Terra (Heinrich Schneider) - Sarntal

Auf der Suche nach den spannendsten und besten Restaurants schleicht sich auf meinen Reisen auch immer wieder mal ein kleines bisschen Abenteuer ein. Zum Beispiel die Anfahrt zum höchstgelegenen Sternerestaurant Italiens. Von Bozen, der Landeshautpstadt Südtirols, dauert die Fahrt nach Sarntal gut und gerne 40 Minuten. Das bei bescheidenen 25 Kilometern Weg. Die Serpentinen, die sich den Weg mitten durch die Dolomiten bahnen, geben nach jeder Kurve einen neuen Blick frei auf die wunderschöne Landschaft. Doch so richtig spektakulär wird es erst, wenn man das beschauliche Sarntal durchfahren hat und über Stock und Stein die letzten paar Höhenmeter zum Restaurant Terra zurücklegt. Mitten durch dichte Wälder führt der Weg, der urplötzlich den Blick auf das Tal freigibt, ohne die Absicherung einer dünnen Leitplanke am Strassenrand, nur um das Auto Sekunden später wieder im Dickicht des Waldes verschwinden zu lassen. Kommt man dann endlich am Ende des Weges auf 1'622 m.ü.M. an, parkt das Auto und läuft die wenigen Schritte zum Auener Hof, nimmt einen die Ruhe, die klare Luft und die bombastische Aussicht augenblicklich gefangen. Die Information auf der Website "Mittendrin im Nichts" könnte nicht zutreffender sein. Gastgeberin Gisela Schneider sorgt für einen äusserst warmen und herzlichen Empfang, und begleitet mich nach dem Check-In auf die Terrasse, wo ich mich bei einem Glas Roséschaumwein eines lokalen Produzenten in Ruhe akklimatisiere und die unvergleichliche Aussicht geniesse. Ein Gefühl der tiefen Entspannung macht sich breit. Am liebsten würde man sich einfach die Schuhe ausziehen und den Rest des Tages den Blick schweifen lassen, ein bisschen Knabberzeugs verdrücken und die Flasche des fantastischen Schaumweins leeren. Doch die Pläne sehen natürlich einen anderen Tagesablauf vor. So sitze ich um 19.00 Uhr brav an meinem Tisch im luftigen, zwischen Bergromantik und moderner Architektur eingerichteten Restaurant. Der Blick in die Küche und die bereits zahlreich besetzten Tische lassen auf einen zeitnahen Start des Essens schliessen. Noch schnell ein Schluck vom immer noch ausgezeichneten Rosé, dann kann es losgehen.

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Erdbeer-Rhabarber-Praline mit Minze sorgt für einen ungewöhnlichen Start. Nicht wegen des Einsatzes von Trockeneis, sondern aufgrund des Geschmacksbildes. Fruchtig, sauer und frisch ist nicht ein üblicher erster Eindruck, den eine Küche vermitteln will. Doch warum eigentlich nicht? Die Papillen werden aufgeweckt, der Riechkanal durchgeblasen und der Gaumen gekühlt.

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Ein Weisser Cracker mit Saibling, Kornblume und Verbena überzeugt durch seine Verbindung von knuspriger Basis mit delikaten, aufplatzenden Rogen und fein-zitrussiger Kräuterwürze. Sehr gut!

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Der Aschesponge mit geräuchertem Felchenkaviar und fermentiertem Knoblauch geht aromatisch in eine deutlich kräftigere, dunklere Richtung als seine Vorgänger. Rauchig, viel Umami und saulecker.

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Das letzte der kleinen Häppchen, Himbeerblatt mit Rosenpulver und Aromen, schliesst den imaginären Aromakreis und bildet die Brücke zur ersten Petitesse. Fruchtig, sauer und beinahe benebelnd kräuterig, stellt dieser fantastische Zylinder die sensorischen Weichen nochmal auf Null, bevor das Menü startet.

