Taverne zum Schäfli (Christian Kuchler) - Wigoltingen

Taverne zum Schäfli (Christian Kuchler) - Wigoltingen

Bitte aufessen

In der Schweizer Haute Cuisine gibt es nur wenige Häuser, die einen ähnlich legendären Ruf wie die Taverne zum Schäfli im beschaulichen Wigoltingen geniessen. Ab 1983 hat Wolfgang Kuchler hier gemeinsam mit seiner Frau eines der besten Restaurants des Landes aufgebaut. Als der Ruhestand langsam näher rückte, kam 2015 Sohn Christian zurück in heimische Gefilde. Bereits vor seiner Rückkehr hatte er angefangen, sich im Hirschen in Eglisau einen eigenen Namen zu machen und hat seinen ersten Michelinstern erkocht. Zuvor stand er unter anderem in der Brigade des doppelt besternten Didier de Courten sowie bei Grossmeister Alain Ducasse in der noblen Hôtel Plaza Athénée am Herd.
Als er den elterlichen Betrieb übernahm, liess er ihn erst einmal für eine beträchtliche Summe renovieren, um nach der Wiedereröffnung direkt richtig durchzustarten. Innerhalb von zwei Jahren erkochte er 18 Gault Milliau Punkte (die sein Vater ebenfalls fast zwei Dekaden lang hielt) sowie zwei Michelinsterne. Letzere Auszeichnung blieb dem Herrn Papa Zeit seines Berufslebens vergönnt. Meine letzte offizielle Stippvisite in Wigoltingen liegt bereits lange drei Jahre zurück, als Kuchler Junior noch mit einem Stern dekoriert war. Bereits damals zeichnete sich ab, dass das eine Macaron nicht das Ende der Reise für den damals 32-jährigen bedeutete. Bei einigen Gerichten funkelte schon sehr deutlich ein zweiter Stern am Horizont. An diesem feuchtfröhlichen Abend lernte ich nicht nur die in der französischen Klassik fussenden Gerichte kennen, sondern machte auch Bekanntschaft mit Kuchlers Vorliebe für anständige Portionsgrössen. Zum Schluss des Menüs war ich restlos überfressen und musste in der hauseigenen Bar noch auf einen Absacker einkehren. Und das, obwohl ich nicht mal alles aufgegessen habe. Der Spott des immer zu einem Spässchen aufgelegten Chefs liess nicht lange auf sich warten (zum Bericht). Deshalb ist mein bescheidenes Ziel für den heutigen Lunch - neben dem Genuss von hoffentlich vorzüglichem Essen - auch, dass nur leere Teller in die Küche zurückwandern. Mal schauen ob es klappt.

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Der Lunch startet mit einem Canapé-Quartett (im Uhrzeigersinn von oben): Erbse, Taube, Zwiebel - Kürbis, Birne - Tom Kha Gai - Churro, Chorizo Dip. Wo Kuchler im November Erbsen herbekommt, die so hervorragend schmecken, frage ich nicht nach. Doch nicht nur die grünen Hülsenfrüchte sind hervorragend, auch die Kombination mit der süsslichen Schärfe der Zwiebel und der dezenten Wildnote der Taube funktioniert exzellent. Von einem belebenden Süsse-Säure-Spiel geprägt ist das vegetarische Ensemble rechts, das die Papillen ordentlich kitzelt. Ähnlich verhält es sich mit der Suppe, bei der Kuchler in Sachen Abschmecken keine Abstriche macht und die entsprechend über einen ordentlichen Kick verfügt. Mit am besten gefallen mir die Churros. Luftig, knusprig und vor allen Dingen dank des würzigen, herzhaften Dips richtig spektakulär. Nur ein bisschen heisser hätten sie sein dürfen. Insgesamt ein äusserst vielversprechender Auftakt, der die Lust auf Kuchlers Küche nochmal zusätzlich befeuert.

