Schwarzer Adler (Christian Baur) - Vogtsburg-Oberbergen

Historisch gut
Man muss die Feste feiern wie sie fallen. Und manchmal muss man ein wenig nachhelfen. Als es also darum geht, meine Allokation im Weingut Bernhard Huber abzuholen, steht deshalb schnell fest, dass ein Mittagessen im Schwarzer Adler Teil meines kleinen Ausflugs nach Baden werden soll. Schliesslich befindet sich das Restaurant quasi in der Nachbarschaft des renommierten Winzerbetriebs. Was auch klar ist: im Schwarzer Adler kehrt man nicht nur wegen des Essens ein. Schliesslich beherbergt das Restaurant einen der legendärsten Weinkellers Deutschlands. Diesen will man auch auskosten, wenn man schon mal da ist. Also werden neben dem Mittagessen fluggs auch noch ein Tisch fürs Abendessen sowie ein Zimmer zum Übernachten gebucht.
Der kulinarische Plan ist ebenfalls schnell geschmiedet. Mittags werde ich das Menü verkosten. Am Abend folgt dann einer der Klassiker des Hauses: die Poularde en vessie. Also eine ganze Poularde, die in der Schweinsblase gegart wurde. Sie wird mit Trüffeln, Foie gras und Reis gefüllt, dazu gibt es saisonal wechselndes Gemüse.
Ein solch aufwendiges Gericht klassischer Provenienz ist nicht umsonst dauerhafter Bestandteil des Menüs. Schliesslich kocht die Familie Keller hier schon seit 1893. 1969 erhielt der Schwarze Adler seinen ersten Michelin-Stern, damals noch unter der Leitung von Irma Keller, der Mutter des heutigen Patrons Fritz Keller. 1974 erkochte Franz Keller Junior, der zweite Sohn von Irma und Bruder von Fritz Keller, zwei Sterne, die das Restaurant bis zu seinem Abgang 1976 behielt. Danach wurde der Schwarze Adler mit Ausnahme einer einjährigen Unterbrechung zu Beginn der Coronapandemie durchgehend mit einem Stern ausgezeichnet. Christian Baur, der vor seinem Engangement in Vogtsburg bereits in der Residenz am See in Meersburg im Restaurant Ritter in Durbach ein Macaron erkochte, ist hier seit 2018 mit der Küchenleitung betraut und setzt die seit jeher frankophile Philosophie um.
In den vergangenen gut 130 Jahren hat die Familie Keller über das Stammlokal hinaus expandiert. Das Weingut Franz Keller, heute von Fritz’ Sohn Friedrich geführt, gehört ebenso zum kleinen Imperium wie der gleichnamige Weinhandel. Quer gegenüber vom Schwarzen Adler befindet sich zudem ein zweites Restaurant, das Winzerhaus Rebstock, sowie direkt daneben ein Hotel, das die Zimmer im Stammhaus ergänzt. Ein Rundum-Sorglos-Paket am Kaiserstuhl, das ich heute in vollen Zügen geniessen möchte.
Wer an den Kaiserstuhl reist, kommt meist nicht nur wegen Baurs Küche, sondern auch wegen der legendären Weinkarte. Sie umfasst rund 4’000 Positionen mit Schwerpunkten in Deutschland und Frankreich. Neben vielen Raritäten ist es vor allem die Jahrgangstiefe bei den roten Bordeaux’, die heute auch mein Herz höher schlagen lässt. Doch damit warte ich noch bis zum Abendessen. Auch wenn die Auswahl nicht leicht fällt, sind die ersten beiden Flaschen für das Mittagessen rasch gefunden: Saint-Thierry Extra Brut 2018 von Chartogne-Taillet. Ein Champagner, der schon lange auf meiner Liste stand, den ich bisher aber noch nicht probieren konnte. Gefolgt vom 2019er Chardonnay Bienenberg GG vom Weingut Bernhard Huber. Ebenfalls eine Rarität, die man immer bestellen sollte, wenn sie auf einer Karte findet.
