Oustau de Baumanière (Glenn Viel) - Les Baux-de-Provence
Oustau de Baumanière (Glenn Viel) - Les Baux-de-Provence
Drei Sterne vegetarisch
Satte Farben, überraschende Formen, betörende Düfte, rundherum bleibende Eindrücke, geprägt von einem gänzlich eigenständigen Charakter. Das sind nicht etwa die Impressionen meines ersten Mittagessens im Oustau de Baumanière. Es ist das erste Bild der Provence rund um Les Baux-de-Provence, bevor ich überhaupt ins Hotel Baumanière einchecke.
Eingebettet in zerklüftete Berge aus Kalkstein und wildwachsende Flora, erstreckt sich das Hotel über mehrere Gebäude und auf einer Gesamtlänge von über einem Kilometer. Mein Zuhause für eine knappe Woche nennt sich La Guigou (siehe Bild unten). Ein hübsches, kleines provenzalisches Landhaus mit lediglich 5 Zimmern, das inmitten von Olivenbäumen ruht und einen herrlichen Blick auf das Dorf Les Baux-de-Provence bietet. Es liegt in etwa mittig zwischen dem Haupthaus des Hotels und dem Oustau de Baumanière.
Der geneigte Gast lässt sich vom Hotel mit dem hauseigenen Shuttle ins Restaurant fahren. Ich gönne mir einen 15 minütigen Spaziergang zum dreifach besterntem Restaurant. Den Appetit anregen, dabei die spektakuläre Natur geniessen und darüber sinnieren, was das erste von zwei Mittagessen bei Glenn Viel wohl bereithält. Den Küchenchef des Oustau de Baumanière kennt man in Frankreich nicht nur aufgrund der drei Macarons, die er hier 2020 erkochte, sondern auch als Juror bei der TV Sendung Top Chef.
Es ist zugig und kühl auf dem Weg zum Restaurant. Der Wind peitscht hier stellenweise regelrecht durch die Landschaft, wovon die faszinierenden Formen des Gesteins zeugen. Die Sonne zeigt sich zwar, ist jedoch mehr eine Idee als Realität an diesem Mittag.
Den Apéro gibt es trotzdem erstmal draussen. Die Karten werden gereicht. Man offeriert zuerst glasweise eine beliebig wirkende Auswahl von Champagnern mit klangvollen Namen, für die ich mich jedoch nicht begeistern kann. Nach Rücksprache mit dem Service steht schliesslich ein Glas Grains de Celles Extra Brut von Pierre Gerbais auf dem Tisch, das hier fast soviel kostet, wie eine ganze Flasche in einem Weinshop im nächstgelegenen Dorf, wie ich am nächsten Tag feststelle. Frankreich, drei Sterne, tant pis. Dass man sich bei der ersten flüssigen Visitenkarte nicht etwas mehr Mühe gibt, verwundert aufgrund des üppig bestückten Weinkellers, der mehr als 50’000 Flaschen beherbergt, dennoch ein wenig. Alternativen wären schliesslich da. Eine vermeintliche Nachlässigkeit, die mich aber nur kurz beschäftigt. Immerhin weckt der Schaumwein in mir die Lust, das Essen mit einer Flasche Champagner zu begleiten. Les Pierrieres 2017 von Ulysse Collin wird sich auch heute als sichere Bank erweisen, wenn es um knochentrockenen Schaumwein geht.
Obwohl ich mich bereits für das vegetarische Menü entschieden habe, lässt es sich der Chef nicht nehmen, mit einem zünftigen Trio vom Schwein zu starten. Dafür gibt’s eine eigens entworfene lederummantelte Box in Form eines Buchs. Obenauf liegt ein überraschend elegantes Blutwurst-Tartelette. Im Buch links befindet sich ein knuspriges Schweineohr mit ‘Schweinecrème’ und Kapern sowie rechts ein ebenfalls knuspriges Tapioka mit hauchdünnem Speck. Selten zuvor habe ich diese rustikalen Zutaten so elegant und zurückhaltend inszeniert serviert bekommen. Verheissungsvoll.
Für den restlichen Lunch werde ich nach drinnen gebeten, da sich Regen ankündigt und der Wind auch unangenehm garstig wird. Ohne weitere Umschweife oder Amuses startet das Menü mit Tomate und Olivenöl. Die Tomate wurde dekaniert, übrig bleibt eine leichte, schaumartige Masse. Dieses Dekantat liegt in einem fruchtigen Olivenöl aus lokalen schwarzen Oliven. Maximal reduziert auf zwei Zutaten schafft Viel ein durchaus reizvolles Gericht. Allerdings wurde der Tomate durch die Zubereitung ihre inhärente sonnige Fruchtsüsse nahezu komplett entzogen. Sprich, sie schmeckt eher wie ein würziges Kompott oder eine eingekochte Pastasauce. Die fehlende Fruchtigkeit wird zwar durch das Öl ein wenig ausgeglichen, doch insgesamt ist das eher gut als grossartig. Es wird übrigens zu jedem Gang ein anderes Brot serviert. Hier eine kleine Brioche, die ich schon viel besser gegessen habe und deren Sinn sich mir im Kontext dieses Gerichts auch nicht wirklich erschliesst.
