The Dining Room (Christopher Knippschild) - Cham

The Dining Room (Christopher Knippschild) - Cham

Zu Gast im Wohnzimmer

Gehobene Küche hat Einzug in den Mainstream gehalten. Längst sind die Sterneküchen dieser Welt nicht mehr nur in mondänen Urlaubsgebieten, chicen Hotels und Ballungszentren zu finden. Sterne essen kann man in Einkaufszentren, Bahnhöfen, unter Wasser. Und auch in Industrigebieten. Deshalb bin ich nicht überrascht, als mich das Navi im Dunkeln zu meinem Ziel in ein ebensolches lotst.
Alle Lichter in den Büros, Lagern und Fabrikationsstätten sind bereits erloschen. Einzelne Autos verirren sich ins Wohngebiet nebenan. Ich klingle bei einem bekannten Schweizer Kaviarhändler. Kurze Zeit später empfängt mich Chef Christopher Knippschild mit breitem Grinsen am Eingang und führt mich im Lift in den obersten Stock. Seine Geschäftspartnerin Johanna Hagen und er haben sich hier eingemietet und betreiben gemeinsam ihr erstes Restaurant. The Dining Room verspricht intime Wohnzimmeratmosphäre und steht damit im Gegensatz zur Umegbung, in der sich das Restaurant befindet. Ganz im Geiste der Zeit also.
Betritt man die Räumlichkeiten, verschwindet das unpersönliche Bürohausflair auch ziemlich rasch. Man wird in einen Vorraum mit Anrichtestation geleitet. Ein Glas Instant Nature von Maurice Grumier aus der Champagne ist schnell im Glas.

Da man gemäss Aussage von Knippschild direkt an der Quelle von Sense of Delight, dem Schweizer Kaviari Vertreter, sitzt, lässt er sich auch nicht nehmen, das schwarze Gold in die ersten beiden Snacks einfliessen zu lassen. Links ein Rettichröllchen mit Dill und Oscietre Kaviar. Der Kaviar zart, dezent jodig, subtil nussig, sehr fein. Kontrastiert vom Crunch und den leicht scharfen Senfnoten des Rettichs und der ausladend herben Frische des Krauts. Rechts ein Sandwich, bestehend aus einer salzigen Hippe, Sauerrahmmousse und Beluga Kaviar. Die Salinität und luxuriös anmutende Buttrigkeit des Kaviars greift die luftige Mousse sowie die knusprige Hippe gekonnt auf. Gemeinsam ergeben sie einen ätherisch anmutenden Bissen nah an der Glückseligkeit. Was beide Happen überdies vereint, ist die exzellente Temperierung. Nicht zu kalt, damit alle Elemente, und vor allem der Kaviar, richtig zum Vorschein kommen. Ein überaus vielversprechender Auftakt.

Das gesamte Geschehen fand bisher an der Kücheninsel im Empfangsraum statt…

… doch nun wird der Vorhang gelüftet und der Blick auf den eigentlichen Dining Room freigegeben. Das Arrangement erinnert an ein sehr luftiges Wohnzimmer in einem gemütlich eingerichteten Loft. Ein grosser Esstisch, eine Lounge und natürlich die Kochinsel mit einigen Sitzmöglichkeiten, an der ich Platz nehmen darf.
Als weiterer Apptetitanreger vor dem eigentlichen Menü wird Blumenkohl, Spinat, Macadamia und schwarzer Trüffel serviert. Den Kohl gibt’s als Mousse und geröstet, zu den erwähnten Komponenten gesellt sich eine alles verbindende Balsamico-Trüffel Vinaigrette. Letztere bringt mit ihrer pointierten Säure die nötige Balance auf den Teller und verströmt dabei zusätzlich eine reduktive, leicht an Sherryessig erinnernde Note, die dem Ganzen eine unerwartete zusätzliche Dimension verleiht. Sehr schön.

Weiter geht’s mit dem Menüauftakt Blauflossen-Thunfisch, Avocado, Mango, Sesam und Togarashi. Dass Knippschild ein Koch ist, der gerne mit kräftiger Würze und Salzigkeit spielt, ist mir unter anderem von einem früheren Gastspiel in den Schweizer Bergen bekannt. Diese Vorlieben kommen bei diesem Teller stark durch. Im ersten Moment wirkt das etwas 'over the top' und weckt in mir Assoziationen an alte Batman-Comics. Boom. Swish. Splash. Es zischt und wummst an allen Ecken und Enden. Erst nachdem der Gaumen den ersten Überfall verdaut hat, schält sich die Qualität wirklich hervor. Der initial geschmacklich kaum wahrnehmbare Thunfisch kämpft sich in den Vordergrund. Die üppige Einfassung kommt zusammen und unterstreicht den Fisch. Das Ganze wirkt plötzlich wie ein Bad im eiskalten See im Winter. Zuerst der Schock, dann die Akklimatisierung, und dann wird’s richtig gut.

Weniger laut und spürbar eleganter präsentiert sich der Spencer Gulf Kingfisch mit Kohlrabi, Wasabi, Cashewkerne und Kaviari Kristal Kaviar. Der Fisch wird für zwölf Stunden gebeizt und mit gepickeltem Kohlrabi zu einer Rose dressiert. Dass diese Kreation weniger stark auf die Glocke haut, mag aufgrund der Zugabe einer Wasabicrème und eines potenten Suds aus Wasabi, Ponzu, Fischsauce und Reisessig vielleicht ein wenig verwundern. Jedoch sind die beiden Komponenten punktgenau abgeschmeckt und proportioniert. Zusätzlich bringen Kräuter und Blüten eine leichte, aufhellende Note ins Spiel. Abschliessend sorgen geröstete Cashewkerne sowie der Kaviar für die gelungene Abrundung. Ein in sich geschlossenes, kompaktes Arrangement, das Tiefe und Komplexität hat, jedoch problemlos einfach weggelöffelt werden kann. So muss das sein.

