SEO Küchenhandwerk (Roland Pieber) - Langenargen

SEO Küchenhandwerk (Roland Pieber) - Langenargen

Manche Sterne strahlen heller

Für Essreisende wie mich ist der Guide Michelin nach wie vor der Nordstern. Mittlerweile zeichnet der rote Guide weltweit eine enorme Menge von Restaurants mit seinen begehrten Macarons aus. Da den Überblick zu behalten und sich nicht zu verlieren, fällt schwer. Vor allem im Ein-Stern-Bereich ist die schiere Masse ein metaphorisches Sternenmeer.
Als ich von Roland Pieber, seines Zeichens Küchenchef des besternten SEO Küchenhandwerk kontaktiert wurde, hatte ich weder vom Chef noch vom Restaurant je gehört, geschweige denn etwas darüber gelesen. Meine Neugier und der kulinarische Entdeckergeist waren dadurch natürlich sofort geweckt. Als ich mir den Lebenslauf des Österreichers angesehen habe (u.a. bei Thomas Dorfer im Landhaus Bacher, Alain Weissgerber im Taubenkobel und erste Auszeichnungen als Küchenchef im Restaurant Schlossküche Balthasar), war klar, dass ich den Weg an den schönen Bodensee antreten muss.
Das im Erdgeschoss des Seevital Hotels untergebrachte Lokal bietet einen wunderbaren Blick auf das sanft wogende Gewässer sowie das lokale Wahrzeichen Schloss Montfort. Was mich in dieser Umgebung erwartet, weiss ich nicht. Einige wenige Informationen gibt es auf der Homepage, die aber nur einen oberflächlichen ersten Eindruck vermitteln, wofür Piebers Küche stehen soll.
Was im Restaurant sofort auffällt, ist die Grösse. Oder die Kleine, sollte man vielleicht eher sagen. Pieber und seine Souschefin Kathrin Stöcklöcker verköstigen maximal 12 Gäste pro Abend. Ich sitze draussen, wo klare Formen, dunkle Farben und warmes Holz für einen nordisch-gemütlichen Eindruck sorgen.
Ein Glas des JoMa Pet Nat Blanc de Noir von Johanna Markowitsch erfrischt, während der Blick über das Wasser und die Burg schweift und die entspannte Atmosphäre einsaugt. Es kann losgehen.

Dass die Mini-Mannschaft maximalen Einsatz zeigt, stellt bereits die Snack-Armada unter Beweis. Nicht weniger als 11 Komponenten werden aufgetragen. Im Detail sind das: Strudelteignest, Misomayonnaise, Tatar vom Allgäuer Ochsen, australischer Wintertrüffel - Ochsenmarkschaum, Zitronenkosho, rote Rübe, Kartoffel - Olivenöleis, Leche de Tigre mit grünen Zebratomaten - Croustade, Bachforellentatar, Sauerrahmmeerrettichschaum, Forellenkaviar, Radieschen, Sauerklee (Bild links); Iberico Fuet, hausgemachter Iberico Rohschinken - Kartoffelbrot - Shishito Peperoni (Bild mitte); Tartelette mit Linsen, Tomaten, Garam Masala, Hähnchenkeule, Hühnerhautchip, getrockneter Cherrytomate (Bild rechts). Nicht nur der Einsatz stimmt, sondern auch die Qualität der Petitessen. Einzig das Tartelette wirkt aufgrund des grosszügigen Einsatzes der indischen Würzmischung ein wenig zu plakativ. Dennoch setzt die Küche direkt zu Beginn ein gleichermassen köstliches wie dickes Ausrufezeichen. Das dürfte ein sehr spannender und abwechslungsreicher Abend werden.

Schneeweisser, festfleischiger Zander wird mit grüner Mandel und Beurre Blanc kombiniert. Unter dem Fisch liegt eine saftige, umamireiche Tomate, obenauf löffelt Pieber am Tisch eine Art Chile Crunch. Letzterer hat es in sich. Markant salzig, anregend knusprig und geprägt von einer lebendigen Schärfe, verleiht er dem ansonsten eher sanft ausgestalteten Sommergericht den nötigen Kick. Köstlich.

