Locanda Barbarossa (Mattias Roock & Leopold Ott) - Ascona

Der Natur ganz nah

“Willkommen im Paradies…”. Mit diesen Worten werde ich nach dem Check-in durch Front Office Manager Jochen Ebert in den Garten des Castello del Sole geführt. Auch wenn der Hauptgrund meiner Reise nach Ascona der Besuch bei Mattias Roock und Leopold Ott in der Locanda Barbarossa ist, freue ich besonders auch auf das Hotel. Denn endlich schaffe ich es mal, hier zu übernachten und dieses herrschaftliche Anwesen zu erkunden.
Und zu erkunden gibt es einiges. Das beeindruckende Resort erstreckt sich über 140 Hektar. Bei voller Belegung aller Suiten und Zimmer stehen jedem Gast theoretisch über 900 Quadratmetet zur Verfügung. Platz hat es also reichlich und dieser wird auch sinnvoll genutzt. Es gibt unter anderem botanische Gärten, einen Obstgarten, ein Reisfeld, einen Privatstrand mit direktem Zugang zum Lago Maggiore sowie zwei Esel mit eigenem Gehege. Schnell wird klar, dass nicht Alltägliches im Sonnenschloss im Mittelpunkt steht.
Ich schlendere ein wenig über den sattgrünen Rasen, geniesse die Ruhe und die räumliche Freiheit, werfe einen Blick in die Gärten und auf die im Freien ausgestellten Kunstwerke des Zürcher Künstlers James Licini, esse eine Pizza im Al Parco und entscheide mich dann trotz der nicht gerade verlockenden Wassertemperatur von knapp 14 Grad für einen kurzen Sprung in den See. Der Blick auf die sanften Tessiner Hügel lässt mich innehalten und endgültig ankommen. Majestätisch, gerade auch vom Wasser aus. Eine kurze Siesta auf der Terrasse meiner Suite im Retreat-Pavillon rundet den entspannten Nachmittag ab. Um 18.30 Uhr treffe ich mich mit Executive Chef Mattias Roock, um vor dem Abendessen einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

Eine kleine Tour durch die kürzlich renovierte Küche endet beim Locanda Barbarossa Team, das seit dem Umbau erstmals über eine separate, autarke Küche verfügt. Hier werden heute die ersten Snacks serviert. Maître Sergio Bassi begrüsst mit einem Glas Platine 1er Cru Extra Brut von Nicolas Maillart. Die Küche legt direkt danach mit dem Perlhuhn aus der Magadino Ebene los. Dessen Leber wird zu einem herrlich leichten, vollmundigen und vorzüglich abgeschmeckten Parfait verarbeitet. Das sollte man einfach zum Weglöffeln bekommen, so gut ist es. Umhüllt von einem knusprigem Cannolo und getoppt mit zarttfruchtiger Heckenkirsche ist das ein wunderbarer Einstieg. Beim Felchenfilet aus dem Lago Maggiore mit Pepquino Gurke, Yuzu und Farina Bona ist der Teigling etwas zu füllig, was auch das unfallfreie Essen erschwert. Abgesehen davon stimmig komponiert, in der Inszenierung dürfte die säuerlich-bittere Frische der Zitrusfrucht jedoch gerne noch pointierter ausfallen. Den Abschluss des Snacktrios macht gebackene Polenta (aus der hauseigenen Corvina Polenta), schwarzer Périgord Trüffel und Sbrinz. Im Mittelpunkt steht überraschenderweise nicht der Trüffel, sondern die Polenta. Dieses Vollkornmaisgriess schmeckt überaus kräftig, fast schon würzig und ist nur zurückhaltend süss. Sowohl der Tuber als auch die Käsecrème nehmen diese Würzigkeit auf und akzentuieren sie zusätzlich, was für ein ausladendes aber differenziertes Geschmacksbild sorgt. Unerwartet umwerfend und der krönende Abschluss des Küchenbesuchs.

