Noma (René Redzepi) - Kopenhagen

Noma (René Redzepi) - Kopenhagen

Die Wahrheit liegt auf dem Teller

Das beste Restaurant der Welt. Insgesamt vier Mal wurde René Redzepis Noma auf der The World’s 50 Best Restaurants Liste diese Auszeichung zuteil (während der Guide Michelin bis heute nicht mehr als zwei Macarons rausrückte). Von solchen umstrittenen Listen und Awards kann man freilich halten was man will. Doch der Hype, der gerade von den World’s 50 Best losgetreten wurde und wird, ist gewaltig. Als das Noma 2010 zum ersten Mal den Spitzenplatz erklomm, gingen daraufhin mehr als 100’000 Reservationsanfragen ein. Pro Monat, versteht sich. Seitdem haben Serien wie Chef’s Table auf Netflix das Thema Fine Dining einem noch breiteren Publikum schmackhaft gemacht, was den Ansturm auf die ohnehin schon überschaubare Anzahl von Plätzen in einem solchen Restaurant nochmals explodieren liess. Als das Noma 2.0 im Februar 2018 nach gut einjähriger Abstinenz im Kopenhagener Hippie-Freistaat Christiania seine Tore wieder öffnete, las man von bis zu 20’000 Reservationsanfragen. Pro Tag, versteht sich. Da die Kapazitäten mit rund 40 Gästen pro Seating nicht eben hoch sind, kann es sich als also relativ schwierig gestalten, einen Tisch zu ergattern. Doch im Gegensatz zu früheren Versuchen habe ich mich dieses Mal besser vorbereitet und wohl auch ein wenig Glück gehabt. Ich ergattere tatsächlich den letzten verfügbaren Vierer-Tisch an einem Samstag um 11.45 Uhr.

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Da das Essen im Noma der Hauptgrund meiner Reise nach Kopenhagen ist, habe ich mir im Vorfeld lange überlegt, auf welche der drei Saisons ich meinen ersten Besuch in René Redzepis Restaurant legen soll. Im Herbst ist jeweils die Jagd und der Wald das Thema. Es ist auch die einzige Jahreszeit, in der Fleisch die Hauptolle im Menü einnimmt. Diese Saison fiel als erstes aus der Verlosung, da mich ein fleischzentrisches Menü nicht übermässig interessiert. Im Winter und Frühjahr steht die Küche Redzepis im Zeichen von Fisch und Meeresfrüchten. Das klingt sehr interessant, vor allen Dingen, wenn man die Produktqualität im hohen Norden bedenkt. Befreundete Foodies und Noma-Veteranen berichteten mir jedoch, dass sie von dieser Saison alles andere als angetan waren. Bleibt also noch der Sommer. Dieser steht ganz im Zeichen von Gemüse. Dies wird sowohl in FAQ auf der Webseite als auch während des Reservationsvorgangs immer wieder betont, damit es auch wirklich jeder versteht: es tauchen in diesem Menü keine grösseren Stücke Fleisch oder Fisch auf. Das vermeintlich beste Restaurant der Welt kocht vegetarisch? Da fällt die Wahl nun wirklich nicht mehr schwer.

