Mammertsberg (Silvio Germann) - Freidorf

Mammertsberg (Silvio Germann) - Freidorf

Schnellstart

Silvio Germann und Andreas Caminada, diese Namen sind untrennbar miteinander verbunden. Nachdem sich erster seine Sporen auf Schloss Schauenstein abverdiente, machte Caminada Germann zum Küchenchef des ersten Igniv by Andreas Caminada im Grand Resort Bad Ragaz. Das Sharing Konzept fand enormen Anklang und Germann wurde selbst zum gefeierten Chef. Mit seinem Team erkochte er zwei Sterne und 18 Punkte. Doch nach sieben gemeinsamen Jahren kam die Zeit, um Flügge zu werden und das Nest zu verlassen.

Dies bedeutete eine Neuausrichtung der gemeinsamen Zukunft. War Germann früher im Namen Caminadas unterwegs, änderten sich nun die Vorzeichen an seiner neuen Wirkungsstätte. Nun ist der Luzerner im Mammerstberg in Freidorf nahe St. Gallen nicht mehr ausschliesslich Küchenchef, sondern auch Mitinhaber und Gastgeber. Caminada fungiert lediglich als Partner im Hintergrund. Somit ist der smarte Mittdreissiger also erstmals komplett eigenständig verantwortlich für Küche und Konzept eines Restaurants. Seines Restaurants.
Das 1911 erbaute Haus wurde erst vor gut zehn Jahren durch die renommierte Architektin Tilla Theus neu gestaltet und mit einem Anbau versehen, der Monolith genannt wird. Hier befinden sich die Küche sowie ein zweiter Speisesaal, in dem das Frühstück für die Gäste der sechs Hotelzimmer serviert wird und das jeweils donnerstags und freitags zum Lunch zusätzlich als Bistro fungiert. Der eigentliche Hauptspeisesaal, der auf zwei Stockwerke aufgeteilt und durch eine markante Theus-Treppe mitten im Raum miteinander verbunden sind, liegt im historischen Gebäude des Baus. Obschon die Renovation erst wenige Jahre zurückliegt, haben Germann und Co. nochmals selbst Hand angelegt und einige Veränderungen vorgenommen, damit auch im Restaurant der persönliche Touch durchschimmern kann. Wie nicht anders zu erwarten wirkt alles sehr stimmig und elegant.

Der heutige Lunch…

… beginnt in der luftigen Gallerie mit herrlichem Ausblick auf den Bodensee. Der grosse Raum wird optimal genutzt und eine Gardemanger-Station mitten im Raum aufbaut. Eine offene Küche der etwas anderen Art. Hier werden die letzten Handgriffe an einigen Snacks gelegt. Andere Kleinigkeiten, wie der Kohlrabi mit Kimchi (oben links), werden direkt am Tisch fertiggestellt. Weiter im Uhrzeigersinn Gougères, Sbrinz, Trüffel - Forelle, Gurke - Rande, Fenchel - Rosenkohl, Senf. Wie man es von Germann (und eigentlich jedem Caminada-Schüler) gewohnt ist, bereiten die ersten Kleinigkeiten mit ihrer scheinbar nonchalanten Simplizität einen überaus gelungenen Einstieg. Besonders die drei vegetarischen Kreationen begeistern mit einer beschwingten Frische und Leichtigkeit.

Zwiebel, Brombeere

Am Tisch geht es weiter mit drei zusätzlichen Einstimmungen auf das Menü, beginnend mit Zwiebel und Brombeere. Eine ungewöhnliche wie auch mutige Kombination. Subtile Schärfe und Süsse von den unterschiedlichen Zwiebelzubereitungen, saftig-herbe Frucht des Rosengewächses. Das ist spannend, andersartig und verdammt gut. Ein negativer Nachhall durch die Zwiebeln bleibt zum Glück aus.

Mit Rind und Kürbis wird es erstmals herbstlich warm und mollig. Auch wenn das von Kürbis getoppte Tatar von der alten Kuh natürlich nicht warm ist. Doch das Geschmacksbild ist süffig, vollmundig und rund. Zusätzliche Wärme verströmt eine ausgesprochen tiefgründige und dampfend heisse Ochsenschwanzessenz, die davon zeugt, dass man sich hier auch hervorragend auf klassisches Handwerk versteht.

Noch molliger wird’s bei Kastanie mit Nussbutter. Aus den Maronen werden winzige, fluffige Gnocchi hergestellt, die am Gaumen förmlich dahinschmelzen. Begraben liegen die kleinen Diamanten unter einem leichten, gleichwohl intensiven Nussbutterschaum. Ein nahezu perfekter Wohlfühlteller. Was fehlt, ist ein Element, das für ein lebhafteres Mundgefühl sorgt. So ist alles einheitlich weich. Aber das ist bereits Meckern auf hohem Niveau und ich m Grunde völlig unnötig.

Damit der Gast nicht zu sehr eingelullt wird, schickt Germann mit Felchen, Regenbogenrettich und Rogen eine kühle, knackige Kreation. Getragen wird sie vom punktgenau abgeschmeckten, seine komplette delikate Qualität zeigenden Fisch. Kontrastiert wird der Felchen vom subtil süssen, leicht pfeffrigen Geschmack des Rettichs, der gemeinsam mit den sanft aufplatzenden Rogen auch für ein ansprechendes Texturspiel sorgt. Pure Eleganz.