Christian Baur gibt sich keinen ausschweifenden Amuses-Orgien hin. Bevor das Menü losgeht, gibt es lediglich einen Gruss aus der Küche. Beim Sellerie mit Walnuss und Beurre Blance steht natürlich der Waldorf Salat Pate. Dieser Klassiker der Hotelküche wurde hier sehr gelungen neu interpretiert. Knackig, frisch, mit der notwendigen Substanz. Schön.
Richtig oldschool ist der erste Gang Operaschnitte von der Gänseleber und schwarzem Périgord Trüffel mit schwarzer Mirabelle. Das letzte Mal, dass ich eine kühle Gänseleber als einzelnen Gang serviert bekommen habe, ist zwar noch nicht so lange her (Bericht zum La Riva in Lenzerheide), doch treffe ich Gerichte wie dieses mittlerweile nur noch selten an. Wenn sie so gut umgesetzt werden wie in diesem Fall, strahlen sie immer noch einen gewissen Reiz aus. Obwohl die Leberterrine sehr geschmacksintensiv ist, wirkt sie keineswegs schwer, sondern ist überraschend leicht. Natürlich im Kontext eines solchen Gerichts, aber immerhin. Das Gelée aus Trüffeln und einer herrlich intensiven Jus ist sehr erdig, herzhaft und umamireich. Da Baur die Mirabelle nicht in den Mittelpunkt rückt, setzt er einen dezidiert anderen Grundton, in dem die Fruchtsüsse wirklich nur auflockernde Akzente setzt. Unerwartet grossartig.
Es folgt Gegrillter Steinbutt mit Buddhas Hand Beurre Blanc, Garganelli und schwarzem Winterrettich. Hiermit kann man natürlich nicht viel falsch machen. Der Fisch ist saftig gegart und bezirzt erwartungsgemäss mit verführerischen Röstnoten. Die Beurre Blanc hingegen präsentiert sich beim ersten Bissen anders als erwartet. Die Erklärung dafür liegt in der verwendeten Zitrusfrucht Buddhas Hand. Im Gegensatz zu einer Zitrone beispielsweise enthält sie kaum Bitterstoffe und weist neben ihrer blumig-zitrischen Frische auch eine präsente süsse Note auf. Dadurch wirkt die Sauce gehaltvoller. Es braucht also noch einen Kontrapunkt, den der Winterrettich erfolgreich setzt. Mit seiner knackig-herben, durchaus pointierten Schärfe sorgt er neben der Balance auch für zusätzliche Komplexität. Eine ebenso ungewöhnliche wie gelungene Wahl. Die Garganelli dienen vor allem dazu, auch das letzte bisschen Sauce aufmoppen zu können.
Ein prächtiger Kaisergranat wird beim nun folgenden Gang von Kalbskopf, Café de Paris und Hechtspätzle flankiert. Das klassische Meer und Land Thema wird hier kongenial umgesetzt. Während die saftige, maritime Süsse der Langoustine luxuriöse Anleihen verströmt, spielt die herzhafte Deftigkeit des exzellenten Fleischs das vorzügliche, geerdete Gegenstück. Dazu passt die würzige Sauce, von der ruhig ein wenig mehr auf dem Teller hätte landen können, als verbindendes Element ganz hervorragend. Auch bei diesem Gericht setzt Baur in Form der Hechtspätzle einen besonderen Akzent. Diese Spielart der klassischen Quenelles de Brochet unterstreicht mit ihrer subtilen Fischigkeit den maritimen Hauptcharakter des Gerichts und begeistert zudem durch ihre luftige Leichtigkeit. Rundum exzellent und die Kreation, die es heute wohl zu toppen gilt.
