Widder (Stefan Heilemann) - Zürich

Widder (Stefan Heilemann) - Zürich

Durchstarten an neuer Wirkungsstätte

Der 14. April 2020 war in kulinarischer Hinsicht ein trauriger Tag, denn an diesem Dienstag wurde die Schliessung des Atlantis by Giardino bekannt. Mit dem Hotel schloss natürlich auch das zweifach besternte Ecco von Stefan Heilemann seine Türen.
Fast genau so schnell und unerwartet wie der erste Schliessungs-Schock folgte einen knappen Monat später die überraschende Nachricht, dass die unfreiwillige Auszeit von Heilemann bald wieder beendet sein wird. Das renommierte Hotel Widder, direkt bei der Zürcher Bahnhofstrasse, hatte sich den Chef geschnappt. Erfreulicherweise sogar nicht nur ihn, sondern auch fast die gesamte Mannschaft, die bereits im Ecco mit ihm arbeitete. Nochmal vier Wochen später wurde bereits die grosse Eröffnung gefeiert.

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Gute drei Wochen nach der Übernahme des Restaurant Widder durch die ehemalige Ecco Crew laufe ich die Stufen zum Restaurant hoch, wo ich von einem über alle Backen grinsenden Stefano Petta begrüsst werde. Seines Zeichens Restaurantleiter und Sommelier. Die Küche im Widder ist offen, was man sich zu nutzen macht, um interessierten Gästen die Möglichkeit bieten zu können, am Kitchen Table Platz zu nehmen und die Action aus nächster Nähe zu beobachten. Das Lokal ist gleichzeitig modern und in gewisser Weise urban, man sieht und spürt jedoch auch die Historie des Hauses. Ein toller und sehr gelungener Mix.
Am Küchentisch wird man gleich mit einem Glas Krug Grande Cuvée versorgt, was die sehr kurze Wartezeit bis zu den ersten Snacks überbrückt. Obwohl ich schon viele Male bei Heilemann gegessen habe, bin ich heute besonders gespannt, wie sich seine Küche an der neuen Wirkungsstätte präsentiert.

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Eröffnet wird das Dinner mit einem Trio, das sich um die Bresse Ente dreht. Links im Körbchen ein Bao Bun, rechts im Teller die marinierte Leber und die knusprige Haut. Während die hauchdünne, mit etwas gehobeltem Entenschinken belegte Haut ganz im Zeichen des Crunches steht, betört die üppige Leber durch ihren luxuriösen Schmelz. Star des Trios ist allerdings der luftige Bun. Neben seiner absolut perfekten Textur und Leichtigkeit überzeugt auch der würzige, saftige Inhalt und macht das Dampfbrötchen zum ersten dicken Ausrufezeichen des noch jungen Abends.

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Die Küche grüsst vor dem Menü nochmal mit Lachsforelle, Süsskartoffel und Passionsfrucht. Durch die lebendige Säure der Maracuja wird das delikate, zart-fettige Fleisch wunderbar akzentuiert, während die Süsskartoffel vor allem Knusprigkeit beisteuert. Zusätzlich bringt der sorgsam dosierte Schnittlauch etwas bodenständige Würze ins Spiel, die sehr schön mit der exotischen Fruchtigkeit harmoniert und das kleine Intermezzo abrundet.

