Jägerhof (Agron Lleshi) - St. Gallen
Jägerhof (Agron Lleshi) - St. Gallen
Reisen nach St. Gallen sind für mich immer auch Reisen in die Vergangenheit. Ich habe länger in der Nähe gelebt, bin in der Gallusstadt zur Schule gegangen, habe hier meine ersten Exkursionen ins Nachtleben unternommen. Der Tisch im Jägerhof ist erst für 18:30 Uhr reserviert, da reicht die Zeit nach meiner frühen Ankunft noch problemlos für eine kleine Tour durch die einnehmend hübsche Altstadt und ein oder zwei Gläschen Wein. Nach einigen gemütlichen Stunden im Schatten der weltberühmten Klosteranlage meldet sich auf dem kurzen Spaziergang zurück zum Restaurant langsam der Hunger. Perfektes Timing. Kurz frisch gemacht geht’s vom letzten verbliebenen Hotelzimmer des Jägerhofs direkt an den Küchentisch.
Mein letzter Besuch hier liegt bereits wieder weit mehr als zwei Jahre zurück. Agron Lleshi, der in dieser Küche bereits seine Lehre absolvierte, hatte das traditionsreiche Lokal kurz zuvor als Pächter übernommen und fing nach dem Abgang von Vreni Giger so langsam an, sich einen eigenen Namen als Küchenchef zu machen. Bereits im Frühstadium wusste seine unkomplizierte, spielerische Küche zu gefallen (zum Bericht). Inzwischen kennen nicht mehr nur eingefleischte Foodies und Einheimische seinen Namen. Lleshi und der Jägerhof finden auch in der (überregionalen) Presse statt. Höchste Zeit also, mal wieder hier einzukehren, um mir ein eigenes Bild der Entwicklung des jungen Chefs zu machen. Ich bin gespannt heute Abend rauszufinden, was sich hier getan hat.
Die Apéros bestehen aus einem Hefegebäck mit Tomaten, Rucola, Parmesan und Wiesenkräutern, einer Olivenpraline auf Olivenmarmelade und Olivenölsablé sowie einem kalten Tomaten-Basilikum Cappuccino. Drei fein gearbeitete, sehr aromatische Kleinigkeiten, die direkt zeigen, wohin die Reise heute Abend geht: in den Süden!
Couscous mit Frischkäse und Chimichurri wartet mit einer herrlich kühlen Frische auf - genau das Richtige für einen heissen Abend am Küchentisch - zu der sich eine herbe, pointierte Kräuternote mit reichlich Knoblauch gesellt. Das mag manch zartbesaitetem Gast etwas zuviel des Guten sein, macht aber im Kontext von Lleshis Stil absolut Sinn und verleiht dem Ganzen eine gewisse Authentizität.
Bisher war Vorspiel, jetzt wird das Menü eröffnet. Buttermilchpralinen mit Ratatouillechutney, Pumpernickel und Peperonisorbet setzt den Weg des letzten Amuse konsequent fort und gefällt zuerst mal durch die angenehm tiefe Temperierung. Die Aromen leiden keineswegs unter der Kälte, auch dieser Teller ist wuchtig und intensiv. Vor allem dank der Paprika kommt aber auch eine lebendige Fruchtigkeit ins Spiel, die die Papillen ordentlich kitzelt. Dem gegenüber steht die säuerlich-cremige Buttermilch und das Ratatouille, das Komplexität und Substanz reinbringt. Das macht einfach Spass. Einzig die Olivenölperlen, die bisher auf jedem Teller auftauchten, müssen langsam nicht mehr sein.
Doch auch bei der Gazpacho mit Kalbstatar, Kartoffelsalat und Rapspops tauchen die kleinen, goldenen Kügelchen wieder auf. Naja, sei’s drum. Bei der Annoncierung klingt diese Kombination erstmal ziemlich krude, doch erstaunlicherweise funktioniert das geschmacklich sehr gut. Und noch erstaunlicher, das Ganze kommt nicht sehr schwer daher. Im Gegenteil wirkt dieses Ensemble geradezu beschwingt. Das liegt natürlich an der knackigen Gazpacho sowie auch am Raps. Dessen knusprige Nussigkeit wird ziemlich stark in den Vordergund gerückt, was interessanterweise aber nicht dazu führt, dass der Raps die dominante Zutat ist. Nein, der Kreuzblütler akzentuiert sowohl das Fleisch als auch die Erdäpfel, die sich dadurch harmonisch mit der Suppe verbinden. Sehr schön.
Beim nächten Gang wendet sich die Küche erstmals von Mittelmeer ab und schielt Richtung Osten. Hauchdünn aufgeschnittenes, asiatisches Rindercarpaccio mit Kohlrabi und Zitronengras zeigt, dass Lleshi und seine Truppe auch eine andere Stilrichtung beherrschen. Aromatisch steht klar eine kräftige Würznote (basierend auf Sojasauce) im Vordergrund, während der Kohlrabi das am Gaumen förmlich dahinschmelzende Fleisch vor allem texturell kontrastiert, geschmacklich aber keinen grossen Mehrwert liefert. Ähnlich verhält es sich mit den aufgelegten Kräutern und dem Zitronengras, denen aufgrund des präganten Fleisches durchaus etwas mehr Raum zur Entfaltung eingeräumt werden dürfte. Vor allem die duftige Zitrusnote des Süssgrases würde dem Gericht mit stärkerer Präsenz sicher gut zu Gesicht stehen. Trotz der Kritikpunkte ein kurzweiliger und gefälliger Teller.
