Taverne zum Schäfli (Christian Kuchler) - Wigoltingen

Taverne zum Schäfli (Christian Kuchler) - Wigoltingen

Stärker denn je

Was gibt es Schöneres, als an einem sonnigen Mittag aufs Land zu fahren, um sich in einem lauschigen Hinterhof ein paar Stunden kulinarisch verwöhnen zu lassen? Zumindest in meinem Buch kaum etwas. Mein heutiges Ziel ist Wigoltingen. Das schattige Plätzchen inklusive friedlich plätscherndem Brunnen liegt hinter einem bekannten Riegelhaus, das die meisten Liebhaber der gehobenen Küche in der Schweiz zumindest direkt erkennen: die Taverne zum Schäfli. Alles an diesem herrlich einladenden Ort strahlt eine Ruhe und Gelassenheit aus, die das Gefühl des Ankommens und der augenblicklich einkehrenden Gemütlichkeit weckt. Wie in einer guten Stube.
Diese Attribute stehen der Küche von Patron Christian Kuchler diametral entgegen. Er mag ein Traditionalist sein, schert sich aber gleichzeitig auch rein gar nicht darum, was man von ihm erwartet. Viele Köche behaupten, dass sie nur das kochen, was sie auch selbst gerne essen. Kuchler ist einer derjenigen, denen man das auch wirklich abnimmt. Das äussert sich gerne in üppigen Portionen, einem lockerem Händchen beim Würzen oder dem pointiertem Säureeinsatz und Einflüssen aus aller Welt, die seine französisch fundierte Klassik bereichern. Dem Guide Michelin ist das seit 2017 durchgehend zwei Sterne wert.
Passend zu einem solchen Haus kann sich auch der Weinkeller sehen lassen. Obwohl mir Fabian Mennel, der Sommelier und Restaurantleiter, bei meinem letzten Lunch eine tolle Begleitung servierte, steht mir heute Mittag eher der Sinn nach einer Flasche. Nach einem kurzen Austausch mit Mennel lande ich beim Chablis Premier Cru Butteaux 2018 von der Domaine François Raveneau. Ein sicherer Wert, der aufgrund seiner Jugendlichkeit auch bei Temperaturen nördlich der 30 Grad gut funktioniert. Während ich meinen Aperitif austrinke, werden die ersten Grüsse aus der Küche aufgetragen.

Wie man es von Christian Kuchler nicht anders erwartet, tobt er sich bereits bei den Snacks ordentlich aus und setzt gleich den Ton für die kommenden Stunden. Beginnend in der Mitte sind das im Detail: Gazpacho - Bao Bun mit Ente - Taco mit Rind - Kartoffel mit Speck und Lauch - Schweinebauch mit Kohl. Weltläufige Hitze, Schärfe und Exotik wechseln sich munter mit europäischer Klassik und Bodenständigem ab. Ein ebenso gelungener wie kurzweiliger Spass, der mit seiner betonten Deftigkeit und einem angenehmen Hauch von Rustikalität die Lust auf das Kommende nochmals ankurbelt.

Eine Reminiszenz an Vater Wolfgang ist das Dreierlei vom Kalb. Auf dem Bild links ein Vitello Tonnato Cornet. Mit Sicherheit die eleganteste und feinsinnigste Interpretation dieses Gerichts, die ich jemals gegessen habe. Super! Dem stehen die tiefe und klare Kalbsschwanzessenz sowie der saftige Tafelspitz mit Rote Bete in fast nichts nach. Drei Amuses zum Augenschliessen und auf allerhöchstem Niveau. Dies ist das Kontrastprogramm zu den vorherigen Snacks und die perfekte Illustration der Bandbreite, auf der sich Kuchler mühelos hin und her bewegt.

Der Chef ist, ganz alte Schule, vollkommen unkompliziert, wenn es um die Zusammenstellung des Menüs geht. Da sich das Menu Degustation so hervorragend liest, tausche ich allerdings keinen Gang aus, sondern ergänze es um eine Kreation: die hausgemachte Pasta „Kavionara“ mit Oscietra Kaviar. Dazu gibt es Stücke von pochierter Auster sowie Kapern. Alles liegt in einer dichten, cremigen Sauce, die mit Petersilienöl aufgepeppt wird. Eigentlich ist jeder Versuch einer akkuraten Beschreibung dieser Kreation ebenso unnütz wie unwichtig. Denn hier man muss nur etwas wissen: alleine schon für diesen Teller lohnt sich die Anreise nach Wigoltingen. Unfassbar lecker.

