Relæ (Jonathan Tam) - Kopenhagen
Relæ (Jonathan Tam) - Kopenhagen
Kompromisslose Nuancen
Wiedersehen macht Freude. Obwohl mein Flug nach Kopenhagen ordentlich Verspätung hatte und ich darum erst um 16.00 Uhr mit Müh und Not einen ungewohnt späten aber exzellenten Lunch im schnuckeligen Selma (zum Bericht) zu mir nahm, sitze ich um kurz vor 20.00 Uhr bereits im nächsten Restaurant. Von meinem Hochtisch aus habe ich den perfekten Blick auf das emsige Treiben in der Küche sowie die Serviceinsel des besternten Relæ im Stadtteil Nørrebro. Eigentlich bin ich noch gar nicht wieder hungrig, doch die Düfte, die aus der Küche zu mir rüberschwappen und die vielen Teller, die an mir vorbei zu den Nachbartischen wandern, regen meinen Appetit erstaunlich schnell an und hieven ihn auf ein vernünftiges Niveau. Zusätzlich unterstützt wird meine kurze Regenerationszeit durch ein Glas Schaumwein, der auf mich sowieso ausnahmslos immer appetitanregend wirkt. Wenig Hunger, aber du sitzt schon am Tisch im Restaurant und es wartet ein grosses Menü auf dich? Kein Problem, Schaumwein hilft. Kleiner Tipp am Rande, für diejenigen, die es nicht sowieso bereits schon wussten.
Mein letzter Besuch hier markierte eine Art Übergangsphase. Wenige Monate später übergab Christian Puglisi – Initiant, Ideengeber, Besitzer und ehemaliger Chef – das Küchenzepter an seinen Nachfolger, den Kanadier Jonathan Tam. Puglisi agiert seit nunmehr bald vier Jahren nur noch im Hintergrund und hat Tam die Küche komplett überlassen. Damals gefiel mir vor allen Dingen die fokussierte Simplizität der Kreationen, deren biodynamisch erzeugte Produkte oftmals von der eigenen “Farm of ideas” stammen oder ansonsten zumindest aus der näheren Umgebung Kopenhagens. Deshalb bin sehr gespannt zu sehen, wie der nicht mehr ganz so neue starke Mann am Herd die ausgefeilten Ideen seines Mentors in der Zwischenzeit weitergesponnen hat.
Simpler könnte der erste Snack kaum ausfallen. Dan Barber, aus dem doppelt besternten Blue Hill at Stone Barns in der Nähe von New York, hat eine neue Gurkenvarietät namens “Crystal Apple” gezüchtet. Das Relæ Team hat sich am berühmten, von Sean Brock initiierten, Seed Exchange die Samen besorgt und züchtet die Gurke nun auf der hauseigenen Bio-Farm. Neben der Gurke gibt es noch etwas Crème Fraîche, um den Knabberspass zu vervollständigen. Für einige Leser mag es immer noch an einen schlechten Witz grenzen, in einem besternten Restaurant nur Gurke mit Dip serviert zu bekommen. Allerdings ist dieser Einstieg vielmehr als ein guter Witz, der Freude bereitet und für lachende Gesichter sorgt.
Ursprünglich ebenfalls aus der Zuchtschmiede von Dan Barber in Upstate New York stammt die auberginenfarbene “Beauregarde” Zuckerschote, die mit etwas Quinoa serviert wird. Nur dezent süsslich, nussig, ein wenig herb, knackig und knusprig, weiss auch dieser Happen zu gefallen.
Eigentlich lasse ich das Brot in meinen Berichten aussen vor, falls denn welches serviert wird. Zwar machen sich erfreulicherweise immer mehr Restaurants ernsthafte Gedanken darüber, was Brot für einen Gast und generell für die Esskultur des Abendlandes bedeutet, doch oftmals ist das Resultat einfach immer noch nicht der Rede wert. In Skandinavien war man in Sachen Brot als integraler Menübestandteil in den vergangenen Jahren sicher federführend. Viele Restaurants zelebrieren dieses Grundnahrungsmittel als einen eigenen Gang, was ich sehr begrüsse, wenn es sich dabei um ein Brot in der Qualität des Sauerteigbrots von Christian Puglisi handelt. Denn das ist schlicht eines der besten Brote, die ich kenne. Fluffig-luftige, dabei dichte Krume, ultraknusprige Kruste in der perfekte Dicke, dazu der intensiv säuerliche Geschmack. Besser geht Brot in meinen Augen nicht, nur anders. Dazu gibt es lediglich ein wenig natives Olivenöl aus Sizilien zum Tunken. Übrigens eines der wenigen Produkte hier, das nicht selbst angebaut bzw. hergestellt wird.
