Mesa (Sebastian Rösch) - Zürich

Lange Jahre war das Mesa in Zürich meine Go-To-Adresse, wenn ich in ungezwungener Atmosphäre richtig gut essen wollte. Solche Lokale gab es damals wie heute leider sehr wenige, auch wenn sich die Situation diesbezüglich, zumindest in Zürich, massiv gebessert hat. Bis 2012 wirkte hier mit Marcus G. Lindner eine Koryphäe des neuen Schweizer Fine Dining, der mich und meine Auffassung von gutem Essen geprägt hat, wie kaum ein anderer Koch. Trotz der sehr hohen Auszeichnungen (zwei Michelin Sterne & 18 Gault&Millau Punkte) ging es immer unglaublich locker zu. Im Restaurant selbst genauso wie auf dem Teller. Lindner schreckte bei aller Eleganz auch nicht davor zurück, mal eine Wurst zu servieren und der (Wein-)Service suchte in Sachen fachkundiger, offener Lockerheit lange seinesgleichen. Als Lindner dann vor gut fünf Jahren nach Gstaad abgewandert ist, hat auch mich die Faszination Mesa verlassen. Geschlagene vier Jahre dauerte es, bis ich dieses Kleinod wieder besuchte. Nach einer Stippvisite im letzten Spätsommer unter dem damaligen Chef Marcel Schmitutz hatte ich zwar wieder Blut geleckt, doch so richtig stark wurde die neuerliche Anziehung erst als bekannt wurde, dass Sebastian Rösch das Zepter am Herd übernimmt. Der Youngster aus Bayern hat sich in den letzten Jahren eine spannende Vita erarbeitet und fungiert nach dem Marmite Tasty, einem Bistro der gleichnamigen Food-Zeitschrift, zum ersten Mal als alleinverantwortlicher Chef hinterm Herd eines etablierten und durchaus hochklassigen Betriebs. Obwohl ich meinen ersten Besuch in "neuen" Mesa kaum erwarten konnte, zwang ich mich zähneknirschend dazu Rösch und seinem Team ein paar Wochen Eingewöhnungszeit einzuräumen, damit sich hier alles gut eingegroovt hat bis ich vorbei schaue. Als ich an diesem Freitagabend vor dem unscheinbaren Haus an der Weinbergstrasse unweit des Zürcher Stadtzentrums stehe, ist die Vorfreude entsprechend gross. Draussen brennen einige Fackeln, der dezente Schriftzug an der Hauswand ist immer noch derselbe. Genauso unverändert ist auch das Restaurant selbst. Eine Mischung aus Bistrovibe, doch eindeutig hochklassiger und mondäner. Ich fühle mich augenblicklich wie zu Hause. Restaurantleiter Christian Gujan nimmt mir die Jacke ab und führt mich zum gemütlichen, grosszügigen Tisch. Ein Glas Gosset Rosé begleitet kurz später die Lektüre der Karte. Anders als in vielen Spitzenrestaurants üblich, kann man sich sein Menü im Mesa aus allen aufgelisteten Speisen selbst zusammenstellen. Ich versuche natürlich einen guten Überblick über die Küche des neuen Chefs zu bekommen und bestelle darum zusammen mit meiner Begleitung alle Gerichte, bis auf eines, auf der Karte. Noch ein stärkenden Schluck Champagner, dann kann es losgehen.

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Den Start machen einige Crisps: Rande, Karotte, Jakobsmuschel und Buchweizen. Sehr gut gearbeitet, geben die knusprigen Chips den unverfälschten Geschmack des Grundprodukts toll wider. Am meisten überzeugt mich der sehr delikate Knusper der Kammmuschel. Äusserst filigran, dabei vom mundfüllender Meeresfrische. Wie ein Kroepoek in gut. Klasse.

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Brot darf natürlich nicht fehlen. Rösch serviert, ziemlich ungewöhnlich dieser Tage, ein Weissbrot. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein solch gutes Exemplar dieser Gattung gegessen habe. Zusammen mit der aufgeschlagenen Butter ein absoluter Süchtigmacher. Da muss ich mich gleich zügeln, es folgt ja schliesslich noch ein bisschen was.