Kuchler eröffnet seine Menüs gerne mit Jakobmuscheln. Auch heute wird eine stattliche und appetitlich geröstete St. Jacques mit Gelbflossenmakrele, Kaffir Limette und Oscietra Kaviar serviert. Am Tisch wird zusätzlich etwas frische Limettenzeste über das Gericht gehobelt, wodurch man olfaktorisch direkt in den fernen Osten entführt wird. Und die Zitrusfrucht ist es dann auch, die diesem üppigen Teller die nötige Balance verleiht. Mit einem cleveren sowie ungewöhnlichen Griff schafft es die Küche, das Gleichgewicht nicht nur durch die mit pointierten Säurespitzen aufwartende Vinaigrette herzustellen, sondern auch durch die hervorragende Gelbflossenmakrele. Die ist nämlich ebenfalls nur kurz in Limette gebeizt, was ihr ohnehin festes Fleisch noch ein weniger straffer macht und durch das zusätzliche Kaubedürfnis (und die Säure natürlich), die nussige Süsse sowie jodig-maritime Salinität seine Mitstreiter optimal kontrastiert. Dazu gibt’s für den Crunch und die Frische ein paar knackige Gurkenröllchen. Exzellent.

Kalbsherzmilken, weisser Spargel vom Gillhof und Eierschwämmli bilden den Kern des nächsten Gangs. Am Stück in eine feste Panade eingepackt und trefflich goldgelb ausgebacken, wirkt das Bries aufgrund seiner schieren Grösse ein wenig überportioniert. Selbst für das Schäfli. Doch die herbe Vinaigrette einerseits und die sommerlich-sanfte Bitternis des Spargels andererseits fassen das Bries in ein wunderbar leichtes Gewand, das einen Grossteil der inhärenten Schwere ausgleicht. Ich persönlich bevorzuge dennoch etwas kleinere Portionierungen der Milke, da sich das Verhältnis von saftigem Kern und knuspriger Kruste dadurch besser optimieren lässt. Das führt für mich in Summe zu mehr Genuss. Womit ich diesem Teller keineswegs etwas anderes attestieren möchte. Das tut er nämlich auch zweifellos.

Weiter geht’s mit einer Tranche vom bretonischen Steinbutt mit sanften Röstnoten. Dazu gibt’s Erbsen und Kräuter sowie Morcheln. Das Ganze wird mit einer am Tisch angegossenen Beurre Blanc veredelt. Gerichte wie diese schüttelt Kuchler mit nonchalanter Leichtigkeit aus dem Ärmel, verfällt dabei aber keineswegs in gepflegte Langeweile oder lässt gar technische Unsauberkeiten zu. Alle Elemente beflügeln einander ganz vorzüglich. Grünkräuterige Frische verbindet sich mit der herrlich säurebetonten Sauce. Dazu sorgen die Pilze für willkommenes Umami und Fleischigkeit, die sich auch im Fisch wiederfinden. Auf den ersten Blick scheinbar simpel, schaffen es dennoch nur die wenigsten Köche so wie Kuchler konstant solche Klassiker nahe an der Perfektion zu servieren. Zum Niederknien.

Inspiration findet der Chef gerne auch mal bei befreundeten Köchen. Die Poularde Jaune mit Piri Piri kommt im "Dieter Koschina Style” als Hommage an den österreichischen Kumpel aus dem fernen Albufeira daher, der in der Vila Joya seit einer gefühlten Ewigkeit zwei Sterne hält (seit 1999, um genau zu sein). Zum dunkel gebratenen, bereits optisch erkennbar saftigen Geflügel gesellen sich eingelegte rote Zwiebeln, frittierte Kartoffelspäne und eine umwerfende Sauce Albufera. Auch hier zeigt sich wieder, wie die Küche des Schäfli Kontraste förmlich lebt. Einerseits die luxuriöse, mundfüllende Opulenz der Sauce und das kostbare Huhn, andererseits die bodenständigen Zwiebeln und die wohldosierte Schärfe der Chilisauce. Vor allem letztere Spezialität wird in der gehobenen Küche äusserst selten eingesetzt, vor allem ausserhalb Portugals, was gerade deshalb zu einem ebenso ungewöhnlichen wie erquickenden Erlebnis führt.