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Knappe sechs Monate nach meiner Reservation entsteige ich überpünktlich dem Taxi und werde direkt von Ali Sonko begrüsst. Ali hat seine Karriere im Noma 2003 als Spüler begonnen und wurde 2017 zum Partner gemacht. Seine Tage in der Küche hat er hinter sich gelassen und begrüsst nun stattdessen die ankommenden Gäste mit seinem ansteckenden Lächeln. Mit Sicherheit keine alltägliche Erfolgsgeschichte. Ein paar Schritte weiter steht man bereits im ersten Gewächshaus und bekommt einen Drink gereicht. Dann schlendert man in aller Ruhe am Wasser und den weiteren Gebäuden, die zum Noma gehören, entlang, in Richtung Restaurant. Die einnehmend hübsche Szenerie lässt ein Urban-Holiday-Feeling aufkommen. Sobald sich die schweren Holztüren zum Noma öffnen, sieht man dahinter die nächsten lächelnden Menschen, die nicht mal mehr nach dem Namen fragen müssen, sondern unsere Vierergruppe direkt zum Tisch am weit geöffneten Fenster führen. Was für ein wunderhübsches Lokal. Und dank des Tisches am Fenster auch noch mit herrlicher Aussicht. Unter anderem auf den CopenHill, wo man auf einem Kraftwerk Skifahren kann. Was es nicht alles gibt. Da ich das Frühstück ausfallen liess, wird meine Aufmerksamkeit schnell wieder auf den eigentlichen Grund meines Besuchs gelenkt, denn ich habe Hunger. Wie auf Kommando geht’s los.

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In einer hölzernen Box mit Glasaufsatz wird der erste Gang serviert. Ein Schmetterling, der aus dänischem Fladenbrot, Blumenblättern und Pollen besteht. Ich könnte mir vorstellen, dass alle Insta-Foodies einem kreischenden Nervenzusammenbruch nahe waren, als sie diese Präsentation das erste Mal sahen. Ist aber auch wirklich sehr hübsch. Geschmacklich kommt es sehr natürlich daher. Vegetabil, floral, sommerlich und durch das Brot angenehm knusprig. Keine Offenbarung, aber ein durchaus netter erster Snack.

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Sehr puristisch geht’s weiter mit einer "Barbecue" Paprika. Genauer gesagt handelt es sich um eine lokal angebaute Jalapeño, gefüllt mit mehr Paprika und etwas Saubohne. Wie der Schmetterling wird auch dieser Gang von Hand gegessen, was sich in diesem Fall aber deutlich einfacher gestaltet. Eine überraschend ordentliche Portion Schärfe wohnt der Jalapeño inne und setzt dadurch ein erstes kleines Ausrufezeichen. Die präsenten, rauchigen Grillnoten passen ganz hervorragend zum Gemüse und erweitern es um eine zusätzliche Dimension. Eine toll konzipierte und umgesetzte Idee.

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In einer Art "Beeren-Leder”, eine Technik, die im Noma seit langem verwendet wird, liegt etwas kandierte Rote Bete. Bete und Beeren ergeben in den allermeisten Fällen eine perfekte Symbiose von Süsse, Erdigkeit, Fruchtigkeit und Säure. Genauso auch hier. Zusätzlich gefällt bei diesem Happen die einnehmend spannende Textur, die man irgendwo zwischen getrockneter Aprikose und eingelegten Blättern verorten kann.

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Die als gekühlte Zwiebel Bouillon annoncierte Kreation ist in Tat und Wahrheit ein Gelée von gekühlter Zwiebelbouillon, auf dem eine Nocke geschlagener Rahm sowie Bucheckern liegen. Das klingt erstmal wenig spannend, entpuppt sich jedoch bereits beim ersten Bissen als absoluter Volltreffer. Eine enorm elegant daherkommende Süsse der Zwiebel bildet die Grundlage dieser exquisiten Speise, die zeigt, dass man aus den bescheidensten Zutaten etwas wahrhaftig Grossartiges schaffen kann. Das Gelée zeichnet sich neben der erwähnten Süsse durch eine präsente Säure aus, die als Gegenpol fungiert. Hier setzt der Rahm ein, der das Säurespiel weiterspinnt und gleichzeitig einen luxuriösen Anstrich einstreut. Abgerundet wird das Ganze durch die fettige Nussigkeit der Bucheckern, die neben ihrem Aroma auch für texturelle Abwechslung sorgen. Richtig, richtig gut.

