L'O (Christian Geisler) - Horgen
Wie könnte der Artikel über das L'O anders beginnen als mit: Christian Geisler is back! Der ehemalige Sous-Chef von Marcus G. Lindner im Zürcher Mesa hat sich nach seiner Abnabelung zuerst einen Stern in Zermatt erkocht und danach (mit Lindner als Pächter) den Kunsthof in Uznach in gefühlter Rekordzeit zu einem der besten Restaurants der Ostschweiz gemacht (nachzulesen hier). Nach der Schliessung des Kunsthofs wurde es dann ruhig um Geisler. Abgesehen von einer Gastkochwoche im Mesa im letzten Jahr, war er für die breite Öffentlichkeit verschollen. Bis vor einigen Monaten, als er den Pächter des Seerestaurants L'O in Horgen kennengelernt hat. Der wollte für die letzten zwölf Monate seines Pachtvertrages nochmal was anderes machen, es richtig krachen lassen. Nach vielen Angeboten, die sich gemäss dem Chef nicht gänzlich richtig angefühlt haben, sprang Geisler hier an Bord. Das Restaurant wurde nochmals renoviert und ist für das kommende Jahr das Reich des sympathischen Österreichers. Ich besuche ihn und sein Team Anfang Mai, noch mitten in der Soft-Opening-Phase. Ohne weitere Umschweife geht's los. Ich bin sehr gespannt.
Ein alter bekannter erreicht als erstes meinen Tisch: Entenleberchip, Birnengel und Entenleberparfait. Ein Happen, an dem es einfach nichts zu verbessern gibt.
Amuse Nummer zwei ist ein Tafelspitzsalat mit Kürbiskernöl, Joghurtespuma und Radieschen. Fantastisch, wie Geisler hier auf wenigen Kubikzentimetern Eleganz, Kraft und Frische vereint. Das könnte ich mir durchaus auch als eigenständigen Gang im Menü vorstellen.
Ein weiterer heiss geliebter Klassiker folgt mit Zander, Crème fraîche und Gurke. Die wunderbare Qualität des leicht geflämmten Fischs ist bei jedem Bissen zu erschmecken. Die frühlingshafte Einfassung aus frischer Gurke und säuerlicher Crème fraîche unterstützt den delikaten Zander optimal. Ein Gruss aus der Küche, der eigentlich nie gestrichen werden dürfte.
Den Abschluss der Amuses macht ein Basilikumsorbet mit Polentacracker. Der knusprige, dezent süsse Cracker dient als essbarer Löffel für das wunderbar kräuterig-frische Basilikumsorbet, das die Papillen nochmal so richtig durchpusten lässt, bevor das eigentliche Menü startet.
Aber da fehlt ja noch was: das fabelhafte Manitobabrot mit Nussbutter. Dieses fluffige, ultra-knusprige Teigwunder nicht komplett zu vertilgen, erfordert einiges an Selbstbeherrschung. Vor allem, wenn man es mit der mit Röstzwiebeln und Lorbeerpulver aromatisierten Butter geniesst. Umwerfend lecker.
Den erste Gang hört auf den schlichten Titel Saibling, Dill und Rettich. Der leicht gebeizte und dann Sous-vide gegarte Fisch aus Island wird von seinem Rogen und seiner Haut begleitet. Unter der knusprigen Haut befindet sich eine schockgefrorene Meerrettich-Joghurtespuma sowie diverse Dillzubereitungen, frischer Rettich und eine grandiose Dillvinaigrette, die Geisler mit Tomatenwasser aromatisiert hat. Ein höchst abwechslungsreiches Gericht, bei dem der grossartige Fisch zu jeder Zeit im Mittelpunkt steht und von der sehr aromatischen Einfassung profitiert, anstatt von ihr erschlagen zu werden. Ein fein abgestimmter Teller, der gleich zum Menüstart ein dickes Ausrufezeichen setzt. Weiter so!
Merklich kräftiger fällt Gang zwei aus: Rotbarbe, Miso und Morchel. Als ertses fällt auch hier wieder die tolle Qualität des Meeresbewohners auf. Ein Duft nach Mittelmeer, Sonne und Fischkuttern im Hafen steigt in meine Nase. Begleitet wird die Barbe von einem Misosud, der das sowieso schon beträchtliche Umami zusätzlich intensiviert. In die gleiche Kerbe schlagen die mit Sherry aromatisierten Morcheln und die rohen sowie pürierten Champignons. Diese Komponenten sorgen für eine heftige, mundfüllende Opulenz, die förmlich nach einem passenden Konterpart schreit. Diesen Teil übernehmen geraspelte und in Essig gezogene Pastinaken, die mit ihrer Mischung aus erdiger Süsse und prägnanter Säure für optimale Auflockerung am Gaumen sorgen. Zum Reinsetzen gut.
Bei Black Cod, Hefe und Ponzu steht erstmals nicht der Hauptprotagonist im Dauerrampenlicht. Hier geht es vielmehr um ein ansprechendes Texturspiel und die Ecken und Kanten der weiteren Elemente auf dem Teller: gepickelter Kohlrabi und Stangensellerie, eine Hefe-Espuma, gepuffter Reis, Rotkohl-Gelée, knuspriger Rotkohl und ein Ponzusud. Eine intensive Mixtur, die den Gast sensorisch mit den hervorpreschenden Säurespitzen des Suds und des Gemüse, den Röstnoten des Fischs oder der ungewöhnlichen Fülle der Espuma ganz schön auf Trab hält. Ein Gang, den man verstehen wollen muss. Wenn man sich voll und ganz drauf einlässt, ist das ein richtiger Kracher.