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Meringue mit Frühlingsblüten und Bergamotte-Duft vermeidet die unangenehm klebrige Süsse, die einer Meringue oft innewohnt. Das delikate Gebäck wurde mit Fischfumé aromatisiert, was für ein ungewöhnliches "je ne sais quoi" sorgt und zusätzlich mit etwas Foie Gras Sauce beträufelt. Das klingt ein wenig wild, ist jedoch so fein austariert, dass die Meringue nur als Vehikel für die intensiven Kräuter in Form von Kapuzinerkresse, Sauerampfer und Veilchen dient. Diesen wird wiederum durch das bestäuben mit Bergamotte eine subtile, mediterrane Frische verliehen - fantastisch.

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Weiter geht's mit Renke und "Blauschiefer". Die Renke (auch Felchen genannt) liegt als Tatar mit einer mit Tannenöl aromatisierten Hollandaise unter dem Schiefer. Dieser besteht aus Asche von Pimpinellenblättern, Reis und und Fischbrühe. Zusammengehalten wird das Ganze von einem Crisp aus Asche, Sepiatinte und Sellerie. Des Weiteren befinden sich Yuzugel, Birkengel und Zitronenmelisse auf dem Teller, sowie ein Kerbelstängel, der mit Steinpilzpulver überzogen wurde. Schon beim ersten Bissen wird klar, wie umwerfend gut dieses Gericht ist. Es lebt von der Qualität des Fisches und des harmonischen Zusammenspiels von süsslicher Hollandaise, knusprigem "Schiefer" sowie den Säurespitzen der verschiedenen Saucentupfer. Das ergibt ein äusserst elegantes Konglomerat von sich perfekt ergänzenden Aromen und Texturen, das schlicht umwerfend ist. Wow!

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Das nächste hübsche Arrangement dreht dich um eine Bronzekartoffel in der Erde gegart mit Leimkraut. Ein Schaum der Kartoffel wird gepaart mit rohen und frittierten Chips des Erdapfels sowie einem Liebstöckel- und einem Schnittlauchsaft sowie Steinpilzstaub und Blättern des Nelkengewächses. Bei aller Komplexität ist das ein Gericht fürs Herz und nicht für den Kopf. Ein Rädchen greift ins andere, kein Element ist zuviel oder zuwenig. Kurzum, es schmeckt einfach sensationell. Und teilt sich ab sofort den ersten Platz der besten Kartoffelgerichte meines Lebens mit dem Pürée aus dem Hertog Jan.

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Das Sarner Freilandei mit getrockneten Morcheln stellt eine weitere Inkarnation des ewigen "Ei-in-der-Schale-Themas" dar. Und was für eine! Das luftige Ei wurde mit einer stark reduzierten Ochsenconsommé verfeinert sowie mit Morchelstaub und Saiblingskaviar. Das Pilzpulver sorgt bei dieser sowieso bereits mundfüllenden kleinen Wuchtbrumme für ordentlich Umami. Der Rogen nimmt dieses Umami auf, bringt aber zusätzlich eine kühle, frische Note in dieses erstaunlich komplexe Ei.

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Eine in Holunder marinierte Forelle mit jungen Kräutern und Kaviar betört beim ersten Probierlöffel durch eine herrlich buttrige, dabei aber durch pointierte Säure leicht wirkende Champagnersabayon. In Kombination mit dem fleischigen, blumig duftenden Fisch und dem jodigen Kaviar entsteht ein unglaublich wohlschmeckendes Ganzes. Die Abwechslung und die erneut beinahe unheimliche Komplexität die Schneider mit diesen wenigen Elementen erzeugt, ist einfach umwerfend. Weiter so!

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Kein Mahl in Italien ohne Pasta. Die Gnocchi vom "Gaider" mit Habichtspilzschaum sind jedoch keine richtigen Gnocchi, sondern Sphären dieses typischen Südtiroler Käses. Sobald die Bällchen den Gaumen berühren, geben sie den rahmigen, kräuterigen Käse frei, der durch den erdigen Pilzschaum schön akzentuiert wird. Das ist jetzt kein Wow-Gang, wie viele der vorherigen Teller, sondern ganz einfach sehr lecker. Punkt.

