Taverne zum Schäfli (Christian Kuchler) - Wigoltingen

Es ist 23:30 Uhr. Ich sitze in der neuen Bar des Schäfli in Wigoltingen und bestelle einen Absacker. Quer gegenüber sitzt Christian Kuchler mit ein paar Freunden, geniesst ein wohlverdientes Feierabendbier und blickt mich verschmitzt lächelnd an. Er weiss ganz genau, warum ich einen Absacker brauche. In den vergangenen gut vier Stunden hat er eine wahre kulinarische Tour de Force veranstaltet, die selbst einen geübten Esser an seine Grenzen bringen kann. Was in meinem Fall passiert ist. Doch zurück zum Start.
Es ist kurz vor 19:00 Uhr und ich mache es mir nach einem prickelnden Start an der Bar an einem Tisch in einer der hübschen Stuben bequem. Es ist mein erster Besuch in diesem traditionsreichen Haus. Bevor Christian Kuchler die Leitung des Betriebs übernommen hat, kochte sein Vater Wolfgang mehr als 30 Jahre lang im schmucken Riegelhaus. Nur mit einer Küchenhilfe bewaffnet war das dem Guide einen Stern und dem Gault Millau 18 Punkte wert. Kuchler Junior hat den Betrieb nach seiner Übernahme renoviert und steht nicht mehr ganz alleine am Herd wie sein Vater, sondern hat in Max Bauer und Patissier Daniel Simunic immerhin vier weitere helfende Hände in der Küche. Zu dritt haben sie nach der renovationsbedingten Schliessung des Betriebs in gefühlter Rekordzeit die bewährten Auszeichnungen zurück ins Haus geholt. Kein Wunder, könnte man denken, wenn man sich die vorherigen Stationen von Kuchler Junior ansieht. Im Plaza Athenée bei Alain Ducasse hat er ebenso gekocht wie bei Didier De Courten in Sierre oder bei Harald Wohlfahrt in der Schwarzwaldstube. Ein spannendes Potpourri an Einflüssen, zu denen auch sein Vater noch prägend beigetragen hat. Schliesslich ist der neue Chef quasi in der Küche aufgewachsen. Es versprechen einige interessante Stunden zu werden...

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Eine kleine Armada von Snacks eröffnet den Abend: Tom-Ka-Gai-Suppe, Entenleber-Chip mit Joghurt und Limette, Kalbskopf mit Tomaten-Pistou und Radieschen (ein Gericht von Wolfgang Kuchler) sowie eine Räucherstörmousse mit Raichenauer Felchenrogen. Die gar nicht so kleinen Kleinigkeiten strotzen vor Kraft und Würze, sind geschmacklich abwechslungsreich in Szene gesetzt und üppig portioniert.

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Sashimi vom Gelbflossenthunfisch an einer Wasabimarinade mit Soja, Gurke, Ingwer und Wasabisorbet wirkt, naja, zumindest ungewöhnlich im Kontext des Schäfli. Doch Kuchler kocht halt ganz einfach genau das, was er selber gerne isst. Geschmacklich ist das alles sehr in Ordnung, der Fisch von guter Qualität und stramm eingefasst.

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Sehr gelungen ist die Interpretation eines Vitello Tonato mit gebratenem Bries und Kalbsschwanzessenz. Das Bries ist ultraknusprig und fungiert somit gleichzeitig als Texturelement und feiner Geschmackgeber für das verhältnismässig dezent gewürzte Gericht. Noch besser ist die à part gereichte Essenz, die eine beeindruckende, wohlig-warme Tiefe hat. Sehr gut.

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Fast schon zart wirkt der erste Gang: Jakobsmuschel mit Haselnuss und Ananas. Das Prachtexemplar der leider viel zu oft servierten Molluske besticht durch einen delikaten, frischen Duft nach Meer und einer frischen Brise. Kongenial begleitet von der süss-sauren Ananas, die sowohl die Süsse der Muschel aufgreift und im selben Moment einen gelungenen Konterpart in Form der präsenten Fruchtsäure setzt. Und natürlich den fantastischen Haselnüssen, die dem Teller neben ihrem Crunch eine zusätzliche nussige Dimension verleiht, die die Brücke zurück zur St. Jacques schlägt. Sehr ausgeklügelt und verdammt lecker. Weniger gelungen ist die gebratene Version in der Schale, die durch den viel zu krassen Curryschaum förmlich erschlagen wird. Das schmälert die Klasse des Haupttellers natürlich keineswegs, zeigt aber auch, dass weniger wie so oft mehr ist.

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Bei der Langustine mit Karotte und Zitrone sticht zuerst die schiere grösse des Kaisergranats ins Auge. Ein Riesending in Grösse und Geschmack. Diese typische maritime Süsse findet sich in diesem Exemplar in sehr konzentrierter Form. Sie ist für sich genommen bereits ein Hochgenuss und dieses Gericht zeigt erneut, dass Kuchler seine Produkte sehr sorgfältig einkauft. Während die sehr gelungene Krustentiernage den Eigengeschmack des Edelkrebses zusätzlich hervorhebt, bringen die erdigen Karotten sowie die zitrussige Frische der Zitrone ein willkommene Abwechslung auf den Teller und sorgen für die richtige Balance.

