Bistrobar (Dave Wälti) - Bern

Bistrobar (Dave Wälti) - Bern

Alles auf Sieg

Neues zu entdecken gehört zu den grössten Freuden im Leben. Egal, ob es eine Band ist, von der noch fast niemand gehört hat, ein neuer Autor mit seinem Erstlingswerk oder ein Koch, der erstmals ins Rampenlicht tritt. Letzteres trifft auf Dave Wälti genau genommen nicht ganz zu, da man den sympathischen Bern-Bolivianer durchaus schon mal zu Gesicht bekommen haben könnte. Schliesslich kochte er als Souschef in der mittlerweile leider geschlossenen Eisblume in Worb nicht nur still vor sich hin, sondern präsentierte auch mal eine Kreation am Tisch im Gewächshaus. Zusätzlich stand er auch an diversen Kochwettbewerben bereits auf der Bühne und erreichte unter anderem das Finale des San Pellegrino Young Chef 2018.
Seit September 2019 ist er erstmals Chef am Herd. Gastrounternehmer Ivo Adam hat das Casino in Bern übernommen, die altehrwürdigen Hallen renoviert und darin nicht weniger als vier Restaurants untergebracht. Wälti zeichnet für die Bistrobar verantwortlich, wo der Fokus auf Regionalität, Saisonalität und Simplizität liegt. Dieser Leitgedanke, gepaart mit dem Werdegang des Neo-Chefs, klingt vielversprechend genug, um den Weg in die Schweizer Hauptstadt anzutreten und sich auf ein paar spannende Stunden zu freuen.

Das Dinner beginnt mit einigen Snacks. Frisches Gemüse vom in der Spitzengastronomie omnipräsenten Brunner Eichhof im Berner Seeland macht den Anfang. Schon der erste Biss in eines der knackigen, enorm intensiven Radieschen oder die herrlich süsse Karotte zeigt, warum das Gemüse dieses Biobauern schweizweit so gefragt ist. Zusätzlich zeugt es von Wältis Selbstvertrauen als Koch. Viel unmissverständlicher kann man das Produkt wohl kaum für sich sprechen lassen. Der Dip dazu passt ebenfalls hervorragend. Daneben befinden sich erstaunlich leichte Hummus Fritten, die man durch ein würzig abgeschmecktes Baba Ganoush ziehen kann. Geschmacklich exzellent, besonders beeindruckend ist aber das Handwerk bei den Fritten. Diese Version hat das Potenzial der etablierten Kartoffel den Rang abzulaufen. Zu guter Letzt ist da noch eine Mini-Quiche, die nichts weniger als sensationell ist. Präzise abgestimmt, sehr elegant, geschmacklich überraschend opulent und mit einem weiteren handwerklich beeindruckenden Part: das delikate, ultra-knusprige Tartelette lässt sogar einige Sternerestaurants alt aussehen.

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Unterschiedlichste Tomaten-Varietäten kombiniert Wälti für den ersten substantielleren Gang des Abends mit Aprikose, Basilikum und Mojo Rojo. Alle, die immer vom Sommer auf dem Teller sprechen, müssen genau das hier meinen. Die Sonne, die die einzelnen Zutaten Stunde um Stunde mit ihren stärkenden Strahlen verwöhnt hat, springt einem förmlich ins Gesicht. Solch kräftige, perfekt gereifte Tomaten voller Umami bekommt man leider viel zu selten serviert. Nur schon für sich genommen ein Hochgenuss. Die fruchtige Komponente wird durch den gezielten und perfekt dosierten Einsatz der Aprikose zusätzlich akzentuiert und bringt einen neckischen Touch rein. Das Basilikum hingegen betont die Frische sowie die Säure der Tomaten und legt zusätzlich einen betörenden, ätherisch-leichten Duft über jeden Bissen. Abgerundet wird das Ensemble durch die Mojo Rojo, einer auf Chili basierenden Sauce, die mutig abgeschmeckt ist und durch ihre pikante Würze für zusätzliche Lebendigkeit sorgt.

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Scheinbar allgegenwärtig ist seit einigen Jahren Ceviche. Egal ob im Quartierrestaurant oder Fine Dining Lokal, überall ist der peruanische Klassiker zu finden. Viel zu oft bekommt man dann aber allerdings eine mehr schlechte als rechte Interpretation serviert. Die Marinade ohne Kraft, der Fisch viel zu dünn aufgeschnitten, so dass er gerade bei etwas längerer Standzeit beinahe denaturiert. Dass Wälti Wurzeln in Lateinamerika hat und den Kontinent auch bereits bereiste, merkt man seiner Umsetzung an. Er kombiniert dafür dicke Stücke von bestem Schweizer Zander mit einer sehr säurebetonten Leche de Tigre. Dazu gibt es Radieschen, Quinoa und ein paar Scheiben Rote Zwiebeln. Der Zander aus dem Tessin gehört zu meinen liebsten Fischen überhaupt und zeigt sich auch in Wältis Händen von seiner besten Seite. Dadurch, dass die Würfel gross und grob sind, macht die Marinade nur genau das, was sie soll. Sie “kocht” das zarte Fleisch von aussen ein wenig und würzt es. Abgesehen von dieser hauchdünnen Ummantelung bleibt der grandiose Fisch aber roh. Um diesen beiden Hauptdarstellern den Platz an der Sonne nicht streitig zu machen, setzt die Einfassung eher zurückhaltende, aber dennoch wichtige Akzente (Crunch, Schärfe, Würze), die diesen Teller optimal abrunden. Ganz locker eine der besten Ceviches, die ich jemals gekostet habe. Der Weg nach Bern hat sich nur schon hierfür gelohnt.