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Spencer Gulf Kingfish und Meeresfrüchte mit Kaviar, Dill, Gurke, Leinsamen sind die Protagonisten des ersten offiziellen Gangs. Hinter dem Begriff Meeresfrüchte verbergen sich unter anderem die raren Gamba Blanca aus Portugal, Tintenfisch sowie Austernperlen. Heilemann ist Produktfanatiker, was man diesen unscheinbaren Schätzen aus dem Ozean bereits anmerkt. Sie unterstützen die frische Note von salzigem Meer, die dem Hiramasa in etwas subtilerer Form innewohnt, und steuern zusätzlich ein wenig maritime Süsse bei. Getoppt wird das Ensemble vom nussigen, nur dezent jodigen und ebenfalls salzigen Kaviar, der das Ensemble aus dem flüssigen Nass komplettiert. Die luxuriösen Wasserbewohner werden von einer fast schon bescheiden anmutenden, knackig-frischen Einfassung unterstützt, die die delikaten Aromen perfekt untermalt und gleichzeitig einen wichtigen Konterpunkt setzt. Hier kommt dem Leinsamenchip ebenfalls eine wichtige Rolle zu, sorgt er doch für zusätzliches Texturspiel und schlägt mit seiner Nussigkeit über den Kaviar auch die Brücke zurück zu den vielen Hauptdarstellern. Grandiose Produktqualität, harmonisch und trotzdem sehr spannend inszeniert, dazu eine kaum zu verbessernde Feinjustierung. Kurzum: wow!

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Weiter geht’s mit Balfego Thunfisch, Blumenkohl, Thai Salsa und Minze. Hier kommt Heilemanns Vorliebe für die südostasiatische Küche - und dort vor allen Dingen Thailand - erstmals so richtig zum Vorschein. Im Mittelpunkt sind zwar zweifellos die dicken Quader des grandiosen Thunfischbauchs - saftig, fettig, opulent, luxuriös - doch die Einfassung spielt in diesem Fall eine sehr wichtige Rolle. Der Bauch ist, ähnlich einem Stück Foie gras oder Wagyu, so fett, dass er unbedingt einen auflockernden und für Balance sorgenden Gegenpol benötigt. Den findet er in der mutig abgeschmeckten Salsa, die reichlich Säure mitbringt, um das Fett konterzukarieren und gleichzeitig eine umheimliche Komplexität besitzt. Das ist kein bisschen plakativ oder wirkt gesucht, sondern isst sich wie die natürlichste Kombination, die man sich nur vorstellen kann. Zusätzlich verleiht der Blumenkohl dem Ganzen eine bodenständige Substanz, während die Minze auf der anderen Seite für lebendige Frische sorgt und das Pendel noch etwas stärker in Richtung Siam fallen lässt. Unfassbar gut.

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Dass die Grossartigkeit nicht abreissen wird, ist spätestens dann klar, als der Chef neben mir am Küchentisch auftaucht, um einen im Ganzen zubereiteten Steinbutt zu präsentieren. Der Butt ist mit Jakobsmuscheln gefüllt, dazu gibt es Gelbes Thai Curry und Karotten. Heilemann versteht es wie nur sehr wenige andere Köche, exotische Aromen in seine Gerichte einfliessen zu lassen, ohne dass es wie eine bemüht wirkende Konstruktion daherkommt. Alles scheint ganz selbstverständlich zusammenzuspielen, erweckt nicht den Anschein, aufgesetzt oder gar forciert zu sein. Das liegt vor allem daran, dass er keine Kompromisse eingeht. Wenn eine Kreation nach Thailand schmecken soll, dann ist die Sauce eben nicht einfach leicht mit Zitronengras parfümiert und die Currynote schwingt nicht irgendwo entfernt im Hintergrund mit. Das Curry schmeckt, wie ein (ganz hervorragendes, hausgemachtes) Curry zu schmecken hat. Es ist Hauptbestandteil des Gerichts, gibt dem Teller Charakter und es gibt natürlich reichlich davon, nicht nur vier versprenkelte Tupfer. So geht das komplexe, cremige, exotische Curry eine wunderbare Verbindung mit dem saftigen Fisch ein, der durch die Süsse der Jakobsmuscheln zusätzlich an Struktur gewinnt (auch wenn mir eine ebenfalls schon gegessen Version mit Kaisergranat noch besser schmeckt). Damit das Ganze nicht zu üppig ist, wird aus der Karotte kurzerhand eine Art Fake-Som-Tam gemacht, der Säure und Knackigkeit und somit Balance bringt. Wie bereits bei der Präsentation des Steinbutts vermutet, einfach absolut grossartig.

