Maihöfli (Oscar de Matos) - Luzern
Maihöfli (Oscar de Matos) - Luzern
Spanische Präzisionsarbeit
Nach einer langen Durststrecke rauschte es im Vorfeld der Verleihung des Guide Michelin 2022 Schweiz immer lauter im Blätterwald: Luzern sollte nach einer sternelosen Dekade endlich wieder ein besterntes Restaurant erhalten. Man munkelte, dass es sogar zwei sein könnten. Und siehe da, am 17. Oktober 2022 verkündete der Direktor des roten Guides, Gwendal Poullenec, dass sowohl das Lucide von Michèle Meier im KKL als auch das Maihöfli von Oscar de Matos am Stadtrand das begehrte Macaron erkochen konnten.
Auf Empfehlung von gleichgesinnten und vertrauenswürdigen Essverrückten hatte ich meinen Tisch im Maihöfli glücklicherweise bereits einige Wochen vor der Verleihung reserviert.
Mein Vorwissen über den Chef selbst, seine Küche oder das Restaurant ist vor meinem Dinner sehr spärlich. Ich weiss lediglich, dass de Matos gebürtiger Katalane ist und eine spannende Kochvita hinter sich hat. Die Ausbildung bestritt er im legendären El Bulli von Ferran Adrià. Ein Zwischenstopp bei den Roca Brüdern im dreifach besternten El Celler de Can Roca in Girona findet sich im Lebenslauf ebenso wie ein Aufenthalt bei der Innerschweizer Legende Werner Tobler sowie ein Gastspiel im Schweizerhof in Luzern. Seit 2018 ist er im Maihöfli mit seiner Partnerin Nadine Baumgartner selbständig. Mehr weiss ich zum Zeitpunkt meines Besuches nicht. Das sind mit meine liebsten Voraussetzungen, um ein Restaurant kennenzulernen.
Im überraschend grossen und in zeitlosem Bistrochic gehaltenen Lokal fühlt man sich nach der herzlichen Begrüssung durch die Chefin augenblicklich wohl. Nach der Entscheidung zu einem erfrischenden Cava Xarel-la Gran Reserva Brut 2012 von Guilera muss ich lediglich wählen, ob mein Menü sechs oder acht Gänge beinhalten soll. Acht sollen es natürlich sein. Mehr Informationen gibt es auch jetzt nicht, doch dafür es geht direkt los.
Drei Snacks bilden den Auftakt: links der Kohlrabi mit Sellerie und Apfel, dessen anregende Knackigkeit, Frische und lebendige Säure direkt den Ton für den Abend setzt. Ganz ähnlich verhält es sich rechts mit dem Karotte und Ingwer Tartelette, das zusätzlich die Papillen weckt. Zum Abschluss bietet ein frittiertes Käsebällchen mit Trüffeln aus dem nahen Meggerwald ein gelungenes Kontrastprogramm mit reichlich Wohlfühl-Umami. Neben der stimmigen Komposition fällt besonders die Akkuratesse auf, mit der alle Horsd'œuvre gearbeitet sind. Das dürfte ein spannendes Menü werden.
Vegetarisch geht’s weiter mit Rande, Orange, Blutorange, Stachelbeere und Tapioka. Ich liebe Zitrusfrüchte. Und wenn sich jemand traut, sie so in den Mittelpunkt zu stellen, wissen sie oft umso mehr zu glänzen. Was de Matos hier aus ganz alltäglichen Aromen komponiert mutet auf den ersten Blick denkbar einfach an. Doch wie bei den Amuses besticht auch in diesem Fall das perfekte Zusammenspiel von Komposition und Exekution. Die Proportionen sind punktgenau justiert, so dass eine optimal ausbalancierte Symbiose von fruchtiger Zitrussäure und erdig-süsser Knolle entsteht. Beim Randentatar beeindruckt die absolut perfekte Textur, nicht zu knackig aber mit reichlich Biss, die durch den optimal justierten Kaubedarf am Gaumen erst alles geschmacklich zusammenbringt. Beeindruckend.
In eine ähnliche Kerbe schlägt der Blumenkohl mit Togarashi Vinaigrette, Grapefruit und Estragon. Jedoch ist die Balance hier nicht ganz so im Lot, wie das bei der Rande der Fall war. Dies liegt vor allem an der würzigen Vinaigrette, die mit ihrer Wucht und Komplexität (Shichimi Togarashi besteht im Regelfall aus den sieben Zutaten Chili, Szechuan Pfeffer oder Japanischer Pfeffer, Orangenschale, weissem und schwarzem Sesam, Nori und Ingwer) in erster Linie den Blumenkohl förmlich begräbt. Dazu kommt, dass sowohl Grapefruit als auch Estragon ebenfalls nicht gerade hintergründige Aromaten sind. Im Grunde genommen ist die Idee wieder stimmig, und es schmeckt mir auch sehr gut, jedoch dürfte der Blumenkohl im Sinne der Harmonie besser rausgearbeitet sein und eine prominentere Rolle einnehmen.
