Rigiblick (Vreni Giger) - Zürich
Die gehobene Gastronomie und Zürich, das war nicht immer ein so interessantes Spektakel wie in den letzten Jahren. Vor allem viele junge Köche haben die Gastroszene der grössten Schweizer Stadt in jüngerer Vergangenheit zur wohl interessantesten Fooddestination des Landes gemacht (dazu gehören stellvertretend Stefan Heilemann im fantastischen Ecco oder Fabian Fuchs im nicht minder grossartigen EquiTable). Den unbestreitbaren Reiz den Zürich ausübt, hat nun auch eine der bekanntesten Köchinnen der Schweiz in die Limmatstadt gelockt. Nach 20 Jahren im St. Galler Jägerhof begab sie sich kürzlich aus der Komfortzone ihrer Wurzeln und stellt sich im Restaurant Rigiblick seit Anfang November einer neuen Herausforderung. Die Vorschusslorbeeren, die die lange Jahre höchstdekorierte Schweizer Köchin mitbringt, sind immens. Sie gilt als Wegbereiterin einer lokal geprägten Bioküche und hat diese ihrem Publikum bereits lange bevor der Trend in diese Richtung ausgeschlagen hat schmackhaft gemacht. Einige Tage nach der Eröffnung nehme ich am Kitchen Table Platz, um mir ein eigenes Bild ihrer Küche zu machen.
Falafel - "Kroepeok" mit Pilzsalat - Pumpernickel-Joghurt Gâteau mit Lavendel
Eine Trilogie von Apéros läutet den Abend ein. Als erstes widme ich mich dem sensationellen Falafel. Fluffig-leicht in der Textur, mit einem irre intensiven Geschmack zwischen einem Marktgang im Orient und einem Waldspaziergang im Herbst. In Kombination mit gewürztem Joghurt als Dip zeigt das kleine Bällchen auch gleich mal, in welche Richtung es bei Frau Giger geht. Wucht paart sich mit Frische und Finesse. Locker das beste Falafel, das ich jemals gegessen habe. Eine Art Kroepoek mit Randen und einem Pilzsalat folgt. Knusprig und leicht süss der Chip, getoppt mit säuerlichen Pilzen, die die Papillen ordentlich strammstehen lassen. Lecker. Der quadratische "Gâteau" schliesst die Trilogie mit einer für meinen Geschmack etwas zu süssen Note ab. Das sowieso schon liebliche Schwarzbrot wirkt durch den Joghurt noch süsser. Das Lavendelgelée ist aromatisch nicht ausgeprägt genug, um den Eindruck in eine herzhaftere Richtung zu lenken. Eine hübsche Idee, die man mit etwas Feinjustierung sicherlich noch perfektionieren kann. Ingesamt ein gelungener Start.
Ofenzwiebel, Backpflaume, Speck
Bevor das Menü startet, schickt die Küche mit der Ofenzwiebel noch einen Klassiker aus Vreni Giger's Repertoire. Das Innere des gebackenen Gemüses wird rausgeschält, mit etwas Rahm verfeinert, um dann mit einer Backpflaume und Speck wieder in die Zwiebel gefüllt zu werden. Das Ergebnis ist ein herrlich schlotziges Vergnügen, bei dem die vegetabile Süsse des Lauchgewächses durch den Rahm zusätzlich hervorgehoben wird. Dagegen halten die salzige Fleischigkeit des Specks sowie die willkommene Fruchtsäure des Backpflaume. Schweizer Soulfood für Fortgeschrittene.
Gebeizte Zürcher Lachsforelle mit Gurke, Fenchel und Borretsch
Die bekannte Brüggli-Lachsforelle eröffnet nun den offiziellen Teil des Abends. Gebeizt und als Tatar wird sie mit einem Fenchelsalat, diversen Gurkenzubereitungen und einigen Borretschblüten serviert. Für sich genommen ist das kleine gebeizte Fischstück ein bisschen zu salzig geraten, sodass der delikate Eigengeschmack der Lachsforelle etwas in den Hintergrund rückt. In Kombination mit dem säuerlich angemachten Fenchelsalat jedoch stört die Salzigkeit kein bisschen. Sie sorgt am Gaumen für eine feste Struktur und ein harmonisches Gesamtbild. Das perfekt abgeschmeckte Tatar geht vor allem mit den frisch-grünen Gurken eine harmonische Liaison ein. Ein Auftakt, der Lust auf mehr macht.