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Ein Höhepunkt jagt den nächsten, denn die Atlantik Rotbarbe mit Artischocke, Bottarga und Sherry Escabeche setzt den Reigen von unglaublich grossartigen Gerichten nahtlos fort. Darauf deutet die initiale Probiergabel aber noch nicht wirklich hin. Natürlich, wie könnte es in der Küche von Stefan Heilemann auch anders sein, ist die Rotbarbe von herausragender Qualität und absolut tadellos zubereitet. Nicht nur der Fisch lässt mich unweigerlich ans Mittelmeer denken, sondern auch die Begleitung. Im ersten Moment wirkt sie fast ein Stück zu harsch, zu rustikal, zu würzig. Dieser Eindruck verflüchtigt sich aber sehr schnell und löst sich in purer Wonne auf. Denn trotz aller Kraft greift jedes einzelne Rädchen mit absoluter Präzision ins nächste. Rustikal ist das nur an der Oberfläche, darunter zeigt sich eine enorm raffinierte Kreation. Die Würzung ist heftig, ja, ebbt aber nach dem ersten Aufbranden ab und fügt sich harmonisch ins Gesamtbild ein. Locker eines der besten Gerichte rund um die bescheidene Rotbarbe, die ich jemals gegessen habe. Und eines der besten, die jemals die Küche Heilemanns verliess. Besser geht es kaum.

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Zum Hauptgang fährt die Küche nochmal richtig grosses Geschütz auf. Australisches Wagyu Shortrib, sanft gegart, dazu wilder Brokkoli, Yuzu und eine grosszügige Portion herrlich intensiv duftender Australischer Wintertrüffeln. Die Vermutung liegt nahe, dass hier ein bisschen Luxus um des Luxus Willen zelebriert wird. Doch diese Annahme könnte nicht verkehrter sein. Denn das Fleisch ist ganz einfach von sensationeller Qualität, nicht zu fettig, so dass man problemlos auch ein grösseres Stück geniessen kann. Die Ladung dunkler Tuber-Späne komplementiert das Rind vortrefflich, überlagert es aber trotz des beeindruckenden schwarzen Berges nicht. Gegensteuer bekommt das Duo durch die bitter-säuerliche Yuzu, die so akkurat dosiert ist, dass sie gleichzeitig für Ausgewogenheit sorgt und ihre Mitspieler akzentuiert. Selbst der gegrillte Brokkoli wurde nicht einfach der Gesundheit wegen auf den Teller gelegt, sondern trägt mit seinen bitter-grünen Grillaromen und seinem Crunch essenziell zum Gelingen dieses Gangs bei. Unglaublich lecker.

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Schreitet die Stunde etwas später voran, übergibt Heilemann das Küchenzepter an seinen langjährigen Pâtissier André Siedl. Ähnlich seinem Chef, fackelt auch er nicht lange und haut mit marinierte Aprikose, Kokosnuss, Ingwer und Pandan direkt einen richtigen Kracher raus. Im Herzen (sprich geschmacklich) ist das ein zutiefst klassisches Dessert, das sich allerdings in einem leichten, modernen Gewand präsentiert. Exotisch schmeckt es, eine subtil unterliegende Schärfe vom Ingwer schimmert immer wieder durch, nussig, cremig, komplex und dabei leicht zugänglich. Das liegt vor allem an der Aprikose, die so wunderbar aromatisch ihre vollreife Fruchtigkeit über jeden Bissen legt, dass man gar nicht anders kann, als sich von Siedls erstem Streich komplett in seinen Bann ziehen zu lassen. Könnte ich direkt nochmal essen. Und dann nochmal. Und vielleicht noch ein viertes Mal.