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Als weiterer Menüvorbote wird ein Wachtelei geschickt, das in einer Knoblauchcrème schwimmt. Dieses Süppchen zeigt wunderbar die unterschiedlichen Facetten der hiesigen Küche. Kompromisslos, intensiv, auf den ersten Blick auch mal ein wenig rustikal wirkend, dabei immer hochelegant und präzise und vor allen Dingen produktfokussiert. Heisst in diesem Fall, dass dem in der Hochküche oft verschmähten Knoblauch ein Platz im Rampenlicht gegeben wird. Wer nun befürchtet, dass die oft dumpfe, beissende Schärfe im Vordergrund steht und sich für den Rest des Lunches unangenehm über den Gaumen legt, könnte nicht weiter entfernt von der Wahrheit liegt. Kuchler arbeitet die natürliche Süsse sowie die Erdigkeit des Lauchgewächses raus und schafft daraus ein unerwartet komplexes Elixir, das sich mit dem kleinen Wachtelei zu einem süffigen Hochgenuss verbindet, den man bei der Annoncierung des Gerichts nicht unbedingt erwartet. Das erste dicke, fette Ausrufezeichen. Dabei hat das Menü offiziell noch nicht mal begonnen.

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Der erste Gang ist direkt eines meiner Allzeit-Lieblingsgerichte: Norwegische Jakobsmuschel, Ananas, Haselnuss. Heute noch mit einer grosszügigen Nocke Kaviar aufgewertet. Wie bereits in einem früheren Artikel geschrieben, ist das ein unheimlich clever und umsichtig arrangierter Teller. Die angenehm kühle, von einer herrlichen maritimen Süsse geprägte Jakobsmuschel wird durch die fruchtige Säure der Ananas perfekt kontrastiert. Die Haselnuss sorgt einerseits mit ihrem Crunch für ein lebendiges Texturspiel, andererseits schlägt sie mit ihrer Nussigkeit die geschmackliche Brücke zur St. Jacques und akzentuiert diese hervorragend. Hier springt auch der Kaviar mit ein, der ebenfalls eine dezent nussige Qualität hat und natürlich seinen prägnanten salzig-jodigen Geschmack beisteuert. Abgerundet wird das Ensemble durch einige herbe und bittere Kräuter, die die Üppigkeit ein wenig im Zaum halten. Diese Kreation ist so unfassbar gut, nur schon hierfür lohnt sich die Reise nach Wigoltingen. Kuchler zeigt mit der Beigabe des Kaviars zudem, dass man ein eigentlich bereits perfekt geglaubtes Gericht noch weiter verbessern kann.

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Ravioli vom Ochsenschwanz mit Périgord Trüffeln ist der erste von zwei zusätzlichen Gängen, die ich bestellt habe. Als ob die handwerklich perfekten, hauchdünnen und dennoch bissfesten Ravioli mit der saftig-mürben Fleischfüllung und der süchtigmachenden Sauce nicht schon genug wären, “würzt” der Chef das Ganze noch mit drei dicken Tranchen kross gebratener Foie gras. Das ist Dekadenz im allerbesten Sinne und erneut so verdammt lecker, dass es mir beinahe den Atem verschlägt. Herzhaft, komplex, grosszügig, ausschweifend, einfach zum Fingerablecken gut. Was ich übrigens auch tue. Denn von dieser grandiosen, tiefen Sauce auch nur einen Tropfen in der Schale zu lassen, würde einem Affront gleichen.

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Als ich nach meiner Ankunft im Restaurant bei einem Glas Champagner … das Menü studiert habe, überlegte ich, ob ich den amerikanischen Hummer mit wildem Brokkoli und Yuzu austauschen oder einfach ganz weglassen soll. Während ich darüber sinniere, versuche ich mir gleichzeitig in Erinnerung zu rufen, wann ich das letzte mal einen richtig geilen Hummer-Gang gegessen habe. Es fällt mir beim besten Willen nicht ein. Grund genug, es mal wieder zu probieren, in der Hoffnung, sich eines Besseren belehren lassen zu können, um nicht immer auf dem langweiligen Hummer rumzuhacken. Das Ensemble zeigt sich dann auch ziemlich gefällig. Vor allem das Spiel mit den ausgeprägten und sehr pointierten Säurespitzen der Yuzu sowie Granatapfelkerne funktioniert mit der zurückhaltenden Süsse des Edelkrebses und der dezenten Kohligkeit des Grüngemüses sehr gut. Doch im Gegensatz zum bisher Gezeigten löst das keine Begeisterungsstürme aus. Der Charakter des Tellers würde sich wohl nur schon durch den Wechsel vom eher biederen Hummer zu einer luxuriösen Langoustine merklich zum Besseren wenden. So ist das schnell gegessen und auch wieder vergessen.

