Schwarzwaldstube (Harald Wohlfahrt) - Baiersbronn
Schwere, grüne Teppiche. Rustikale, dunkle Holztäfelung. Zwar charmant und keineswegs unbehaglich, dennoch ein eher ungewohnter Anblick heutzutage. Ich sitze, vis à vis von der Bar der Traube Tonbach, auf einem leicht deplatziert wirkenden, blauen Sofa aus den 80er Jahren. Wie üblich, bin ich zu früh. Meine Gedanken schweifen, während ich darauf warte, dass sich die heiligen Pforten zur Schwarzwaldstube öffnen. Mein Vater wollte bereits hier essen gehen, als ich noch klein war. Bei Harald Wohlfahrt, in der Schwarzwaldstube. Hier arbeitet seit 1978 (!) der vielleicht wichtigste deutsche Koch nach Eckart Witzigmann (dessen Schüler er war) im "Französischen Restaurant" des Hotels Traube Tonbach in Baiersbronn. Der Guide Michelin zeichnet die Schwarzwaldstube seit dem 1993er Guide durchgehend mit 3* Michelin Sternen aus. Unwirklich erscheinende Zahlen in dieser schnelllebigen (Gastro-) Welt. Bevor ich weiter darüber sinnieren kann, wie Wohlfahrt genau hier die kulinarische Landschaft Deutschlands (und darüber hinaus) in den letzten knapp 40 Jahren so massgeblich geprägt hat, holt mich der überaus charmante Maitre d' David Breuer mit den ersten Amuses ins hier und jetzt zurück.
Das Vergnügen startet süsslich-cremig, leicht crunchy und erstaunlich elegant mit Mais, Pankomehl und Nuss. Sehr schön. Knusprig-maritim geht's weiter mit einem sensationellen Stück Pulpo auf einem Cracker aus schwarzem Reis mit etwas Saffranmayonnaise. Zum Abschluss ein Stück Lammschinken mit "Gin Tonic Aromen" auf einem Brotchip. Ein perfekter kleiner Bissen. Diese drei unscheinbaren Happen setzen gleich mal den Ton für das Kommende und sorgen auf wenigen Kubikzentimetern für einen abwechslungsreichen und äusserst schmackhaften Start.
Als weiterer Gruss aus der Küche folgt ein erfrischend-kühles Ensemble von Fenchelsalat mit Dill und Absinthesorbet. Die kühlen, ätherischen Noten dieses hervorragenden Rachenputzers betören meine Sinne und wecken auch die letzten Papillen, die um kurz nach Zwölf noch lieber müde vor sich hin dösen würden. Sensationell gut.
Den Abschluss der Amuse Bouches macht eine Kombination von Atlantik Makrele und Kaviar. Das Zusammenspiel des kräftigen Fischs mit der jodigen Salzigkeit des Kaviars ist umwerfend. Weitere Akzente setzen einige Stücke Passepierre sowie eine tolle, schlotzige Wildreiscreme. Die Creme überzeugt nicht nur durch einen unfassbar tiefen Reisgeschmack, sondern dient auch dazu, alle Elemente zu vereinen. Viele weitere Mikroelemente sorgen für zusätzliche Abwechslung, ohne den Gaumen dabei zu überfordern. Grossartig.
Zweierlei von Carabineros mit Korailcrème und Kokos, feine Thaispargelspitzen und Zitronengrasmarinade
Das grosse Degustationsmenü startet in Südostasien. Vom ersten Bissen an nimmt mich dieses grossartige Gericht gefangen. Das Krustentier ist selbstverständlich von makelloser Qualität und hat einen überraschend starken Eigengeschmack. Sonst hätte es auch Mühe, gegen die intensiven Begleiter anzukommen. Doch dies gelingt dem Meeresbewohner scheinbar mühelos. Es ist beeindruckend, wie prononciert die durchaus unterschiedlichen und starken Aromen bei diesem Gericht herausgearbeitet wurden, um sich in perfekter Harmonie zu ergänzen. Die Küche schafft es sogar, ein wenig Schärfe auf den Teller zu bringen, die nicht überlagernd ist, sondern die Süsse und Frische des Gerichts wunderbar betont. Ich bin baff.