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Mit dem Steinbutt mit Bouillabaisse, Artischocken und Spinat schaltet Kuchler wieder einen Gang hoch. Die grosszügige Tranche des Plattfischs ist einen Tick zu lange gegart, was dem Geschmack freilich keinen Abbruch tut. Eine sich fast schon energisch in den Vordergrund drängende Bouillabaisse macht es dem delikaten Fisch etwas schwer, sich sensorisch zu behaupten. Etwas Spinat, der mit einem erstaunlich präsenten Eigengeschmack punktet, sowie die bitteren Artischocken sorgen für einen dringend benötigten Gegenpol und bieten dem Fisch auch wieder etwas mehr Platz zur Entfaltung, wenn alle Elemente kombiniert werden. Eine vorsichtig zusammengestellte Gabel zeigt auch, wie viel Potenzial in diesem Gericht steckt, das mir persönlich ein wenig zu stark gewürzt ist.

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Obwohl der Hauptgang noch nicht direkt vor der Tür steht, schickt die Küche mit Ginger Beer mit grünem Apfel und Ingwer bereits einen Papillenerfrischer. Ungewöhnlich, aber schmackhaft.

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Weiter geht's mit Rotbarbe, Endivie und Sauce Matelotte. Die Barbe zieht dank der ungewöhnlichen "stehenden" Präsentation gleich mal die Blicke auf sich. Und sie ist geschmacklich, ich muss es erneut erwähnen, von wirklich sensationeller Qualität sowie perfekt gegart. Gemeinsam mit der Sauce Matelotte (in diesem Fall eine Fischfumé mit Rotwein und Paprikapulver) und der kräuterigen Füllung ist das ein richtiger Kraftprotz. Bei diesem Gericht schafft es Kuchler alle Komponenten perfekt aufeinander abzustimmen um so ein rundes Ganzes zu schaffen. Dazu trägt auch der Einsatz des angenehm bitteren Chicorée bei, sowie die immer noch knackigen, tournierten (!) Champignons. Ein grossartiger Gang und mein Highlight des Abends.

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Taubenravioli im Périgordtrüffelsud laden mit ihrem betörenden Duft dazu ein, den Teller in einem schnellen Zug auszulöffeln. Ziemlich genau das passiert auch, trotz bereits heftigem Sättigungsgefühl. Der fein gearbeitete Teig (der mir einen Hauch zu dick ist, aber das ist eine persönliche Präferenz), die delikate Füllung, die tiefe Sauce - das ist kein Gericht für den Kopf, sondern eines für Herz und Seele. Saulecker.

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Endlich beim Hauptgang angelangt, denke ich leise bei mir. Das Menü ist bis hierher mengenmässig ziemlich fordernd gewesen, und die Portionsgrösse des Horngässler Lamm „Rossini“ mit Prince de Bretagne lässt mich einen kurzen Moment erschaudern. Einmal tief durschnaufen und weiter geht's. Die Kombination von Lamm und Foie funktioniert ausgezeichnet, was auch an der fantastischen Jus liegt, die die beiden Elemente gekonnt vereint. Vom Gemüse, den Brotchips und den restlichen Beilagen probiere ich nur noch einen Höflichkeitsbissen, da sich so langsam aber sicher eine kleine Rebellion in meinem Magen breit macht. Doch für die Erkenntnis, dass dieser Hauptgang eine interessante, sehr gelungene Abwandlung eines altbekannten Gerichts darstellt, reicht die Kraft noch.

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Mit dem ersten Dessert Vanillesoufflé mit Banane und Gewürzen kann mich die Küche leider nicht abholen. Das hat einerseits mit meiner Sättigung zu tun, andererseits findet mit der Banane eines der wenigen Produkte Verwendung, dem ich einfach wirklich gar nichts abgewinnen kann. Zumindest für letzteres kann die Küche natürlich herzlich wenig. Die Probebissen zeigen dann auch einwandfreies Handwerk und eine gefällige Geschmackskomposition. Aber es ist leider ganz einfach nicht mein Fall.

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Ungleich besser gefällt mir das klassische Baba au Rhum "comme à Monte Carlo", eine Reminiszenz an Kuchlers ehemaligen Chef Alain Ducasse. Die Hommage ist auch ganz gut gelungen, wenngleich die Baba ein kleines bisschen trocken geraten ist. Da schafft auch der ausgezeichnete Rum mit seiner relativ scharfen Alkoholnote keine Abhilfe. Doch geschmacklich gibt es an diesem Dessert nichts auszusetzen. Ein schöner Menüabschluss.

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Nach einem üppigen Essen wie diesem darf ein Espresso genauso wenig fehlen, wie einige exzellente Petits Fours: Blutorange-Sauerrahm-Lolli, Mandeln im Cassismantel, Magenbrot und Schokoschnitte, Nougat, Himbeer-Yuzu-Gelée sowie eine Karamell-Passionsfrucht-Praline, für die ich irgendwie noch Platz finde.

Der Kreis schliesst sich und der Schluss des Dinners bringt mich wieder zum Anfang dieses Berichts. Denn jetzt mache ich mich auf den Weg in die Bar für einen dringend benötigten Absacker. Doch viel wichtiger als mein übervoller Bauch und das Bedürfnis nach einem Schnaps, ist das Revue passieren lassen des soeben erlebten. Christian Kuchler hat mit einer sehr klassisch geprägten Küche überrascht, die man von einem Koch in seinem Alter nicht unbedingt erwarten würde. Neben altbewährtem punktet er vor allem dann, wenn er Tradition und Moderne verschmelzen lässt (Jakobsmuschel, Rotbarbe) und seine eigene, weltoffene Handschrift erkennbar wird. Finden in Zukunft noch mehr solche Gericht den Weg ins Menü, ist das zweite Macaron wohl nur eine Frage der Zeit...


Taverne zum Schäfli
Oberdorfstrasse 8
8556 Wigoltingen
Schweiz
+41 (0)52 763 11 72
Website


Mein Besuch wurde vom Restaurant unterstützt.