Wöschi (David Klocksin) - Zürich
Wöschi (David Klocksin) - Zürich
Casual Fine Dining am See
Es gibt sie noch, die Chefs von besternten Restaurants, die eher unter dem Radar fliegen. David Klocksin ist so einer. Im 20/20 in Zürich erkochte er 2019 das begehrte Macaron und basierend auf einem Dinner (ohne Bericht), war schon damals für mich unverständlich, warum man nicht mehr über ihn gelesen hat. Seine akkurate und aufwändige Küche rief nicht umsonst Erinnerungen an Christian Bau wach, bei dem er eineinhalb Jahre in der Küche stand.
Nach einem Sabbatical, das ihn einmal um die halbe Welt geführt hat, ist er seit Ende 2022 zurück in Zürich. Gemeinsam mit seiner Partnerin Stephanie Ospelt hat er die Wöschi in Wollishofen gepachtet, ein zweistöckiges Restaurant mit deckenhohen Glasfenstern an bester Lage direkt an den Ufern des Zürichsees. Solche Restaurants ziehen das Publikum - nicht nur in Zürich - eher wegen der Lage und Aussicht, als wegen der Küche an. Klocksin ist dabei, das zu ändern. Die Gerichte sollen zwar, ganz im Geiste des propagierten Casual Fine Dining, unkompliziert sein, dabei aber dennoch hohen Qualitätsansprüchen genügen. Wer einmal mit Klocksin gesprochen und früher bei ihm gegessen hat, weiss, dass das keine leeren Versprechen sind. Die Zeiten von Züri Gschnetzlets mit Rösti oder Egli im Bierteig sind in der ehemaligen Wäscherei am See passé, man verfolgt hier nun ambitioniertere kulinarische Ziele. Ich bin sehr gespannt darauf, wie genau das aussieht und schmeckt.
Auf Amuses verzichtet man in der Wöschi. Auch aus praktischen Gründen. Stattdessen gibt es ein sehr gutes Brot vom KölliBeck mit einem Hüttenkäse- sowie einem Randenaufstrich. Es braucht keine Armada von Kleinigkeiten, um richtig Lust auf die kommenden Stunden zu machen. Das schafft auch dieser gelungene Einstieg problemlos.
Ein Gericht, das bereits an Klocksins alter Wirkungsstätte immer auf der Karte stand, eröffnet das Menü. Für das ‘Gemüse 23’ werden unterschiedliche Gemüse fermentiert, gepickelt und roh mariniert serviert, heute zusätzlich begleitet von Pilzen und Yuzu. Ein Einstieg wie aus dem Bilderbuch. Reichlich Säure, knackiger Biss, eine pointierte Herbheit, die immer wieder durch kräuterige Frische aufgelockert wird. Alles an diesem Teller springt einen förmlich an, schreit Frühling, Aufbruchstimmung und fordert den Esser dazu auf, auch noch den letzten Rest der Sauce auszulöffeln. Wenn das Besteck seinen Dienst getan hat, setzt man den Teller für die finalen Tropfen direkt an die Lippen an, so sehr wird man von diesem Einstieg angestachelt. Herrlich simpel und unprätentios, dennoch mit genügend Komplexität und Tiefe versehen. Moderne Gemüseküche voll auf den Punkt gebracht.
Beim handgeschnittenen Tatar vom Zürcher Rind mit Spiegeleischaum, Wildkräutersalat, Homemade Pickles und geröstetem Walnussbrot sticht zuerst die grosszügig portionierte Menge Fleisch ins Auge. Sehr stattlich und ein wenig einschüchternd, schliesslich stehen danach noch vier Gänge an. Wie dem auch sei, Klocksin lebt die Attribute, die seine Küche ausmachen, bei diesem Teller noch prononcierter als beim Gemüse zuvor aus. Salzigkeit, Würzung, Säure, alles bewegt sich am oberen Ende der Intensitätsskala. Jedoch immer, ohne dauerhaft zu stark in den roten Bereich vorzupreschen. Zwar droht das Fleisch gelegentlich ein wenig unterzugehen, doch der Chef kriegt immer noch die Kurve. In seiner andersartigen Eigenständigkeit sehr stimmig inszeniert, überzeugt dieses Tatar sogar jemanden wie mich, der diesem durch Escoffier salonfähig gemachten Klassiker nur in seltenen Fällen wirklich etwas abgewinnen kann. Was in sich bereits eine Leistung ist. Wer kann, der kann. Besonderes erwähnenswert ist übrigens auch das Brot. Kein staubtrockener Toast, der nach nichts schmeckt, sondern ein krachend-knuspriger Hochgenuss, der das Tatar nicht nur texturell sondern auch geschmacklich bereichert. Die Details machen oft den entscheidenden Unterschied…
Südostasien fest im Blick hat der geröstete Blumenkohl mit Duftreissauce, Erdnusscrème, Curry, Sesam und Zitrusfrüchten. Die Zutaten suggerieren erneut ein Vollgasgericht, allerdings bieten die kräftigen Aromen aus Fernost eine zwar dicht gewobene, dabei aber fein austarierte und trotz aller Kraft fast schon zart wirkende Unterlage für den Hauptdarsteller. Und das ist der bescheidene Blumenkohl. Der Chef entlockt dem milden Kreuzblütler jedes noch so kleine Fitzelchen Geschmack, das in ihm steckt. Deswegen und auch aufgrund der kräftigen Röstaromen kann er sich in der üppigen Aromenwelt problemlos behaupten. Das Beste am Gemüse ist jedoch das Texturspiel. Die Röschen butterzart aber nicht zerfallend, die kleinen Strunkstücke dagegen mit reichlich Biss. Ein Stück Blumenkohl an gegenüberliegenden Enden der Zartheitsspektrums, wenn man so will. In Summe nahe an der Perfektion (lediglich der Reis dürfte eine gewichtigere Rolle spielen) und ein Erlebnis, das den Besuch in der Wöschi lohnt.