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Gänzlich anders verhält es sich beim bretonischen Steinbutt mit Prince de Bretagne, Eierschwämmli und Vin Jaune. Auch wenn es auf dem Bild nicht danach aussieht, Kuchler macht seinem Ruf als Verfechter von grossen Portionen wieder alle Ehre. Die qualitativ hochstehende, dicke, saftige Tranche ist makellos gebraten und gewinnt durch die prägnanten Röstaromen zusätzlich an Charakter. Den braucht der Fisch auch, um in der kräftigen Begleitung nicht unterzugehen. Sowohl die pointierte Säure der erneut nahezu berauschenden Sauce und die konzentrierte Bitternis der Artischocke bringen ordentlich Wallung in den Papillenwald. Um das auszubalancieren, mischt sich das Umami der Pilze immer wieder ins Geschmacksbild und rundet dieses optimal ab. Wie so oft bei Kuchlers Küche wirkt das auf den ersten Blick alles sehr simpel, entpuppt sich aber als eine ziemlich komplexe Angelegenheit mit reichlich Raffinesse.

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Froschschenkel aus Vallorbe, Knoblauch, Petersilie und Beurre Noisette ist der zweite à la carte Gang, den ich zusätzlich ins Menü einschiebe. Wie das nur schon duftet! Es wird zu diesem Gericht zwar auch Besteck gereicht, doch abgesehen vom Löffel, mit dem ich zum Schluss noch das letzte bisschen Flüssigkeit aus dem Teller schaufle, sollte man sich in diesem Fall seine Hände ein bisschen einsauen. Die krossen und saftigen Schenkel einmal quer durch den Teller zu ziehen, um auch ja alle Aromen mitnehmen zu können, ist essenziell. Wie es Kuchlers Art ist, kleckert er auch hier nicht, sondern klotzt. Reichlich Knoblauch, erdig, süss und würzig, herb-kräuterige Petersilie, die Butter, die das Ganze intensiviert und zusammenbringt. Ein kurzer Ausbruch ungezügelter Freude wäre angebracht, doch ich beherrsche mich aufgrund der anderen Gäste und murmle in delirierendem Kauderwelsch irgendwas wie ein leises Heureka.

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Weil sich der gerade mal 35-jährige Kuchler als Verfechter der (modernen) Klassik sieht, darf natürlich eine Erfrischung für den Gaumen vor dem Hauptgang nicht fehlen. Eine angenehm bittere und belebend säuerliche Gin Tonic Espuma tut dann auch genau das, was sie soll.

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Mit Barbarie Ente und Blumenkohl wird bereits der Hauptgang aufgetragen. Wie vieles im Schäfli, sieht auch dieses Ensemble eher unscheinbar aus. Doch hinter der unprätentiösen Optik verbirgt sich sowas wie der ultimative Hauptgang klassischer Schule. Müssig zu erwähnen, dass das Federvieh den höchsten Ansprüchen in Sachen Produktqualität und Zubereitung genügt. Natürlich gibt’s auch hier wieder ein kleines Stückchen Foie zur Abrundung des Haupttellers, auf dem der Blumenkohl nur eine Nebenrolle einnimmt. Erwähnenswert sind natürlich auch die Beigaben. Einmal eine unheimlich elegante, tiefe Consommé, in der man am liebsten Baden würde (vorausgesetzt, sie wäre nicht mehr ganz so heiss…). Dazu noch ein buttriges, samtenes Kartoffelpürée - für alle, die zu diesem Zeitpunkt wirklich noch eine Sättigungsbeilage brauchen. So wie ich, weil das alles einfach so verdammt gut ist. Jeder, der einen nahezu perfekten Hauptgang geniessen möchte, muss hierfür in die Taverne zum Schäfli nach Wigoltingen reisen.