Schärfe spielt auch beim wilden Blumenkohl mit Chipotle und Portobello eine integrale Rolle. Die geräucherte, punktgenau dosierte und ungleich markantere Schärfe als beim vorherigen Teller betont besonders die Herzhaftigkeit der Pilze. Im Mittelpunkt steht allerdings der nussige und zartbittere Kohl, der die kräftige Einfassung aufgrund seines überschaubaren, delikaten Eigengeschmacks durchaus vertragen kann. Klingt ein wenig paradox, verhält sich aber ähnlich wie beim Zander zuvor. In Summe äusserst schmackhaft. Lediglich der Garpunkt des Kohls ist für meinen persönlichen Geschmack etwas zu weit, da ich es lieber etwas knackiger mag.

Einen Schritt raus aus der von (relativ) lokalen Produkten geprägten Küche macht der Carabinero mit Melone und Gurkenraritäten. Dass Pieber auch mit klassischen Edelprodukten aus dem Meer sehr gut umgehen kann, zeigt dieser Teller. Eingebettet in die herrliche Frische und die neckische süss-süffige Intensität der Kürbisgewächse fühlt sich der Kaisergranat pudelwohl. Ein wenig gepuffter Reis sorgt für zusätzliches Texturspiel, das in der Küche des gebürtigen Steirers eine elementare Rolle spielt. Spannend ist für mich auch eine nicht zu überschmeckende Linie nach Mautern an der Donau. Ein ähnlich geartete Kreation könnte durchaus auch aus der Küche des Landhaus Bacher stammen. Welch grosses Kompliment das ist, kann man hier nachlesen.

Auch beim Kohlrabi mit Hanfsamen, Roggen und Verjus, einem Klassiker der noch jungen Restaurantgeschichte, fühle ich mich unweigerlich an einen anderen Lehrmeister des Chefs erinnert: Alain Weissgerber aus dem Taubenkobel. Dabei schlägt die Erinnerung kaum vom Geschmacksbild her, sondern vom Gefühl, das diese Kreation erzeugt. Eigenständig, in gewisser Weise stur, auf den ersten Bissen nicht direkt zugänglich, sich dann aber öffnend, bis hin zur absoluten Köstlichkeit. Ich fühle mich auch an einen gereiften, von Tertiäraromen geprägten, aber immer noch frischen Wein erinnert, der dem geneigten Geniesser vielleicht nicht auf den ersten Schniff und Schluck seine gesamte Grösse offenbart, sich mit der Zeit aber unvergesslich in die Synapsen einbrennt. Grossartig!

Mit Schweinekinn, Salatherz und Coco Bohnen zeigt die Küche einmal mehr ihr Talent, scheinbar profane Produkte in eine moderne, unkomplizierte Hochküche zu transponieren. Es braucht nicht viel, wenn alles passt: knackiger Salat, herzhafte Bohnen, saftiges, nussiges Fleisch, hervorragende Sauce. Obwohl das Geschmackbild auf den ersten Bissen wenig sommerlich wirkt, versteht es Pieber, mit seinen Saucen die passende Stimmung zu erzeugen. Hieran wirkt nichts üppig, überfrachtet und dunkel. Ganz im Gegenteil zeigt sich alles frisch und beschwingt, ohne die nötige Struktur und vor allem Tiefe vermissen zu lassen.

Aus Frankreich stammt das Salzwiesenlamm, das von Poivrade (Artischocken) und Café de Paris klassisch begleitet wird. Dazu gesellen sich einige kleine Gemüse sowie ein paar gegrillte Steinpilze. Besonders ins Auge sticht der appetitliche Fettrand des Fleischs. Oben eingeschnitten für optimale Maillard-Knusprigkeit, die elfenbeinfarbene Schicht darunter zartschmelzend auf der Zunge. Pure Wonne. So gerne ich auch ein gutes Stück Fleisch esse, das Fett ist mir mittlerweile fast wichtiger geworden. Weg vom Fett, zurück zum grossen Ganzen. Das ist in seiner eher traditionellen Ausprägung einfach sehr gut umgesetzt, absolut vorzüglich und zeigt , dass die beiden Chefs auch diese Spielart blendend beherrschen.

Pieber ist fanatisch was Reis betrifft, wie er mir im Gespräch erläutert. Kein Wunder, dass er Koshihikari Reis und junge Kokosnuss zu einem grossartigen Dessert kombiniert. Meilenweit entfernt von einem lieblich-plumpen Milchreis oder dergleichen, wird bei dieser Kreation auf Subtilität und Naturbelassenheit gesetzt. Der Koshihikari besitzt eine wundervolle inhärente Süsse, die den typischen, ausgeprägten Reisgeschmack beflügelt. Das junge Exemplar der Steinfrucht ist sehr nuanciert, bringt eine leichte Frische sowie dezente Nussigkeit ins Spiel. Die erste Nachspeise ist definitiv ein geschmacklicher Leisetreter, der qualitativ aber ganz laut aufspielt.