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Als der Service das nächste Gericht serviert und gleichzeitig darauf hinweist, dass nun ein “Schimmel Segment” folgt, überwiegt die Skepsis kurzzeitig die vorfreudige Neugier. Die Sequenz, deren flauschiger Hauptprotagonist aus einem Buchweizen-Koji gezüchtet wird, beginnt mit einem Schimmel Pfannkuchen mit Trüffel. Der Pfannkuchen erinnert in seiner Form eher an einen Hardshell Taco als an Pfannkuchen, ist aber fluffig-weich. Genauso wie die lockere Käsefüllung, die von eingelegten Trüffeln ummantelt ist. Neben der erstaunlichen Leichtigkeit, die als erstes auffällt, ist es natürlich die Textur der Schimmelschicht, die an den Fingerspitzen für ungewöhnliche, aber angenehm zarte Gefühlsregungen sorgt. Geschmacklich gestaltet sich dieser Gang ein gutes Stück weniger dramatisch, als man sich das vielleicht insgeheim erhoffte. Camembert schiesst als unweigerliche Assoziation durch den Kopf, daneben vernimmt man vor allen Dingen die Intensität des Trüffels. In Summe schmeckt das ganz anständig, doch das Storytelling ist hier wohl richtiger, als das fertige Gericht.

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Dass das Experimentieren mit Schimmel nicht nur Effekthascherei ist, zeigen die in Schimmel eingemachten grünen Spargeln. Neben den stattlichen, nur noch an ihren Umrissen erkennbaren Stängeln, liegen Kräuter aus dem eigenen Garten mit auf dem Teller. Zusätzlich wird am Tisch eine Sauce aus gerösteter Hefe und Kürbiskernen angegossen. Enormes Umami springt einem förmlich ins Gesicht und trommelt mit voller Wucht den gesamten Riechkanal hoch und runter. Nach und nach wird allerdings die unterliegende Schicht freigelegt. Der Spargel, mit seiner nussigen, subtil bitteren Gemüsefrische scheint durch, und die Kräuter tragen ihren Teil dazu bei, dass sommerliche Gefühle aufkommen. Auf wundersame Weise komplex und üppig, doch fast zu gleichen Teilen geprägt von einer heiteren Leichtigkeit und Frische, ist das ein ganz hervorragender Gang mit reichlich Tiefe, der einen neue Geschmackswelten erleben lässt. Genau deswegen, unter anderem, reist man ins Noma.

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Dritter und letzter Akt des Schimmel-Stücks ist ein Schimmel Kuchen, bestehend aus mit Schimmel überzogenem Eigelb, das in einer geräucherten Algentarte liegt und, erneut, Trüffel. Ähnlich dem ersten Akt vor wenigen Minuten steht man hier vornehmlich mit Umami und lässt auch in diesem Fall wieder die Trüffel (fast) alles überlagern. So ähnlich die Geschmacksbilder sind, so ähnlich fällt auch das Verdikt aus. Kurzum: kann man mögen, muss man aber nicht.

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Der Gaumen schreit nach den üppigen und vollmundigen letzten Gängen nach einer Erfrischung. Redzepi gewährt sie in Form einer Beerensuppe. Neben den namensgebenden Beeren finden sich darin noch blanchierte und gehäutete Tomaten sowie Algen und irgendetwas Scharfes, das an Chili erinnert. Die Suppe macht genau das, was sie soll. Sie befreit die Papillen von allfälligen Schimmelrückständen und erfrischt dank ihrer spitzen Säure. Richtig lecker ist sie dabei allerdings nicht.

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Fladenbrot mit "medium rare" gekochtem Gemüse zeigt wieder einen leichten Anstieg auf der Zufriedensheitsskala. Die Gemüse sind von anständiger Qualität - wenn auch nicht herausragend - und dank des knusprigen Brots gestaltet sich das Essen relativ kurzweilig. Für meinen Geschmack hat man den aufliegenden Schnittlauch allerdings ein wenig zu grosszügig dosiert, wodurch das eher zart-süssliche Gemüse teilweise ein wenig zu stark von den eigentlich gut harmonierenden, leicht scharfen Zwiebelnoten torpediert wird. Ich habe zwar vor meiner Einkehr im Noma nicht damit gerechnet, dass jede Kreation die Spitze des besten Geschmacks erreicht, doch nach nun drei ziemlich übersichtlichen Gängen in Folge dürfte das Niveau gerne wieder ein wenig anziehen.