Als Hauptgang wird ein Rehrücken in fünf Gewürzen mit Sauce aus grünem Pfeffer, Haferwurzel und Blutwurst serviert. Die Küche bleibt ihrer Linie treu, setzt nicht auf vordergründige Intensität, sondern auf eher zurückhaltendes Würzen und Abschmecken. Dadurch wirken die einzelnen Komponenten sehr klar, aber auf den ersten Eindruck auch ein wenig losgelöst voneinander. Die sehr gute Sauce und etwas mehr Gabelakrobatik bringen dann schliesslich doch alles zusammen. Dieser Teller überzeugt dann auch genau aufgrund der einzelnen Komponenten sowie seiner leisen, feinsinnigen Inszenierung und Harmonie.
Wenn eine von Maître Bernard Antony aus Vieux-Ferrette veredelte und kuratierte Auswahl von Käse angeboten wird, kann ich kaum jemals widerstehen. Da in wenigen Stunden bereits das Abendessen an gleicher Stelle auf dem Programm steht, lasse ich mir eine kleine Auswahl empfehlen (Käse nicht notiert), die allesamit in erwartbar hervorragendem Zustand sind.
Beim mit Valrhona Caraïbe Emulsion gefüllten Schokoladen Cannolo mit Bailey’s Eis sticht natürlich als erstes die Präsentation ins Auge. Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob eine stilisierte Zigarre in einem Schoko-Aschenbecher samt Streichholz appetitanregend ist. Mich stört es auch als Nichtraucher nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass nicht alle Gäste so gelassen darauf reagieren. Wie auch im richtigen Leben kommt es schlussendlich auf die inneren Werte an. Und diese überzeugen in ganz klassischer Manier. Man changiert gekonnt zwischen Süsse, sanfter Bitternis und opulenter Cremigkeit, was dieses Dessert zumindest geschmacklich als absoluten Publikumsliebling etablieren dürfte.
Das Mittagsmenü war angenehm übersichtlich und in Summe nicht zu üppig. Doch die Fahrt und das lange Sitzen haben mich ein wenig träge gemacht. Da in wenigen Stunden die getrüffelte Poularde in der Schweinsblase auf mich wartet, entschliesse ich mich zu einem belebenden Spaziergang. Trotz oder gerade wegen des grauen Schmuddelwetters kehren die Lebensgeister schnell wieder in mich zurück. Spätestens als ich den kurzen Aufstieg zur Oberbergener Bassgeige geschafft habe, kurz durchatme und die Aussicht auf den grauen Himmel und die winterlich braunen Weinberge auf mich wirken lasse, ist die Vorfreude auf das Abendessen bereits wieder spürbar.
Zurück am Tisch (ein anderer Platz als einige Stunden zuvor) wird erstmal wieder die Weinkarte gewälzt. Besonders schön an einem solchen Ort ist der Austausch mit den versierten Sommeliers. Sowohl die Bandbreite als auch die Jahrgangstiefe sind nichts für Anfänger. Man konsultiert hinsichtlich eines raren Weines nicht einfach die letzte Cellar Tracker Verkostungsnotiz irgend eines Weinafficionados vom anderen Ende der Welt. Nein, meine Frage, ob ich den 1967er oder den 1969er Château Margaux bestellen soll, wird mit eigenen, aktuellen Verkostungseindrücken, wie sich die beiden Weine momentan präsentieren und den Füllständen der Flaschen aus dem Effeff beantwortet. Gerade bei älteren, teuren Weinen, ist solches Wissen beinahe in Gold aufzuwiegen. Der Dialog mit Sommelière Melanie Wagner fand bereits beim Mittagessen statt, weshalb der empfohlene 1969er Château Margaux schon im Dekantierkorb bereitsteht. Doch vor dem Bordeaux soll ein 2015er Montée de Tonnerre von Vincent Dauvissat die Vorspeisen begleiten. À propos Vorspeisen: meine Entscheidung, vor der Poularde erst ein relativ üppiges Arrangement von der Challans-Wachtel sowie danach noch die Trüffelsuppe "Paul Bocuse" zu essen, erweist sich als blutiger Anfängerfehler. Man hätte es kommen sehen können, doch manchmal überwiegt die Lust die tatsächlichen Kapazitäten. Als dann die oben abgebildete ganze getrüffelte Poularde in der Schweinsblase, gefüllt mit Gänseleber, Reis und Gemüse auf den Tisch kommt, freue ich mich trotzdem wie ein Honigkuchenpferd.