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Ein weiterer Gruss aus der Küche folgt in Form eines Eigelbs mit Kartoffelstock und Erbsen. Der wachsweiche Eidotter dürfte für meinen Geschmack etwas flüssiger sein, da auch die gestampften Erdäpfel eine ähnliche Textur aufweisen und dem Gericht so eine gewisse Schwere inne wohnt. Es schmeckt zwar gut, wäre in meinen Augen mit einer schlotzigen Eicreme aber noch besser.

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Vegetarisch geht's auch gleich weiter mit dem Toggenburger Ziegenkäse mit Rande und Stangensellerie. Diese fast schon klassische Salatvariation besticht durch die tollen Produkte, die einen mit jedem Bissen ihre glückliche Herkunft spüren lassen. Sehr schön auch, wie die Sauce mit ihrer grazilen Säurestruktur durch die reichhaltige Cremigkeit des Käse und die erdige Süsse der Rande gleitet um dann mit dem erfrischenden grünen Sellerie einen letzten dankbaren Abnehmer zu finden. Was für ein leckerer Salat das ist.

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Das Gegenteil zum gemüsigen Salat ist die Entenleberterrine mit Dörrpflaume und Gojibeerenbrioche. Treue Leser wissen es bereits, ich bin nur noch schwer von einer Foie-Terrine zu überzeugen, doch diese Version schafft es mühelos. Selten habe ich eine solch leichte Terrine vorgesetzt bekommen. Neben ihrer fast schon fluffigen Textur überzeugt sie durch tiefen Lebergeschmack und ein tolle Würzung. Die eingelegten Dörrpflaumen harmonieren mit ihrer süss-sauren Fruchtigkeit naturgemäss klasse mit der Fettleber. Ebenso das Brioche, das mit einem kleinen Twist in Form von eingearbeiteten Gojibeeren aufwartet, die das Gericht zusätzlich beflügeln. Sehr gut und um meine Begleitung zu zieteren: "Diese Terrine ist besser als im Bareiss". Kann man mal so stehen lassen.

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Einen der Hauptgänge funktioniert die Küche kurzerhand in eine Vorspeise um. So habe ich das Vergnügen mir Ravioli mit Bergkäse, Cima di Rapa, Minze, Lauch und Beurre Noisette zu Gemüte zu führen. Die angenehm übersichtliche Portion hält sich optisch nicht mit unnötigem Firlefanz auf und lädt dazu ein, beherzt zuzulangen. Für meinen Geschmack dürfte der Teig einen Hauch dünner sein, doch aromatisch tut das dem Teller natürlich keinen Abbruch. Der süffige Käse harmoniert nämlich blendend mit den Bitternoten des Stängelkohls, der erfrischenden Minze und der mundfüllenden Nussbutter. So simpel und dabei so lecker. Lediglich der Lauch funkt hier ein bisschen in die traute Harmonie, daher lasse ich ihn nach einen Probierbissen einfach weg.

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Geschmacklich elaborierter kommt die Makrele mit Romanasalat, grünem Apfel und Rettich daher. Der eingelegte und kurz abgeflämmte Fisch besticht durch sein festes, öliges Fleisch und einen kräftigen Eigengeschmack, der von den unterschiedlichen Beigaben schön konterkariert wird. Vor allem die Apfelstückchen erweisen sich als intelligenter Konterpart, die mit ihrer fast schon scharf wirkenden Säure den dringend benötigten Gegenpol zum Fleisch liefern. Der Romanasalat und der eingelegte Rettich machen sich sensorisch zwar nicht ganz so stark bemerkbar, wirken aufgrund ihrer knackigen Kühle dennoch wohlwollend auf das Geschmacksbild ein. 

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Weiter geht's mit geräuchertem Frutiger Alpenstör mit Vichyssoise, Waadtländer Saucisson und Oona Kaviar. Der festfleischige geräucherte Stör verträgt die kantigen Mitspieler geschmacklich ganz gut, auch die Kombination funktioniert grundsätzlich gut, jedoch ist das Ganze insgesamt etwas zu salzig geraten. Deshalb fehlt es ein wenig an Finesse, die man trotz Rauch und Wurst hier durchaus erwarten könnte. Gut, aber mit ein wenig Feintuning hätte es sehr gut sein können. Den Lauch lasse ich übrigens abermals weg, da er auch diesem Gericht mit seiner herben Zwiebelnote nicht besonders gut zu Gesicht steht.