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Das tut es mit den Sellerie Cannelloni glücklicherweise auch. Diese Pasta-Imitation besteht aus in Algen gekochten Selleriestreifen, die anschliessend für zwei Tage getrocknet und mit einem Eigelb bepinselt serviert werden. Man kann dem Noma-Team die Kreativität und den Willen, auch noch den allerletzten Extra-Zentimeter zu gehen, wirklich nicht absprechen. Gefüllt sind die Zylinder mit Austernblättern, daneben gibt es wieder etwas geschlagene Sahne. Ohne Milchprodukte geht im hohen Norden schliesslich gar nichts. Nicht nur optisch erinnern die Rollen an das berühmte italienische Vorbild, sondern auch die Beschaffenheit kommt dem Original ziemlich nahe. Es stellt sich sogar das Gefühl von al dente gekochten Nudelblättern ein. Wirklich toll gemacht. Während die Füllung ihrem Namen alle Ehre macht und jedes Mal aufs Neue mit ihrem “authentischen” Austernaroma überrascht, ersetzt die Sahne quasi die Béchamel. Sie ist dabei aber die bessere Wahl, da leichter und frischer. Alles in allem eine sehr gelungene und vor allen Dingen auch schmackhafte Kreation. Lediglich der etwas gar grosszügige Einsatz von Pfeffer trübt das positive Bild ein wenig.

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Ein wenig mehr Würze hätte der gefüllten Zucchiniblüte dafür nicht geschadet. Denn neben dem an Tempurateig erinnernden, etwas zu fettigen Knuspermantel, schmeckt dieses Gebilde nach herzlich wenig. Da das Kürbisgewächs von Haus aus schon sehr geschmacksarm ist, hätte man in diesem Fall unweigerlich etwas mehr nachhelfen müssen.

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Der gemächlichen Achterbahnfahrt folgend, weiss das Wachtelei in gesalzenen Bärlauchblättern wieder zu gefallen. Durch das Einmachen gewinnt der Bärlauch reichlich Komplexität hinzu. Zur üblichen herb-grünen Knoblinote gesellt sich eine präsente Salinität sowie auch eine pointierte Säure. Passt hervorragend zum mundfüllenden, elegant-opulenten Ei und fasst es wortwörtlich vortrefflich ein. Sehr schön.

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Es folgen Weisse Spargeln in Eigelb-Sauce, zusätzlich angereichert mit allerlei Grünzeugs in Form von Blättern, Blüten, Sprossen usw. Der Spargel selbst ist von guter Qualität, wenngleich ihm die ausgeprägte Nussigkeit fehlt, die beispielsweise den besten Exemplaren aus Baden innewohnt. Dafür ist die Bitternis ein wenig nachdrücklicher, was gemeinsam mit den floral-herben Mitspieler dafür sorgt, dass dem Eigelb genügend Paroli geboten wird. Denn die bernsteinfarben schimmernde Sauce hat es in sich und braucht richtig Gegengewicht, damit das Ganze nicht zu eindimensional daherkommt. Der zweite gute Gang in Folge, was die Hoffnung nährt, dass der Lunch jetzt nochmal richtig Fahrt aufnimmt.