Salat von jungen Bohnen und getrockneten Tomaten mit Kräuterspitzen und würzigem Paprikaöl
Das vegetarische Menü wird mit einem Salat eröffnet. Der Duft befördert mich augenblicklich nach Südfrankreich. Es duftet nach Sonne, reifen Tomaten, einem Kräutergarten. Ich sehe mich an einem sommerlichen Nachmittag durch die blühenden Lavendelfelder der Provence streifen, um danach im Schatten einer Pergola genau dieses unwirklich gute Ensemble zu geniessen. Trotz aller Intensität und der suggerierten Schwere durch die verschiedenen Bohnen, ist der Salat wunderbar leicht. Das Zusammenspiel der sorgfältig proportionierten Elemente ist schlichtweg perfekt und wird abgerundet durch ein hocharomatisches Paprikaöl, das wie beim vorherigen Gang eine prägnante, jedoch perfekt dosierte Schärfe ins Spiel bringt. Könnte doch nur jeder Salat so köstlich schmecken und solche Emotionen wecken. Gigantisch!
Glasierte Gänseleberscheibe mit eingelegten Früchten in Honigweincoulis, schwarzer Trüffel
Nach meinem Foie Gras-Overkill im Bareiss (ohne Bericht), habe ich mir kurzzeitig überlegt, diesen Gang heute gegen etwas bekömmlicheres zu tauschen. Welchen Genuss ich damit verpasst hätte! Die stattliche Scheibe der Fettleber ist von einer ungemein dichten Textur, was dem Umstand geschuldet ist, dass sie nicht nur einfach gebraten, sondern davor in Geflügeljus confiert wurde. Getoppt wird das dekadente Vergnügen mit reichlich schwarzen Trüffeln aus Australien, die sich (zu recht) immer grösserer Beliebtheit erfreuen. Dazu gesellen sich in Honigwein eingelegte Früchte (u.a. Pfirsich und Johannisbeere), die einerseits mit ihrer natürlichen Süsse einen klassischen Akkord zur Foie setzen, andererseits durch die anregende Fruchtsäure und den Honigwein für die nötige Balance auf dem Teller sorgen. Eine göttliche Geflügeljus, die mit Trüffeln aromatisiert wurde, vervollkommnet dieses spektakulär gute, erfreulich dekadente und äusserst schmackhafte Gebilde. Ich muss den Service noch um ein neues Stück Brot bitten, damit ich auch ja nichts davon verschwende. Eines der besten Gänselebergerichte, das ich jemals gegessen habe.
Konfiertes Eigelb vom Landhuhn auf Misocrème mit Algenspitzen und Palmherz, Ponzugelée
Japanisch inspiriert ist der nächste vegetarische Gang. Das confierte Eigelb ist nicht, wie man vielleicht vermuten würde, halbflüssig, sondern eher wachsweich. So gestaltet es sich etwas schwierig, die vielen Teile dieses Tellers harmonisch zu verbinden. Gabelbasteln ist angesagt. Die einzelnen Zutaten sind zweifellos von guter Qualität, auch handwerklich gibt es keinen Makel, doch so richtig funktionieren will das Ganze geschmacklich nicht. Eine Sauce hätte hier als verbindendes Element sicherlich helfen können. Alles in allem schmeckt es nicht schlecht und auch durchaus interessant, mit der Grossartigkeit der vorherigen Gänge kann dieser jedoch nicht mithalten.
Gefüllter Merlan mit Fenchel und Ricard flambiert, auf pikanter Paprikasalsa, Fenchelsauce
Mein inneres Auge sieht sich beim ersten flüchtigen Wahrnehmen des Dufts dieses Tellers sofort wieder am Mittelmeer. Die Emotionen, die hier in der Schwarzwaldstube durch Düfte und Geschmäcker hervorgerufen werden, sind jede Reise wert. Dass neben Duft, Präsentation und Emotion auch der Geschmack immer überzeugt, zeugt von der bestmöglichen Küche. Beeindruckend ist bereits die Qualität des Merlans (auch Wittling genannt), den ich bisher eigentlich eher als relativ geschmacksneutralen Allerweltsfisch kennen gelernt habe. Das schneeweisse, feste Fleisch ist gefüllt mit etwas Salsa und Chorizo, die für einen vollmundigen, leicht scharfen Akzent sorgen. Abermals macht die sensationelle Sauce aus einem sehr guten ein unvergessliches Gericht. Sie ist geichzeitg leicht, kraftvoll und von betörender Eleganz. Berauschend gut.