Selleriecremesuppe mit Kalbsmilken und St. Galler Trüffel
Was gibt es in der kalten Jahreszeit schöneres, als eine Suppe? Damit meine ich eine richtige Suppe, nicht irgendeine wässrige, aromatisierte Bouillon in einem Shotglas. Vreni Giger weiss, wie man eine solche Suppe zubereitet. Die Kraft dieser elfenbeinfarbenen Schönheit ist schon beim angiessen förmlich riechbar. Wunderbar dickflüssig, mit einer herb-erdigen Intensität lässt sie mein Herz nach dem ersten Löffel gleich um ein vielfaches schneller traben. Eine perfekt frittierte Kalbsmilke verleiht dem bodenständigen Elixier eine luxuriöse Note, genauso wie die erstaunlich aromatischen Trüffeln aus St. Gallen, die neben dem verströmen ihres unverkennbaren Dufts die Erdigkeit des Sellerie zusätzlich hervorheben. Verdammt lecker.
Zander mit Randen, Preiselbeeren und Bergspeck
Mit einem perfekt gebratenen Stück Zander geht's weiter. Darauf befindet sich etwas Lardo, der den geschmacklich eher zahmen Fisch mit seiner fetten Salinität aufweckt. Diverse Zubereitungen der Rande, unter anderem auch der Trester (!) eines gepressten Exemplars, zeigen, warum sich diese Knolle in der gehobenen Küche solcher Beliebtheit erfreut. Trotz ihrem prägnanten Eigengeschmack lässt sie sich nämlich toll von anderen Aromen füttern und so verwandeln. Schön durchdekliniert wie hier sorgt sie für Süsse, Säure, Erdigkeit, Frucht (die durch die unerwartete Zugabe von Preiselbeeren zusätzlich akzentuiert wird) und ergänzt den Hauptdarsteller des Tellers ideal, ohne ihm die Show zu stehlen. Vervollkommnet wird der Teller durch eine tolle Bergspecksauce, die vollmundig für den letzten Kick sorgt. Sehr gut.
Blutwurstravioli mit karamellisierten Äpfel
Neben Suppen ist die Blutwurst einer meiner liebsten kulinarischen Genüsse der kürzer werdenden Tage. Im Rigiblick wird die in der Hochküche viel zu selten verwendete Wurst in einen Raviolo gepackt. Für mich kann ein Ravioliteig eigentlich gar nicht dünn genug sein. Die besten Teigtaschen, die ich in meinem Leben gegessen habe, hatten alle eine hauchdünne Hülle. Dieses Exemplar ist quasi das Gegenteil davon, da bereits optisch klar ist, dass der Teig relativ dick ist. Sehr zu meiner Freude ist der massige Teig jedoch optimal für dieses Gericht. Die Pasta fungiert hier nicht nur als Transportvehikel für die hocharomatische Füllung, sondern spielt auch als Texturgeberin eine grosse Rolle. Der Biss, den der Raviolo mit sich bringt, gestaltet das Gericht abwechslungsreicher und durch das längere Kauen haben die wärmenden Aromen des klassischen Akkords von Blutwurst und Apfel zusätzlich mehr Möglichkeiten zur Entfaltung.
Appenzeller Ente mit Spinat und Kohlrabi
Als ersten Fleischgang schickt die Küche Brust und Keule einer Appenzeller Laufente (eine von der Stockente abstammende Rasse). Das rosa gebratene Bruststück überzeugt durch sein kerniges Aroma und einen angenehmen Biss. Die geschmorte Keule kommt frittiert im hauchdünnen Teigmantel daher. Die frittierten Elemente im Rigiblick sind beeindruckend, ohne lästiges Frittenbudenaroma und perfekt knusprig. Das zeugt von höchster Frittierkunst, die man selbst in manchem Spitzenrestaurant dieser Welt nicht beherrscht. Flankiert werden die exzellenten Geflügelstücke von diversen Kohlrabizubereitungen, die einen erdigen Gegenpol zum Fleisch setzen. Daneben setzen frische Spinatblätter und ein Püree des Blattgemüses weitere Akzente. Optimal abgerundet wird dieser Teller von einer am Tisch angegossenen Sauce, die eine phänomenale Tiefe hat und natürlich brav mit dem noch vorhandenen Brot aufgetunkt wird. Ein wahre Wonne und neben der Suppe mein persönliches Highlight des Menüs.
