übersetzen. Sprich, obwohl sie nicht ganz so sauer und scharf daherkommt wie man das von einer mexikanischen Mama erwarten würde, wirkt der Gesamteindruck dennoch unverfälscht und authentisch (auch wenn ich darauf nicht wirklich wert lege). Ebenfalls auffällig ist die Qualität des Saba. Sie ist makellos und gehört mit zum Besten, was ich von diesem oft zu unrecht verschmähten Fisch jemals gekostet habe. Unfassbar gut. Wenn es so weitergeht, esse ich heute das Menü des Jahres.

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Mit Saibling, Schnittlauch und Kombu tritt die Küche das Gaspedal weiter voll durch. Was grösstenteils positiv ist, aber auch einen kleinen Schönheitsfehler mit sich bringt. Neben einem erneut spektakulären Fisch, der direkt aus dem Dorf stammt, besticht auch dieser Gang durch reichlich Umami und Tiefe. Duft und Geschmack fluten die Synapsen mit ihrer Wucht und Intensität. Hier findet sich auch der kleine Makel. Auf Dauer ist es etwas gar viel, etwas zu überbordend in seiner Dichte, so dass man sich ein Element wünscht, das etwas Frische in Form von Säure und Knackigkeit beisteuert, wie das zuvor bei der Makrele der Fall war. Das ist aber bereits Meckern auf sehr hohem Niveau, denn nur schon die Qualität des Saiblings ist phänomenal und die Einfassung sehr, sehr gut. Nur eben nicht ganz so nahe am Optimum wie die beiden Gerichte zuvor.

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Es folgt eine weitere Kreation, bei der sich Natmessnig vom fernen Osten inspirieren liess. Einen prächtigen, augelösten Kaisergranat kombiniert er mit Gurke und einem Saucenduo aus indonesischer Satay und Hong Konger XO. Die reichhaltige, typisch süssliche Erdnusssauce mit dem “Funk” und der animierenden Schärfe der XO zu kombinieren, erweist sich als eine sehr clevere Idee und vor allen Dingen als eine vortrefflich harmonierende Kombo. Denn trotz der immensen Kraft, die beiden Saucen innewohnt, wird die delikate Langoustine nicht überlagert. Allerdings ist sie nicht klar als Mittelpunkt auszumachen, sondern ist gleichberechtigter Partner und gleichzeitig Vehikel für den Zusammenschluss der flüssigen Komponenten. Stark.

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Gänseleber und Kohlrabi bilden das Gerüst des nun folgenden Gangs. Hört sich erstmal harmlos an, ist aber ein weiterer Kracher. Während die durchaus ungewöhnliche Zusammenstellung vom üppigen, luxuriösen Schmelz der Foie und der erdigen, dumpfen Knackigkeit des Gemüsekohls bereits erstaunlich gut funktioniert, ist der flüssige Stoff wieder mal der X-Faktor. Was Natmessnig in Sachen Saucen, Bouillons und Jus auf die Teller zaubert, hat selten erlebtes Niveau und ist oftmals weltklasse. Genau wie in diesem Fall. Im Prinzip ist es immer dasselbe: Tiefe, Umami, Mut, Harmonie. Doch weil es (fast) jedes Mal so beeindruckend gelingt, muss es immer wieder aufs Neue erwähnt werden. Grandioses Elixier mit Suchtfaktor, von dem kein Tropfen verschwendet werden darf. Der Rest ist, so gut er auch ist, eigentlich nur Beiwerk.

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Fast identisch verhält es sich beim Kalbsbries mit Pilzen und Zwetschgen. Nur schon der Duft, der mir in die Nase steigt, als die Pilzessenz angegossen wird, ist beeindruckend und lässt mir wortwörtlich das Wasser im Mund zusammenlaufen. Der Geschmack hält dann nicht nur, was die Nase verspricht, sondern bietet noch viel mehr. Natürlich spielt das reichhaltige Umami der Pilze die gewichtigste Rolle. Doch als besonders apart erweist sich der Einsatz der Zwetschge, die mit ihrer pointierten Säure sowie der perfekt eingebetteten Fruchtsüsse eine enorme Komplexität erzeugt. Das Bries und die Pilze fungieren einerseits als Texturgeber, andererseits natürlich als geschmackliche Ergänzung zur grandiosen Essenz. Erneut grossartig.

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Eine kleine Erfrischung bestehend aus einem Zitronenverbeneeis und Kombucha kommt da gerade richtig, um die Papillen nach den vielen intensiven Eindrücken auf das letzte Drittel des Abends einzustellen.

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Im Hauptgang wird Rehkitz mit Puntarelle serviert. Während ich mir beim Fleisch etwas mehr Biss im Sinne einer Bratkruste gewünscht hätte, ist die Qualität des Wilds über jeden Zweifel erhaben. Ich frage mich kurz, ob das vorzügliche, quasi fettfreie und sehr milde Fleisch von der Bitternis des Vulkanspargels nicht zu stark übertüncht werden könnte. Doch keine Spur davon. Gemeinsam mit der abermals hervorragenden Sauce und dem kleinen aber feinen nussigen Kniff in Form eines Leinsamencrackers entsteht wieder ein rundes Ganzes in ausgewogener Balance.

