Oustau de Baumanière (Glenn Viel) - Les Baux-de-Provence

Oustau de Baumanière (Glenn Viel) - Les Baux-de-Provence

Im Handwerk liegt die Kraft

Zwei Tage sind seit meinem etwas ernüchternden ersten Mittagessen im Oustau de Baumanière (zum Bericht) ins Land gezogen. In dieser Zeit habe ich die wunderschöne Provence erkundet. Eine Region, die definitiv eine Reise wert ist. Ob ich das nach dem zweiten Lunch bei Glenn Viel endlich auch über sein dreifach besterntes Restaurant Oustau de Baumanière sagen kann, werde ich im Laufe des Mittags rausfinden.
Obwohl die Sonne scheint, ist es wegen eines unangenehmen Windes relativ kühl. Genau das richtige Wetter für den erneuten Spaziergang zum Restaurant. Aber nicht, um wie vor zwei Tagen auf der Terrasse zu essen. So sitze ich heute direkt am Fenster, den Blick auf die leere Terrasse und den verwaisten Pool vor mir. Um 12.15 Uhr bin ich bereits einer der letzten Gäste, der eintrifft. Nur der Tisch neben mit ist noch frei, wird aber, während ich in der Menükarte stöbere von einem älteren englischen Paar besetzt. Da das Oustau de Baumanière sein à la carte Angebot gestrichen hat, war bereits vorgestern klar, dass ich heute das grosse Menü ‘La Ballade En 10 Temps” probieren werde. Sehr zu meiner Überraschung hat sich die Auswahl der Speisen in den letzten 48 Stunden allerdings stark verändert. Auf meine Nachfrage erklärt der Maître, dass dieses Menü jeden Tag angepasst werde. Nicht komplett zwar, aber immerhin die Hälfte der Gänge wurde ausgetauscht.
Nach einem kurzen Austausch mit dem Sommelier steht auch die Weinauswahl - Meursault Clos de la Barre 2011 von den Domaines des Comtes Lafon. Es kann losgehen.

Der heutige Gruss aus der Küche besteht wieder aus drei Amuses, die sich dem Thema Meer widmen: Gurke mit Schrenckii Kaviar (in der Austernschale) - Salicorn Tartelette - Cookie mit Muschel und Mascarpone. Was alle drei Happen eint, ist eine gewisse Grobschlächtigkeit und der Hang zu einer sehr weichen, cremigen Textur. Trotz Tartelette und Keks, die beide natürlich eine gewisse Knusprigkeit beisteuern, aber eben nicht genug. Auch die Geschmacksbilder sind insgesamt eher plump und wirken unausgegoren.

Ganz anders sieht das bei den Schnecken aus St. Rémy de Provence mit Knoblauch und Champignon Jus aus. Hier macht Glenn Viel alles richtig. Herrlich saftig und fleischig sind die Schnecken aus dem Nachbardorf - in dessen lokaler Nervenheilanstalt übrigens einst ein gewisser Vincent van Gogh Patient war, nachdem er sich sein linkes Ohr fast vollständig abgeschnitten hatte und dort einige seiner wichtigsten Werke, wie beispielsweise die Sternennacht, malte. Doch zurück zum Essen. Umspielt werden die Schnecken von einem federleichten Knoblauchschaum, der sie mit seiner erdig-würzigen Süsse hervorragend akzentuiert. Ebenso wie die kräftige Pilzjus, die für einen erdig-substantiellen Unterbau sorgt und die Brücke zu den ebenfalls leicht erdigen Schnecken schlägt. Das ist in seiner süffigen Simplizität einfach zum Weglöffeln gut.

Bei der Rotbarbe mit knusprige Schuppen, Rahm und Socca ist der Fall nicht ganz so klar. Vorne liegt ein kleines Stück rohe Barbe, das optisch an eine geradegerückte Garnele erinnert. Dieser Fisch ist im Allgemeinen nicht dafür bekannt, roh gegessen zu werden, und war über einige Generationen sogar als Abfallfisch verschrien, der bestenfalls im Fritto misto landete. Doch dieses kleine Stück Fleisch lässt beim Probieren am Urteilsvermögen der Generationen vor uns zweifeln. Eine unglaubliche Reinheit und Frische zeichnen das Fleisch aus. Zarte Anklänge an salzige Gischt und pures Tiefseewasser, gepaart mit einer zarten Nussigkeit. Unfassbar lecker und ein qualitativer Augenöffner. Das kann man von der Mousse auf dem grossen Teller hingegen nicht behaupten. Enorm intensiv schmeckt diese weiche Masse aus Knochen, Schuppen sowie der Leber des Rouget, die zusätzlich mit Muschelsaft sowie einem ordentlichen Schluck Pastis abgeschmeckt wurde. Begleitet wird die Mousse, aus mir vollkommen unerklärlichen Gründen, von einem Tupfen (zugegebenermassen exzellenten) Rahm. Ganz hervorragend und nachvollziehbar ist hingegen wieder das Socca, ein knuspriges Gebäck auf Kichererbsenbasis.

