Caschu Alp (Christopher Knippschild) - Stoos
Caschu Alp (Christopher Knippschild) - Stoos
Christopher Knippschild hat das Caschu Alp verlassen und kocht nicht mehr in Stoos.
Gut, wenn man sich vor dem Aufbruch zum nächsten Restaurant nochmal versichert, wie genau man denn überhaupt zum Lokal kommt. Kurz bevor ich mich auf den Weg nach Stoos mache, frage ich beim Küchenchef nach, ob es beim Hotel einen Parkplatz für mein Auto gebe. Gibt es nicht, erfahre ich. Stoos ist ein (ausser für die Anwohner) autofreies Bergdorf, das man als Gast lediglich mit der steilsten Zahnradbahn der Welt erreicht. Hätte ich unwissend den Versuch gewagt, hochzufahren, wäre die Busse entsprechend teuer ausgefallen, wie mir mitgeteilt wird. Planung ist das halbe Leben…
Doch warum überhaupt die Reise nach Stoss in die Schwyzer Alpen? Der Grund ist Christopher Knippschild, der im vergangenen September die Küchengeschicke im Boutiquehotel Caschu Alp übernommen hat und erstmals als Chef de Cuisine in Erscheinung tritt. Nach der Lehre in der besternten Residenz am See in Meersburg stand er unter anderem in den Brigaden von Sebastian Rösch im Mesa, Antonio Colaianni im Gustav oder Esben Holmboe Bang im Osloer Dreisterner Maaemo. Klingende Referenzen für den ambitionierten Endzwanziger, der auch schon bei Top Chef Germany zu sehen war. Dort kochte er für Eckart Witzigmann, der wiederum in seinem ehemaligen Münchner Lokal Aubergine Chef von Knippschilds Vater war. Lange ist’s her. Das Kochen wurde dem Junior als quasi bereits in die Wiege gelegt. Allesamt nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um in der Welt der gehobenen Gastronomie seinen Mann zu stehen.
Bevor ich in den Genuss der Küche des Neo-Chefs komme, bringt mich die eingangs erwähnte Zahnradbahn erstmal zur Station auf 1’305 m.ü.M.. Von dort ist es nur noch ein kurzer Fussmarsch zum Hotel, dessen bereits von aussen sichtbarer Alpenchic das Haus merklich von den anderen Bauten im Dorf abhebt. Nach einer kurzen Erfrischung sitze ich in der gemütlichen Stube an meinem Tisch und harre gespannt der Dinge, die da kommen.
Zwei Snacks eröffnen den kulinarischen Teil des Abends. Links eine Kalbsbackenpraline mit Miso-Mayo, rechts ein Wantan mit Perlhuhn und einer Kürbisvariation. Beide Happen vereint das Changieren zwischen herzhafter Knusprigkeit und saftiger Füllung sowie die mutige Würzung. Letztere ist zwar sehr ausgeprägt, wirkt aber nicht plump. Dieses Duo macht definitiv noch neugieriger auf die nächsten Stunden.
Nach dem gefälligen und unkomplizierten Einstieg überspringt Knippschild mit dem dritten und letzten Amuse direkt ein paar Gänge. Auf dem Teller befindet sich ein zuerst in Salzlake eingelegter, anschliessend angeräucherter und auf der Hautseite abgeflämmter Saibling, der von Radieschen, Speck, einer Schnittlauchmayonnaise und einem Buttermilch-Schnittlauchsud begleitet wird. Der erste Bissen offenbart direkt wieder Knippschilds Vorliebe für die Auf-die-Glocke-Würzung. Doch auch hier zeigt er wieder, dass bei aller gewollten Intensität das Feingefühl nicht auf der Strecke bleibt. Der exzellente, angenehm fette Fisch profitiert dank seinem Bad in der Salzlake und den subtilen Räucheraromen von der kräftigen Einfassung und kann diese auch locker wegstecken. Hinter dem initial sehr salzigen Gesamteindruck entfaltet sich dazu der hervorragende Sud und sorgt mit seiner präsenten Säure für Balance. In der Ausführung ziemlich mutig, geprägt von einer spannenden Komplexität und in Summe verdammt gut.
Beim offiziellen Menüauftakt setzt man ganz klassisch auf eine Entenleberterrine. Die Struktur der Terrine zeugt von einem Koch, der sein Handwerk gelernt hat und grossen Wert darauf legt. Sie zeigt beim Schneiden eine angenehm feste Struktur, schmilzt aber am Gaumen regelrecht dahin. Damit ihr zarter Eigengeschmack gewahrt wird, ist sie nur sehr zurückhaltend abgeschmeckt. Es geht also auch anders. Gespickt ist die nicht zu kalte Foie mit hauchzarten Stückchen von Felchlin Java Schokolade, das sich ebenfalls noch als eine Art Luftschokolade auf dem Teller befindet. Dazu kommt eine Variation vom Granny Smith Apfel in Form eines Gels, mit Zitronenläuterzucker verfeinerter Würfel und einem Sorbet. Die Terrine ist zwar klassisch, doch die Einfassung ist es nicht. Während der Apfel die fette Leber naturgemäss hervorragend kontrastriert und den altbekannten fruchtig-sauren Gegenpol setzt, bringt die Schokolade das gewisse Etwas in diese Kreation. Mit 64% Kakaoanteil ist sie erfrischend herb, dazu schwingen Röstnoten, etwas Kaffee und eine gewisse salzige Erdigkeit mit, die dem Ganzen einen sehr robusten Anstrich verleiht. Da sie behutsam eingesetzt wird, drängt sie sich auch nicht in den Vordergrund, sondern ergänzt und rundet ab. Sehr schön.
