L'Auberge de l'Ill (Marc Haeberlin) - Illhaeusern

L'Auberge de l'Ill (Marc Haeberlin) - Illhaeusern

Legende ohne Scheuklappen

Spricht man über die langlebigsten Spitzenrestaurants im Michelin-Kosmos, fällt der Name L’Auberge de l’Ill in den meisten Konversationen direkt nach demjenigen von Übervater Paul Bocuse. Bereits 1952 erkochte Paul Haeberlin im kleinen elsässischen Dorf Illhaeusern den ersten Stern, um 15 Jahre darauf 1967 schliesslich den ultimativen dritten Stern ins Familienrestaurant zu holen, das er in zweiter Generation führte. 51 Jahre lang hielt das Restaurant die höchste Auszeichung des roten Guide, bis das nahezu Unvorstellbare geschah: die legendäre Auberge wurde nach mehr als einem halben Jahrhundert im 2019er Guide auf zwei Sterne runtergestuft.
Die Reaktionen zum Verlust des Sterns fielen sehr unterschiedlich aus. Von „es wurde mal Zeit, dass der Michelin aufräumt” über „eine Frechheit, was sich der Michelin erlaubt” bis hin zu „aufräumen gut und recht, aber bitte nicht am falschen Ort wie in diesem Fall“ war alles dabei. Die Equipe um Marc Haeberlin - Pauls Sohn, der die Küchengeschicke des Restaurants seit 1976 leitet und somit 42 Jahre am Stück die drei Macarons in Illhaeusern hielt - zeigte sich nachvollziehbar geschockt. Der Verlust kam völlig unerwartet.
Dass mein erster Besuch in die Zeit nach dem dritten Stern fällt, ist reiner Zufall. Obwohl das traditionsreiche Restaurant seit langem auf meiner Bucket-Liste steht und nicht mal sehr weit von meinem Wohnort entfernt liegt, wollte es mit einem Essen hier einfach nie klappen. Umso schöner, dass es nach langer Zeit und immer wieder verworfenen Plänen nun doch endlich gelingt.
Der Eingang zum Haus ist der einzigen schmucklosen Durchfahrtsstrasse des winzigen Orts zugewandt und lässt von aussen kein Grand Restaurant erahnen. Doch sobald sich die Türen öffnen und man den ersten Schritt in die fast schon heiligen Hallen macht, wird man in eine andere Welt entführt und von herzerfüllter Gastfreundschaft förmlich erschlagen. Was ausschliesslich positiv verstanden werden soll. Überall lächelnde Gesichter, von denen mich eines zu meinem Tisch direkt an der Fensterfront begleitet. Es ist bereits dunkel, weshalb ich die wundervolle, märchenhaft anmutende Landschaft direkt an der Ill, die sich hinter dem Restaurant verbrigt, erst am nächsten Morgen sehen werde. Im Speisesaal, in dem ich sitze, herrscht gediegener Luxus in Pastelltönen. Eine grosse hängende Glaskerzenwand erstreckt sich von der Decke bis zum Fussboden und fungiert gleichzeitig als Blickfang und Raumtrenner. Geschmackvoll opulent, ohne protzig zu wirken. Es fällt nicht schwer, sich hier augenblicklich wohl zu fühlen.
Die angenehm übersichtliche Karte macht richtig Lust, sich einmal durchzuprobieren. Nach einer kurzen Rücksprache mit dem charmanten Service entscheide ich mich für eine ambitionierte Anzahl Gerichte in halber Portion, um möglichst viele Facetten von Marc Haeberlins Küche kennenlernen zu können.

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Los geht’s mit einer Interpretation vom Aal grün, die ziemlich wuchtig daherkommt, ohne dabei jedoch eine gewisse Raffinesse vermissen zu lassen. Ähnlich verhält es sich mit dem Bistro-Klassiker Croque Monsieur, der in diesem Fall zusätzlich um etwas Trüffel erweitert wurde. Herrlich herzhaft und knusprig, aber kein bisschen schwer. Ganz hervorragend ist auch ein ebenfalls simpel anmutendes Cornet mit einer grosszügigen Portion Kaviar. Drei Snacks, die noch nicht ins oberste Regal der Haute Cuisine greifen, allerdings dennoch sehr, sehr gut sind und vor allem nochmal richtig die Vorfreude auf die kommenden Stunden schüren.