Nachdem ich es mir am Tisch im Restaurant gemütlich gemacht habe, wird Krabbensalat in einem Sud von gelber Peperoni und fermentierten Holunderblüten mit Ringelrande aus den eigenen Gärten und Kressecrème aufgetragen. Schmeckt in Summe ungefähr so ungewöhnlich, wie es sich beim liest. Zwar ist jodige Krabbenfleisch in jedem Bissen präsent, jedoch sind die restlichen Komponenten nicht nur schnödes Beiwerk. Gemeinsam mit der Meeresdelikatesse erzeugen sie ein ungewöhnliches sensorisches Bild, das zwischen bodenständiger Vertrautheit und wilder Seebrandung oszilliert. Durchaus ein wenig wild und fordernd, aber immer auf Harmonie bedacht.

Kreationen mit der wunderbaren lokalen Seeforelle sind mir von vergangenen Besuchen noch in bester Erinnerung. Heute wird der Fisch von Zitrusfrüchten, Fenchel und Peperoncini begleitet. Der erste Eindruck ist erstaunlich sperrig. Bitternoten, eine gewisse Herbheit sowie eine schleichende Schärfe stehen im Vordergrund. Erst allmählich öffnet sich diese überaus intensive Phalanx und macht Platz für den Fisch, der sich scheinbar mühsam aus dem Dickicht hervorkämpfen muss. Schliesslich jedoch schafft es das delikate, sanftfettige und zartschmelzende Fleisch, Teil des Ganzen zu werden. Ein Gericht mit Ecken und Kanten, mit dem man sich aktiv auseinandersetzen muss. Nach seiner Erschliessung macht es aber auch richtig Spass.

Seit meinem letzten Essen in der Locanda Barbarossa hat sich offensichtlich einiges im Garten und in der Küche getan. Nach den ersten beiden Tellern bin ich durchaus ein wenig erstaunmt von der spürbar anderen Ausrichtung des Sapori del Nostro Orto Menüs. Dadurch wird die Spannung und Vorfreude auf die kommenden Stunden jedoch nur noch zusätzlich verstärkt.

Ohne Umwege zugänglich präsentiert sich das roh marinierte Tessiner Limousin Rinderfilet mit Randenvariation, Kaffee und Maulbeere. Wer gepflegte Langeweile vermutet, liegt hier allerdings falsch. Angenehm fettdurchzogenes, butterzartes Fleisch mit betörendem Schmelz. Während die unterschiedlichen Rüben einen betont rustikalen Unterbau liefern, schlagen sie gleichzeitig auch die Brücke vom Fleisch zu den Beeren. Letztere sind bringen vornehmlich ihre herb-säuerliche Seite ein, die für Auflockerung und Frische sorgt. Für den besonderen Kick ist allerdings der perfekt dosierte Kaffee zuständig. Er verleiht dem Ganzen zusätzliche Tiefe durch einen Hauch Exotik, gepaart mit einem breit gefächerten Gewürzbouquet. Klasse.

Das Perlhuhn aus der Magadino Ebene hat seinen zweiten Auftritt. Nun wird ein wachsweich gegartes Ei des Vogels mit Bergkartoffeln, Pfifferlingen sowie Linsen kombiniert. Am Tisch wird der Trüffelhobel gezückt, um die Schüssel fast vollständig mit benebelnd duftenden Trüffeln aus Alba zu bedecken. Der eigentliche Clou ist aber das zartcremige, kräftige Eigelb (viel intensiver als von einem Huhn) und die Linsen. Sie katapultieren die bereits üppige Nussigkeit auf dem Teller (Kartoffeln, Pfifferlinge, Trüffel) mit ihrem Wumms regelrecht nach oben. Ein Kräuteröl setzt den notwendigen Kontrapunkt, der die Reichhaltigkeit aufbricht. Trotz aller mundfüllenden Opulenz stellt sich dadurch beim Essen keine Ermüdung oder gar Übersättigung ein. Die Proportionen sind optimal, die Feinjustierung könnte nicht besser sein. Pure Wonne und nahe an der Referenzqualität für Kreationen dieser Art.