Dass sich Knippschild nicht nur auf klassich-moderne Hochküche versteht, zeigt er bei der rustikal anmutenden Brotknödelterrine mit gebratenem Steinpilz, Zwiebelcrème, geflämmter Zwiebel und Steinpilzconsommé. Doch der erste Eindruck täuscht, denn hieran ist rein gar nichts rustikal. Nicht mal die Terrine. Sie ist, ähnlich der Foie zuvor, angenehm fest, dabei aber zart und verhältnismässig leicht. Blendend zum Brot passt die natürliche Süsse der Zwiebeln, die zusätzlich etwas Biss auf den Teller bringen. Star ist allerdings ganz klar die am Tisch angegossene Consommé. Trotz einer straffen Salinität kommt sie enorm elegant und puristisch daher. Man sieht den grossen Topf auf dem Herd förmlich vor sich, wie die Steinpilze darin über Stunden ganz langsam vor sich hin köcheln, nach und nach ihr Umami an die Flüssigkeit abgeben und sie gemeinsam mit etwas Gemüse golden einfärben. Suppen regen zum Schwelgen an. Zumindest mich. Gerade auch aufgrund der Seltenheit, mit der sie die Menüs mittlerweile nur noch zieren, ein umso grösserer Genuss.
Als ich auf den nächsten Gang warte und mir bereits ziemlich sicher bin, dass die exzellente Suppe wohl als der Höhepunkt des Abends in Erinnerung bleiben wird, werde ich erfreulicherweise mit einer noch besseren Kreation überrascht: Loup de Mer mit Balsamicolinsen, Artischockencrème, Artischockenchips, konfierten Datterinitomaten und leichtem Zitronenthymianschaum. Dass ich mich in den Schwyzer Bergen auf über 1’300 m.ü.M. ans Mittelmeer versetzt fühle, passiert auch nicht alle Tage. Neben den Reminiszenzen an Sommer und Sonne gefällt vor allem die - im positivsten Sinne - Deftigkeit. Pointierte Röstaromen, viel Crunch, lebendige Säure, reichlich Umami. Kurzum die pure mediterrane Wonne in den nasskalten Schweizer Bergen.
Das Mittelmeer spielt auch beim folgenden Gang eine Rolle, zusätzlich schielt man noch in Richtung Südostasien. Eine akkurat gebratene Jakobsmuschel wird mit Blumenkohl-Couscous, geflämmten Blumenkohlscheiben, einer Erdnusssauce, gehackten Erdnüssen, Chiliöl und Yuzugel kombiniert. Daran, dass diese Produkte wunderbar harmonieren können, besteht kein Zweifel. Allerdings passt die Komposition in diesem Fall leider nicht. Vor allem die Erdnuss erweist sich in mehrerlei Hinsicht als ziemlicher Störenfried. Die schiere Wucht und Intensität begräbt alle Mitspieler gnadenlos unter sich. Von der St. Jacques schmeckt man sehr wenig, der Blumenkohl macht sich lediglich über seine Röstnoten bemerkbar. Dazu ist die Sauce nicht nur aromatisch sehr ausladend, sondern auch ziemlich ziemlich schwer. Diesem Eindruck könnte man sicher mit einer grosszügigeren Portionierung der Yuzu entgegenwirken, die doch wenigstens für ein bisschen mehr Gleichgewicht und Leichtigkeit sorgen würde. So ist das ziemlich unausgewogen und bleibt im Grossen und Ganzen lediglich eine heftige Erdnusssauce mit Einlage. Oder anders gesagt: Idee gut, Ausführung ausbaufähig.
Ganz anders verhält sich die Situation beim Hauptgang Rehrücken unter Haselnusskruste mit Speckwirsing, glasierten Sauerkischen, Sauerkirschgel, Schupfnudeln und Jus. Tolles Zusammenspiel von Fleisch und Beilagen, eine punktgenau portionierte und integrierte Fruchtsüsse, luftige Nudeln mit leichtem Crunch durch das zusätzliche Anbraten und eine vorzügliche Sauce. Letztere ist der eigentliche Höhepunkt des Tellers und zeigt einmal mehr Knippschilds Vorliebe für Saucen und die umsichtige Sorgfalt, die er seinen flüssigen Komponenten widmet. Grosse Klasse.