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Zum Thema Käse liess sich Natmessnig eine Art Soufflé mit einem Erzeugnis aus den lokalen Bergen einfallen, das er mit Feige ergänzt. Treue Leser werden es wissen, ich bin kein grosser Freund von Spielereien, wenn es um Käse geht, sondern eher puristisch veranlagt. Doch dieser Happen ist so verdammt gut, dass ich ihn am liebsten im Dutzend vor mir hätte. Ein, zwei weitere Stücke für jetzt, die restlichen zehn für zu Hause, um sie genüsslich über die nächsten Tage zu vertilgen. Auch wenn sie mit Sicherheit nicht so lange überleben würden…

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Beim Dessert Pfirsich mit Buchweizen fühle ich mich aufgrund der dicken, luftigen Sabayon und dem Pfirsich als Hauptprotagonisten unweigerlich an den berühmten Pfirsich Haeberlin aus der legendären Auberge de l’Ill erinnert (zum Bericht). Allerdings hören die Gemeinsamkeiten mit der kurzen Reminiszenz damit auch bereits wieder auf. Natmessnigs Pfirsich ist geprägt von purer Frucht und Frische. Dem gegenüber steht der nussige Crunch der gepoppten Buchweizen, der das Steinobst toll kontrastiert. Simpler, dabei hochgradig befriedigender Löffelspass.

Für die Friandises geht es wieder einen Stock nach unten in die Stube, damit die nächsten Gäste bereits vor den Köchen Platz nehmen können. In Anlehnung an die Schwedenbombe, in Österreich der Name für einen Schokokuss, hat Natmessnig eine Zuger Bombe kreiert. Fast schon flüchtig leicht, cremig und schokoladig, dürfte das wohl der beste Patisserie-Kuss sein, den ich jemals aufgedrückt bekommen habe.

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Zum Schluss überrascht der Chef, ausgestattet mit einem breiten Grinsen im Gesicht, mit einem Stück Panettone. An und für sich nichts ungewöhnliches, doch er hat sich an die “echte” Sauerteigversion gewagt und lange rumprobiert, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war. Das Resultat kann sich mehr als nur sehen lassen. Luftig, saftig, nicht zu süss, kurzum: nahe an der Perfektion. Gemeinsam mit einem Erdnuss-Dip ein superber Abschluss.

Grandios. Das ist das Wort, das einen Abend bei Max Natmessnig am Rote Wand Chef’s Table am besten beschreibt. Seit meinem letzen Besuch hat sich hier einiges getan. Zu Beginn hat man ausschliesslich auf einheimische Produkte gesetzt, doch Makrele, Auster und Co. gibt es in Österreich bekanntlich nicht, weshalb man sich mittlerweile etwas geöffnet hat. Das hat seine guten wie seine schlechten Seiten. Einerseits schafft man sich den Freiraum, das zu nutzen, was einem bei der Konzeption eines Gerichts wirklich vorschwebt - und kann das natürlich in der bestmöglichen Qualität beschaffen, wie das Natmessnig dank seiner Erfahrung auch tut, andererseits läuft man Gefahr, eine etwas austauschbarere Küche zu servieren. Doch im Prinzip ist es ja sehr simpel, entweder das Produkt befindet sich mindestens auf der Qualitätsstufe sehr, sehr gut und das fertige Gericht funktioniert, oder eben nicht. Und Natmessnig ist wahrlich kein Chef der in Verdacht steht, es sich einfach machen zu wollen und ein paar Allerweltsteller ins Menü einzubauen. Ganz im Gegenteil. Egal was der Niederösterreicher auftischt, es ist (fast) immer geprägt von einer nonchalanten Selbstsicherheit, die man schmeckt.
Der Rote Wand Chef’s Table ist eine Win-Win-Win-Situation. Besitzer Joschi Walch wird für seinen Mut belohnt, das japanisch inspirierte Grossstadtkonzept in die Vorarlberger Alpen zu holen. Max Natmessnig ist zurück in der Heimat, kann sich voll entfalten und richtig ausleben. Dank der Weitsicht und dem Mut der beiden haben sie das lässige Lokal innerhalb kürzester Zeit zu einem der besten Restaurants Österreichs gemacht. Was natürlich fast automatisch für glückliche Gäste sorgt.
Wenn der Berg ruft, sollte man also ganz genau hinhören. Folgt man seiner Stimme, kann etwas absolut Grossartiges entstehen. Dabei hat man den Gipfel in Zug bei Lech noch nicht mal annähernd erklommen. Denn obwohl sich die Küche bereits in sehr hohen Sphären bewegt, ist ganz klar, dass das Potenzial da ist, um in Zukunft noch weiter nach oben zu kommen.


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Die Weinbegleitung von Martina Prenn:
Champagne Blanc de Noirs Grand Cru Brut, Eric Rodez
2019 “Shiso” Alpin Sake, Stefan Sigl & Lucas Sorger
2010 Chardonnay, Hyde & De Villaine
2017 Welschriesling “Nolens Volens”, Kolfok
2001 Vosne Romanée 1er Cru “Les Suchots”, Domaine Arnoux
10 Year Alambre Moscatel de Setubal, José Maria da Fonseca

Die alkoholfreie Begleitung von Bekah Natmessnig:
Gurke, Zuckerschote, Kren
Hibiskus, Holunder, Limetten
Paprika, Stachelbeere, Yuzu
Mais, Reismilch, Verjus
Zwetschgen, Chili, Schokolade
Pfirsich, Champagneressig


Rote Wand Chef’s Table
im Gourmet Hotel Rote Wand
Zug 5
6764 Lech am Arlberg
Österreich
+43 5583 3435 0
Website

 

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Informationen zu unserem Umgang mit Pressekonditionen findest du in den FAQ.