Tannenhof (James Baron) - St. Anton

Seitdem ich vor etwas mehr als einem Jahr zum ersten Mal einen Fuss ins Hotel Tannenhof gesetzt habe, habe ich einen kleinen Narren an diesem wunderbaren Kleinod gefressen. Ganz wenige Häuser dieser Welt beherrschen die Kunst, dass man sich wie zuhause fühlt, bevor man überhaupt richtig eingetreten ist. Fährt man mit dem Wagen vor, sieht man lächelnde Mitarbeiter, die das Auto einparkieren, die Koffer reinbringen und einen zur Reception geleiten. Dort wird man dann gefragt, ob man gleich aufs Zimmer möchte, oder lieber zuerst mit einem Drink an der Bar bzw. auf der Terrasse anzukommen wünscht. Das klingt wie in den meisten anderen sehr guten Hotels rund um den Globus, nur dass einem hier eine ehrliche und unkomplizierte Herzlichkeit entgegengebracht wird, bei der man sich wirklich so willkommen fühlt, als sei man bei Freunden zuhause (ohne dass man dies explizit bewerben müsste, wie so viele andere Betriebe tun, nur um es dann doch nicht wahr zu machen). Diese Tatsache, gepaart mit dem zurückhaltenden alpinen Luxus, der das Bild hier prägt, wäre eigentlich schon Grund genug für einen Besuch. Doch so richtig lohnenswert wird der Abstecher in den Vorarlberg für mich natürlich erst durch die Küche. Es ist das Reich des Briten James Baron, der nach Stationen bei Didier de Courten (zum Bericht) und Andreas Caminada (zum Bericht) im Tannenhof zum ersten Mal Chef am Herd ist. Kurz nachdem er das Küchenzepter übernommen hatte, zückte der Gault&Millau zum Einstieg 18 Punkte. Das ist eine Hausnummer. Bereits bei meinem ersten Besuch vor einem Jahr überzeugte der smarte Brite mit seinem zurückhaltenden, beinahe leisen Menü, das durch nachvollziehbare Kombinationen und Reduziertheit glänzte. Ich bin gespannt, was sich seitdem in der Tannenhof-Küche getan hat.
Das heutige Dinner, das Teil der Kitchenparty des Tannenhofs zum Saisonabschluss ist, beginnt an der Bar mit einigen Snacks...

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...die da wären: Mädesüss-Minze-Kugeln (auf dem Löffel), ein Wrap mit Ente, Pflaume und Kohlrabi (auf dem Teller), ein Schweinehautchip mit Kimchi,  gefüllte Kartoffeln mit Chorizo sowie 'Alpen Sushi'. Ein höchst abwechslungsreicher und schmackhafter Auftakt. Besonders die Kartoffel mit der Chorizo von Barons Lieblingstierzüchter Michael Wilhelm und der herzhafte Wrap haben es mir angetan.

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Bevor es richtig losgeht, schickt die Küche mit Stör und Kürbis den letzten Gruss. Dem in brauner Butter gegarten Fisch wird knackig-frisches, dezent süssliches Gemüse entgegengesetzt sowie eine säurebetonte Sanddorn-Tannenvinaigrette. Letztere verleiht dem Gericht durch das ungewöhnliche Aroma der Tanne einen sehr kräftigen, fast schon scharfen Charakter, ohne dabei die Hauptkomponenten zu überlagern. Lecker.

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Bereits bei meinem letzten Besuch kam ich in den Genuss dieser fantastischen Brioche, die mit Bergthymian-, Dirndl- und Natursauerrahmbutter serviert wird. Dieses Gebäck ist zum Verrücktwerden gut. Knusprig, weich, luftig, buttrig. Ich muss mich regelrecht zügeln, nicht das ganze Ding zu verschlingen. Es kommt ja schliesslich noch ein bisschen was...

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Der Menüeinstieg Forelle mit Kopfsalat und Piri Piri wirkt optisch ein wenig wild. Ein Eindruck, der sich sensorisch jedoch nicht bestätigt. Im Gegenteil. Die frische Knackigkeit des Salats (der auch zur Vinaigrette verarbeitet wird), ergänzt um Radieschen und Forellenrogen, ist ein idealer Partner für das Tatar des Fisches, das unter dem Grünzeug liegt. Es ist erstaunlich, wie hochwertig dieser Salat ist. Die Produkte, die James Baron verwendet, haben mich schon beim letzten Mal sehr beeindruckt und tun dies heute in Form eines bescheidenen Salats gleich wieder. Eine wahre Wonne, genau wie das gesamte Gericht. Denn neben den genannten frischen und knackigen Elementen entpuppt sich das perfekt dosierte Piri Piri als Clou. Es verleiht dem Gericht das gewisse Etwas, einen abrundenden Kick, der aus einem sehr guten Teller einen exzellenten macht. Ich freue mich immer, wenn mich sowas simples, alltägliches wie ein Salat so zu begeistern vermag.

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Weiter geht's mit Flusskrebs, Tomate und Schinken. Erneut fällt zuerst die makellose Qualität der einzelnen Produkte auf, die natürlich auch im Kollektiv prächtig funktionieren. Die klare, reine Süsse des Krebses kontrastiert Baron mit der salzigen Herzhaftigkeit eines Schinkensuds mit Basilikumöl sowie Chips und marinierte Scheiben von Lardo. Hier setzen die mit reichlich Umami gesegneten Tomaten an, die zusätzlich ihre typsiche, leicht säuerliche Lieblichkeit einbringen und so wieder die Brücke zum Krebs schlagen. Hervorragend.