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Wie in den meisten klassischen Restaurants üblich, hält man sich auch hier nicht lange mit dem Vorgeplänkel auf. Der Taschenkrebs mit Zitrone und Krustentiercrème markiert deshalb bereits den Einstieg ins Menü. Die halbe Portion erscheint immer noch ziemlich üppig, was mich aber eigentlich nicht weiter verwundert, sondern viel mehr etwas Bedenken bezüglich meiner Bestellung aufkommen lässt. Wie der erste Bissen offenbart, ist nicht nur die Menge grosszügig, sondern auch das Geschmacksbild. Es wird mit grosser Kelle angerührt. Eine opulente und sehr vielschichtige Krustentiercrème, die durch grosszügige Sahnekleckse zusätzlich akzentuiert wird. Als ausbalancierendes Element kommt die perfekt dosierte Zitrone ins Spiel, die dem Gericht viel Fülle nimmt und für eine herrlich pointierte Frische sorgt. Exzellent.

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Fortgesetzt wird das Dinner mit einer prächtigen gebratenen Langoustine, die von Kaviar und Blumenkohl eingerahmt wird. So üppig portioniert lobe ich mir den Einsatz des schwarzen Goldes - über die gesamte Länge des Kaisergranats und fast ebenso dick wie der Krebs selbst. Für mich gehört Kaviar genau so auf den Teller: in rauen Mengen, damit er voll zur Geltung kommt. Die Süsse der vortrefflich gegarten und mit verführerischen Röstnoten versehenen Langoustine und die salinische Jodigkeit des Kaviars bilden ein superbes Prunk-Duo. Dem steht die Deklination der geradezu bescheidenen unterschiedlichen Blumenkohl-Varietäten gegenüber, die durch ihre abwechslungsreiche Inszenierung nicht nur ein ansprechendes Texturspiel auf den Teller bringt, sondern auch einen angenehm rustikal wirkenden Gegenpol setzt, der gekonnt abrundet.

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Beim Kuttelsalat mit Bohnen und Foie gras haben sich Vorzeichen gegenüber dem vorherigen Gang um 180 Grad gedreht. Schlichte Produkte spielen die erste Geige und werden von einer stattlichen Scheibe Leber begleitet. Dass die Foie perfekt zubereitet und qualitativ über jeden Zweifel erhaben ist, dürfte bei einem Chef wie Marc Haeberlin und noch dazu mitten im Elsass fast schon selbstverständlich sein. Doch viel spannender ist ohnehin der Rest. Die Kutteln gibt es einmal à l’anglaise sowie in Weisswein gekocht. Die Innereien sind zwar durchaus kräftig im Geschmack, was sich aber vor allem in reichlich Umami äusserst, und nicht in einer unangenehm muffigen Art, der vielen Essern den Hals zuschnürt. Während die Bohnen dazu für etwas Knack sorgen, bringt der unscheinbare Salat mit seiner hervorragenden säurebetonten Sauce das nötige Gleichgewicht auf den Teller. Zusammen mit der Leber und dem Wachtelei ergibt das einen Wohlfühlteller höchster Güteklasse, den ich glatt nochmal bestellen könnte. Vernünftigerweise unterlasse ich das und freue mich einfach, dass so eine Kreation es auf die Karte eines Restaurants wie diesem schafft.

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Wie so viele andere französische Grand Chefs betreibt auch Marc Haeberlin nicht mehr nur das Stammhaus in Illhaeusern. Unter anderem tragen drei Restaurants in Japan den Namen Auberge de l’Ill. Diese inspirieren Haeberlin, auch Einflüsse aus Übersee in seine Kreationen einzubauen. Das erste mal am heutigen Abend treten fernöstliche Aromen beim gebratenen Steinbuttfilet, Gemüsesaft mit Tee und kleiner Austernfrühlingsrolle in Erscheinung. Nicht nur die Aromen zeugen von dieser Inspirationsquelle, sondern auch die zurückhaltende Geschmacksstruktur. Bis zu diesem Zeitpunkt wohnte allen Gerichten eine handfeste Herzhaftigkeit inne, doch dieser Gang ist sehr zurückhaltend gewürzt, wirkt geradezu zart. Harmonie ist hier das oberste Gebot. Obwohl der Butt gebraten ist - und dadurch seine sanften Begleiter potenziell überlagert - geht der Fisch eine köstliche Verbindung mit seinen Mitspielern ein. Während die Auster ein wenig zusätzliche Meeresfrische einstreut, ist es der Tee, der alles punktgenau zusammenbringt. Er erinnert stark an eine Dashi, besitzt merklich Tiefgang, ist dabei aber so leicht, dass er teilweise flüchtig erscheint. Diesen Teller könnte man wohl noch lange weiter sezieren, doch letztlich bleibt nur eines festzuhalten: sehr, sehr gut.

