Schlüssel (Roger Kalberer) - Mels
Der Schlüssel in Mels ist eine kulinarische Institution in der Ostschweiz. Für schier unglaubliche 42 (!) Jahre stand Seppi Kalberer hier am Herd seines Restaurants und beglückte die Gäste mit einer lokalen verwurzelten, französisch geprägten Küche. Mittlerweile hat sein Sohn Roger Kalberer den Platz an Herd und Pass des schmucken Hauses eingenommen und bekocht hier mit einer kleinen Brigade das Gourmetrestaurant sowie das Bistro. Der Junior hat im Gourmetrestaurant Nidbergstube kurz nach seiner Ankunft eine eigene Karte eingeführt und kocht daneben auch noch einige Klassiker seines Vaters, wenngleich diese teilweise modernisiert wurden. Nach der Transition von Kalberer Senior zu Kalberer Junior hat der Filius mal eben die hohen Auszeichungen (17 Gault MIllau Punkte und 1 Michelin Stern) gehalten und so auch meine Aufmerksamt erregt. Dass Roger kochen kann, ist nach seinen bisherigen Stationen beim verstorbenen Philippe Rochat im Hotel de Ville in Crissier und Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein zu erwarten. Wie und ob sich aus den Erfahrungen bei diesen beiden grossen Lehrmeistern und dem kulinarischen Erbe seines Vaters eine eigene Handschrift entwickelt, darauf bin ich sehr gespannt.
Als erstes schickt der neue Chef einige Grüsse aus der Küche: King Crab, Erbsen, Rhabarbermarmelade - Pfifferlingsuppe - Lammball mit Kumquat - Speck-Käse-Schnitte. Man merkt allen Petitessen ein mutiges Händchen beim Würzen an, ohne dass dabei die Finesse leiden würde. Speziell erwähnenswert ist die geschmacklich deftige, dabei luftige Speck-Käse-Schnitte, die so verdammt lecker ist, dass ich mir noch ein paar Stück davon wünsche. Doch auch die anderen Happen sorgen für eine sehr gelungene Einstimmung.
Das Menü startet mit einer Variation von der Entenleber, Aprikose und Haselnussmalto. Die Foie versteht sich naturgemäss wunderbar mit der fruchtig-nussigen Begleitung - die so oft auftretende Langeweile bei der bewährten Leber-Frucht-Kombination wird durch die ansprechende Säure der Aprikose einerseits sowie durch das abwechslungsreiche Texturspiel von gebratener Leber, Leberlolli, knackigen Früchten und dezent knusprigem Haselnussstaub andererseits gekonnt umschifft. Schön.
Es folgt ein pochierter Atlantiksteinbutt, Tomate, Burrata und Pfifferlinge. Die grosszügigen Tranchen des Plattfischs sind einen zarten Hauch zu lange gegart und könnten ein Spur Salz vertragen. Da auch die Begleiter, allen voran der Burrata, eher zurückhaltend gewürzt sind, will sich auch nach der dritten und vierten Gabel kein so richtig harmonisches Ganzes zeigen. Die Pfifferlingcreme versucht zwar die einzelnen Elemente zu verbinden, jedoch gelingt das auch aufgrund der Proportionen nur bedingt. Es schmeckt zwar nicht schlecht, aber eben auch nicht mehr.
Ein ganz anderes Kaliber ist dann der Kaisergranat mit exotischem Chutney und Karotte. Die perfekt glasig gegarte Langustine strotzt nur so von süsslich-maritimer Frische, die durch die diversen Karottenzubereitungen gekonnt akzentuiert wird. Der heimliche Star ist jedoch das süchtigmachende Chutney, das sich klasse ins Gericht einfügt, und sich dabei nicht anschickt die beiden Hauptkomponenten zu übertönen, sondern mit ihrer dezent scharfen Fruchtigkeit zu unterstützen. Abgerundet wird das ganze von einer tiefen Krustentierbisque, die sich leicht aber präsent über jeden Bissen legt. Ausgezeichnet!