Auf den unverzichtbaren Gang mit dem Loto-Reis aus eigenem Anbau freue ich mich immer ganz besonders. Roock und Ott kochen daraus ein Risotto (al dente, ja!), dazu gesellen sich Zander aus dem See, rote Spitzpeperoni, Fingerlimette und Liebstöckel. Wie zu erwarten, ist das Risotto sensationell. Trotz Biss absolut geschmeidig, von der säuerlichen Süsse des Gemüses, der Umamiwucht des Krauts soie der herbsäuerlichen Frische der Zitrusfrucht kongenial ummantelt. Braucht es den Fisch überhaupt? Die eindeutige Antwort ist: ja! Die kleinen Fleischlamellen des saftigen Zanders, der unweit der Hotelanalage ins Netz ging, bringen eine völlig neue Dimension in dieses Ensemble. Es ist nicht einfach ein Risotto mit Fisch, sondern ein vorzüglich abgestimmtes, fein ziseliertes, raffiniertes Geflecht, bei dem nichts weggelassen und nichts hinzugefügt werden muss oder darf. Absoluter Hochgenuss.
Das Menü hat zwischenzeitlich richtig Fahrt aufgenommen, dennoch dürfte es erfahrungsgemäss schwierig werden, diesen Gang zu toppen.

Tatsächlich gelingt es den Chefs, doch noch einen draufzusetzen. Und das ausgerechnet mit Lamm, einem Produkt, das man in der modernen Hochküche viel zu selten findet. Konkret handelt es sich um eine Essenz vom Berglamm. Ein kleines Stück des Fleisches vom jungen Schaf wird zusätzich in einen Raviolo verpackt. Daneben sollen Kräuter und Zitronengras Akzente setzen. Wunderbar heiss und animierend duftend die Essenz in die Nase. Es riecht nach dem sanftwürzigen Fleisch, einer blühenden Bergwiese und auch Anklänge an Garrigue-Kräuter schimmern durch. Zum Niederknien. Die Pasta formvollendet, die Füllung vollmundig. Gemüsejulienne und Kräuter bringen zusätzliche Frische ins Spiel und ergänzen texturell. Was diese mollige Kreation jedoch auf die nächste Stufe hebt, ist das Zitronengras. Beim Annoncieren hörte sich ausgerechnet dieses Grundelement der südostasiatischen Küche völlig unnötig und forciert an. Doch die überaus subtile Reminiszenz an thailändische Suppenküchen, die zarten Zitrusnoten und der Hauch von Pfeffrigkeit geben diesem Gericht eine weitere Dimension. Mindestens. Unkonventionell und indivinduell - erzeugt bei mir in diesem Moment Gänsehaut.

Das Perlhuhn aus der Magadino Ebene feiert seinen dritten Auftritt. Dieses Mal wird die Brust sowie etwas Schinken verwendet. Das Geflügel liegt eingebettet in Polenta Terreni alla Maggia, Hokkaido Kürbis und Feige. In Summe präsentiert sich der Menühauptgang deutlich zu süss. Da ein Ausgleich in Form von knackiger Säure oder einem anderen Gegenpol fehlt, wirkt dies auf Dauer auch sehr sättigend. Verve, Frische und das gewisse "je ne sais quoi" fehlen hier für einmal. Gerade nach der Grossartigkeit der drei vorangegangenen Teller ist das kein Beinbruch, wenngleich in diesem Fall erstmals auch konzeptionelles Feintuning nötig scheint.

Der wie immer überaus charmante Maître Sergio Bassi - ein Urgestein des Hauses, seit 14 Jahren im Betrieb - hat zu Beginn des Abends angeregt, unbedingt den aktuellen Wildganghauptgang zu probieren: Hirsch, Steinpilze, Petersilienwurzel, Périgord-Trüffeljus. Bei einer solch klassischen Kombination kann bei einwandfreier Ausführung kaum etwas schief gehen. Der in Österreich geschossene Hirsch ist punktgenau gegart und von exzellenter Qualität. Besonders erwähnenswert bei den gelungenen Beilagen ist die Petersilienwurzel, die neben ihrer erdig geprägten Nussigkeit vor allem durch einen angenehm bissfesten Garpunkt auffällt. Die Zeiten des zu Tode geschmorten Gemüses sind glücklicherweise fast überall vorbei. Sowohl die Fleischigkeit und das Umami der Steinpilze, als auch die barock nach Unterholz duftende, mit kleinen Trüffelstückchehn durchsetzte Sauce runden das Gericht gekonnt ab.

Um die Papillen zu erfrischen, leitet ein Melonensalat mit schwarzem Pfeffer, Sorbet vom Delta-Gin und Tonicschaum in den finalen Teil des Abends über. Die Balance zwischen der typisch dumpfen Melonensüsse und der erfrischenden Herbe des dekonstruierten Gin Tonic ist genau richtig. Beides getragen durch die immer wieder aufflackernde, milde Schärfe des Pfeffers.