Weniger elegant ist die Menüeröffnung Pilze, BBQ und Dashi. Dafür volle Kanne Umami und Kraft. Man könnte es problemlos dabei belassen und es als vegetarischen Barbecueteller für Fortgeschrittene sehen. Man könnte es einfach geniessen, ohne grossartig darüber nachzudenken. Schmeckt man allerdings genauer hin, zeigt sich ein komplexes Gebilde, das zu erkunden sich lohnt. Bei den Pilzen spielt die Küche gekonnt mit den unterschiedlichen Texturen und Geschmäckern, die engmaschig miteinander verwoben sind. Immer wieder flackert auch der verführerische Duft des Grillrauchs auf, der dann zwar sehr präsent, aber nie überlagernd wirkt. Simplicity is not simple, wie man auf Neudeutsch so schön sagt. Genau das trifft hier zu. Ein nur scheinbar trivialer Crowdpleaser mit Tiefgang.

Weiter geht’s mit (Schweizer Alpen) Lachs, Buttermilch und Lauch. Ein zart fettdurchzogener, aber dennoch verhältnismässig milder Fisch wie dieser ist prädestiniert, um von einer Buttermilchsauce untermalt zu werden. Vor allem, wenn sie so hervorragend ist, wie diese Beurre blanc, mit fein ziseliertem Säurespiel. Der Lauch spielt einerseits in die süsse Kerbe, die auch der Buttermilch und dem Lachs innewohnt, bringt andererseits aber eine gewisse Erdigkeit und Rustikalität ins Spiel. Abgerundet wird das Ganze durch die knusprig gepoppten Backbohnen, die den Fisch bedecken. Einziger Kritikpunkt an diesem Teller ist der Gargrad (oder ist es die Garmethode?) des Hauptdarstellers, denn das Filetstück ist sehr weich geraten und wirkt am Gaumen etwas breiig. Aber wie bereits bei den Gnocchi zuvor, sind dies Details, die man nur auf höchstem Niveau, auf dem sich der Mammertsberg zweifelsohne bewegt, beanstandet.

Gams sieht man selbst während der Jagdsaison eher selten auf einer Menükarte. Umso schöner, dass Germann sich dazu entschieden hat, dieses wunderbare Wild als Hauptgang zu servieren. Begleitet wird das Fleisch von Bittersalaten, Sellerie, Preiselbeeren und einer kräftigen Jus. Je nach Gabelbelegung drohen die Bitternoten zwar kurzzeitig überhand zu nehmen, doch schafft es das exzellente Fleisch (auch dank der abermals vorzüglichen Sauce) im Mittelpunkt zu bleiben. Sicher nicht jedermanns Sache, aber in Summe sehr gut. À propos nicht jedermanns Sache: à part wird eine üppige Sellerie Tartelette mit geraspelter Gamszunge serviert, die den Hauptteller sinnvoll erweitert und einmal mehr zeigt, wieso man stets das ganze Tier verwerten sollte.

Bei der Annoncierung von Quitte, Honig und Schokolade ist bei mir noch Ruhepuls angesagt. Doch nachdem am Tisch direkt von einer Wabe ein kleines Löffelchen frischer Honig auf das Eis nappiert wird und ich mir darauf direkt den ersten Bissen einverleibe, schnellt die Herzfrequenz augenblicklich nach oben. Was unmittelbar beeindruckt, ist die perfekte Harmonie, die nur durch das absolut vollendete Zusammenspiel der einzelnen Komponenten ermöglicht wird. Das ist mal wieder eine dieser Kreationen, bei der es nicht darum geht, wie sie denn nun schmeckt, sondern darum, was sie beim Esser auslöst. Bei mir ist das in diesem Moment vollkommenes Glück. Genau jetzt, genau hier, genau das geniessen zu dürfen. Für dieses grandiose Dessert zeichnet sich Chef-Pâtissière Stephanie Mittler verantwortlich, die zuvor bereits auf Schloss Schauenstein und im Igniv Bad Ragaz tätig war. Ein absoluter Glücksgriff für Germann.

Nach dem Dessert geht’s zurück in den oberen Stock, wo zum Espresso noch eine kleine Armada an Petits Fours aufgetischt wird: Salzkaramell - Bienenstich - Aprikose - Tarte Tatin - Sauerrahmglacé. Allesamt ebenfalls von auffallend hoher Qualität.

Die Crew des Mammertsberg zeigt sich bei meinem Besuch nur wenige Tage nach der Eröffnung bereits in beeindruckender Frühform. Der Service ist geschmeidig und souverän, ohne die Herzlichkeit vermissen zu lassen. Germanns Küche trägt natürlich Spuren von Caminada und wird das in der einen oder anderen Form wohl auch immer tun. Allerdings ist die Abnabelung schon beim ersten Mammertsberg-Menü spürbar in vollem Gange. Auch das Igniv ist in den Hintergrund gerückt, obschon der Chef erst wenige Monate weg ist und zuvor für eine überaus lange und erfolgreiche Zeit in Bad Ragaz wirkte, in der er bereits viele Freiheiten genoss. Das macht das Auftaktmenü seines ersten eigenen Lokals noch ein Stück beeindruckender. Deshalb fällt das Fazit im ersten Stock auch schnell: das heutige Ende meines Lunchs ist der Anfang einer hoffentlich langen Reihe von Essen, die ich bei Silvio Germann und seiner Mannschaft im Mammertsberg geniessen werde. Das neue Mammertsberg ist gekommen um zu bleiben und macht die hiesige Landschaft der gehobenen Küche um ein Lokal reicher, dass das Zeug zum Lieblingsrestaurant hat und das man unbedingt besuchen muss.


Mammertsberg
Bahnhofstrasse 28
9306 Freidorf
Schweiz
+41 71 455 28 28
Website

 

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