Ravioli vom Black Angus Rind, Pommery-Senf und Rosa Pfeffer sorgen gleich für den nächsten Höhepunkt. Der ultradünne Teig zeugt von fachmännischem Handwerk und ist genau so wie ich ihn mag. Ebenso gelungen ist die saftige und intensive Füllung der Teigtaschen, und sehr zu meiner Freude hat sie ebenso wie die Pasta noch ein wenig Biss und bietet so ein wenig mehr Kauspass. Kongenial begleitet werden die Ravioli von einer grandiosen Senfsauce, die das Gericht mit ihrer präsenten Säure und dezenten Schärfe nochmals einen grossen geschmacklichen Schritt nach Vorne bringt. Sehr, sehr gut. Nur die frittierten Kartoffelzylinder hätte es meiner Meinung nach nicht gebraucht, darum lasse ich sie nach einem Probebissen auch liegen.
Als Hautgang lässt der Jungchef ein Zweierlei vom Kalb, Kartoffelespuma und Peperoni auftischen. Da ich generell kein grosser Freund von Kalbfleisch bin, überrascht mich dieser Teller umso mehr. Das Fleisch ist von einer bemerkenswerten intensiven Aromatik und macht so ungleich mehr Spass als ich erwartet habe. Die saftigen, rosa gegarten Stücke werden ergänzt durch einige perfekte kleine Stücke Kalbsbries, die dem Teller auch sofort ihren Stempel aufdrücken. Die luftig-buttrige Espuma sowie die verschiedenen Zubereitungen der roten Paprika ergänzen und unterstützen die beiden Hauptdarsteller gekonnt und drängen sich dabei nie in den Vordergrund, obwohl sie auch das Potenzial hätten, die Show alleine zu rocken. Doch damit nicht genug, denn der Clou in Form einer klassischen, dicken Kalbsjus lässt diesen Gang erst so richtig glänzen. Die gelatinösen Rückstände, die ich mir von den Lippen lecken muss, zeugen erneut davon, dass hier im Schlüssel kein Aufwand gescheut wird, um den perfektern Geschmack auf den Teller zu bringen.
Das frisch-fruchtige Pré-Dessert bestehend aus Pfirsichcreme, Himbeerkompott und Sauerrahmeis schlägt gekonnt die Brücke zum süssen Teil dieses Lunchs.
Der grosse Bruder folgt mit Erdbeere, Passionsfrucht und Sorbet auf dem Fusse und schlägt geschmacklich in eine ähnliche Kerbe. Kalberer Junior muss seine Kreativität offensichtlich nicht bei den Desserts ausleben und fährt auf der klassischen, sicheren Schiene - was kein bisschen verkehrt ist, wenn es so gut schmeckt wie hier. Herrlich erfrischend, die Frucht der Erdbeeren und der Maracuja sind schön rausgearbeitet und sorgen so für einen locker-leichten Menüabschluss.
Zum stärkenden Espresso vor der Weiterfahrt Richtung Vals wird noch eine Auswahl von Friandises serviert: Gin Tonic Explosion, Apfelespumacracker, Himbeer- und Pfirsichgelée sowie ein warmer Schokoladenkuchen. Allesamt sehr gut.
Das Essen beim neuen Chef hat Spass gemacht. Man merkt, dass der erstmals als Küchenverantwortlicher agierende Sprössling dabei ist, seine eigene kulinarische Sprache zu finden. Es wird interessant sein zu sehen, wie schnell die Entwicklung voranschreitet.
Deshalb finde ich mich ein paar Monate nach diesem Besuch mit einem Freund erneut im Schlüssel in Mels ein, um zu sehen ob und wie sich die Karte des Juniors bereits weiterentwickelt hat. Neben neuen Gerichten von Roger Kalberer, komme ich heute auch in den Genuss einiger (modernisierter) Klassiker seines Vaters Seppi. Den Start machen vier Grüsse aus der Küche auf dem bereits vom letzten Besuch bekannten Glasteller.