Wie die Blutwurst zuvor, ist natürlich auch Wild im Herbst nahezu unverzichtbar und auf praktisch jeder Karte zu finden, hier in Form von Reh. Trotz der perfekten Garung will der Funke beim Rücken leider nicht so recht überspringen. Es fehlt an Würze, genauer gesagt Salz, um den delikaten Geschmack des Wildes so richtig scheinen zu lassen. Da hilft auch die eher liebliche und sparsam dosierte Haselnuss auf dem Rehrücken nicht weiter. Zusammen mit etwas Sauce und Steinpilz schmeckt es im Prinzip nicht schlecht, jedoch "unvollständig". Doch hinter dem schönen Edelpilz versteckt sich ja noch eine geschmorte Schulter, die ein süffigeres Vergnügen verspricht als der fettarme Rücken. Der erste Bissen ist dann aber nicht wie erhofft butterzart, sondern relativ fest. Geschmacklich ist dieses Stück einwandfrei, naturgemäss mit viel mehr Würze als der Rücken, aber doch leider merklich zu lange geschmort und somit zu trocken. Ein Fauxpas, den ich jedoch dem Zeitpunkt meines Besuches zuschreibe. Dass es ganz anders geht, hat das Team schliesslich im Verlauf des bisherigen Abends immer wieder gezeigt. In Summe ein Hauptgang der mit etwas mutigerem Händchen bei der Würzung sicherlich hätte überzeugen können.
Redlovesorbet
Vor dem Süssen gibt's noch was Saures. Das Sorbet vom Redlove-Apfel (eine Neuzüchtung aus St. Gallen mit rotem Fruchtfleisch) ist herrlich erfrischend und küsst mit seiner dichten Säure nochmals alle Papillen wach. Mit im Schälchen befindet eine Espuma vom Granny Smith sowie Stiefmütterchenblüten, die dem Pré-Dessert durch ihren floralen Charme einen wohl dosierten Schuss Komplexität verleihen. Sehr gut.
Schokolade mit Quitten und Salzkaramell
Zum Abschluss setzt eine wunderbar luftige Schokoladenmousse nochmals ein Ausrufezeichen. Ich bin sonst kein grosser Fan dieses Dessertklassikers, doch diese Version überzeugt durch die federleichte Textur und ihren tollen, nicht allzu süssen Schokoladengeschmack. Diverse Zubereitungen der Quitte bringen ein fruchtiges Element mit ins Spiel, das der Mousse klasse zu Gesicht steht. Der heimliche Star dieser süssen Geschmacksbombe ist jedoch ein sensationelles Eis vom Salzkaramell, das mit seinen immer wieder aufpoppenden Salzspitzen den markanten Gegenpart zum fruchtig-schokoladen Geschmacksbild gibt. Genau dieses eine Element macht aus einem guten ein nahezu perfektes Dessert. Besser könnte dieses Menü nicht enden.
Vreni Giger's Küche lebt von tollen lokalen Produkten und einer bodenständigen Eleganz. Rustikal anmutende Gerichte (beispielsweise die Ofenzwiebel oder die Blutwurstravioli) zeigen durch ein feines Händchen beim abschmecken eine köstliche Finesse und werden so in die moderne Hochküche transportiert. Was mich am meisten beeindruckt hat, ist der Wohlfühlfaktor, der allen Gerichten inne wohnt. Ehrlicher Schweizer Soulfood im Fine Dining Gewand. Eine Bereicherung für Zürich und alle, die einen ungezwungenen Abend bei tollem Essen verbringen möchten.
Als kleiner Tip zum Schluss sei allen Besuchern des Restaurant Rigiblick ans Herz gelegt, den Weg zum Restaurant mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anzutreten. Die kurze Seilbahnfahrt von der Talstation bis zur Bergstation Rigiblick gewährt einen atemberaubenden Ausblick auf Zürich, der in der Nacht besonders imposant ist.
Rigiblick by Vreni Giger
Germaniastrasse 99
8044 Zürich
+41 43 255 15 70
Website
Mein Besuch wurde vom Restaurant unterstützt.