Skin's The Restaurant (Kevin Romes) - Lenzburg
Skin's The Restaurant (Kevin Romes) - Lenzburg
Zwischen Kopf und Bauch
Von Null auf Zwei. In vier Monaten. Im Kanton Aargau. Diese drei Fakten sind im Michelin-Kosmos höchst ungewöhnlich. Erbracht hat diese Leistung der Deutsche Kevin Romes - in seiner ersten Anstellung als Chef de Cuisine - mit seinem Team. Auch wenn der Aufstieg unerwartet steil verlief, verwundert es nicht, dass Romes höchste Ambitionen hegt. Schliesslich hat er viele namhafte Stationen unter seine Kochjacke gebracht: Le Val d’Or von Johann Lafer, Amber von Richard Ekkebus, Überfahrt von Christian Jürgens, Vila Joya von Dieter Koschina, Einstein Gourmet von Sebastian Zier und Moses Ceylan und Schloss Elmau von Chris Rainer. Seinen eigenen Namen hat er mit einem Paukenschlag auf die kulinarische Landkarte gesetzt.
Ursprünglich wollte Besitzer Felix Bertram vor allem eine Mittagskantine für seine Mitarbeiter auf die Beine stellen. Daran hatte Romes jedoch kein Interesse. Man einigte sich dann darauf, dass Romes und seine Mannschaft das Skin’s mittags als Belegskantine bespielen und abends dafür freie Hand bei der Ausgestaltung ihrer Vision eines modernen Restaurants haben. Ein ebenso fairer wie erfolgreicher Deal, wie sich schnell zeigte. Zwei weitere nicht alltägliche Fakten: 1. Das Skin’s befindet sich auf dem ehemaligen Gelände des Convenience-Food-Herstellers Hero; 2. Besitzer Felix Bertram hat sein Vermögen mit Skinmed erwirtschaftet, einem Unternehmen im Bereich Dermatologie, plastische und ästhetische Chirurgie. Auch der Name des Restaurants leitet sich von seinem eigentlichen Broterwerb ab.
Das Skin’s befindet sich im ersten Stock des ehemaligen Fabrikgebäudes direkt beim Bahnhof Lenzburg und wirkt auf den ersten Blick eher wie ein Nachtclub als ein Restaurant. Abgesehen vom auffallend schönen Holzboden ist alles in schwarz und grau gehalten, der Bass wummert im Viervierteltakt aus den Lautsprechern, die Köche stehen wie auf einer DJ-Kanzel in der offenen Küche. Es ist der zweite Abend nach dem Sommerurlaub des Teams, draussen herrscht immer noch brütende Hitze, das Restaurant ist nicht voll besetzt. Entsprechend ist die Stimmung sehr relaxt. Mit dem Service ist einzig noch die Feinabstimmung hinsichtlich eines Surprise Gangs (natürlich möchte ich den probieren) sowie der Weinbegleitung notwendig. Alles geht seinen gemächlichen Gang, ich beobachte das entspannt wirkende Treiben in der Küche bei einem Glas La Rosé Henriette Extra Brut von Hélène Beaugrand und harre der Dinge, die da kommen.
Den Auftakt machen drei Snacks. Oben links ein Okonomiyaki mit Rindfleisch-Tatar, Miso-Mayo und Ingwer-Gelee. Weiter im Uhrzeigersinn gebeizter Hamachi mit Algenpulver, Shiso-Sud, grüner Paprika und Melone sowe eine Kimchi-Roulade mit fermentiertem Chili, Paprika-Mayo und Erdnüssen. Geschmacklich präsentieren sich die drei Happen weitaus handfester, als es die Optik vermuten lässt. Am Tatar fehlt ein wenig Salz und die Würzung dürfte gerne etwas pointierter sein. Bei den beiden Schälchen ist das allerdings kein Problem. Vor allem die Roulade vermag mit ihrer prägnanten Schärfe gepaart mit reichlich nussiger Üppigkeit zu überzeugen.
Noch einen Schritt weiter Richtung Rustikalität geht die Kalbskopfterrine mit Lattich, Holunder und Rettich. Die angenehm temperierte Terrine (nicht kühlschrankkalt!) birst geradezu vor lippenüberglänzender Kollagenpracht. Eine ganz hervorragende, säurebetonte Vinaigrette mit Senfsaat und Kräuteröl setzt den herben Kontrapunkt zum Fleisch, während Salat und Rettich Frische und Knackigkeit beisteuern. Saulecker.