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Als kleines Special für Zander-Liebhaber wie mich schickt die Küche gelegentlich weitere Stücke des Fisches als zusätzlichen Gang. Die Flossen und Backen wandern auf den Grill, werden mit einer BBQ-Marinade bestrichen und mit Bierrettich und Zitrone als Fingerfood auf den Tresen gestellt. Wie das nur schon duftet! An und für sich bin ich kein grosser Knochennager und Fleischpuler, doch von diesem grandiosen Zander dürfen wirklich ausschliesslich nicht essbare Teile in die Küche zurückwandern. Fantastisch saftig, teilweise krachend knusprig, unfassbar leckeres Fleisch, genau die richtige Dosierung der kräftigen Grillnoten, um den Einsatz auf der Kohle zu rechtfertigen und ohne den delikaten Fisch zu überlagern. Ein Fest für alle Sinne und erneut Produktpurismus in seiner allerbesten Form. Gehört definitiv fix ins Menü.

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Die bescheidene Kartoffel wird von Köchen selten in den Mittelpunkt gestellt. Wälti kümmert das wenig. Er rückt einen einzelnen Erdapfel ins Rampenlicht und begleitet ihn mit einer Beurre Blanc, Schnittlauchöl, Buchweizen und Wildkräutern. Was als erstes auffällt, ist der unerwartete Widerstand, den die Knolle beim Schneiden leistet. Sie hat also noch einen guten Biss, wenn man so will. Wirkt vielleicht zu Beginn ein klein wenig ungewöhnlich, zeigt sich aber für diese Kartoffel als absolut perfekter Garpunkt. Denn durch den zusätzlichen Kaubedarf kann sich sowohl der Eigengeschmack viel besser entfalten als auch das Zusammenspiel mit den Begleitern perfekt ausgespielt werden. Diese sind gerade bei einem Produkt wie der Kartoffel, die nicht über einen sehr ausdrucksstarkes Geschmacksprofil verfügt, umso wichtiger. Hier zeigt sich einmal mehr, welch feinsinniger Chef Wälti ist. Während die superbe Sauce reichlich Eleganz verstömt und eine knackige Säure ins Spiel bringt, sorgt das Öl zusammen mit den Kräutern für einen würzigen, handfesten Unterbau. Knusprige, intensiv nussige Buchweizen setzen zum Schluss einen gewissen spielerischen Akzent. Grosses Kino.

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Weiter geht’s mit Schweizer Wagyu. Die Küche hat heute eine stattliche Menge eines dreieinhalb-jährigen Rinds erhalten, das ich dank eines kleinen Supplements kosten kann. Auf dem Teller landet ein kurz gegrilltes, aufgeschnittenes Pastorenstück (ein Abschnitt über der Kugel der Keule). Dazu gibt es lediglich etwas Mark, gegrillten Junglauch und ein wenig Jus. So würde ich mir so manchen Hauptgang anderswo wünschen. Ein über alle Zweifel erhabenes, perfekt zubereitetes Stück Fleisch in übersichtlicher Einfassung, die nichts anderes macht, als den Hauptdarsteller zu komplementieren. Eigentlich mehr Würzelement als Beilage - und schon gar nichts sättigendes dabei. Der Verzicht auf allen unnötigen Firlefanz. Mehr braucht es auch einfach nicht, wenn man solch ein Produkt zur Hand hat, das man seinen Gästen präsentieren darf. Ein simplistischer Hochgenuss.

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Als Hauptgang auf eine rein vegane Kreation zu setzen, mag denjenigen, die sich nicht davon lösen können, wie “gehobene Küche früher mal war”, immer noch gegen den Strich gehen. Ich bin sicher, dass Wälti mit dem Kräuterseitling mit Gemüsejus und Gurke auch ein bisschen anecken und wachrütteln will. Aber hauptsächlich serviert er dieses Gericht natürlich, weil er von dessen Qualität als finaler herzhafter Gang überzeugt ist. Leider zeigt sich in diesem Fall trotz der guten und richtigen Vorsätze auch die grösste Schwäche, die solchen Konzepten gerne mal innewohnt: die Imitation. Denn dieser Teller erinnert so stark an den klassischen Hauptgang “rotes Fleisch mit brauner Sauce”, dass man nicht umherkommt, ihn mit dem karnivoren Vorbild zu vergleichen. Die Pilze werden zwar variabel durchdekliniert (gegrillt, eingelegt, paniert), um möglichst viel Spannung und Abwechslung zu erzeugen, doch ein Kräuterseitling ist geschmacklich nun mal eher limitiert. Beeindruckendes Handwerk einerseits zeigt zwar die reichhaltige, erstaunlich intensive Sauce, andererseits ist sie in Summe jedoch spätestens nach dem dritten Löffel zu süss. Auch die eingelegten Gurken schaffen es nicht, genügend Säure reinzubringen, um alles richtig auszubalancieren. Das liest sich dennoch schlimmer, als es schmeckt. Schliesslich ist trotz allem ein Koch mit reichlich Können am Werk. Doch die Idee, das Storytelling, die vermeintliche Provokation scheint in diesem Fall wichtiger zu sein, als das Endresultat auf dem Teller. Nach dem bisher ausnahmslos hevorragenden Menü ist das aber wahrlich kein Beinbruch. Und zumindest interessant ist es allemal.