So gut alles bisherige war, beim Kingfish mit Buchweizen Koji, Umeboshi, Arare Reis und Holunderblüten zeigt de Matos erstmals sein gesamtes Können. Das ist eine Kreation der Marke “Kinnlade-auf-dem-Tisch”, das wird bereits beim ersten Bissen klar. Die Königsmakrele zeigt durch die Behandlung mit Koji eine Textur, die an qualitativ hochwertigstes rohes Kalbfleisch erinnert. Zart zwar und am Gaumen problemlos durch Drücken mit der Zunge zerteilbar, aber mit merklich mehr Struktur und, wenn man denn möchte, Kaubedarf. Die Einfassung ist trotz ihrer Intensität enorm raffiniert und bettet den Fisch in eine herb-fruchtige Komplexität, der durch den Reis aber auch eine süffige Zugänglichkeit innewohnt. Wow, einfach nur wow. Diese Kreation ist schon mal ein klarer Indikator, dass der erste Stern für den spanischen Chef nicht der letzte gewesen sein muss.
Eine der allerorts hochgelobten Kreationen aus de Matos’ Feder ist die Pilz Cashew Paté (oben links im Bild), die auch gerne mal als eigenständiger Gang serviert wird, heute aber als Teil einer Brotzeit ihren Auftritt feiert. Daneben werden eine Brioche, Joselito Black Label Chorizo und eine aufgeschlagene Nussbutter serviert. Zuerst widme ich mich natürlich der Paté, die in Textur und Mundgefühl unverschämt nah an einer Foie gras ist. Geschmacklich ist das eine wahre Umami-Bombe, die dabei aber nicht plump wirkt, sondern sehr fein und elegant daherkommt. Die grandiose Brioche sorgt dafür, dass sich ein appetitlicher Fettfilm über Finger und Lippen legt. Eine Ode für alle Butterliebhaber - die man mit der Nussbutter vorzüglich verstärken kann. Zum Schluss darf natürlich das vorzügliche Schweinefett der Wurst nicht fehlen, die mit ihrer Schärfe einen zusätzliche Dimension in dieses Picknick bringt. Luxuriöse Deftigkeit der besten Art. Unfassbar lecker.
Etwas gesitteter geht es beim Zander mit Vin Jaune Beurre Blanc, Hühnerhaut, Spitzkohl, Liebstöckel und eingelegten Trauben zu. Hier ist ziemlich viel los. Eine üppige Anzahl kräftiger Geschmäcker, die aufeinander treffen und drohen, den Fisch zu übertünchen. Doch der Chef beweist erneut ein sehr sicheres Händchen bei den Proportionen und inszeniert dieses potenziell ausufernd wilde Gericht äusserst stimmig. Tatsächlich steht der Fisch zu jeder Zeit im Mittelpunkt und erhält durch die kongeniale Einfassung ein ganz neues Gewand. Man changiert gekonnt zwischen einer gewissen bodenbehafteten Rustikalität und nobler Opulenz. Wer kann, der kann. Als einziger kleiner Störenfried erweist sich, je nach Gabelbelegung, die Hühnerhaut, die teilweise etwas zu dominant zu werden droht. Aber alles noch in einem verkraftbaren Rahmen, der den exzellenten Gesamteindruck nicht nachhaltig trübt.
Nach der Chorizo blitzt beim Hauptgang Alte Kuh Rubia Gallega, vegane Jus mit Koji, wilder Brokkoli und Aprikosenkosho erst zum zweiten Mal die spanische Heimat des Chefs durch. Das prächtige, nicht zu grosse Stück des iberischen Rinds ist herrlich kernig, kräftig und saftig. So, wie ein Stück Rind vom Grill sein sollte, es aber leider viel zu selten ist. Zu so einem tollen Hauptdarsteller braucht es nicht viel. Ein bisschen knackiges Grün des Kreuzblütlers, einen belebenden, fruchtig-würzigen Schärfekick durch das Kosho sowie eine tiefe, umamigeladene Sauce. Letzere erweist sich als der eigentliche Clou des Hauptgangs. Diese Kraft und Komplexität, ohne es dabei an Eleganz vermissen zu lassen, ist einfach nur grossartig. Ein Elixier, das den Teller auf die nächste Stufe hievt und mir einen der raren Hochgenüsse mit rotem Fleisch und brauner Sauce beschert. Vielleicht liegt es daran, dass die Sauce vegan ist und dadurch ein ganz anderes Geschmacksprofil aufweist, als eine Sauce auf Basis einer Fleischjus. Sven Wassmers Yummy Paste ist ebenfalls vegan und eine kongeniale Begleitung eines der seltenen Highlights eines Fleischgangs.