Offiziell startet das Menü mit “S’best Us Em Aargau”. Für alle, die des Schweizerdeutschen nicht mächtig sind: Das Beste aus dem Aargau. In diesem Fall sind das Forelle, Gurke und Kirsche. Der Fisch aus dem nahem Bremgarten kommt als Tatar sowie als akkurat kreisrund angerichtetes Filet auf den Teller. Eine Zitrusbeize sorgt für eine etwas festere Konsistenz des exzellenten Fleisches. Ein mit Verbene aromatisierter Gurkensud verströmt sommerliche Leichtigkeit und Frische, während bei den eingelegten Kirschen eher die Fruchtsäure akzentuiert wird und die ausladende Frucht ein wenig in den Hintergrund rückt. Alles sehr stimmig, balanciert und in seiner überraschenden Zurückhaltung beinahe zart wirkend. Sehr schön. Der einzige kleine Wermutstropfen ist die Kirschensphäre, die sich in der Mitte befindet. Sie wirkt anachronistisch, lag ein gutes Stück zu lange im Calciumlactatbad, weshalb ihre Membran merklich zu dick geraten ist. So wird der wohl gewünschte Effekt, dass der Saft im Inneren preisgegeben wird und sich mit den restlichen Komponenten vermischen kann, auf einige wenige Tropfen reduziert. Diese haben keinen geschmacklichen Einfluss, die Ummantelung jedoch ist etwas unangenehm glibberig am Gaumen. Sie stört zwar den Genuss in diesem Fall nicht nachhaltig, ist aber unnötig. Und zeigt zudem die Gründe auf, weshalb diese Zubereitungsart kaum noch irgendwo zu finden ist.
Es folgt eine stattliche Pilgermuschel, die hierzulande wohl eher als Jakobsmuschel bekannt ist. Spätestens beim Anblick des handgetauchten Prachtexemplares aus Norwegen müsste auch konfusen Gästen klar sein, worum es sich handelt. Begleitet wird der Meeresbewohner von eingelegter Zerbinati Melone - ein italienischer Produzent, der gerade wieder sehr en vogue ist -, die ebenfalls als Teil eines Gemüseragouts mit Pak Choy und Bohnen auf dem Teller landet. Geröstete Macadamianüsse finden sich ebenso in diesem Ensemble wie geräucherte Tofucrème, geflämmte Edamame und Wasserkresse. Zu guter Letzt sind da noch ein Ponzu Sud und ein Dashi Gel dabei. Tatsächlich präsentiert sich das Ganze am Gaumen weitaus gesitteter als es die wild anmutende Zusammenstellung vermuten lässt. Ein wenig zu meiner Verwunderung bleibt die Muschel sogar klar bei jedem Bissen als Hauptdarsteller verortbar. Aufgrund der massiven Grösse ist natürlich auch immer ein ordentliches Stück der St. Jacques im Mund, doch die durchaus potenten anderen Aromenträger sind so exakt justiert und portioniert, dass sie immer nur unterstützen und nicht überlagern. Auf Dauer ist dieses Ensemble für mich einen Ticken zu süss, was aber Geschmackssache und kein konzeptioneller Fehler ist. Etwas mehr von dem herrlichen Ponzusud würde mir wahrscheinlich reichen, um die Spannung bis zum Ende aufrechtzuerhalten.
Selten lasse ich mir einen Überraschungsgang entgehen. Deshalb verzichte ich auch heute nicht darauf und bin gespannt, was auf den Teller kommt. Romes schickt ein Stück Zander aus Schweden, zubereitet nach einer alten japanischen Tradition - Matsukasa Yaki. Hierbei wird der Fisch mit heissem Fett übergossen, was die Schuppen aufpufft und knusprig werden lässt. Danach wird der nordische Fisch in Butter konfiert. Frankreich und Japan, die vielleicht vielversprechendste Vermählung zweier Weltküchen. Dazu gesellen sich ein Fenchelsalat, eine giftrgrüne Espuma von Jalapeńo sowie am Tisch angegossen ein Brathühnchenfond. Letzterer erweist sich als besonders gelungene Wahl, die alles zusammenbringt. Die tiefrote, intensive Sauce erinnert mit ihrer würzigen Wucht entfernt an Gulasch. Dazu passt natürlich die subtile Schärfe des Schaums, und der vorzügliche, feste Zander liebt es sowieso, in kräftigen Aromen eingebettet zu sein. Etwas knackiger, ätherischer Fenchel dazu und fertig ist die überaus gelungene Überraschung.