Im Schäfli legt man alte, oftmals liebgewonnene kulinarische Traditionen nur ungern ab. Deshalb wird vor dem Hauptgang ein Entremet in Form von Joghurt mit Sauerrahmeis und Zitrusfrüchten serviert. Geschmacklich gibt es hieran erwartungsgemäss nichts auszusetzen, allerdings kann ich der Gepflogenheit eines solchen Gaumenreinigers mittlerweile einfach nichts mehr abgewinnen.

Den wohl klassischsten Akkord des heutigen Mittagessens liefert der Hauptgang Maibock aus Österreich, Entenleber, Bitteraromen. Das Wild von Haus- und Hoflieferant Alfred von Escher ist in einen dünnen, einladend gebräunten Pastetenteig eingepackt. In der Mitte findet sich ein stattlicher Quader Leber, der trotz Hitzebehandlung seine texturelle Integrität bewahrt hat. Eine gehaltvolle Jus, wiederum gepimpt mit einer Sauce Albufera, rundet den Hauptteller ab. Sehr puristisch. Sehr fokussiert. Und sehr, sehr gut. Dazu gibt’s ein kleines Assortiment von Bittersalaten im knusprigen Körbchen. Eine ebenso folgerichtige wie gelungene Ergänzung zum Fleisch.

Als stämmiges Millefeuille präsentiert sich das erste Dessert Thai Mango und Mascarpone. Es gibt zwar auch hier mal modernistische Desserts, in denen Beispielsweise Koriander oder Miso prominente Rollen einnehmen, allerdings erwartet man eher sowas wie diesen Teller. Überbordende Exotik, intensive Frucht, üppige Cremigkeit, Süsse, Säure, Crunch. Klingt langweilig? Ist in seiner zeitlosen Prägung aber ganz einfach zum Weglöffeln gut und nach einem opulenten Menü genau das Richtige.

Etwas feinsinniger sind die von Daniel Simunic interprestierten Thurgauer Erdbeeren 2023. Der Mango gar nicht unähnlich, bersten die Beeren fast mit vollmundig süssen Sommeraroma. Dazu setzt der Pâtissier dezent kontrastierende herb-frische, grün-kräuterige Akzente und sorgt mit etwas Schokolade sowie kleinen Knusperelementen für einen angenehm leisen und bekömmlichen Abschluss. Der noch dazu kaum besser die immer stärker drückende Hitze etwas lindern könnte.

Für die Friandises reicht der Platz im Magen leider nicht mehr. Man hat vorgesorgt und packt die Petitessen für Zuhause in eine schmucke Box.

Was für ein Essen! Man sollte Kuchlers Vorliebe für Tradition keinesfalls mit Stillstand gleichsetzen. Die Entwicklungsschritte mögen nicht mehr ganz so offensichtlich wie in früheren Jahren sein, sind aber nach wie vor bei jedem einzelnen Teller erkenn- und schmeckbar. Seine Kreationen sind raffinierter, präziser und wirken durch den noch akkurateren Einsatz von Säureelementen zusätzlich eine Spur leichter als jemals zuvor. Anders formuliert: so gut wie im Moment hat man unter Christian Kuchler in der Taverne zum Schäfli noch nie gegessen.
Neben dem tollen Essen und der malerischen Szenerie ist es vor allem auch diese Erkenntnis, die mich in diesem Augenblick ausserordentlich glücklich macht. Schliesslich gibt es tatsächlich kaum etwas Schöneres, als an einem sonnigen Mittag nach Wigoltingen zu fahren und sich im Schäfli nach allen Regeln der Kunst verwöhnen zu lassen. Man müsste dies viel öfters tun.


Chablis Premier Cru Butteaux 2018 Domaine François Raveneau


Taverne zum Schäfli
Oberdorfstrasse 8
8556 Wigoltingen
Schweiz
+41 (0)52 763 11 72
Website

 

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