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Mit einem mir bis anhin unbekannten Produkt beginnt der finale Menüabschnitt. Bei der Jostabeere, von der ich bis eben noch nie bewusst etwas gehört hatte, handelt es sich im Kern um eine Kreuzung von Schwarzer Johannisbeere und Stachelbeere. Entsprechend schmeckt die Frucht sehr sauer, geradezu kernig und erinnert entfernt an Heidelbeeren. Spannend. Mit im Kelch befinden sich eine Kerbelmousse sowie ein Misoglacé. Während die Mousse durch ihre erdige, zurückhaltende Süsse den optimalen Boden für die Säure der Beeren bildet, tut sich das Eis ein bisschen schwer, gegen die beiden prägnanten Begleiter anzukommen. In Summe schmeckt das immer noch mehr als ordentlich und zeigt eine spannende Geschmackswelt. Würde man den komplexen Aromen der Miso grösseres Gewicht einräumen, könnte das aber wohl sogar ein richtiger Knaller werden.

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Cassisholz, eingelegte Heidelbeeren, Randen und Oswaldo 71% Schokolade sind die Zutaten der zweiten Süssspeise. In der modernen mittel- und nordeuropäischen Küche darf man den Dreiklang aus Rote Bete, Schokolade und einer Beerenfrucht durchaus als Klassiker bezeichnen. Über die Jahre wurde mir dieses Trio in so vielen unterschiedlichen Formen vorgesetzt, dass ich sie gar nicht mehr zählen kan. Wenn sich eine Kombination wie diese etabliert, dann zumeist aus gutem Grund. Das Zusammenspiel funktioniert ganz einfach blendend und das Ergebnis ist fast ausnahmslos lecker. In diesem Fall ist das Resultat sogar grossartig. Man isst durchaus komplex und mit Tiefgang, gleichzeitig aber total zugänglich. Anders gesagt: ein Dessert, das gleichzeitig Soulfood ist und das Kopfkino anwirft. Einziger Kritikpunkt: es ist ziemlich mastig. Abgesehen davon ein würdiger Abschluss eines rundum gelungenen Abends.

Was gibt es schöneres, als wenn die Neugier des Entdeckergeistes belohnt wird? Auch wenn die Voraussetzungen ähnlich vielversprechend sind, schafft es nicht jeder Chef, so abzuliefern, wie Dave Wälti das bei seinem ersten Engagement als Hauptverantwortlicher am Herd tut. Die Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit, die seinen Gerichten bereits innewohnt, ist beeindruckend. Ohne allzu dogmatisch zu sein verfolgt Wälti seinen ganz eigenen Plan, wie eine moderne, regional geprägte Spitzenküche aussehen kann und soll. Der Plan geht fast immer auf. Bis auf den Pilz-Hauptgang, der konzeptionell spannender ist, als das Resultat auf dem Teller, wusste das Menü durchweg zu überzeugen und teilweise sogar zu begeistern. Die Ceviche, die Kartoffel oder das Wagyu bewegen sich bereits ganz locker auf Sterne-Niveau. Wenn man in der Bistrobar so weiter kocht, dürfte das erste Macaron nur eine Frage der Zeit sein. Das Potenzial, dieses an den Tresen des Casinos zu holen, ist zweifellos vorhanden. Die Reise von Wälti hat eben erst begonnen und es lohnt sich, ganz genau mitzuverfolgen, wohin sie ihn in den kommenden Jahren trägt. Denn hinter dem Tresen der Bistrobar im Casino Bern steht bereits jetzt einer der spannendsten Köche der Schweiz.


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Die Getränkebegleitung:
Mischsatz 2018 Cidre - Cidrerie A. Heftig - Bern
Pinot Gris 2016 - Domaine La Colombe - Waadt
Cîroc Vodka
Œil De Perdrix 2019 - Anne-Claire Schott - Bielersee
Casino Delle Vie 2016 - Tenuta Il Palagio - Toskana
Klettgau Ammonit 2014 - Weinbau Markus Ruch - Schaffhausen
Waldhimbeergeist - Ruedi Käser - Aargau
Crusted 2015 - Butler Nephew & Co. - Porto


Bistrobar im Casino Bern
Casinoplatz 1
3011 Bern
Schweiz
+41 31 328 02 00
Website

 

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