Mit einer Mischung aus alter und neuer Heimat beschliesst Bodensee Pfirsich mit Piemonteser Haselnuss und Sauerrahm das Menü. Die alte Heimat der beiden Köche ist natürlich Österreich, das hier in Form eines der besten Kaiserschmarrn repräsentiert wird, die ich jemals gekostet habe. Dazu passt das sonnengeküsste, ultrareife Steinobst ganz wunderbar. Ebenso die exzellenten Nüsse, unter denen sich ein erfrischendes Sauerrahmeis befindet. Man alterniert zwischen den beiden Tellern, heiss und kalt, süss und säuerlich, fruchtig und herb. Sehr schlüssig und vor allem verdammt gut.

Mit den nicht nur verführerisch aussehenden Petits Fours klingt der kulinarische Teils des Abends im SEO Küchenhandwerk auf zwischenzeitlich fast schon erwartbar hohem Niveau aus.

Die Reise an den Bodensee hat sich gelohnt. Was Roland Pieber und Kathrin Stöcklöcker als Mini-Team im Mini-Restaurant auftragen, überzeugt. Mindestens eine Person aus dem Küchen-Tandem ist übrigens auch beim Servieren und Annoncieren der Gerichte dabei, was die Gesamtleistung noch ein wenig beeindruckender macht. Die Küche punktet mit ihrer Durchdachtheit, Präzision und einer selbstsicheren Schlichtheit. Besonders angetan haben es mit Piebers Saucen. Kreationen wie der Blumenkohl, der Kohlrabi oder das Schwein wirken wenig sommertauglich. Dank der exzellenten flüssigen Mitspieler zeigen sie sich jedoch auch an einem heissem Sommerabend keinesfalls träge, schwer oder gar plump, sondern wirken frisch und lebendig. Der Mut zur Würze, gerne kombiniert mit perfekt abgestimmter Schärfe und Säure, tut sein Übriges, um eine gewisse Leichtigkeit zu erzeugen.
Besondere Erwähnung verdient neben der gelungenen Weinbegleitung von Sommelière Lena-Celine Siancas auch die Weinkarte. Fans gereifter Bordeaux finden beispielsweise Trouvaillen die bis ins Jahr 1944 (Haut-Brion) zurückreichen, zu einem oftmals überaus fairen Kurs. Die 1980er Jahre sind besonders stark vertreten, weshalb ich mich nach dem Abendessen zu einer Flasche Léoville-Barton 1986 hinreissen lasse. Ein Bordeaux, wie er besser nicht sein könnte und der einen rundum gelungenen Abend im SEO Küchenhandwerk auf kongeniale Art und Weise beschliesst.
Es sind und bleiben mit die schönsten Erlebnisse eines Essreisenden. Das Abtauchen ins Unbekannte. Das Kennenlernen von Neuem. Das Entdecken einzelner Sterne, die klar aus dem Sternenmeer hervorstechen. Genau das schafft das SEO Küchenhandwerk.

Roland Pieber und Kathrin Stöcklöcker haben das SEO Küchenhandwerk im April 2024 verlassen.


Die Weinbegleitung von Sommelière Lena-Celine Siancas:
JoMa Pet Nat Blanc de Noir, Johanna Markowitsch
Fidesser*Orbis Pet Nat Rosé 2020, Weingut Fidesser
Höchste Lage Grauburgunder 2021, Vollmayer Weingut am Hohentwiel
Le Mont Damné Chavignol, Louis-Benjamin Dagueneau (Didier Dagueneau)
Ein Wildes Gläschen Rosé 2022, Zahel
Cuvée Zen Fleurie 2020, Bret Brothers
Pinot Noix Ardoise 2015, Daniel Twardowski
Sprudel Dicke Dirn Brut Nature, Weingut Teresa Deufel


SEO Küchenhandwerk
Marktplatz 1
88085 Langenargen
Deutschland
+49 07543 93380
Website

 

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Informationen zu unserem Umgang mit Pressekonditionen findest du in den FAQ.