Die Poularde wird nach der Präsentation am Tisch durch Hubert Pfingstag, der seit 1976 (!) im Restaurant tätig ist, aus der Blase befreit und tranchiert. Serviert wird das Huhn in zwei Gängen. Zuerst kommt die Brust mit dem Reis, Chichorée und rote Bete auf den Tisch. Das Fleisch ist herrlich saftig, gleichzeitig fest und wunderbar zart. Aber mir fehlen ein paar Flocken Salz, um das Ganze abzurunden. Das ist insofern schade, als gerade die Bitterkeit des Chicorées, die in der gehobenen Küche viel zu selten anzutreffen ist, spannende Kontraste bietet und den Teller zu etwas ganz Besonderem macht. Heimlicher Star dieses Gangs ist zu meiner Überraschung der Reis, der sich während des behutsamen Garprozesses - in einem Wasserbard liegend und über Stunden immer wieder mit der nicht zu heissen Garflüssigkeit übergossen - mit der Leber vollgesogen hat. Dadurch ist er betörend vollmundig und fast schon unverschämt opulent. Ein absoluter Hochgenuss.
Zu diesem Zeitpunkt macht sich meine eigene Dummheit, mein nicht mehr ganz jugendlicher Übermut, so richtig bemerkbar. Den zwei à la carte Vorspeisen zolle ich nun Tribut. Zumindest einmal am heutigen Tag muss ich vernünftig sein und verzichte auf den zweiten Durchgang. Mea Culpa.
Wer einen Besuch in Oberbergen plant und sich die Poularde in der Schweinsblase nicht entgehen lassen möchte, sollte unbedingt daran denken, dass dieses Gericht vorbestellt werden muss. Und sich vielleicht, anders als ich, mit einer Vorspeise begnügen, um in den Genuss des ganzen Huhns zu kommen.
Christian Baur meistert den Spagat zwischen elemantarer Klassik, den ein grosser Teil der Gäste hier wohl nach wie vor bevorzugen dürfte, und behutsamen modernen Anleihen mehr als ordentlich. Die Gerichte sind handwerklich fehlerfrei, zwischendurch blitzen sogar ein paar sanfte Ecken und Kanten sowie einige Spielereien auf. Mir erscheint Baurs Hang zur zurückhaltenden Würzung, die abgesehen von der Poularde vollkommen stimmig war, als äusserst angenehmer Gegenentwurf zu vielen anderen Küchen heutzutage, in denen vor allem das Salzen bis ans Limit fester Bestandteil des Geschmacksbildes eines jeden Gerichts ist.
Auch wenn die spektakuläre Weinkarte sicherlich ein gewichtiges Argument für eine Reise nach Vogtsburg sein kann, ist sie bei weitem nicht das einzige. Christian Baurs unaufgeregt solide, klassisch fundierte, aber keineswegs altbackene, französisch geprägte Küche knüpft nahtlos an die lange Historie des Hauses an und bietet für sich genommen schon genügend Anreize für einen Besuch am pittoresken Kaiserstuhl. Kombiniert man die Küche im Schwarzen Adler mit der Weinkarte, rechtfertigt das sogar eine Reise. So wie für mich. Es wird mit Sicherheit nicht die letzte gewesen sein.
Saint-Thierry Extra Brut, Chartogne-Taillet
2019 Chardonnay Bienenberg GG, Weingut Bernhard Huber
1995 Chäteau Lafon-Rochet
1997 Malvasia, Justino’s
1969 Château Margaux
2015 Montée de Tonnerre, Vincent Dauvissat
Franz Keller Schwarzer Adler
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