Beim ersten etwas substanzielleren Gang spielen Tomaten und Shiso die Hauptrolle. Sowohl die Consommé als auch die Tomaten selbst sind von sehr anständiger Qualität. Jedoch werden Tomaten aus Dänemark, im Gegensatz zu Tomaten aus, sagen wir mal, Sizilien, niemals diese typische Süsse, das fast schon überbordende Umami und die intensive Fruchtigkeit erreichen können. Die klimatischen Bedingungen geben das, zumindest aktuell, einfach nicht her. Doch insgesamt weiss dieses Ensemble, auch dank dem gelungenen Zusammenspiel von Tomate und pfeffrig-herbem Shiso, durchaus zu überzeugen.
Weiter geht’s mit einer einnehmend hübschen, reduzierten Kreation, die sich um Makrele, Gurke und Rose dreht. Der oftmals relativ fettige und für meinen Geschmack teilweise etwas zu ölige Fisch ist in der Spitzengastronomie eines der Trendprodukte der letzten Jahre. Wahrscheinlich mit ein Grund, warum ich ihn nur noch selten wirklich geniesse, da er mir einfach zu oft vorgesetzt wurde. Quasi die Fischvariante der Foie gras, wenn man so will. Doch Jonathan Tam holt aus der früher eher verschmähten Makrele das Optimum heraus und zeigt eine ganz andere Seite dieses oft als Abfallfisch verschrienen Meeresbewohners. Er stellt seine kühle, zartschmelzende Eleganz in den Vordergrund. Dazu setzt er durch die knackig-frische Gurke einen passenden Gegenpol und ergänzt das Ensemble durch die Beigabe der Rose um einen ungewöhnlichen, leicht orientalisch angehauchten Akzent. Mit letzterem hievt er diesen unscheinbaren Gang auf eine gänzlich andere Stufe und schafft eine sehr beeindruckende Melange von bekannt und doch andersartig.
In militärischer Formation zeigen sich die Flusskrebse mit Frühlingszwiebel. Die kleinen roten Soldaten sind herrlich saftig und süss und werden, ganz dem unkomplizierten Rahmen des Relæ folgend, einfach von Hand gepuhlt. Ein spielerischer Hochgenuss, der aber gar nicht den produktfokussierten Höhepunkt dieser Kreation darstellt, dieser ist nämlich der Inhalt des à part gereichten Schälchens. Dabei handelt es sich um eine Flusskrebsbisque, die mit ein paar frischen Frühlingszwiebeln garniert wird. Anders als bei solchen flüssigen Präparationen eigentlich üblich, zeigt sich die ganze Pracht erst am Gaumen und nicht bereits vorab in der Nase, wo alles noch ein wenig verhalten wirkt. Einmal im Mund angekommen flutet eine unheimlich komplexe und dank den Zwiebeln gleichzeitig unprätentiös-wuchtige Geschmackswelle die Papillen, die in einem kurzen, ungläubigen Aufreissen der Augen mündet. Aus den Karkassen von Edelkrebsen eine tiefe und vielschichtige Flüssigkeit zu ziehen, ist natürlich altbekannt. Durch die Verwendung der Süsswasserbewohner wohnt diesem Elixir jedoch eine etwas zurückhaltendere Eleganz inne. Auch die buttrige Üppigkeit wird nicht explizit in den Vordergrund gerückt, um einen trivialen Crowdpleaser zu erschaffen. Ganz im Gegenteil setzt man mit der subtilen Schärfe der Frühlingszwiebel einen neckischen, bodenständigen Konterpart, der diese himmlische Sauce ganz bewusst in erdige Gefilde zurückholt. Das Geschirr wandert blitzblank geputzt zurück in die Küche.
Zucchini und Majoran spielen beim nächsten vegetarischen Gang die Hauptrolle. Das Kürbisgewächs weist zwar eine spannende Textur auf – irgendwo zwischen knackiger Gurke und sehr kaltem Softeis –, ist geschmacklich aber, wie so oft, extrem zurückhaltend. Es wird zwar versucht, mit der cremigen Sauce einerseits und dem kräftigen Majoran andererseits etwas mehr Intensität auf den Teller zu bringen, geschmacklich bleibt dieser Gang dennoch enorm dezent. Das ist natürlich per se nichts Schlechtes, und es schmeckt so weit auch ganz in Ordnung, müsste jedoch der Dramaturgie wegen eigentlich viel früher im Menü auftauchen. Gerade nach den verhältnismässig ausladenden Krebsen zuvor, fällt dieses Gericht ein Stück weit ab.
Es folgt Spargelsalat mit sauren Beeren. Der Spargelsalat ist wahrscheinlich vielen (so auch mir, bis ich die deutsche Übersetzung recherchiert habe) eher als englischer Begriff “Celtuce” bekannt, der seit längerem immer wieder mal in der einen oder anderen Menübeschreibung auftaucht. Geschmacklich erinnert das Gemüse zwar durchaus an Spargel, dies jedoch erst auf den zweiten Bissen. Primär springt einen eher sowas wie nussiger Kopfsalat an. Also frisch und knackig, zart und eher mild, mit einem leicht erdigem Unterton. Die Beeren dazu sind, wie angekündigt, sauer. Sehr sauer sogar. Was dem Ganzen für mich weniger den Anstrich eines eigenständigen Gangs gibt, sondern eher den Platz eines klassischen Sorbets als Rachenputzer einnimmt. Dementsprechend ist dieses Süppchen, wie die meisten Sorbets auch, kein Höhepunkt des Dinners.