Nach dem Kopf hat das Kalb für den "Wald und Wiese" betitelten Gang nun als Bries einen weiteren Auftritt. Die Milke wird erst pochiert und anschliessend grilliert, was ihr eine relativ feste Struktur verleiht, ohne dabei an Saftigkeit und Zartheit einzubüssen. Ergänzt um die appetitlichen Rauchnoten ist das für sich genommen schon ein Hochgenuss. Doch da ist mehr: knackiger Lattich, umamireiches Tomatenconcassé, geröstete Pinienkerne. Irgendwo ist ein Hauch deftig anmutende und vortrefflich passende Senfmayo untergebracht, obenauf liegen Rapssamen und ein Röstzwiebelcrumble. Doch neben der umwerfenden Innerei sind es vor allem die beiden Saucen, eine kräftige Kalbsjus sowie eine Beurre Blanc mit Vin Jaune, die diesen Teller in ungeahnte Sphären katapultieren. Das ist so unverschämt lecker, dass die eigentlich absolut ausreichende Portion zu klein erscheint. Viel zu klein sogar! Sehr nahe an der Perfektion und in Summe trotz seiner Vertrautheit auch erfrischend anders. Absolut grossartig.
Die Zeit, in der ich immer wieder mal Shots getrunken habe, ist längst vorbei. Die Küche setzt aber bei der kleinen Erfrischung vor dem Hauptgang nicht auf eine x-beliebige Kombination und Beneblung durch Alkohol, sondern stimmt mit der erfrischenden Holundersoda mit Purple Curry vielmehr auf den finalen Fleischgang ein.
Dass bei "Ultraviolet" das Purple Curry eine intergrale Rolle spielen wird, war nach dem Shot klar. Zum Einsatz kommt die exotisch-säuerliche Gewürzmischung mit einer gebratenen Taubenbrust und roter Bete. Taube und Purple Curry, da klingelt doch was. Auch die Ton in Ton Optik weckt Reminiszenzen. Jedenfalls geht die erprobte Kombination trotz optischer Harmonie nicht ganz auf. Die einzelnen Elemente scheinen gewissemassen entkoppelt voneinander und wollen sich auch bei unterschiedlichen Gabelbelegungen nicht zu einem in sich geschlossenen Ganzen zusammenfügen. Sehr gut ist das natürlich immer noch, nur halt nicht auf dem Niveau des bisher Gezeigten.
Meine Nemesis: der Käsegang. Und dann heisst sie auch noch "Wolke Sieben". Glücklicherweise kann ich nach den ersten Bissen klar sagen, dass ein solches Gericht nicht viel besser konzipiert und zubereitet werden kann, als es hier der Fall ist. Sobald sich der Käse im Mund etwas erwärmt hat, kommt er so nahe an seinen ursprünglichen Geschmack und Cremigkeit heran, wie dies nur möglich ist. Die Einfassung ist so simpel wie stimmig und erinnert an einen französischen Frühstückstisch in der Aube im Sommer.
Mit Ananas, Rucolasorbet und balinesische Meringue schickt Pâtissier Severin Beesten ein ziemlich aufwendiges Pré-Dessert. Im Detail findet sich folgendes auf dem Teller: geschmorte Babyananas, Rucolasorbet, eine mit Palmzucker aufgeschlagene Meringue sowie ein Kondensmilchsud kombiniert mit dem Schmorsud der Ananas und Szechuanpfefferöl. Während die exotische Frucht sich am goldenen Schnittpunkt zwischen Süsse und Säure präsentiert, zeigt das Sorbet glücklicherweise wenig von den typischen Senfnoten des Kreuzblütlers, sondern dient eher als frisch-herber Gegenpol zur ausladenden Frucht. Für den benötigten und treffsicher dosierten Kick sorgt das Öl, während der Sud Struktur und Zusammenhalt gibt. Ein ebenso komplexer wie wohlschmeckender Einstieg in den letzten Menüabschnitt, der glücklicherweise weit weniger fordernd ausfällt, als es beim Annoncieren den Eindruck verleiht.