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Es folgt nun der kurze aber ziemlich fulminante Auftritt von Pâtissier Daniel Simunic, der seine Kreation schlicht mit Thurgauer Apfel betitelt. Ein in seine Einzelteile deklinierter und danach wieder zusammengesetzter Apfel ist wahrlich nichts Neues in der Welt des Süsskrams. Im Gegenteil wurden solche in den vergangenen Jahren ziemlich inflationär von (oft nicht sehr talentierten) Pâtissiers überall auf der Welt aufgetischt. Doch was Simunic aus diesem Thema macht, ist nahe an der Perfektion. Dieser Apfel wurde nicht nur optisch, sondern auch geschmacklich originalgetreu getroffen. Beim Essen gewinnt man den Eindruck, den ultimativen und leicht getunten Apfel zu verspeisen. Geprägt von lebendiger Säure, kühler Frische, überbordender Frucht und einem tollen, abwechslungsreichen Texturspiel, rechtfertigt auch die letzte Speise des Lunchs für sich genommen wieder einen grossen Umweg nach Wigoltingen. Fantastisch!

In der Taverne zum Schäfli bleibt alles anders. Kaum jemand kocht in der Schweiz so dezidiert klassisch wie Christian Kuchler (schon gar nicht in diesem Alter), ohne sich dabei irgendwelchen ungeschriebenen Dogmen zu unterwerfen. Noch viel seltener findet man diese Art von Küche in einer derart atemberaubenden Qualität. Denn obwohl sich hier seit meinem letzten Besuch auf den ersten Blick wenig verändert hat, gleichen die Fortschritte bei genauerer Betrachtung einer rasanten Evolution, die schwups ein paar Generationen übersprungen hat. Dass Christian Kuchler ein toller und talentierter Koch ist, muss man niemandem mehr erzählen. Doch die stetige Entwicklung und Verfeinerung seiner Küche gehört in die Welt hinausposaunt. Abgesehen vom Hummer-Gang war das ein enorm beeindruckendes Menü, das gleichzeitig äusserst souverän daherkam, dabei aber regelrecht vor Mut und Verve sprühte. Dasselbe lässt sich übrigens auch über Fabian Mennel sagen. Der österreichische Sommelier hat die Gerichte im Glas sehr treffsicher begleitet und passt mit seiner nonchalanten Art vortrefflich ins Schäfli-Universum. Nach diesem Lunch gibt es absolut keine Zweifel an der Berechtigung der hohen Auszeichnungen, die sich Kuchler und sein Team erkocht haben (falls es sie denn jemals gegeben haben sollte). Denn die Taverne zum Schäfli gehört zweifellos zu den besten Adressen der Schweiz. Finaler Beweis dafür sind die Teller, die allesamt blütenweiss zurück in die Küche wanderten - trotz zweier zusätzlicher Gänge. Ich glaube, dafür sogar ein anerkennendes Kopfnicken von Christian Kuchler geerntet zu haben.


Taverne zum Schäfli
Oberdorfstrasse 8
8556 Wigoltingen
Schweiz
+41 (0)52 763 11 72
Website


Die Weinbegleitung von Sommelier Fabian Mennel:
Delamotte Brut
Veyder-Malberg Brandstatt 2017
Dönnhoff Felsenberg GG 2017
Henri Boillot Bourgogne Blanc 2016
Obsthof Retter Wild Preiselbeere “Edition Sommelier” 2018
Obrecht Completer 2016
Schlossgut Bachtobel Pinot Noir No. 3 2015
Pierre Boisson Auxey-Duresses 1er Cru 2013
Château Rieussec Sauternes 2003
Cascinetta Vietti Moscato d’Asti 2017
Mathys Edelbrand Alte Williamsbirne


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