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Von der modernen Seite der Auberge und dem aktuellen Küchenchef Marc geht es zurück in 1960er Jahre und zu seinem Vater Paul. Er kreierte das wohl berühmteste Gericht des Hauses, das Lachssoufflé „Auberge de l’Ill“. Seither wird es immer genau gleich zubereitet: eine Tranche Lachs wird von einer in Schiffchenform gebrachten Hecht-Farce überzogen. Auf einer gebutterten, gesalzenen und mit Schalotten-Brunoise bedeckten Kasserolle liegend wird das Gebilde mit Riesling und einer Fischfumet umgossen. Danach verschwindet das Schiff für 15 Minuten im Ofen. Anschliessend sattelt das Schiff auf einen Teller über, wo die mit Butter aufmontierte Sauce, eine Tomaten-Concassée sowie eine Blätterteig-Figur dazukommen. Alleine schon der Duft, der vom Teller aufsteigt, lässt auf etwas Grosses hoffen. Eine Hoffnung, die sich mit dem ersten Bissen bestätigt. Einfach atemberaubend, wie der Fisch mit der grandiosen Sauce und der luftigen Farce harmoniert. Alles andere als altbacken oder aus der Zeit gefallen, nein, das ist absolut zeitlos. Es wirkt auch überhaupt nicht schwer, trotz mundfüllender Opulenz, sondern isst sich relativ leicht. Sogar die etwas verloren wirkenden Beilagen tragen ihren Teil zum guten Gelingen bei. Mit dem Blätterteig kommt ein wenig Textur ins Spiel, während die Tomaten Säure und etwas Fruchtigkeit beisteuern, wenn man das denn möchte. Unfassbar gut und absolut zu recht im Kanon der wichtigsten (und besten) Gerichte aller Zeiten.

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Franko-japanisch geht’s weiter mit dem frisch geräucherten knusprigen Aal mit gebratenen Schnecken, Saké- und Wasabi-Crème. Das klingt erstmal ziemlich wild und irgendwie getreu dem Motto: was nicht passt, wird passend gemacht. Wie gut, dass Haeberlin ein Meister seines Fachs ist und solche Sperenzchen nicht nötig hat. Sehr zu meiner Überraschung funktioniert das Resultat dieser ungewöhnlichen Kombo nicht nur, sondern schmeckt absolut sensationell. Der fettige, fleischige, nur dezent rauchige Aal im Knuspermantel ist genauso voller Umami wie die saftigen, zarten und erdigen Schnecken. Dem Gegenüber steht die trockene Würze des Saké, die dank des Wasabi genügend Druck bekommt, um das ziemlich dichte Geschmacksbild aufzulockern und abzurunden. Einfach nur grossartig und gemeinsam mit dem Lachs das Duo, das es zu übertreffen gilt.

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Nach zwei unerhört guten Gängen hat es das gebratene Spanferkel-Karree mit gefülltem Schweinefuss und getrüffelten Linsen vom Ried schwer. Zwar ist das Schwein von sehr ansprechender Qualität und handwerklich tadellos zubereitet, jedoch kommt das Ganze auch ein wenig monoton daher. Neben der fehlenden Abwechslung mangelt es auch an Tiefe. Grundsätzlich bin ich ein grosser Befürworter davon, ein Produkt möglichst unverfälscht und ohne viel Brimborium in Szene zu setzen. Doch in diesem Fall fühle ich mich trotz der zweifellos guten Produktqualität und des tadellosen Handwerks eher an ein Déjeuner in einem guten Bistro erinnert, als an ein festliches Dîner in einem der weltbesten Restaurants. Solide und lecker, viel mehr aber auch nicht.