Dass der Chef auch die leiseren Töne beherrscht, zeigt er beim Kürbis mit Kaviar des Feldes, Petersilie und Ingwer. Den Kürbis gibt es als Püree und süsssauer eingelegt, dazu die Kerne, ein Kernöl sowie ein Sud, der mit Ingwer und Sake abgeschmeckt ist. Am Tisch gibt’s noch etwas Petersilienöl dazu. Ein fein ziseliertes Zusammenspiel von angenehmer Süsse, Nussigkeit, zarten Bitternoten und einem anregenden Texturspiel von zartschmelzend über knusprig bis mundfüllend. Jeder Bissen unterlegt von einer subtilen Schärfe und Frische. Weitaus komplexer als es die Summe seiner Einzelteile vermuten lässt und in Summe vor allem einfach saulecker.

Beim Zubereiten und Anrichten eines Tellers zuzusehen, macht immer Spass. Allerdings lassen sich dabei auch potenzielle Gefahrenherde bereits erkennen. Genau eine solche Gefahr mache ich bei der Zubereitung des nächsten Tellers aus: handgetauchte Jakobsmuschel mit Süsskartoffel, Curry und Kaffir Limette. In solchen Fällen werde ich gerne eines Besseren belehrt, allerdings reflektiert sich meine Befürchtung diesmal tatsächlich auch im Geschmack. Die Süsskartoffel ist zu üppig portioniert und, nun, schlicht zu süss. Da auch die St. Jacques über eine relativ breite inhärente Süsse verfügt, schaukeln sich die beiden Hauptprotagonisten gegenseitig hoch. Der Umstand, dass auch das Curry in diese Kerbe schlägt, dient der Sache nicht. Da die Limette kaum wahrnehmbar ist, kann sie auch nicht für die nötige Balance sorgen. Und dieses Gericht benötigt dringend Säure. Ich bin sicher, dass sich viele Gäste an diesem lieblichen Geschmacksbild kaum sattessen können. Für mich ist es jedoch zu eindimensional und ohne erkennbaren Spannungsbogen. Schade.

Mit Allgäuer Rehrücken, Zwiebel, Rosenkohl, Brioche und Sauerkirsche wird das Schiff direkt wieder auf Kurs gebracht. Klassisch eingefasst zeigt sich das relativ kernige Wild von seiner kräftigen Seite. Da passt die abfedernde Süsssäure der Kirschen ebenso vorzüglich wie die köstliche Jus, die für die nötige Struktur sorgt. Der Rosenkohl dürfte ruhig etwas grosszügiger portioniert sein, da seine Bitternoten dem Ganzen ein zusätzliche Tiefe und Bodenhaftung verleihen. Auch wenn dem Reh ein paar Sekunden mehr Hitze im Kern nicht geschadet hätten, ist das ein wirklich toller Hauptgang.

Das einzige Dessert des Abends dreht sich um Felchlin Opus Blanc 35% Schokolade, Miso, Pistazie und eine Myriade von Zitrusfrüchten. Im Detail ist diese Armada: Mascarpone-Limetten-Glace, Yuzugel, Yuzusud, kandierte Yuzu, Kalamansigel, Buddhas Hand Scheiben und Limettenfilets. Mit dieser Kreation trifft Knippschild voll ins Schwarze und macht alles richtig. Die unterschiedlichen Zitruszubereitungen sind kein Gimmick, denn die Frische, die Säure, die Lebendigkeit, sie stehen klar im Mittelpunkt. Alle anderen Elemente spielen den Südfrüchten zu. Cremigkeit, Buttrigkeit, Knusprigkeit, Salzigkeit, Erdung, all das und noch mehr bietet die optimale Unterlage für die Zitrusgewächse. Dadurch ergibt sich nichts weniger als die perfekte Symbiose. Ein absolut grandioser Schlusspunkt.

Der Start im The Dining Room ist zweifellos geglückt. Knippschild tritt zum ersten Mal sowohl als Küchenchef als auch als Pächter ins Rampenlicht und nutzt die neu gewonnene Freiheit voll aus. Der Rahmen, der tatsächlich an ein Wohnzimmer im einem Loft erinnert, könnte nicht passender sein. Er ist intim und persönlich. Es ist seine Küche, ohne Kompromisse. Intensiv, würzig, salzig, frei von Konzepten oder Ideologien. Teilweise ein Ritt auf der Rasierklinge, den er aber fast immer mit Bravour meistert. Klar gibt es einige Stellschrauben, an denen noch gedreht werden kann. Ab und zu ein kleines bisschen Mässigung, etwas mehr Fokus sowie noch mehr Augenmerk auf die Akkuratesse würden nicht schaden. Aber dass man sich ohne Fesseln erst einmal richtig austoben und alles zeigen will, was in einem schlummert, ist auch völlig klar und nur allzu verständlich.
Das Ziel ist im The Dining Room klar formuliert, ein Macaron muss her. Auf diesem Niveau kann Knippschild auch kochen. Da der Weg dorthin ohnehin nicht mehr weit ist, wäre es nicht verwunderlich, wenn beim Erscheinen des nächsten Guide Michelin Schweiz im Herbst 2024 bereits ein Stern in Cham leuchten würde. Im Wohnzimmer.


The Dining Room
Brunnmatt 16
6330 Cham
Schweiz
+41 (0)78 311 33 81
Website

 

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