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Auf ähnlich hohem Niveau bewegt sich die Felchlin Blüemlisberg Schokolade mit Weizengras, Ziegenmilch und Himbeere. Die Besonderheit der verwendeten Schokolade liegt in ihrer Milch, sie stammt von der Ziege. Die kletterfreudigen Hornträger verbringen ihre Zeit im Kanton Schwyz auf 1’200 m.ü.M und ernähren sich von allem, was auf den Wiesen in dieser Höhe so wächst. Das macht die Milch mild-würzig (nicht stallig) und vielschichtig. Diesem tollen Erzeugnis stellt Siedl noch mehr Ziege in Form ihrer Milch zur Seite, die dieses besondere - und oft zu unrecht verschmähte - Produkt zusätzlich akzentuiert. Dazu passt das grüne, herb-frische Weizengras natürlich wie gemalt, während die vorsichtig dosierte Himbeere immer wieder etwas sommerliche Beerenfrucht und ein wenig Säure beisteuert. Sehr, sehr gut.

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Bevor es nach Hause geht, verabschiedet sich die Pâtisserie noch mit drei Petits Fours: Canelé, Passionsfrucht, Tonkabohne - Banane, Milchschokolade, Vanille - Blätterteig, Wilde Beeren, Lakritze. Allesamt exzellent. Sogar die Banane, der ich in den allermeisten Fällen wenig abgewinnen kann.

Besser habe ich bei Stefan Heilemann und seiner Mannschaft noch nie gegessen. Und das will was heissen, hat mir die Crew doch bereits in ihren viereinhalb Jahren im Ecco so manche unvergessliche Stunde bereitet. Es scheint, als ob mit der Schliessung der alten Wirkungsstätte und dem schnellen, unerwarteten Umzug mitten in die Zürcher Innenstadt, beim Chef selbst und auch bei seinem Team ein neuer Reiz gesetzt wurde, der alle zu neuen Höchstleistungen anstachelt.
Die Küche ist nun noch kompromissloser in Qualität, Mut und Eigenständigkeit. Gleichzeitig ist sie dadurch noch raffinierter geworden. Heilemann scheint endgültig seine kulinarische Mitte gefunden zu haben, was sich in einem durchweg grossartigen Menü manifestiert. Einen nicht unerheblichen Teil trägt auch André Siedl zum grossartigen Menü bei. Seine Desserts sind so präzise gearbeitet wie nie zuvor. Sie sind gleichzeitig spannend und zugänglich und vor allem verdammt lecker. Dass zwei Sterne nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten, war schon länger klar. Doch so eindeutig hat noch kein Essen bei Heilemann in Richtung drei Macarons geschielt. Noch ist man zwar nicht da, doch zusammen mit Sven Wassmers Memories ist das Restaurant Widder wohl der aktuell heisseste Kandidat, um in den kommenden Jahren mal den obersten Platz auf dem Treppchen zu erklimmen.
Nicht vergessen darf man natürlich Restaurantleiter und Sommelier Stefano Petta. An ihm und der Servicemannschaft ist die neue Leichtigkeit am schnellsten zu erkennen. Auch wenn das Ecco alles andere als steif war, ist die Atmosphäre im Widder nochmal merklich lockerer, gelöster und das Publikum auch ein wenig urbaner. Das passt ganz einfach perfekt für alle Beteiligten - Küche, Service, Hotelbesitzer und Gäste. Bereits kurz nach der Eröffnung gehört das Restaurant Widder zu den besten Lokalen der Schweiz und Stefan Heilemann zementiert seinen Namen einmal mehr in enorm beeindruckender Art in der Top-Liga der Schweizer Köche ein. Unbedingt hingehen.


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Krug Grande Cuvée | Krug | Frankreich | Champagne
Kerner Ticino 2019 | Terreni alla Maggia | Schweiz | Tessin
Kallstadter Saumagen 2017 | Koehler-Ruprecht | Deutschland | Pfalz
Sauvignon Blanc 2017 | Dry Stack Vineyard | USA | Napa
OM Blanc | Oliver Moragues | Spanien | Mallorca
Châteauneuf-du-Pape 2017 | Clos Saint Jean | Frankreich | Rhône
Moscato D’Asti | Cantina Vietti | Italien | Piemont
Strohwein | Zweifel | Schweiz | Zürich


Restaurant Widder
Rennweg 7 
8001 Zürich
Schweiz
+41 44 224 25 26
Website

 

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