Weiter geht’s mit einer Tranche vom norwegischen Heilbutt. Begleitet wird der Fisch von unterschiedlichen Zubereitungen des Hokkaidoskürbis, Miesmuscheln (als Sauce) sowie kleinen, luftig-leichten und ultraknusprigen Flocken gepuffter Schweinehaut. Für die Sauce werden die Muscheln im Sud sehr stark eingekocht, was in einer enorm wuchtigen und dichten Reduktion mündet. Für sich genommen fast zu viel des Guten. Doch die erdige Süsse des Kürbis sorgt für die nötige Balance, während die Schweinehaut den Plattfisch wie Flocken von Fleur de Sel mit hintergründigem Schweinecrunch akzentuieren. Trotz der satt gesalzenen Sauce braucht der Fisch das Schweinesalz, um sich im Dickicht seiner Mitspieler behaupten zu können. Sehr eigenwillig und erneut sehr gut.
Während das bisherige Menü einer Mini-Weltreise glich, kehrt Klocksin beim Hauptgang wieder zu seinen Wurzeln zurück. Es gibt Sauerbraten vom Zürcher Rind mit Bergkartoffel, Zwiebel und Knoblauch. Ich nehme es gleich vorweg: das ist der beste Sauerbraten, den ich jemals gegessen habe. Das einen Tag lang geschmorte Rind ist herrlich saftig und wunderbar mürbe, so dass es wortwörtlich auf der Zunge zergeht. Zusätzlich wartet sowohl das Fleisch als auch die abermals hervorragende Sauce mit einer herben Säure auf. So, wie es sich für dieses Gericht gehört, aber leider viel zu selten auf dem Teller landet. Das Beiwerk ist hier wirklich nur Beilage, doch so sorgfältig zubereitet, dass es dennoch nicht zur Nebensache verkommt. Omas Klassiker auf dem nächsten Level. Grossartig.
Halbe Sachen sind nicht das Ding des Chefs. Deshalb rappelt es auch beim Dessert Joghurt und Limette, Passionsfrucht, Mandarine, Mandeln und Olivenöl nochmals ordentlich. Und das will ich ausdrücklich positiv verstanden wissen. Wie Klocksin die gesamte Klaviatur der Zitrusfrüchte - von intensiven Säurespitzen über frische Fruchtsüsse bis zu ausladender Exotik - bespielt, ist einfach nur fantastisch. Mit den Mandeln setzt er nussige Akzente, während das Olivenöl das Konstrukt ein wenig aufbricht und so für einen originellen wie passenden Kontrapunkt sorgt. Verbunden wird alles durch den Joghurt, der mit seiner kühlen Üppigkeit zudem einen luxuriösen Anstrich reinbringt. Erneut richtig, richtig gut und ein krönender Abschluss.
Klocksin kocht in der Tat herrlich unkompliziert, ohne dabei aber einen gewissen “Grundaufwand” zu scheuen, den es für eine hochstehende Küche einfach braucht. Der Teller lügt nicht, wie man so schön sagt. Und die Wahrheit ist in diesem Fall simpel: in der Wöschi bekommt man Klocksin pur. Weltoffene Gerichte, mit kühn ausgelebter Intensität, die dabei jedoch nie das Wesentliche aus den Augen verlieren und immer auf fundiertem Handwerk fussen. Nur alles eine Spur einfacher und rustikaler als bei seiner letzten Station. Dadurch spricht er die goldene Mitte von Gästen an. Die, die hauptsächlich wegen seiner Küche hier einkehren ebenso wir diejenigen, denen die spektakuläre Lage letztendlich wichtiger ist.
Eines ist nach dem ersten Dinner schon sonnenklar: in Zürich, direkt am See, ist die Wöschi bereits jetzt die erste Adresse. Mit Abstand. Und das ist erst der überaus geglückte Anfang der neuen Wöschi.
Wöschi
Seestrasse 457
8038 Zürich
Schweiz
+41 (0)43 243 18 89
Website
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