Der nächste Teller dreht sich um ein Stubenküken mit Erbsen und Sanddorn. Das leicht geräucherte und dann zur Perfektion gegarte Huhn versteht sich prächtig mit den herrlich süssen Erbsen, die im Ganzen, als Crème und in Form von Erbsensprossen eingesetzt werden. Die eingelegten Randen sorgen für etwas Balance und eine angenehme Erdigkeit, während der Sanddorn als Sud seine typisch intensive Fruchtsäure ins Spiel bringt. Dieses Element ist auch einer der beiden kleinen Schwachpunkte bei diesem Gericht. Geschmacklich ist das zwar völlig in Ordnung, jedoch ist der Sud sehr schwer zu dosieren. Zieht man die Gabel nur kurz durchs Flüssige, kommt der Sanddorn nicht genügend zu Geltung. Gelangt zuviel des Suds darauf, schmeckt es zu intensiv. Ein Problem dem man Abhilfe schaffen könnte, wenn man den Sud bspw. in eine Crème umfunktioniert. So würde sich die Dosierung um einiges leichter gestalten. Zusätzlich hätte der Teller von etwas mehr Salz profitiert. Aber das ist meckern auf sehr hohem Niveau.
Luma Schwein, Spargel und Rhabarber besticht durch das tolle Schwein, das sowohl in puncto Qualität als auch Garung optimal ist. Ich war zu Beginn überhaupt kein Fan von Luma, doch mittlerweile muss ich sagen, dass sie ihre Sache wirklich sehr gut machen und ihre Produkte durchs Band überzeugen. Was man dann unter anderem auch daran sieht, dass sie in immer mehr hochklassigen Lokalen wie diesem auf der Karte landen. Doch zurück zum Gericht. Das Fleisch wird von Spargelspitzen sowie deren Pürée und einem Salat davon als zweitem Hauptprotagonisten unterstützt. Christian Geisler hat einen Riecher für tolle Produkte, denn auch der Spargel ist einfach phänomenal gut. Ein Rhabarbersud und Chips des Knöterichs bringen zusätzlich etwas erfrischende Leichtigkeit ins Spiel. Sehr gut.
Der Hauptgang Rind, Bergkartoffel und Olive schmeckt dann klassischer als es im Moment der Annoncierung klingt. US Angus Beef, Bergkartoffelspaghetti, Kartoffelpapier, Olivenpüree und eine Speckvinaigrette mit Senfkörnern und Granatapfelkernen buhlen um meine gustatorische Gunst. Hier zeigt sich erneut das feine Händchen von Geisler und seinem Team, wenn es ums Portionieren und Abschmecken geht. Das kräftige Rind steht im Vordergrund und wird von der lässig modernisierten, leichten Specksauce klasse akzentuiert. Die verschiedenen Kartoffelzubereitungen bringen vor allem texturelle Abwechslung ins Spiel, doch der abschliessende Clou dieses Gangs ist das Olivenpüree, das das Geschmacksbild gemeinsam mit den Granatapfelkernen von der kalten Berglandschaft in Richtung sonnigen Süden verschiebt. Sehr durchdachte das Ganze - und sehr lecker.
Käse gibt es heute keinen, dafür zeigt Erdbeere, Tonkabohne und Shiso als Pré-Dessert gleich mal das Geschick des Chefs in Sachen Süssspeisen. Ein kühlendes Erdbeer-Shisosorbet gibt die Richtung vor, fruchtig und kräuterig. Für etwas Fülle ist der Buttercrumble sowie die Tonkabohnenespuma zuständig. Diese paar Löffel vereinen alles was ein gutes Dessert ausmacht. Klasse!
Das Hauptdessert Karamell, Rucola und Apfel wirkt dann durch die prägnante, dabei stets gut eingebundene Rauke etwas experimenteller. Als Öl sowie als Teil eines Apfel-Rucola-Suds bringt das Kreuzblütengewächs eine tolle Spannung auf den Teller. Das Zusammenspiel mit dem nicht allzu süssen Karamell-Espuma und dem knackigen Granny-Smith-Sorbet funktioniert wunderbar und zeigt einmal mehr, dass Gemüse (oder in diesem Fall Salat) in Süssspeisen nicht nur als Gag zu verstehen ist, sondern in vielerlei Hinsicht bereichernd auf die Patisserie und somit im Endeffekt auch auf den Gast wirkt. Ein exzellenter Abschluss.
Zum Espresso serviert die Küche noch zwei Petits Fours: einen Haselnusscake sowie einige Minzganache. Schön.
Christian Geisler hat's während seiner Abwesenheit von der grossen Restaurantbühne nicht verlernt. Leicht, hocharomatisch, nicht selten ziemlich komplex und immer schmackhaft, das zeichnet die Küche des Österreichers aus. Dazu passt auch die Location. Wundervolle Lage direkt am See, relaxte und legere Atmosphäre, zu der das herzliche und angenehm enthusiastische Team seinen Teil beiträgt. Schön, dass nun wieder alle interessierten und neugierigen Esser Zugang zu Geislers Küche haben hier in Horgen. Ich persönlich hoffe sehr, dass es nicht bei einem zwölfmonatigen Intermezzo bleibt und bin bereits sehr gespannt auf meinen nächsten Besuch.
Christian Geisler ist aufgrund eines Konzeptwechsels nicht mehr im L’O tätig.
L'O
Bahnhofstrasse 29
8810 Horgen
Schweiz
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