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Das sieht beim zweiten Hauptgang Rebhuhn "Romanoff" ganz anders aus. Der Name Romanoff bezieht sich auf den letzten Zaren von Russland. Der Lehrmeister von Marc Haeberlins Vater Paul, Edouard Weber, war der persönliche Leibkoch ebendieses Zaren. Deshalb hat Haeberlin Senior zu Ehren seines Mentors dieses Gericht kreiert. Oberflächlich (und optisch) mutet es sehr ähnlich an wie das Schwein zuvor. Allerdings überzeugen die Details hier voll und ganz. Die wunderbar saftige und geschmacklich intensive Keule des Wildvogels wird von einer komplexen, hocharomatischen und herrlich klebrigen Trüffelsauce umspielt. Etwas Foie gras darf natürlich ebenso wenig fehlen wie Pommes Maxim, damit man auch sicher satt wird. Dieses herbstliche Arrangement erfüllt alle Kriterien, die man an einen rundum gelungenen, klassischen Geflügelgang stellen kann. Ein erstklassiges Hauptprodukt, akkurates Handwerk und genügend Komplexität, damit auch für ein wenig Spannung gesorgt ist.

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Auch beim Dessert entscheide ich mich für einen weiteren Klassiker des Hauses: La Pêche Haeberlin. Erdacht wurde diese Kreation von Papa Paul in den 1960er Jahren und besteht aus einem pochierten und eingelegten Pfirsich, einem cremigen Pistazieneis sowie einer reichhaltigen Champagner-Sabayon. Das isst sich genau so, wie es sich liest - barock, schaumig, sehr süss, sehr fruchtig, nussig. In mir löst diese (im wahrsten Sinne des Wortes) Süssspeise eine geradezu kindliche Freude aus. Sie wirkt zwar so total aus der Zeit gefallen (wie auch der Lachs zuvor), ist dabei aber aufgrund der Qualität dennoch zeitlos. Zutiefst befriedigend und unbedingt wiederholenswert. Dabei bin ich eigentlich gar kein Freund von zuckrigen Fruchtbomben…

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Als die Petits Fours aufgetragen werden, merke ich, wie pappsatt ich mittlerweile eigentlich bin. Der Maître d’Hôtel, seit Jahrzehnten im Betrieb, zeigt sich wenig verwundert über meine Frage, ob ich die Petits Fours mit aufs Zimmer nehmen kann. Schliesslich, so seine süffisante Anmerkung, hätte ich mich einer ziemlichen Tour de Force hingegeben.

Die Auberge de l’Ill verfügt nicht nur über einen Grand Chef sondern ist im allerbesten Sinne auch ein Grand Restaurant. Hier darf der Gast noch Gast sein. Vielleicht sogar ein ganz klein bisschen König, wenn man so will. Kaum ein Wunsch, der hier nicht erfüllt wird. Das ist in anderen Restaurants natürlich auch so, doch in der Auberge de l’Ill begleitet der Service seine Gäste den gesamten Abend über mit einer dauerlächelnden Selbstverständlichkeit und selbstbewussten Entspanntheit, wie man es nur selten erlebt. Auch wenn der dritte Stern nicht mehr über dem Haus leuchtet, bewegt man sich in dieser Institution des guten Geschmacks weiterhin mit traumwandlerischer Sicherheit auf dem allerhöchsten Level der Gastfreundschaft.
Das alles nützt freilich nichts, wenn sich das Essen nicht auf ähnlich hoher Stufe bewegt. Abgesehen von den Amuses und dem Schwein tut es das schon. Die Kreationen aus der Haeberlin-Feder sind ganz einfach unvergänglich gut. Klar wirkt das Lachs-Soufflé oder der Pfirsich auf den ersten Blick ein wenig altmodisch, doch das Essvergnügen und der Geschmack sind es nicht. Genauso wie die Klassiker, wissen sowohl die moderneren Teller (Steinbutt, Aal) als auch die sehr rustikal anmutenden (Kutteln) zu überzeugen. Denn im Herzen ist alles ganz einfach Haeberlin und bei Haeberlin gewinnt schliesslich die Qualität. Sowohl bei den Produkten als auch im Handwerk. Ganz nebenbei sorgen sie für eine sehr abwechslungsreiche Karte, die, wie eingangs erwähnt, einfach richtig Lust macht, sie komplett rauf und runter zu essen.
Das hole ich dann beim nächsten Besuch nach. Denn eines ist klar, ob die Auberge de l’Ill nun zwei oder drei Sterne hat, ein Besuch in diesem wunderbaren Restaurant rechtfertigt auf jeden Fall eine Reise.


L’Auberge de l’Ill
2 rue de Collonges au Mont d'Or
68970 Illhaeusern
Frankreich
+33 3 89 71 89 00
Website

 

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Informationen zu unserem Umgang mit Pressekonditionen findest du in den FAQ.