Ein Produkt, das ich bereits von meinem letzten Besuch im Relæ kenne, nimmt auch heute wieder die zentrale Rolle beim Hauptgang ein: das Schwein aus Hindsholm. Auf dieser Halbinsel, knappe zwei Autostunden östlich von Kopenhagen, werden die Schweine auf einem kleinen Biohof in unmittelbarer Nähe zum Meer in aller Ruhe grossgezogen. Wie im Relæ üblich, wird ein solch wunderbares Fleisch ohne grossen Firlefanz in Szene gesetzt. Also gibt es zum saftigen, zarten und herrlich fettdurchzogenen Schwein lediglich etwas Salat. Es wirkt zwar wie ein sehr übersichtliches Ensemble, das man sich zu Hause im Sommer auch selbst kurz zusammenzutzeln kann, doch etwas mehr steckt geschmacklich schon dahinter. Puristisch, ja, aber dennoch mit genügend Komplexität und vor allen Dingen Qualität, um nicht belanglos zu wirken.
Als kleinen Käsegang lässt Tam ein Ensemble auftragen, dessen Mittelpunkt ein Quark-ähnlicher Ziegenkäse ist. Wunderbar cremig, dabei leicht und frisch, kommt diese Kleinigkeit daher. Dazu etwas Knusprigkeit durch die feinen, dünnen Gebäcktaler. Sehr rund, sehr schmackhaft und deshalb trotz fortgeschrittener Menüzeit im Nu verputzt.
Als kleine Erfrischung wird ein Pré-Dessert serviert, das sich um schwarze Johannisbeere und Duftnessel dreht. Einer samtigen, luftigen Crème wird einerseits die minzige Frische der Nessel und andererseits die herbe Säure der Beeren entgegengestellt. Gerade letztere versetzen die Papillen ordentlich in Bewegung und machen sie nochmal fit für das süsse Finale.
Und das hat es in sich. Die als Beerentartelette annoncierte Petitesse ist einfach nur umwerfend lecker. Herrlich saftig, vollmundig, mit perfektem Süss-Sauer-Spiel sind die prächtigen Heidelbeeren. Das Tartelette ist knusprig, zart, sehr delikat und erinnert dabei durch seine Beschaffenheit an eine Millefeuille-Version von Pastel de Nata. Ich begehre bei einem Dessert in den seltensten Fällen einen Nachschlag, doch hiervon könnte ich locker noch ein paar Stücke runterschlingen. Unfassbar lecker und ein grandioser Menüabschluss.
Obwohl Christian Puglisi das Küchenzepter endgültig an den Kanadier Jonathan Tam übergeben hat, ist die Küche des Relæ immer noch eindeutig identifizier- und verortbar. Eigentlich nicht weiter verwunderlich, war Tam doch bereits bei der Eröffnung des Lokals im Jahr 2010 Teil der Küchenmannschaft. Dennoch sind gegenüber seinem Mentor Puglisi kleine, aber feine Unterschiede auszumachen. Die Gerichte sind noch einen Ticken kompromissloser zusammengestellt. Sie sind noch einen kleines bisschen produktfokussierter, was kaum mehr für möglich zu halten war. Ebenfalls sind sie puristischer in der Würzung – noch natürlicher und zurückhaltender. Auch das hätte ich kaum für möglich gehalten. Alle diese vermeintlich vernachlässigbaren Kleinigkeiten haben dafür gesorgt, dass mir das heutige Dinner in Summe ein kleines bisschen weniger gut gefallen hat, als beim letzten Mal vor ungefähr vier Jahren. Das liegt nicht an einem generellen Qualitätsabfall der Küche, sondern eher an Nuancen bei zwei, drei Gerichten, die erstmalige Besucher nicht bemerken werden, da sie schlichtweg keine Vergleichsmöglichkeit haben. Diese Nuancen sind aber beileibe kein Grund, bei meiner nächsten Reise nach Kopenhagen nicht wieder hier einzukehren. Denn dazu macht das Gesamtpaket Relæ einfach zu viel Spass. Angefangen natürlich beim in grössten Teilen sehr schmackhaften Essen, das zu verhältnismässig moderaten Preisen serviert wird, über die spannende, mit Naturals bepackte Weinkarte und zu guter Letzt dem ungezwungenen, lässigen Vibe, zu dem der Service einen grossen Teil beiträgt. Man fühlt sich im Relæ einfach wohl, geniesst das Essen, den Wein und das Leben.
Relae
Jægersborggade 41
2200 Kopenhagen
Dänemark
+45 36 96 66 09
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