Heute gibt es ein Melser Rieslingscremesüppli mit Kalbskutteln, eine geräucherte Forelle aus dem Weisstannental mit Gurkenspaghetti, Gurkengelee, Gurken- und Hibiskusgel und Brotchip, Murmeltiercanneloni auf Orangenconfit, Austernseitling und Kumquats sowie das bereits bekannte Käsespeckbrötchen. Wie bei meinem ersten Besuch ist die Einstimmung durchweg gelungen und wartet mit dem Murmeltiercanneloni mit einer ungewöhnlichen Rarität auf (das Tier wurde übrigens von Rogers Vater Seppi geschossen).
Weiter geht's mit Hummer aus Tristan da Cunha, Blumenkohl, Estragon, Agrumen und Rucola. Der Rock Lobster versteht sich prächtig mit der Deklination des Kohls in Form einer Blumenkohlmousse, Blumenkohlcreme und karamellisiertem Blumenkohl. Weiter befindet sich eine Estragoncreme auf dem Teller, die mit ihren Änisnoten eine mystisch-kräuterige Komponente ins Gerschmacksbild bringt, sowie etwas Zitronengel und Finger Limes für die Frische. Alle diese Elemente harmonieren bereits wunderbar, doch so richtig rund wird das Ganz zu meinem Erstaunen erst durch den Rucola, der mit seine grünen, scharfen Senfnoten einen perfekten Gegenpol zu Hummer und Blumenkohl setzt. Sehr gelungen, lediglich ein bisschen wärmer hätte es sein dürfen.
Die Küche bleibt dem Atlantik noch für einen Gang treu und serviert einen pochierten Atlantik Steinbutt mit Zwiebeln, Bohnen und Dill. Der schneeweisse, optimal gegarte Fisch teilt sich den Teller mit Eschalottenconfit, weissem Bohnenpüree, Zwiebelpüree, Perlzwiebeln, Tannenschösslingessig, einem frittierten Zwiebelring und Dill. Bei der Annonceriung hege ich die leise Befürchtung, dass der delikate Meeresbewohner den kräftigen Mitspielern nicht paroli bieten kann. Doch diese Sorge ist absolut unbegründet, denn der Hauptdarsteller steht zu jeder Zeit im Vordergrund und harmoniert prächtig mit den vielen unterschiedlichen Begleitern. Eine abwechslungsreiche Geschmacksbombe, die voll einschlägt.
In leicht abgewandelter Form erscheinen auch heute die Black Angus Rindsravioli auf dem Tisch. Verfeinert werden die magischen Teigtaschen mit zweierlei Trüffel (schwarzer Périgordtrüffel und Melser Trüffel), einer Steinpilzsauce sowie Petersilie. Was soll ich sagen? Sie sind wieder grandios. Noch besser als beim ersten Mal vor einigen Monaten, da die grandiose Sauce noch einen Tick besser passt und die Trüffel dem Ganzen eine erdig-luxuriöse Note verleihen. Umwerfend gut!
Der Übergang zum ersten "richtigen" Fleischgang ist den Ravioli gelungen und der Hirsch mit Rahmwirsing, Holunderbeer-Cassissauce, Topinambur, Kirsche und Pfefferminze hält die Stimmung weiter sehr hoch. Das Wild aus heimischer Jagd kommt als Filet und als Praline auf den Teller und ist für sich genommen bereits ein Hochgenuss. Und obwohl auf dem Teller mit Rahmwirsing mit Holunderbeer-Cassissauce, Topinamburpüree und Chips, Kirsche und Pfefferminze ordentlich was los ist, wirkt das Gericht zu keiner Zeit überladen, nein, es herrscht Wohlgeschmack wo man auch hinschmeckt. Ganz besonders hat es mir der Rahmwirsing angetan, den ich wohl noch nie so verdammt lecker schmeckend serviert bekommen habe wie hier. Sehr, sehr gut.