Bio-Karotten vom Holzkohlegrill mir Karotten-Ingwercoulis und Brunnenkresseöl
Ein Highlight jagt jetzt das nächste. Dieses wunderhübsche Arrangement zeigt bisher am eindrucksvollsten, was das Küchenteam um Harald Wohlfahrt zu leisten im Stande ist. Die auf offener Holzkohle gegrillten Karotten sind perfekt gegart und haben noch leichten Biss. Die natürliche Süsse der Möhren in Kombination mit den Röstaromen ist unbeschreiblich lecker. Doch damit nicht genug. Wie bei (fast) allen vorherigen Gängen findet sich auch auf diesem Teller eine Sauce wieder, die Referenzcharakter hat. Eine regelrechte Explosion von herrlichem Karottenaroma findet ihren Weg in meine Nase, meinen Gaumen. Dezent parfümiert durch den erfrischenden, von subtiler Schärfe geprägten Ingwer, ist es immer wieder das flüssige Gold, das die Reise zu Harald Wohlfahrt nach Baiersbronn von überall her auf der Welt rechtfertigt. Unglaublich. Ich muss erst mal tief durchatmen und mich etwas sammeln.
Als ich gerade so angefangen habe, den vorherigen Gang zu verarbeiten und mich damit abzufinden, dass ich ihn in dieser Art nie mehr werde essen können, wird mein Hauptgang serviert. Und siehe da, mein kulinarisches Glück will an diesem wunderbar sonnigen Mittag im Tonbachtal einfach kein Ende nehmen. Diese himmlischen, über alle Zweifel erhabenen Karotten veredeln auch diesen Teller. Wie gut sie wieder sind! Ich befinde mich unmittelbar vor dem Eintritt ins Fressnirvana. Denn natürlich sind nicht nur die Karotten abermals perfekt, sondern auch der Rehrücken. Das Fleisch glänzt kräftig rosa, ist am Gaumen butterzart, dabei richtig "wild" und voll im Geschmack. Die Kombination mit der, wie könnte es anders sein, ausserirdisch guten Kardamomjus ist ein "match made in heaven", wie man so schön sagt. Umwerfend! Besser geht es nicht, nur anders.
Kleine Schupfnudeln mit grünen Spargelspitzen auf Waldpilzkompott, schwarzer Trüffel
Doch ein Schelm wer denkt, dass es nicht mindestens gleich gut weiter gehen kann. Denn der Hauptgang des vegetarischen Menüs muss sich hinter dem Rehrücken in keinster Weise verstecken. Allen voran die Schupfnudeln, die von einer ungekannten Leichtigkeit sind. Darunter befindet sich ein Kompott von Waldpilzen, das nach einem Morgenspaziergang im regennassen Wald schmeckt, der langsam durch die ersten Sonnenstrahlen geweckt wird, und den Taunebel aus dem Dickicht entlässt. Zum schwelgen. Dass sich die Trüffel und die Spargeln in diesem Geschmacksbild pudelwohl fühlen, bedarf eigentlich keiner Erklärung mehr. Und diese Sauce, mein Gott, diese Sauce! Wer nicht mit den Fingern über den Teller fährt um sich so auch noch die letzten Tropfen davon einzuverleiben, ist ein Narr. Etikette hin oder her. Dieses unscheinbare Gericht hat sich soeben für immer in meine Erinnerung eingebrannt.
Käse vom Wagen
In der Schwarzwaldstube lässt man sich in Sachen Käse natürlich nicht lumpen. Schliesslich steht über dem Eingang zur Stube nach wie vor "Französisches Restaurant". Wie es sich gehört, ist der wunderschöne Christofle-Wagen dann auch ausschliesslich mit Käse vom Maître Antony, dem in meinen Augen mit Abstand besten Affineur der Welt, bestückt. Ich lasse mir von Sommelier Stéphane Gass eine kleine Auswahl perfekt gereifter Rohmilchkäse zusammenstellen, die erwartungsgemäss vollständig überzeugt. Immer wieder ein Hochgenuss.
Rhabarberkompott, Rhabarbergelée, Erdbeeren
Zur Einstimmung auf den süssen Teil des Menüs schickt Chef Pâtissier Pierre Lingelser ein höchst delikates, frisch-fruchtiges Ensemble, das in seiner Simplizität und im puristischen Geschmacksbild zu diesem Zeitpunkt nicht besser sein könnte. Wundervoll.