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Dampfbrot mit Bärlauch, Roggen-Sauerteigbrot, Sauerrahm mit Fichtenöl und Sanddornmark bietet mehr, als ich bei einem Brotgang benötige. Hier bin ich relativ puristisch und freue mich am meisten über ein schönes Stück eines Sauerteiggebäcks mit guter Butter oder Olivenöl. Das hätte mir auch in diesem Fall gereicht. An den Dampfbrötchen und am aromatisierten Sauerrahm ist nichts auszusetzen, jedoch würde hier meiner Meinung nach das exzellente Sauerteigbrot vollkommen ausreichen.

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Nun folgt Pasta Nummer zwei: Kerbel-Fagottini von der geschmorten Ochsenwange mit Kräutersaft und Hirschhornflechte. Was ist das lecker! Perfekt gearbeiteter Teig, ultrasüffige Füllung und die leichte, ätherische Würze der Kräutersauce - grandios. Ganz einfach mit das beste Pastagericht, das ich jemals gegessen habe.

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Aromatisch sehr ungewöhnlich mutet Pasta Nummer drei an. Die Hefespaghetti mit Schafgarbe und Waldmeisterschaum versprühen einen fast schon weihnachtlichen Duft. Durch die in den Nudelteig eingearbeitete Hefe einerseits und die Zugabe von Zimt andererseits sowie den eher süsslichen Waldmeisterschaum entsteht ein wahrlich winterliches Geschmacksbild. Aussergewöhnlich extravagant und vor allem aussgewöhnlich gut.

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Wieder etwas konventioneller, doch nicht minder gelungen, ist der Passeirer Seesaibling in seiner Essenz mit Asche- und Liebstöckelperlen. Die Fischqualität des aus dem nahen Passeiertal stammenden Saiblings, der Sous-vide gegart wurde, ist erneut phänomenal - für sich genommen bereits ein Hochgenuss. Der Geschmack des am Gaumen förmlich schmelzenden Bachfisches wird durch die Essenz potenziert, um von den intensiven Perlen elegant und gleichzeitig kräftig untermalt zu werden. Drei perfekt ausgearbeitete und aufeinander abgestimmte Elemente, ein zum Verrücktwerden grossartiges Gericht.

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Bevor es auf die Hauptgänge zugeht, serviert Schneider einen "Terra-Tea" mit Vogelbeere. Im Gegensatz zu einem Sorbet sorgt dieser klare, warme Tee bestehend aus Rinderkraftbrühe und Trompetenpilzen, für einen wohlig-warmen Magen und regt so auch die Verdauung an. Für die Gaumenerfrischung sorgen die sauren Vogelbeeren sowie etwas fein-waldiges, samtiges Kiefernöl. Der konzeptionell wohl gelungenste Gaumenreset meiner Esskarriere.

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Nun folgt mit marinierter Schweinebauch mit Minzetoast der erste Fleischgang. Was auf den ersten Blick sehr übersichtlich und simpel anmutet, entpuppt sich als regelrechte Geschmacksbombe. Der ultrazarte, dabei bissfest gegarte Schweinebauch wurde mit geräuchertem Johannisbeersaft glasiert. Das sorgt für ein gewisses Barbecue-Feeling und setzt gleichzeitig den ersten Konterpart zum fetten Bauch. Zusätzlich wirken hier die vielen verschiedenen Kräuter wie Oregano, Minze, Ringelblumenblüten und Kerbel für die nötige Balance und verleihen dem Gericht durch ihre Frische (allen voran die Minze) einen vietnamesischen Anstrich. Das wirkt im Kontext des bisherigen Menüs erstmal ungewöhnlich, passt auf den zweiten Blick aber ausgezeichnet in die immer Frische und höchst abwechslungsreiche Kräuterküche des Terra.