Das Rote Bete Brot macht als Begleiter bei der nun folgenden Rote Bete mit Zitrfrüchten und Estragon viel mehr Sinn. Viel wichtiger als das Gebäck ist aber natürlich der Hauptteller. Die Bete wird für zwölf Stunden sanft in einer Salzkruste gegart, von ihrer Einfassung befreit, um danach nochmals im Ofen mit etwas Tomate und Salz gebacken zu werden. Danach wird sie in grosse Späne geschnitten und versucht, durch die Schnittform eine eigenständige Textur zu erzeugen. So weich wie möglich, dabei aber einen gewissen Biss behaltend. Dazu gesellen sich ein paar Stücke rohe Rote Bete. Angemacht wird die Knolle mit einer Vinaigrette aus drei Zitrusfrüchten und etwas Estragon. Die Textur der Knolle ist wirklich einmalig. Irgendwo zwischen perfekt gegartem Kalbsentrecôte und dicken Scheiben getrockneter Mango. Durch den langsamen Garprozess wurde zudem die erdige Süsse enorm intensiviert. Da braucht es die pointierte, aber niemals aufdringliche Säure der Zitrusfrüchte als ausbalancierendes Element, das die nötige Leichtigkeit ins Spiel bringt. Getragen wird das Ganze von einem perfekt dosierten Hauch würzig-mystischen, ebenfalls leicht süsslichen Krauts, das jeden Bissen in eine sanfte Wolke bettet. Beeindruckend.
Simplistisch wirkt auch Kopfsalat. Alltägliche Produkte wie dieses versprechen in den Händen eines begnadeten Chefs oftmals erwartbar unerwarteten Hochgenuss. Der Salat wird zwar als “unter Druck gekocht” annonciert, wurde in Tat und Wahrheit aber nie erhitzt. Er wird vorsichtig Schicht für Schicht geöffnet, um anschliessend mit konfierten Tomaten, konfierten Zitronen, Fenchel sowie Basilikum gespickt zu werden. Dann wird der Salat in einer Plastikfolie in Form gedreht, vakuumiert und schliesslich für 24 Stunden im Kühlschrank “gegart”. Angerichtet wird das Gemüse auf einer Rucolasauce mit Granny Smith Apfel. Ähnlich wie bei der Bete zuvor überzeugt die Küche wieder mit ihrem Ideenreichtum, die dem Gast ein wirklich ungewöhnliches Erlebnis bietet. Ganz ohne dabei das Storytelling in den Vordergrund zu rücken und darüber das Wichtigste zu vergessen: dass die Wahrheit auf dem Teller liegt und nicht in der Geschichte drumrum. Und die Wahrheit besagt in diesem Fall, dass das wiederum sehr gut ist, jedoch nicht begeisternd.
Bei den nun folgenden Champignons mit Aprikose werden die Pilze links roh präsentiert, rechts als frittierter Zylinder, der optisch an einen Corndog ohne Stiel erinnert. Champignons werden in der französischen Hochküche nicht so sträflich vernachlässigt, wie das in anderen Regionen der Fall ist. Und das ist auch richtig so. Das zart-elegante Umami, die Erdigkeit und Fleischigkeit dieser Pilze ist ganz einfach köstlich und noch dazu sind sie sehr versatil einsetzbar. Hier nehmen sie klar die Hauptrolle ein, ihr Geschmack wird durch die kräftige, tiefe Jus zusätzlich akzentuiert. Als besonderer Clou erweist sich jedoch die Aprikose, die sich, wie im Menü beschrieben (“une touche d’abricot”), einen zarten Hauch fruchtsüsser Säure beisteuern und dem Ganzen dadurch einen so vortrefflich passenden wie ungewöhnlichen Twist verleihen. Sehr schön.