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Geradezu fleischig muten die wilden Pilze vom Grill mit Kiefer an. Die Beschaffenheit von Morcheln und Co. erinnert beim Kauen an saftiges Rind. Diese Textur, zusammen mit den rauchigen Grillnoten, sorgt für ein beinahe karnivores Esserlebnis. Falls jemand meint, auf seinem Speiseplan nach wie vor nicht auf Fleisch verzichten zu können, sollte sie oder er sich vielleicht mal so etwas zu Gemüte führen. Doch zurück zum Wesentlichen. Was dieser Spiess bietet, ist unkompliziert herzhafter Genuss ohne Firlefanz. Mit Freude nagt man die kleinen Stücke vom Zweig und fühlt sich an erste Grillversuche am Lagerfeuer erinnert. Ein Meisterwerk ist das zwar nicht, doch in seiner lockeren, spielerischen Art dennoch mit sehr viel Genuss und beinahe kindlicher Freude verbunden.

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Der Hauptgang wird schlicht als Gemüseragout betitelt. Der Teller besteht aus einem bunten Potpourri von Blumen, Trieben und Blättern sowie rohem, gepickeltem und gegartem Gemüse. Am Tisch wird dazu eine Algen-Trüffel-Sauce angegossen. Gemäss der Ansage des Service soll man sich einfach durch alle möglichen Kombinationen durchprobieren. Viel anderes bleibt einem sowieso nicht übrig, da man kaum zweimal hintereinander die gleiche Gabelbelegung zustande bringen würde. Schliesslich schmeckt es dann genauso wie es auch aussieht. Irgendwie wild und auch zusammenhangslos. Da schafft es selbst die ordentliche Sauce nicht, als vereinigendes Element zu wirken. Und gerade bei den fragileren Stücken wirkt sie sogar eher wie ein Störenfried, überlagert sie den Gemüsegarten doch teilweise ziemlich satt. Ich persönlich hätte auch auf die dritte Portion Trüffeln verzichten können, aber darüber lässt sich sicherlich streiten.

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Waldmeister mit Birchen-Kombucha markiert das einzige richtigte Dessert des Menüs. Regelmässige Leser werden es wissen, ich bin grundsätzlich ein grosser Freund von nordischen “Süssspeisen”. Genau weil sie eben oftmals nicht so zuckrig sind und mit der natürlichen Süsse von Früchten, Gemüse, Kräutern und dergleichen spielen. Die für die Pâtisserie teilweise eher ungewöhnlichen Zutaten führen immer wieder zu spannenden und neuartigen Entdeckungen. Das alles trifft auch auf dieses Arrangement zwar irgendwie zu, aber nur noch entfernt, marginal und beiläufig. Als ob hierfür eine abgenutzte Schablone der “New Nordic Cuisine” verwendet wurde. Highlight sind wohl die gekochten Kiefernzapfen, die zumindest noch interessant erscheinen. Das Ganze ist zwar zweifellos geniessbar, viel mehr aber halt auch nicht.

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Nun werden ich meine Entourage und ich vom Tisch weg in eine Lounge beim Eingang begleitet. Hier kann man den Lunch mit den Petits Fours und einem Kaffee in aller Ruhe ausklingen lassen, während im Restaurant weiter gewuselt wird. Vor gut vier Stunden wurde mir kurz nach dem Platz nehmen die Frage gestellt, ob ich generell offen für das Verspeisen von Insekten sei. Da ich brav bejahte, wunderte ich mich ein wenig, warum ich dann nichts entsprechendes in den knapp 20 Gängen erspähen konnte. Die Antwort folgt jetzt beim süssen Finale. Neben frischen Beeren wird nämlich Schokolade mit knusprigen Bienen aufgetischt. Zu den Beeren kann man eigentlich nur sagen, dass sie alle sehr sauer sind und eine natürliche Süsse vermissen lassen. Und zu den Bienen, nun, sie sind vor allen Dingen knusprig. Geschmacklich nehme ich vor allem die Schoki sowie die Blätter wahr, den Larven allerdings kann ich nicht viel mehr als eine gewisse Nussigkeit und Süsse zuschreiben, ansonsten sind sie ziemlich neutral und kommen nicht sehr stark zur Geltung.