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Ein herrlich samtiges Topinamburschaumsüppchen sorgt nun für einen schönen Kontrast. Der eindringliche Geschmack der Wurzel ist toll rausgearbeitet, mit der typischen präsenten Süsse, die dem Gaumen glücklicherweise lediglich schmeichelt und das Geschmacksbild nicht dominiert. Dazu ist die Suppe auch noch richtig heiss. Was will man mehr?

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Bündner Hahn im Glück mit Getreide, Spitzkohl und Albuferasauce nimmt die Samtigkeit der Suppe gekonnt auf und spinnt sie weiter. Der panierte Hahn (im Glück bedeutet in diesem Fall, dass eine Aufzucht unter Demeter-Richtlinien stattfindet und die Junghähne nach einem kurzen aber hoffentlich glücklichen Leben ihren Weg auf den Teller finden) ist saftig, knusprig, rundum wunderbar. Die Begleitung in Form einer samtenen Sauce Albufera, etwas geschmortem Spitzkohl und Getreide ist sehr passend gewählt und bietet unkompliziertes wie schmackhaftes Essvergnügen. Auch die bisher geschmacklich und optisch eher rustikale Linie wird mit diesem Gang fortgesetzt, ist in diesem Fall jedoch einiges raffinierter umgesetzt als beispielsweise beim Stör zuvor. 

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Weiter geht's mit dem momentan allseits beliebten Skrei mit Dinkelreis, Puntarelle, Blutorangen-Escabeche und Lardo. Der Winterkabeljau ist fachmännisch gebraten und betört mit präsenten Röstaromen. Munter eingefasst wird die Tranche durch die säuerliche Escabeche sowie etwas bitterer Puntarelle, die den intensiven Aromen des Fisches sowie dem zerlaufenden, salzigen Lardo und dem etwas fest geratenen Dinkelreis paroli bieten. Insgesamt isst sich dieser Gang trotz des durchaus komplexen Geschmacksbildes herrlich einfach und will im Nu verputzt werden. Eine imaginäre Aufforderung, der ich liebend gerne nachkomme.

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Der erste Hauptgang schielt geschmacklich in Richtung Orient: Puschlaver Berglamm, Panis, Granatapfel und Aubergine. Das gebratene junge Schaf ist zwar tadellos gegart und wird würzig umspielt, dennoch fehlt es dem gesamten Gericht an Salz. Damit mir diese Aussage über die Lippen kommt, muss das Salz beinahe schon komplett weggelassen worden sein, da ich es im Normalfall durchaus schätze, wenn der Salzeinsatz moderat ausfällt. Wie dem auch sei, es schmeckt glücklicherweise immer noch ganz gut, aber lässt merklich an "Fülle" vermissen. Das betrifft sowohl das qualitativ gute Fleisch, wie auch die Beilagen, die dem Mangel keine Abhilfe schaffen. Der Panis übrigens, eine mir bis dato unbekannte Zubereitungsmethode für Kichererbsen (eine Art frittiertes Pürée der Hülsenfrucht) sorgt bei der vorgängigen Internetrecherche für allerlei lustige Begegnungen der ungewollten Art, da Google mich schlichtweg nicht nach einem Gericht namens Panis suchen lassen möchte. Für Aufklärung sorgt schliesslich erst Mesa-Gastgeber Christian Gujan, der mir versichert, dass ich nicht als erster über diese Suchhürde gestolpert bin. Doch zurück zum Essen. À part gibt es nämlich auch noch was zu entdecken. Etwas geschmortes Lamm, mit knackigen Bohnen und süss-sauren Granatapfelkernen weist leider dieselbe Problematik die der Hauptteller auf. Ein bisschen mehr Mut beim Würzen könnte hier Wunder bewirken. Dass es der Küche nicht an eben diesem Mut mangelt, hat das bisherige Menü bereits gezeigt. Schade, aber kein Beinbruch.