In knapp zehn Jahren hinterm Herd hat Glenn Viel im Oustau schon einige Klassiker etabliert, wie mir gesagt wird. Unter ihnen die symbolträchtige Pizzaladière. Eine Melange aus Pizza und dem vor allem in Nizza sehr beliebten und verbreiteten “Zwiebelkuchen” Pissaladière. Die Pizza wird vor allem in Form des Teigs, der allerdings hauchdünn und knusprig ist, und durch die Tomatensauce sowie das Basilikum repräsentiert. Von der Pissaladière stammt die würzig-erdige Süsse der Zwiebeln. Das ist im Kern ein simples, aber dabei erneut handwerklich beeindruckendes Konglomerat bescheidener Produkte. Gleichzeitig zweifellos das komplexeste und trotz oder gerade wegen seiner vermeintlich vertrauten Einfachheit befriedigendste Gericht des Lunchs. Ebenso bildet sie auch bereits den Abschluss des übersichtlichen herzhaften Menüteils.
Der Käsewagen ist mit fünf Erzeugnissen angenehm übersichtlich bestückt, was mich zum Probieren aller Sorten verleitet.
Den Einstieg in die süsse Welt von Pâtissier Brendan Dehan macht Stangensellerie, gefrorener Joghurt und einige Kräuter. Der zu einer delikat-luftigen Meringue verarbeitete Sellerie wird von der cremigen Säure des Joghurts vorzüglich ergänzt. Die Kräuter bringen zusätzliche Frischeakzente ins Spiel. Perfekte Proportionen, spannende Kontraste, kurzum: absolut köstlich.
Karotte spielt die Hauptrolle beim zweiten Dessert. Kombiniert wird sie mit Vanille und Eisenkraut. Die Möhre wird mit Honig kandiert, dazu gibt es sie als Sauce und als getrocknete Späne. Eine Vanillecrème erweist sich als kongenialer Mitspieler, während das Eisenkraut seinen Einsatz als trinkbares Granité feiert. Magisch dürfte das treffendste Wort sein, um den ersten Bissen konkret zu beschreiben. Kurzzeitig wähne ich mich im Gemüsedessertschlaraffenland, so gut schmeckt das. Leider verfliegt meine Begeisterung bei der dritten Gabel bereits wieder. So schnell mich diese Kombo für sich eingenommen hat, so schnell verliert sie auch wieder ihren Reiz. In Summe zu plump und zu süss, um nachhaltig begeistern zu können. Schade, denn der Anfang war unfassbar gut und hätte das Potenzial zur Süssspeise des Jahres gehabt.
Die Mignardises drehen sich um lokale Milcherzeugnisse und bieten zum Schluss unkompliziertem Wohlfühlgenuss.
Als ich den letzten Schluck Champagner ausgetrunken habe und den Weg zurück zu meinem Zimmer schlendere, fällt das Fazit meines ersten Lunchs im Oustau de Baumanière verhalten aus. Aus handwerklicher Sicht war das vegetarische Menü von Glenn Viel (und Pâtissier Brendon Dehan) beeindruckend und nahezu makellos. Rein auf den Genuss bezogen bewegte sich der Lunch jedoch immer maximal im sehr guten Bereich. Es fehlte an Komplexität und Tiefe. Zusätzlich war kein einziges Gericht dabei, welches einen nachhaltigen Eindruck hinterliess und das ich unbedingt wieder essen möchte. Des Weiteren fiel ein gewisses repetitives Element negativ ins Gewicht. Bei drei von fünf Tellern nahm die Tomate eine mehr oder weniger grosse Hauptrolle ein (Tomate, Salat, Pizzaladière). Noch dazu nicht in wirklich unterschiedlichen Formen und Facetten, welche die Tomate ja durchaus zeigen kann, sondern immer in einer kräftigen Art und Weise, die sehr dominant wirkt und nachhallt. Ich störe mich grundsätzlich überhaupt nicht an wiederkehrenden Elementen in einem Menü, beispielsweise mehrere unterschiedliche Spargelpräparationen während der Saison, doch dann gerne mit einer gewissen geschmacklichen Abwechslung inszeniert oder zumindest so dosiert, dass kein negatives Echo haften bleibt. Und wieso nicht ein tolles Produkt ein wenig puristischer, sprich, naturbelassener präsentieren? Generell erfüllten die Produkte nicht die allerhöchten Ansprüche oder wurden so verfremdet, dass man die vielleicht bessere Grundqualität kaum mehr ausmachen konnte. Trotz des vielleicht besten Zwiebelkompotts, das ich jemals gegessen habe.
Auf der einen Seite war das erste Essen bei Glenn Viel ernüchternd. Auf der anderen Seite zeigt alleine die handwerkliche Brillanz, wieviel Potenzial in der Küche steckt. Deshalb bin ich weiterhin guter Dinge und vor allem voller Vorfreude auf mein zweites Essen. Fortsetzung folgt.
Les Pierrières 2017 Ulysse Collin
Oustau de Baumnière
Mas De Baumanière
13520 Les Baux-de-Provence
Frankreich
+33 (0)4 90 54 33 07
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