Zurück in mediterrane Gefilde geht es mit dem gebratenen Zander mit geschmortem Fenchel, Tomaten und Basilikum. Dadurch, dass der qualitativ hervorragende Fisch ein heisse Behandlung in der Bratpfanne erhalten hat, kann er der kräftigen Einfassung locker standhalten. Muss er auch, denn die hat es in sich. Herb-fruchtig, umami-geladen, die Aromatik des Fenchels sehr pointiert und das Ganze daher eher in der Provence zu verorten, als in Italien. Richtig, richtig gut und der bisherige Höhepunkt des Abends. Ich könnte direkt noch eine Portion verdrücken. Aber es kommt ja noch ein bisschen was…
Wenn Lleshi einen SIgnature Dish hat, dann ist es sicher der "Bottega Veneta Raviolo". Dass die typsiche Flechtoptik des italienischen Modehauses dem Chef als Inspiration diente, ist auch unübersehbar beim tatsächlich geflochtenen (!) Schmorbratenraviolo mit Salbei. Das habe ich in dieser Form noch nie gesehen. Da ich am Küchentisch sitze, kann ich einen der Lehrlinge beobachten, wie er die Pasta sorgfältig und sehr gewissenhaft flechtet. Optisch schon mal ein veritables Highlight. Durch das Flechten ändert sich aber auch die Textur des Teiges, der an den Übergängen etwas fester ist, was den gewünschten al dente Eindruck verstärkt. So muss Pasta sein, nicht sich am Gaumen auflösend, sondern mit einem gewissen Biss. Das drumherum ist erneut hocharomatisch, schiebt sich aber nie soweit in den Vordergrund, und ist somit das perfekte Vehikel für den Star - die Pasta. Etwas Tadel gibt es dennoch für Schmorbratenfüllung, die einen Tick zu trocken geraten ist. Die Sauce kann das aber glücklickerweise relativ problemlos auffangen.
Beim Lammrücken unter der Thymiankruste mit Erbsen und jungem Knoblauch verhält es sich ähnlich, wie bei so vielen Hauptgängen, die rotes Fleisch und braune Sauce zum Thema haben: es ist oftmals ein bisschen bieder und langweilig. Mit diesem Arrangement verhält es sich nicht viel anders. Der klassische Sättigungsteller halt, den man meiner Meinung nach in einem modernen Restaurant eigentlich nicht mehr bräuchte, auf den wohl jedoch immer noch viele Gäste insgeheim warten. Wie dem auch sei, das ist zwar ist handwerklich okay (abgesehen von der Kruste, der die namensgebende Knusprigkeit leider komplett abgeht) und aufgrund der abermals mutigen Würzung durchaus gefällig, aber nichts, was sich in die Synapsen einbrennt wie der Raviolo zuvor beispielsweise. Gut. Nicht mehr, nicht weniger.
Eine moderne Interpretation des Klassikers Coupe Romanoff markiert den Übergang zu den Desserts. In seiner Essenz ist das eine simple Kombination aus Vanilleeis mit Erdbeeren. Hier wird das Rosengewächs durchdekliniert, anstatt einfach als Konfitüre über das Glacé gelöffelt zu werden und einige frischen Stückchen darüber zu streuen. Mehr Abwechslung oder Spannung bringt das nicht wirklich. Es überwiegt der Eindruck eines sowohl visuell als auch gustatorisch etwas sorglos komponierten Zusammenstellung.
Die zweite Süssspeise Schokoladentarte mit Variation vom Pfirsich macht optisch zwar einiges mehr her, schafft es aber leider dennoch auch nicht wirklich zu überzeugen. Alles wirkt seltsam verhalten, gedämpft und weist irgendwie auch einen undefinierbaren, leicht artifiziellen Charakter auf. Was den Abend bisher auszeichnete - Intensität, Frische, Leichtigkeit und vor allem den über allem stehenden Wohlgeschmack - sucht man bei beiden Desserts vergebens. Schade.
Immerhin stimmen die Friandises, die der Chef in Eigenregie produziert, zum Schluss versöhnlich.
Der Jägerhof befindet sich nach wie vor im Wandel. Agron Lleshi lebt immer stärker seine kulinarische Passion aus, die ganz klar im mediterranen Raum zu verorten ist. Seine Gerichte schmecken förmlich nach Sommersonne, Olivenhainen, Feldern voller Kräuter und kühlem Weisswein. Eine solche Küche kann einfach nur Spass machen. Das tut sie im Jägrhof mit wenigen Abstrichen auch. Einzig die Desserts wussten heute nicht zu überzeugen und das Lamm hätte mit einem qualitativ hochwertigeren Grundprodukt und etwas mehr Sorgfalt und Akkuratesse noch besser sein können. Dass er und seine junge Mannschaft es drauf haben, haben Gerichte wie der hervorragende Zander oder der handwerklich beeindruckende Raviolo gezeigt. Wenn man es schafft, alle Teller auf dieses Niveau zu hieven, dürfte der erste Michelinstern nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ganz unabhängig davon, ein Besuch lohnt sich bereits jetzt.
Restaurant Jägerhof
Brühlbleichestrasse 11
9000 St. Gallen
Schweiz
+41 (0)71 245 50 22
Website
Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Informationen zu unserem Umgang mit Pressekonditionen findest du in den FAQ.