Beim finalen "Knackpunkt" handelt es sich eher um eine Knacknuss. Eine Ganache aus Arguani 72% Venezuela wird mit Erdbeere (Sud, Gel und Stückchen) kombiniert. So weit, so gut. Dazu gesellen sich Tomaten (als Granité und Marmelade) sowie eine Oliventapenade und schwarzes Olivenöl. Der Service weist an, die obenauf liegende Schokoplatte durchzuschlagen und mit dem Löffel tief hineinzutauchen, damit von allem etwas darauf landet. Es schmeckt zwar im Grossen und Ganzen relativ gut, mehr aber auch nicht. So sehr ich disruptive Elemente in Desserts und die Abkehr von Death by Chocolate sowie den immer gleichen Fruchtbomben schätze, so wenig trauere ich den forciert modernistischen Gemüse-Dessert-Kreationen nach. Wenn nicht gerade ein absoluter Meister wie Christian Hümbs am Werk ist, der hier im Skin’s übrigens eine Zeit lang als Berater tätig war und dessen frühere Geniestreiche sicherlich Inspiration für diesen Teller waren, dann wird das Prädikat “gut” bei einer solchen Kreation so gut wie nie übertroffen. Selbstredend sollte man weiterhin versuchen, Grenzen auszuloten. Es gibt allerdings einen Grund, weshalb Kreationen dieser Art nur in einem verhältnismässig kurzen Zeitraum in einem geografisch relativ eingeschränkten Gebiet Schule machten - und den Abschluss leider nicht bestanden haben. Dass man aus dem Rahmen fallende Elemente auch so einweben kann, dass am Ende ein notwendiges Mass an Harmonie und vor allem Wohlgeschmack erreicht wird, hat der Rucola zuvor bereits gezeigt.
Ein paar gelungene Petits Fours dürfen zum Schluss natürlich nicht fehlen: Bubble Tee aus rotem Shiso mit Pandan-Tapioca-Perlen und Ingwernuss - Mochi gefüllt mit Yuzu Sake und Joghurt - Wasabi-Kokosnuss Drop auf Mürbteigsablé.
Romes und seine Mannschaft liefern eine anspruchsvolle und abwechgslunsreiche Küche, bei der nie Langeweile aufkommt. Obwohl bei einigen Tellern die letzte Konsequenz beim Würzen fehlte, wirkten auch diese Kompositionen durchdacht und ausgefeilt, liessen jedoch das letze Quäntchen Tiefe vermissen, das man auf diesem Niveau erwarten kann. Generell schienen die Wohlfühlteller, bei denen eher der Bauch als der Kopf die Hauptrolle spielt, ausgereifter und runder. Die besten Gänge, wie der Kalbskopf, der Zander und das Bries, überzeugten sowohl durch makelloses Handwerk als auch durch ein einnehmendes Geschmacksbild. Sie sprechen alle Geschmacksinne gleichzeitig an und wecken den Wunsch, sie nachzubestellen. Alleine das ist schon eine beachtliche Leistung und zeigt, wohin die Reise gehen könnte. Man darf gespannt sein, wie sich das Restaurant und die Küche von Romes nach den ersten beiden erfolgreichen Jahren weiterentwickeln werden. Schliesslich hat der Höhenflug gerade erst begonnen.
Die Weinbegleitung von Basile Schneider:
Hélène Beaugrand «La Rosé Henriette» Extra Brut
Domaine De Nozay, «Château Du Nozay» Sancerre Aoc 2021, Loire
Zündel Az. Ag. «Albaluce» Erbaluce Ticino Doc 2021, Beride
Vollenweider, Wolfer Goldgrube 2014 Riesling Spätlese Feinherb Deutscher Prädikatswein, Mosel
Christian Hermann, «H» Pinot Noir 2021 Graubünden Aoc, Fläsch
Château Léoville–Barton 2ème Cru Classé Saint-Julien Aoc 2012
Clos Dubreuil «Clara» Bordeaux Clairet Aoc 2021, St. Emilion
Donnafugata «Kabir» Moscato Di Pantelleria Doc 2022
Skin’s The Restaurant
Dammweg 15b
5600 Lenzburg
+41 (0) 62 511 60 05
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