Beim abschliessenden Gang des herzhaften Menüteils geht der Chef nochmal richtig in die Vollen. Muotathaler Bergkäse wird mit einer Maronenmousse, Malzcrumble, Mayonnaise aus geröstetem Malz, und eingelegtem Gemüse serviert. Der Käse kommt dabei neben seiner eigentlichen, natürlichen Form auch noch als lauwarmer Schaum, Eiscreme und abgebrannt zum Einsatz. Harter Tobak für Freunde des klassischen Käsewagens (wie ich zum Beispiel). Doch man (ich inklusive) kann sich ja immer wieder eines Besseren belehren lassen und auch an einem scheinbar unnötig aufgeblasenen Gebastel Gefallen finden. Denn trotz des scheinbaren Wildwuchers ist das Resultat in diesem Fall sehr kohärent. Der tolle Käse steht stets im Mittelpunkt, die Mousse bringt eine nussige Süsse ins Spiel, das Gemüse eine knackige Säure. Nicht nur gelungen, sondern sogar sehr gut.
Um die Papillen zu erfrischen, gibt’s ein Gurkensorbet mit Gin Granite und einem grosszügigen Schluck Gordons Cucumber Gin, der am Tisch angegossen wird. Ziemlich streng alkoholisch, aber macht was es soll: aufwecken und erfrischen.
Der Zeitpunkt meines Besuches im Caschu Alp fällt zufälligerweise auf den letzten Arbeitstag eines Kochs aus Knippschilds Mini-Brigade (die aktuell nur noch aus ihm und einem weiteren Koch besteht) namens David Gombert, aus dessen Feder das heutige Dessert stammt. Es handelt sich im Detail um eine Tartelette mit Birnenragout, Birnengel, eingelegten Birnen, Birnensalat, Ahorn-Crème, Ahorn-Zitronensud, karamellisierten Pekannüsse, Pekannusskaramell, Kakaohippe und Sauerrahmeis. Trotz der Kleinteiligkeit zeigt sich das Törtchen sehr harmonisch und in sich geschlossen. Das erprobte Zusammenspiel von dumpf-süsslicher Birnenfrucht, sanft-nussiger Knusprigkeit und opulent-säuerlichem Eis funktioniert ganz hervorragend und zeigt sich einerseits sehr vielschichtig, wirkt andererseits auch sofort mollig-vertraut. Wollte man denn unbedingt das Haar in der Tartelette suchen, könnte man monieren, dass ein bisschen mehr Säure dem Ganzen einen noch frischeren Anstrich verleihen würde. Doch das ist bereits Meckern auf relativ hohem Niveau.
Statt Pralinen oder dergleichen auftragen zu lassen, macht sich Knippschild zum Schluss nochmal die Mühe, eine angerichtete Süssspeise zu servieren. Der Aufwand hat sich gelohnt, denn das weisse Kaffeeeis auf Schokobrownie mit Vanille-Schlagrahm ist so saulecker, dass man es durchaus auch als grössere Portion ins Menü aufnehmen könnte.
Noch keine zwei Monate steht Christopher Knippschild bei meinem Besuch erstmals als Chef de Cuisine am Herd und weiss in grossen Teilen bereits sehr zu überzeugen. Man merkt, dass er kein ganz junger Hüpfer Anfang Zwanzig mehr ist (er geht stramm auf die Dreissig zu), der sich die Hörner noch am Gast abstossen muss. Seine Küche ist im positivsten Sinne unaufgeregt und strahlt bereits eine ziemlich grosse Selbstsicherheit aus. Das kann nicht jeder Koch zu Beginn seiner Küchenchef-Karriere von sich behaupten. Diese Sicherheit, das Wissen um die eigene Qualität, schlägt sich auch auf fast allen Tellern nieder. Lediglich bei der Jakobsmuschel wurde etwas übers Ziel hinausgeschossen. Doch die grundsätzlich stimmige Idee dahinter war auch bei dieser Kreation erkennbar. Was aktuell noch nicht zu sehen ist, ist ein eigener Kochstil. Abgesehen vom stets mutigen Abschmecken ist Knippschilds Küche noch ein ziemlich grenzenlos erscheinendes Sammelsurium von unterschiedlichsten Einflüssen und Strömungen. Das ist einerseits natürlich dadurch zu erklären, dass er erst am Anfang seiner Karriere steht und andererseits auch durch das Restaurant selbst, das kein reines Fine Dining-Etablissement ist, sondern neben Gourmets auch Skifahrer, Wanderer und reguläre Hotelgäste verpflegen muss. Da will nicht jeder ein mehrgängiges Menü essen, sondern auch einfach mal nur ein Schnitzel und ein Stück Apfelkuchen. Diesen Spagat meistern zu müssen, hat Knippschild jedoch angenommen, und setzt ihn auch sehr gut um. Auch die Gäste um mich herum waren unüberhörbar sehr zufrieden mit ihrem Dinner. Genauso wie ich. Ich bin sehr gespannt, wie sich die Laufbahn von Christopher Knippschild entwickeln wird und werde sie sehr aufmerksam mitverfolgen.
Caschu Alp
Ringstrasse 53
6433 Stoos
Schweiz
+41 (0)44 216 80 00
Website
Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Informationen zu unserem Umgang mit Pressekonditionen findest du in den FAQ.