Schwarzwälder Kirschen in Sherry-Sud, Tannenaromen und Holunderwein-Eis, Sauerkirsch-Granité
Eine Art dekonstruierte Schwarzwälderkirschtorte überzeugt zu Beginn durch die schiere Qualität der Kirschen und die mannigfaltigen Zubereitungen des Rosengewächses. Die dezent über dem Teller schwebenden "Tannenaromen" verleihen dem Dessert eine ungewohnte, leicht herbstliche Note. Trotz, oder gerade wegen diesem aparten Aroma, verschlinge ich Gabel um Gabel in ungläubigem Staunen. Dazu ein klassischer Akkord von Kirsche und Schokolade hier, ein säuerlich-fruchtiges Zusammenspiel von Holunder mit kühlem Granité dort. Zwischendurch bricht immer wieder eine nussige Komponente durch. Ein Hochgenuss, der für mich ab sofort der Inbegriff eines perfekten, klassisch-modernen Desserts ist.
Auswahl von sommerlichen Sorbets mit Erdbeeren und Basilikumpesto
Dem Koch sein Messer, dem Maler seinen Pinsel. In der süssen Welt der Schwarzwaldstube ko-existierten die beiden Berufe auf demselben Teller. Neben dem Pesto, das man aus einer "Farbtube" quetschen muss, und den grandiosen Erdbeeren, stehen natürlich die drei verschiedenen Sorbets im Rampenlicht: Melone-Änis, Aprikose-Rosmarin und Pfirsich-Lavendel. Eine himmlische Trilogie. Obwohl ich Melone weder frisch noch als Eis sonderlich mag, überzeugt sie mich hier im Zusammenspiel mit etwas Änis voll und ganz. Aprikose und Rosmarin ergänzen sich geschmacklich wunderbar. Neben der beeindruckend herausgearbeiteten Frucht begehrt immer wieder der Lippenblütler auf und sorgt so für eine dezente Komplexität. Es liest sich simpel, schmeckt aber spektakulär! Mein Favorit folgt zum Schluss: Pfirsich mit einem präsenten Lavendelparfum. Das potente Aroma dieser Heilpflanze zusammen mit dem Steinobst zu einem hocharomatischen, kräftigen, absolut köstlichen Sorbet zu kombinieren, ist geniales Pâtissierhandwerk.
Joghurt-Sorbet auf geeister Gartengurke mit Anis, Estragon-Schaum und Melonenperlen
Als letzte "Süssspeise" wird ein Ensemble ganz nach meinem Geschmack aufgetischt. Ich liebe Gemüse und Kräuter in Desserts. Hier sind diese Komponenten etwas weniger ausgeprägt als vielerorts im hohen Norden beispielsweise, dennoch kann man die Inspiration klar in den nordischen Grossstädten verorten. Bei diesem Schälchen findet sich der Gaumen trotz der prägnanten, ätherischen Kräuterigkeit des Estragons und der saftig-grünen Frische der Gurke jederzeit schmeckbar in süssen Gefilden wieder. Dafür tragen die Perlen von sehr reifen Wasser- und Honigmelonen Sorge, sowie das exzellente Joghurtsorbet, das die ungewohnten Geschmäcker in diesem Dessertkontext optimal zusammenbringt. Sehr gelungen.
Petits Fours
Für eine angenehm überschaubare Anzahl von durchweg ausgezeichneten Petits Fours ist natürlich immer noch Platz. Wie das ganze bisherige Menü, überzeugen auch diese Petitessen durch perfektes Handwerk sowie puren Wohlgeschmack und zählen damit zu den besten ihrer Art, die ich jemals gegessen habe.
Abschluss
Den endültigen Abschluss bildet, unter anderem, ein absolut herausragendes Canelé de Bordeaux, das perfekt zum ebenfalls exzellenten Espresso passen könnte. Ein hochgradig gelungener Schlussakkord eines grandiosen Essens.
Was Harald Wohlfahrt und sein Team in den vergangenen gut fünf Stunden für ein kulinarisches Feuerwerk abgebrannt haben, ist überwältigend. Trotz einer scheinbaren Unmenge an fantastischem Essen, verlasse ich die Schwarzwaldstube beschwingt und mit dem Gefühl, dass ich diese unwirklich leichte Tour de Force gleich nochmals durchessen könnte. Umwerfende Produkte, Handwerk in feinmechanischer Präzision, Saucen, denen man unrecht tut, wenn sie nicht als Elixier betitelt werden: auf diesen Grundlagen basierend haut die Küche der Schwarzwaldstube mit scheinbarer Mühelosigkeit einen Knaller nach dem anderen raus. Besser als bei Harald Wohlfahrt kann man nicht essen, nur anders.
Schwarzwaldstube - Hotel Traube Tonbach
Tonbachstraße 237
72270 Baiersbronn
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