Die Tartine von mediterranen Sardinen mit Crèmeux von getoastetem Brot zählt, wie einige andere Kreationen, die ich heute und auch beim vergangenen Lunch serviert bekommen habe, zu den Klassikern der kurzen aber sehr erfolgreichen Geschichte von Glenn Viel im Baumanière. Für dieses Gericht werden die Sardinen in etwas Olivenöl und Zitrone mariniert, um anschliessend mit einer Art Buttermilchlack und gepulverten Toast überzogen zu werden. Am Tisch wird eine stark reduzierte Sardinenjus angegossen. Ganz nebenbei weist der freundliche Service darauf hin, dass man den knusprigen Kopf mitessen soll. Ein sehr mutig umgesetztes Ensemble, das vor allem auch durch die enorm intensive Jus in eine sehr herb-maritime Richtung gelenkt wird. Das dürfte, bei aller zweifellos vorhandenen Qualität, nicht jedermanns Sache sein. Auch mich holt es in diesem Moment nur bedingt ab. Ich frage mich, ob das besser schmecken würde, wenn es heiss serviert werden würde. Denn das Ganze ist, wohl beabsichtigt, nur lauwarm. Was den Genuss in meinen Augen erheblich schmälert.

Weiter gehts mit einem neckischen Twist auf den klassischen Croque Monsieur. Viel klemmt zwischen die saftig-buttrigen und angenehm knusprigen Toastscheiben allerdings Kabeljau und nennt seine Interpretation folgerichtig "Croque Cabillaud". Dazu wird eine Crèmeux von Estragon serviert. Das bietet unkomplizierten und kurzweiligen Genuss, ist jedoch in seiner Umsetzung allzu simplistisch. Anders gesagt, es fehlt an Spannung, Tiefe und Komplexität.

Viel, viel besser ist der Hummer mit Rote Bete. Hummer ist, teilweise zurecht, etwas in Verruf geraten. Gerade in den Hochküchen dieser Welt wurde in den vergangenen Jahren oftmals eher auf Langoustine, Carabinero oder dergleichen gesetzt, wenn es um hochklassiges Krustentier ging. Doch dieses nahezu perfekt zubereitete, sehr zarte Exemplar zeigt, dass ein exzellenter Hummer auch reizvoll sein kann. Statt den Edelkrebs mit einer säuerlichen Beilage zu kontrastieren, betont Viel den Eigengeschmack des Meerestiers durch die inhärente Süsse der Bete. Den Kontrast bringt der Küchenchef mit der erdigen, fast rustikal anmutenden Dumpfheit der Rübe und einem knackigen Beetsalat auf den Teller, der dann doch noch etwas Säure ins Spiel bringt. Zu guter Letzt sorgt auch die ausgezeichnete Sauce für ein rundum gelungenes Ganzes.

Auf der Karte angekündigt mit “Agneau de lait, le vrai!”, stiftet diese Aussahe bei mir erstmal Verwirrung. Ich versuche in Erfahrung zu bringen, was genau das bedeuten soll. Mir wird erklärt, dass dieses Milchlamm aus Spanien kommt, da es wohl ein Gesetz gibt, das die Aufzucht des echten Milchlamms in Frankreich verbietet. Auch wenn mir diese Information nicht weiterhilft - auch eine kurze Google-Suche bringt keine entsprechenden Informationen zu Tage - widme ich mich nun dem Fleisch, begleitet von Spinat mit Algen und einer Lamm Jus “Marinière”. Das Lamm ist naturgemäss sehr zart und schmeckt auch sehr gut, ist aber bei weitem nicht die Referenzqualität, die man nach so einer vollmundigen Ankündigung vielleicht erwartet hätte. Dafür ist die Beilage umso besser. Während sich die Algen als Geschmacksbooster erweisen und durch ihr maritimes Umami eine ganz eigene Note einbringen, erweist sich die gehaltvolle, aber nicht zu kräftige Jus als verbindende Basis, die mit ihrem sehr subtilen Meeresgeschmack (der von den Muscheln in der Sauce herrührt) den spannenden Akkord verstärkt.