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Mit Steirisches Huhn, Paprika und Pannonischer Safran wird der Pfad der Subtilität verlassen und es geht nun merklich herzhafter zur Sache. Im ersten Moment könnte man die frittierten Hühnerstücke als Wink an das grosse, gelbe M verstehen, doch da wir uns in Österreich befinden, ist es natürlich als Hommage an das Backhendl gedacht. Eine perfekte noch dazu. Die ultradünne Panade gibt unter lautem Krachen das saftige, wunderbar abgeschmeckte Fleisch frei. So muss das sein: knusprig und saftig. Die Einfassung erinnert sehr an die ungarische Küche, mit dem intensiven Paprika und dem kühlenden Sauerrahm. Der Safran aus dem Burgenland, hier als Mayonnaise angemacht, bringt mit seinem komplexen Aroma eine orientalische Note ins Spiel, die für zusätzliche Spannung und Wucht sorgt. Ich denke ernsthaft darüber nach, Backhendl nie mehr anders zu essen als in der Version von James Baron. Grandios!

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Bei der Reinanke mit Artischocke und Sauerampfer überrascht die Küche mit verhältnismässig kräftigen Begleitern zum eher feinen Fisch. Die intensiven Bitternoten des Korbblütlers und die fast schon scharfe, frische Säure des Sauerampfers, der sich auch in der begleitenden Beurre Blanc wiederfindet, überlagern das subtile Aroma des Felchens jedoch nicht. Das liegt einerseits daran, dass der Fisch dank des Bratens an Substanz gewonnen hat und andererseits an den optimalen Proportionen des Gerichts. Zu jedem Stückchen Fisch hat es den genau passenden Gabelpartner und jedem Bissen wohnt die gesamte aromatische Bandbreite dieses Ganges inne. Sehr durchdacht und sehr gut umgesetzt.

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Lamm, Zucchini und Einkorn markiert den heutigen Hauptgang. Zwei perfekt pink gegarte Tranchen vom Zackelschaf, einer sehr alten ungarischen Schafrasse, sind von phänomenaler Qualität. Entsprechend wählt Baron Beilagen, die dem Star des Tellers nicht die Schau stehlen, sondern ihn unterstützen. Die erstaunlich aromatische, angegrillte Zucchini sorgt in Kombination mit dem würzigen Getreide, für eine erdige Unterlage, die optimal zum Lamm passt. Um dem Gericht ein wenig Komplexität zu verleihen, wurde der Einkorn zuvor fermentiert. Zu guter Letzt erweitert ein gebratener Steinpilz den Teller um seine erdige Umaminote. Das ist in Summe sicherlich kein uneingeschränktes Highlight (im Gegensatz zum Hauptgang bei meinem letzten Besuch), aber sehr solide und schmackhaft.

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Herrlich beschwingt zeigt sich das folgende Intermezzo Ziegenfrischkäse mit Erbse und Minze. Der luftige, zarte und dennoch charaktervolle Ziegenkäse vom omnipräsenten Willi Schmid harmoniert prächtig mit der Süsse der Erbsen und der Frische der Minze. Wenn Käsegang, dann bitte so.

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Das Dessert dreht sich um Zwetschge, Mohn und Joghurt. Ein wunderbares Zusammenspiel der intensiven Nussigkeit des Mohns (als Crème, Soufflé und Eis) mit der süss-sauren Fruchtigkeit der Steinobstkugel und der Cremigkeit samt dezenter Säure des Joghurts. Die einzelnen Elemente sind allesamt toll gearbeitet (auch wenn das Soufflé ein bisschen in Schieflage geraten ist) und sehr stimmig kombiniert. Ein gelungener Abschluss.

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Die Petits Fours Japonaise mit karamellisierter Milch und Sigg, Brioche mit Waldmeister Panna Cotta und Berberitze, Reischip mit Ribiselmousse und Gel sowie Moosbeeren mit Walnusstartelette setzen nochmals einen unerwarteten Höhepunkt. Sehr abwechslungsreich und handwerklich ausgezeichnet umgesetzt.

James Baron hat im Tannenhof eine steile Karriere hingelegt. Neben der zweifellos hohen Qualität seiner Küche hat sicher auch sein eigener Stil zum schnellen Erfolg beigetragen. Von den grossen Lehrmeistern De Courten und Caminada ist, zumindest auf den ersten Blick, auf den Tellern nicht viel zu sehen. Vielmehr tobt sich der smarte Brite mit seiner 'Cuisine Alpine', die ihm trotz der geografischen Einschränkung unheimlich viele Möglichkeiten bietet, richtig aus. Auf seine ganz eigene Art und Weise. Keine forcierten Kombinationen, kein Anbiedern an Trends. Alles wirkt vertraut. Dennoch kenne ich keinen Koch, der so kocht wie Baron. Er bewegt sich bereits auf einem sehr hohen Niveau. Für mich besteht kein Zweifel daran, dass in ihm noch eine Menge mehr schlummert als das, was er zur Zeit zeigt. Es wird hochspannend seinen Weg zu verfolgen und zu sehen, wie sich sein Stil weiterentwickelt. Das ist nur einer von vielen guten Gründen, immer wieder in eines der für mich schönsten Hotels der Welt zurückzukehren.


Hotel Tannenhof
Nassereinerstrasse 98
6580 St. Anton am Arlberg
Österreich
+43 5446 30311
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