Unkonventionell präsentiert sich das erste Dessert Buchweizenblini mit Misoglacé, Himbeere und Maihöfli Osciètre Prestige. Kaviar in Nachspeisen zu integrieren ist zwar beileibe nichts Neues, man sieht es aber vor allem in unseren Breitengraden relativ selten. Schade, denn dieses klassische Luxusprodukt kann auch in einem nicht-herzhaften Kontext wunderbar funktionieren. Wenn man es so stimmig umsetzt, wie in diesem Fall. Viel Süsse sucht man zwar vergebens, auch hier schwingt de Matos Hang zum Umami mit, doch der Geschmackskosmos schreit dennoch ziemlich deutlich Dessert. Geprägt von einer vielschichtigen Nussigkeit zeigt sich ein dicht gewobenes, dabei nuanciertes Zusammenspiel aller Komponenten. Damit es nicht zu kopflastig wird, streuen die Himbeeren kontinuierlich ihre fruchtsäuerliche Süsse ein, um das Ganze zu erden. Ich könnte mir vorstellen, dass einige Gäste das nicht mögen. Und sei es nur des Kopfkinos wegen. Ich finde es grossartig.
Wie es sich für einen modernen Chef und Wirt gehört, versucht auch de Matos mit seiner Mannschaft möglichst nach dem Zero Waste Prinzip zu arbeiten. Deshalb hat man aus dem Saft der Herstellung des Aprikosenkosho, das beim Hauptgang zum Einsatz kam, kurzerhand ein Glacé kreiert. Dazu gibt es eingelegte Aprikose, Stracciatella, Fenchel, Olivenöl und Maldon Salz. Mit diesem “Dessert” treibt die Küchencrew die Umami-Wildheit heute auf die Spitze. Abgesehen von der inhärenten Süsse des Steinobstes, sucht man vergeblich nach etwas, was diesen Teller sinnvollerweise an den Schluss eines Menüs wandern lässt. In seiner Essenz ist das ein abgewandelter ToMozza. Ich bewundere die Konsequenz, mit der im Maihöfli die Vision der eigenen Küche umgesetzt wird. Ohne Rücksicht auf Verluste. Allerdings könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass der geneigte Gast spätestens jetzt einen Konsensteller erwartet. Ein “richtiges” Dessert, wenn man so will. Mein Verdikt fällt deswegen nicht negativ aus. Im Gegenteil. Mir gefällt der letzte offizielle Gang des Abends wiederum ausnehmend gut.
Den erwähnten Zuckerkonsens bieten nun zu einem grossen Teil die Petits Fours. Hier bewegt man sich, was die Umsetzung betrifft, zumindest in etwas klassischeren Gefilden des typischen Süsskrams. Und überzeugt auch damit.
Nach einigen Lobhudeleien von vertrauenswürdigen Fressern hatte ich durchaus damit gerechnet, dass das Dinner im Maihöfli ein vergnügliches Erlebnis werden könnte. Dass es allerdings so gut wird, habe ich nicht erwartet.
Oscar de Matos’ Gerichte sind sehr klar strukturiert, übersichtlich und angenehm reduziert. Besonders auffällig ist die handwerkliche Präzision, die sich in jeder einzelnen Komponente manifestiert. Alles wirkt sehr exakt komponiert und wird folgerichtig auch enorm akkurat umgesetzt. Ohne es zu sehen, spürt man eindeutig, dass die spanische Schule (vor allen Dingen natürlich Adriàs techno-emotionale Küche, wie er sie selber nannte) Spuren hinterlassen hat. Diese penible, wissenschaftliche Akkuratesse vermählt de Matos nun mit dem französischen Erbe der Haute Cuisine sowie starken Einflüssen aus Fernost, und schafft damit ein ureigenes kulinarisches Kaleidoskop. Immer kraftvoll. Immer umami. Immer sauer. Immer persönlich. Und vor allem immer verdammt gut.
Der erste Stern dürfte für den Katalanen nur der Startschuss und eine Zwischenstation zugleich sein. Dass mehr geht, ist bereits jetzt sonnenklar. Doch das wird leider nicht mehr im Maihöfli passieren. Der Chef und sein Team verlassen das Restaurant per April 2023. Das heisst erstmal, so schnell wie möglich noch einen Tisch ergattern, denn es bleiben vorerst nur noch wenige Wochen, um in den Genuss von de Matos Küche zu kommen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: der Chef will der Schweiz treu bleiben und sucht mit seiner Partnerin bereits ein neues Lokal. An neuer Wirkungsstätte kann hoffentlich direkt richtig durchgestartet und der zweite Stern anvisiert werden. Also, alle Augen und Ohren offen halten ist angesagt. Oscar de Matos Vita wird bald um einen weiteren gewichtigen Eintrag bereichert.
Restaurant Maihöfli - Oscar de Matos
Maihofstrasse 70
6006 Luzern
Schweiz
+41 (0)41 420 60 60
Website
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