Am Tisch wird eine Taube präsentiert, die straff eingepackt in ein Heubündel gegart wird. Nachdem sie zurück in der Küche verschwunden ist, taucht sie kurz darauf fertig angerichtet wieder auf. Im Detail handelt es sich um die herrlich tiefrote Brust begleitet von den Innereien, die Viel in einem Blatt zusammengerollt und mit einer Lavendeljus umgarnt hat. Lavendel ist ein diffiziles Würzelement, das sorgfältig dosiert werden muss. Wenn das gelingt, entfaltet der unnachahmliche Duft gerade in Kombination mit kräftigerem Fleisch wie Wild oder eben Taube seine einzigartige Vielschichtigkeit. Genau wie hier. Eng verwoben verschmelzen Fleisch und Sauce zu einem kongenialen, ungeheuer intensiven Ganzen, dessen Kraft sich mit jedem Bissen der Innereien noch steigert. Ein Hochgenuss in seiner betörenden Andersartigkeit.

Der Käsewagen darf auch heute nicht fehlen.

Zur Erfrischung wird ein Tartelette mit Tomate und säuerlich angemachtem Tomatensaft gereicht. Das ist mir allemal lieber als ein zu süsser Rachenputzer. Der Sinn dieser Intermezzi sei an dieser Stelle aber noch einmal hinterfragt.

Bereits zu Beginn des Lunchs musste ich mich für ein Dessert aus der Karte entscheiden. Die Wahl fiel auf Heidelbeere, Basilikum, Joghurt und Zitrone. Ich liebe Heidelbeeren. Auch das Arrangement, dem das grüne Kraut einen willkommenen kleinen Twist verleiht, ist im Grunde so einfach wie stimmig konzipiert. Doch schon nach zwei, drei Bissen wird klar, dass die Süsse viel zu dominant ist. Die Baisers, der Beerenspiegel, die kandierten Elemente, in der Summe ist das auf Dauer fast klebrig süss. Sehr schade, denn ich hatte mich richtig auf das Dessert und “klassisches” Pâtissier-Handwerk gefreut.

Die Friandises wechseln nicht wie das Menü auf täglicher Basis und sind dieselben, die ich bereits vor einigen Tagen genoss. Heute wirken sie aufgrund des enttäuschenden Desserts allerdings noch einen Hauch besser.

Glenn Viels omnivores Menü hat mir um einiges besser gefallen als seine rein pflanzenbasierten Kreationen. Doch vollständig überzeugt hat mich auch das zweite Mittagessen nicht, obwohl das Handwerk fast durchweg brillant ist. Die Küche des gebürtigen Bretonen ist zu erratisch. In den schwächsten Momenten versprüht sie keinen wirklich hochstehenden Genuss. Doch selbst in den besten Momenten kommt sie kaum einmal über das Prädikat sehr gut hinaus. Klar, die beiden Fleischgänge heute, der Hummer oder auch das Produkthighlight in Form der Rotbarbe waren allesamt sehr gelungen und äusserst schmackhaft. Allerdings ist mir von den zwei verschiedenen Menüs mit insgesamt 19 verschiedenen Gängen keine Kreation nachhaltig in Erinnerung geblieben - ausser der Barbe selbst, die aber auch nur auf einer, natürlich hervorragenden, Produktauswahl beruht.
Auch wenn ich einige der Kreationen bei passender Gelegenheit gerne noch einmal essen würde, gab es keinen einzigen Teller, den ich unbedingt noch einmal essen muss. Der mich durch seine unwiderstehliche Köstlichkeit nachhaltig beeindruckte. Und der in mir den unbedingten Wunsch weckte, so schnell wie möglich wieder ins Oustau de Baumanière zurückzukehren. Bei aller unbestrittenen Qualität der Küche von Glenn Viel ist das für ein Drei-Sterne-Restaurant doch eine ernüchternde Erkenntnis.
In die Provence werde ich mit Sicherheit mal wieder reisen. Allerdings denke ich nicht, dass ich dann für ein drittes Essen ins Oustau de Baumanière einkehre.


Meursault Clos de la Barre 2011 Domaines des Comtes Lafon


Oustau de Baumnière
Mas De Baumanière
13520 Les Baux-de-Provence
Frankreich
+33 (0)4 90 54 33 07
Website

 

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Informationen zu unserem Umgang mit Pressekonditionen findest du in den FAQ.