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Auf Holzkohle gegrilltes Flanksteak mit Vogelmiere und Crème von Sonnenblumenkernen des letzten Sommers markiert den Hauptgang. Angenehm rauchiges Fleisch, mit kernigem Geschmack und tollem Biss, das vor dem Grillen in Honig und Kräutern mariniert wurde, um danach in einer Panade aus Röstzwiebeln, getrockneten Morcheln und Kräuterasche gewendet auf dem Big Green Egg zu landen. Das sorgt für eine präsente, nicht überbordende Süsse und eine wuchtige Komplexität von Aromen. Stark! Fast noch stärker ist die Sonnenblumenkernencrème. Ihr wohnt eine schier unheimlich nussige Kraft inne, die bei aller Intensität äusserst delikat wirkt und das Fleisch optimal ergänzt. Für etwas Auflockerung und weitere Geschmacksebenen sorgen eine Vogelmieren- sowie eine Liebstöckelsauce. Das ergibt in Summe einen Hauptgang der alles richtig macht. Spannend, dabei nicht überfordernd zu diesem späten Zeitpunkt im Menü, fein austariert und optimal portioniert. Kurzum, makellos.

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Das erste Dessert Gundelrebe mit Holunderblütenperlen und Lavendelschaum besticht durch seine herrliche Frische sowie ein interessante Geschmackskomposition. Keine Spur von plumper Süsse. Zuerst erschmecke ich den ätherischen Lavendel, dann dezente florale Bitternoten der Gundelrebe. Die cremige Konsistenz gepaart mit den im Mund schmelzenden Perlen sorgt für ein höchst eigenständiges Geschmackserlebnis. Dank der präzisen Tarierung des Lavendelschaums vermeidet die Küche hier auch die seifige Note, die bei der Verwendung des Lippenblütlers gerne mal auftaucht. So ganz nebenbei werden Papillen und Nüstern gleichermassen fit gemacht für die letzten Gänge. Sehr lecker.

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Birkeneis mit Gewürzperlen vereint auf wenigen Kubikzentimetern diverse Zutaten wie Thymian, Koriander, Sternanis, Vanille und viele mehr zum wohl berauschendsten Waffeleis aller Zeiten. Unglaublich, wie konzentriert sich die vielen Aromen hier auf so wenig Platz sammeln und dabei noch ein harmonisches Ganzes ergeben. Fantastisch.

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Als letztes Dessert serviert Heinrich Schneider einen gefrorenen Schaum vom Waldmeister aus Oberinn im Sauerkleesaft mit Kamillengelée. Herrlich frisch, kühl und leicht, bringt dieser Teller alles mit, was ich an modernen Desserts liebe. Selbst nach einem ausgiebigen Mahl wie diesem kommt hier keinerlei Essmüdigkeit auf, sondern ausschliesslich Freude auch noch den letzten kleinen Bissen zu vertilgen.

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Die kleine Teezeremonie schliesst das Dinner im Terra ab...

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... und wird von einer übersichtlichen Anzahl Petits Fours begleitet: Himbeer-Minze im Milchgelée, Kartoffelchip mit Rosmarin, Kandierter Kerbelast, Verbena-Marshmallow und Sanddorneispraline. Hochfein gearbeitet, geschmacklich spannend, im Nu verputzt.

Was für ein begeisterndes Essen! Heinrich Schneiders Gerichte bestechen durch eine Reduktion aufs Wesentliche. Es bedarf schon einer grossen Erfahrung und eines noch grösseren Selbstbewusstseins, um eine Küche wie diese zu servieren, die sich in fast schon japanischer Zurückhaltung übt. Schneiders Kräuterküche ist geprägt von Spannung, ungewöhnlichen Kombinationen und, am wichtigsten, purem Wohlgeschmack und Harmonie. Dazu versteht er es wie nur ganz wenige andere Köche, den Esser nicht zu überfordern. Selbst nach den abschliessenden Petits Fours, denen immerhin 16 Gänge voraus gingen, denkt man so bei sich: "auf ein, zwei Gänge hätte ich eigentlich schon noch Lust". Sollten sich Schneider und seine Küche so weiter entwickeln, wie seit meinem letzten Besuch im Auener Hof vor gut sechs Jahren, werden bei meinem nächsten Abstecher in die Dolomiten wohl drei Sterne über dem Restaurant leuchten.


Auener Hof - Restaurant Terra
Auen 21
39058 Sarntal
Italien
+39 0471 62 30 55
Website


Mein Besuch wurde vom Restaurant unterstützt.