Nun folgt mit der geschmorten Kalbskopfbacke DER Klassiker des Hauses. Seppi Kalberer hat die Kalbsbacke für die Schweizer Hochgastronomie quasi entdeckt und salonfähig gemacht, nachdem er vor vielen Jahren im Restaurant Jamin eines gewissen Joël Robuchon eine Schweinebacke serviert bekommen hatte. Von diesem Monolith eines Gerichts gibt es auch eine modernisierte Version die Sohn Roger entworfen hat, doch ich lasse mir heute den klassischen, vom Papa erdachten Gang servieren. Die Backe wir von einer Syrahsauce, Kartoffel-Rosmarinpüree, Gemüse, Kartoffelstroh, einem Kartoffelornament sowie einem Kalbsfussgelée begleitet. Dieses Gericht ist unsagbar lecker, kräftig und delikat zugleich, und lebt von perfekt ausbalancierten Aromen. Bombastisch! Leider kann ich die mächtige Portion aufgrund des bereits heftigen Sättigungsgefühls nicht komplett runterschlingen. Eine Schande...
Nach einer angenehmen Pause wird das erste Dessert serviert. Das Honigparfait mit Piemonteser Haselnüssen und Edelkastanienmousse sieht vielversprechend aus, die ersten Bissen sind auch durchaus schmackhaft, doch dann verliert mich der Teller ein wenig. Die Elemente sind zwar alle tadellos gearbeitet, jedoch fehlt mir ein übergeordneter, alles zusammenbringender Leitfaden. Nach noch zwei weiteren Löffeln zeigt merke ich endlich, warum dieser Teller etwas gar zahm daher kommt, dem Dessert fehlt es an Zucker! Nicht als Süssungmittel, sondern als dezenter Geschmacksverstärker. Denn genau das fehlt hier, ein bisschen mehr Power. Es schmeckt zwar ordentlich, doch auch zu brav.
Ganz anders der wunderbare warme Schokoladenkuchen mit Aprikosen und Sauerrahmeis. Das Küchlein wurde mit der derzeit in der Schweiz sehr beliebten Bolivia Schokolade von Felchlin hergestellt und wird von einem Aprikosenkompott, Aprikosenspoom, Joghurtmeringue und Himbeerpulpe sowie natürlich dem Eis begleitet. Hier stimmt einfach alles, von der bittersüssen Schokolade, über das perfekt cremige Eis, den sauer-fruchtigen Mitspielern und dem etwas Süsse und Crunch beisteuernden Meringue. Wäre ich nicht schon so voll, würde ich wohl gleich nochmals nachbestellen, so gut schmeckt das.
Den Abschluss machen auch heute wieder vier Kleinigkeiten: ein Gin Tonic Shot, ein kleines Schokoladenküchlein, ein Orangenguggelhöpfli, Brombeer- und Aprikosengummibärli sowie ein Mangomousse. Vor allem das sensationelle Orangengugelhöpfli hat es mir von diesen Petitessen angetan, wenngleich alle anderen ebenfalls exzellent sind.
Mein zweites Essen in der Nidbergstube des Schlüssel Mels hat mich noch einen Tick mehr überzeugt als das erste vor einigen Monaten, denn schon in dieser kurzen Zeit konnte ich die Entwicklung des neuen Chefs deutlich schmecken. Er entwickelt langsam seine eigene Sprache, seinen eigenen Stil. Dass er daneben weiterhin auch die (teilweise modernisierten) Klassiker seines Vaters kocht zeigt einerseits den Respekt gegenüber den grandiosen Gerichten von Kalberer Senior, aber auch gegenüber den vielen Stammgästen. Für diese wäre eine kompletter Kurswechsel wohl kaum zu verkraften gewesen, und so kann jeder nach eigenem Gusto weiterhin seinen langjährigen Lieblingstellern fröhnen oder sich ins Abenteuer der neuen Küche stürzen. Es wird spannend zu beobachten sein, wie sich dieses traditionsreiche Haus in den nächsten Jahren entwickeln wird. Sicher ist auf jeden Fall, dass der Schlüssel weiterhin in sehr guten Händen ist.
Restaurant Schlüssel
Oberdorfstrasse 5
8887 Mels
+41 (0)81 723 12 38
Website
Mein Besuch wurde vom Restaurant unterstützt.