Unsere Pflaume, karamellisierte Milch, Salzzitrone und Pflaumensorbet markiert den offiziellen Menüabschluss. Der hat es nochmal richtig in sich. Ich verbinde Pflaumen zumeist mit schweren, gebackenen Desserts. Dieses Schöpfung ist jedoch das Gegenteil davon. Von der Zwetschge geht keine Üppigkeit aus, dafür wird ihre einnehmende Frucht und wunderbar tänzelnde, säuerliche Frische betont. Für Lieblichkeit und Substanz ist der Milchflan zuständig, dessen Zuckrigkeit nicht besser kalibriert sein könnte. Als sehr gelungener Kniff erweist sich die eingelegte Zitrone, die nur noch eine leichte, aber wichtige Säure spendet, dafür aber ätherisch-orientalische Noten mitbringt, die einen mystischen Schleier über alles legen. Ein absolut grossartiges Dessert, an das ich mich noch lange erinnern werde.

Auch die durchweg exquisiten Petits Fours bestätigen die kurze aber sehr starke Performance der Locanda Barbarossa Pâtisserie.

Das heutige Menü hat mich in Teilen überrascht. Leopold Ott hat seit meinem letzten Besuch eine immer wichtigere Rolle in der Locanda Barbarossa eingenommen. Mattias Roock kann sich auf seinen zweiten Mann verlassen und lässt ihm deshalb weitestgehend freie Hand. Auch wenn es weiterhin eine gemeinsame Küche bleibt, sind kleinere Verschiebungen klar zu erkennen. Einige Kreationen sind etwas gewagter als früher, der Kosmos wurde ein Stück weiter geöffnet. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass in den Gärten bestimmte Zutaten explizit für die Weiterentwicklung der Menüs im Restaurant angebaut werden und mit diesen experimentiert wird.
Dass die französische Küche nach wie vor die Basis des Restaurants bildet, zeigt sich nicht nur im Sapori del Nostro Orto Menü, welches lokale, selbst produzierte Zutaten in den Mittelpunkt rückt. Die Locanda Barbarossa bietet ihren Gästen als Grand Restaurant der alten Schule eine heutzutage aussergewöhnliche Auswahl. Neben dem von mir gegessenen Gartenmenü gibt es auch immer ein Degustationsmenü mit Foie gras, Hummer, Turbot usw., das sich stark an der klassischen-modernen französischen Haute Cuisine orientiert. Wem das nicht genügt, der kann auch noch aus einem stattlichen à la carte Angebot auswählen.
Da mir das Dinner so gut gefallen hat, bin ich am zweiten Abend meines Aufenthalts direkt nochmal bei Roock und Ott eingekehrt und habe von der Spielwiese Gebrauch gemacht. Egal ob Entenleber, Brasato Ravioli oder die Seezunge im Ganzen für zwei Personen (die man übrigens kaum besser zubereitet bekommt als hier), die beiden Chefs beherrschen viele Klaviaturen. Und wer die Weinkarte ganz genau studiert, findet auch die eine oder andere rare Flasche für einen sehr fairen Kurs.
Am besten verbringt man einfach mehrere Nächte in der Sonnenstube der Schweiz. Da die Locanda Barbarossa täglich zum Dinner sowie samstags und sonntags auch zum Lunch geöffnet ist, kann man sich in aller Gemütlichkeit durch die Karten schlemmen. Und nebenbei natürlich auch die Vorzüge des Hotels und der herrlichen Umgebung geniessen. Meiner Vorstellung vom Paradies kann man nicht viel näher kommen als im Castello del Sole.


Die Weinbegleitung von Sergio Bassi:
Platine 1er Cru Extra Brut, Nicolas Maillart
Blason Rosé, Perrier-Jouët
Il Castagneto 2020, Cantina alla Maggia
Ricordi Orange Wine 2020, Terreni alla Maggia
Melodia 2020, Cantina alla Maggia
Miyabi No Tomo Junmai Ginjo, Zaku
Il Querceto Riserva 2019, Cantina alla Maggia
Pian dei Sogni 2020, Forteto della Luja


Locanda Barbarossa
Castello del Sole Beach Resort & SPA
Via Muraccio 142
6612 Ascona
Schweiz
+41 91 791 02 02
Website

 

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