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Während draussen die dänische Sommerhitze - ja, die existiert durchaus - auf ihren Höhepunkt zusteuert, genehmige ich mir in der schattenspendenden Noma-Lounge noch einen Kaffee samt Gammel Dansk und lasse bei einem angenehm lauen Lüftchen das eben Erlebte Revue passieren. Dass das Noma nicht das beste Restaurant der Welt ist, war für mich bereits klar, bevor ich heute hier eingekehrt bin. Alleine der Gedanke daran, dass etwas objektiv nicht messbares als “das beste” betitelt wird, ist für mich absurd. Doch die kommerzielle Maschinerie, die hinter der World’s 50 Best steckt, ist geradezu monströs. Restaurants wie das Noma profitieren davon und sind deswegen immer prall gefüllt. Was natürlich beileibe nichts Schlechtes ist, ganz im Gegenteil. Das Gastgewerbe hat in meinen Augen jede Art von positiver Aufmerksamkeit verdient, um nicht mehr nur als schlichte Fütterungsstätten gesehen zu werden.
Doch neben allem Bohei liegt die Wahrheit am Ende auf dem Teller. Zumindest für mich. René Redzepis Küche ist teilweise durchaus spannend, wenngleich weniger aufregend, als man das vielleicht erwarten würde. Sie ist teilweise auch sehr schmackhaft, wenngleich heute für mich kein so aussergewöhnlich leckeres Gericht dabei war, das ich unbedingt wieder essen wollen würde. Der Lunch im Noma hat mir grossen Spass bereitet, ohne Wenn und Aber, und das ist für den (bleibenden) Gesamteindruck eines Restaurantbesuchs natürlich mit das Wichtigste. Bewerte ich den Besuch allerdings ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt der kulinarischen Wertigkeit, frage ich mich, ob die beiden Sterne im roten Guide überhaupt gerechtfertigt sind, die das Noma schmücken. Mit der zugrunde liegenden Definition “eine Spitzenküche – einen Umweg wert! Hervorragende Produkte, von einem talentierten Küchenchef und seinem Team mit viel Know-how und Inspiration in subtilen, außergewöhnlichen und mitunter originellen Kreationen trefflich in Szene gesetzt.” könnte man die Bewertung des Michelin als in etwa passend ansehen. Wenn man bei der Auslegung von “hervorragende Produkte” ein grosszügiges Auge zudrückt. Denn bessere Gemüsequalitäten sind mir schon in unzähligen Einsternern serviert worden. Das Gemüse kann im hohen Norden generell ein wenig die Krux sein. Wenn es dann auch noch in jeder Kreation die Hauptdarstellerrolle einnimmt, fällt das natürlich massgeblich auf. Das führt dann auch zum grössten “Problem” des Noma. Kehrt man hier ein, um ein möglichst leckeres, mit besten Produkten gespicktes Menü zu essen? Wohl eher nicht. Falls doch, wird man Christiania wohl unweigerlich ein wenig enttäuscht verlassen, denn diesbezüglich ist das Noma nicht mal das beste Restaurant Kopenhagens. Das klingt alles viel negativer, als es ist. Schliesslich war auch kein wirklich schlechter Gang im Menü, doch bei dieser Ansammlung von Auszeichnungen sind die Erwartungen berechtigterweise entsprechend hoch. Bleibt eine abschliessende Frage: würde ich wieder eigens eine Reise planen, nur um ins Noma einzukehren? Wahrscheinlich nicht. Doch wenn es mich wieder nach Kopenhagen verschlägt und ich durch einen wundersamen Zufall wieder einen Tisch ergattern könnte, würde ich in einer anderen Saison gerne zurückkehren. Denn Freude bereitet das Gesamtpaket Noma zweifellos.


Noma
Refshalevej 96
1432 Kopenhagen
Dänemark
+45 32 96 32 97
Website


Titelfoto ©Rasmus Hjortshoj