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Den Abschluss des herzhaften Teils des Abends macht ein Filet von einer 14 Jahre alten italienischen Kuh mit Kartoffel, Fava Bohne und Carotte de Sable. Hier stimmt einfach alles. Angefangen beim spektakulären Stück Fleisch, das mit seinem kernigen Geschmack eine bei Rind selten gegessene Intensität versprüht. Ganz klassisch und gelungen fällt die Begleitung aus, die bei einigen Gästen sicherlich Erinnerungen an die in der Kindheit gegessenen "Erbsli & Rüebli" weckt (ob von der Küche beabsichtigt oder nicht, weiss ich nicht). Angefangen bei den hierzulande selten gesehenen Sandkarotten aus der Normandie, die sogar eine eigene AOC haben, und einen merklich salzigeren, frischeren Grundgeschmack haben als viele der hiesigen Brüder und Schwestern, zu den knackigen Bohnen und dem superben Kartoffelgratin, das mit seinem mundfüllenden Schmelz noch einmal kurz den Winter aufleben lässt. Das ist ein Hauptgang wie er sein soll.

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Zürcher Schafmilchjoghurt, Amalfizitrone, Minze und Olivenölbiscuit leitet den süssen Teil des Abends ein. Säuerlich, erfrischend, knusprig und somit genau nach meinem Geschmack, zeigt Rösch hier gleich Mal sein Talent als Pâtissier. Sehr gut!

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Ein luftiges Topfensoufflé mit Blutorange, Pistazie und Mole wirkt optisch mächtig, ist aber so leicht, wie man sich ein Soufflé nur wünschen kann. Auf dem Teller daneben sorgen ein Blutorangensorbet gepaart mit den grün-nussigen Pistazien, einigen Segmenten der Zitrusfrucht und der interessanten Kombination mit Mole (einer mexikanischen Sauce) für Spannung und Abwechslung. Erfrischend anders.

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Ein Stück gegrillte Ananas mit Karamell und Sesam schliesst das Menü mit einem richtigen Höhepunkt ab. Die exotische Süsse des Bromeliengewächses profitiert von den präsenten Röstaromen, die die Brücke zum getoasteten Sesam schlagen. Der Kreis schliesst sich durch ein sehr gelungenes Karamelleis. Ein erstaunlich komplexes Gericht, das aufgrund seiner lediglich drei Elemente mit den Erwartungen des Gastes an Simplizität spielt und gleichzeitig ein wunderbarer Abschluss des Menüs ist.

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Für ein paar Petits Fours muss natürlich noch Platz sein. Die vom Wagen servierten Petitessen überzeugen wie alle Süssspeisen zuvor durch ihre präzise Machart und fein austarierte Aromatik.

Mittlerweile pappsatt lehne ich auf meiner gemütlichen Sitzbank zurück und lasse den Abend Revue passieren. Mir gefällt's hier. Sehr sogar. Nach wie vor. Der Service ist umsichtig, locker und freundlich. Die Küche ist abwechslungsreich, die Gerichte (grösstenteils) mutig gewürzt, der Spassfaktor ingesamt hoch. Das einzige, was mich momentan noch ein wenig beschäftigt, ist die Frage, was genau das Mesa nun eigentlich sein möchte. Das freundliche Nachbarschaftsrestaurant oder eine Adresse für etwas anspruchsvollere Gourmets, die auch von weiter her anreisen. Warum nicht beides? Denn genau das ist es. Als ich mich über den Abend immer wieder im Restaurant umschaue sehe eine Familie mit zwei Teenagern, die jeweils zwei bis drei Gänge bestellen. Vornehmlich vegetarisch. Etwas weiter hinten sitzen zwei ältere Damen aus dem Quartier, die einfach einen gut gemachten Hauptgang und ein passendes Glas Rotwein bestellen. Dann gibt es Leute wie mich, die sich durch die ganze Karte essen und sich an scheinbar simplen Gerichten genauso erfreuen können wie an den geschmacklich etwas elaborierteren Gerichten. Es wird spannend zu sehen, wie sich die Küche hier weiter entwickeln wird und wie die Stammgäste darauf reagieren werden. Die Dynamik der Klientel, die unterschiedlicher nicht sein könnten, ist jedenfalls phänomenal. Und schlussendlich eint alle doch wieder ein simpler Grund hier einzukehren: Jeder möchte etwas leckeres essen - und das kann man im Mesa zweifellos. 


Restaurant mesa
Weinbergstrasse 75
8006 Zürich
Schweiz
+41 (0)43 321 75 75
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