Der Kunsthof (Christian Geisler) - Uznach
Während ich den wunderbaren Lunch im 'Der Kunsthof' auf mich wirken lasse und dabei die folgenden Zeilen verfasse, erreicht mich die Nachricht, dass das Restaurant seine Tore schliessen wird. Beim Erscheinen dieses Berichts ist das Restaurant leider bereits geschlossen. Nichtsdestotrotz habe ich mich dazu entschieden, den ursprünglich verfassten Text zu veröffentlichen.
Marcus G. Lindner ist zurück! Also nicht er selbst. Und auch nicht an seiner früheren Wirkungsstätte Zürich. Aber sein ehemaliger Sous-Chef aus dem Mesa, Christian Geisler, kocht im nicht allzu weit entfernten Uznach. Auch der Ex-Sommelier des Mesa, Christian Magner, ist mit an Bord. Lindner fungiert als Pächter und Berater im 'Der Kunsthof'. Beste Voraussetzungen also, dass dieser verregnete Mittag im St. Gallerland ein denkwürdiger wird. Ich war vor einiger Zeit schon mal hier, hatte aber aufgrund meines anstehenden Nachtessens bei Andreas Caminada im Schloss Schauenstein nur die Zeit, das kleine Mittagsmenu zu probieren. Heute möchte ich in die Vollen gehen und habe mir deshalb von Herrn Magner vorab versichern lassen, dass das grosse Menu auch mittags aufgetischt wird. Bei einem Bier werfe ich einen kurzen Blick in die Karte. Eigentlich nur um zu sehen wohin die Reise heute in etwa führen wird. Das Menu liest sich ausgezeichnet. Ich bin bereit für Grossartigkeit.
Sourcream, Tobiko / Entenleber, Birne
Die ersten Snacks überzeugen durch simple, klare Aromenkombinationen, gepaart mit einem angenehmen Crunch. Die ohnehin schon grosse Vorfreude auf das folgende Menu wird nochmals gesteigert. Was will man mehr?
Zander, Estragon
Auch der zweite Gruss aus der Küche gefällt. Nur schon die Qualität des rohen Süsswasserfischs ist bemerkenswert. Grob geschnitten und dezent gewürzt wird dieses wunderbare Produkt hier in den Mittelpunkt gestellt. Untermalt wird der Zander von einer angenehm kühlen, erfrischenden Estragonespuma. So einfach. So gut.
Steamed Bun, Schweinebauch
Gedämpfte Brötchen haben ihren Weg von Asien über New York bis in die Schweizer Provinz gefunden. Sehr zu meinem Glück! Dieser kleine Leckerbissen muss sich in keinster Weise vor seinem New Yorker Vorbild vom allseits beliebten Momofuku verstecken. Im Gegenteil. In meinen Augen ist diese Schweinebrötchen-Inkarnation noch um eine gute Länge besser als bei David Chang. Für wahre Grossartigkeit braucht es eben doch nicht mehr als ein bisschen fetten Schweinbauch, luftiges Brot, knackiges Gemüse und eine leckere Sauce. Wow!
Basilikum, Polenta
Zum Abschluss der Amuses wird auf einem gefrorenen Stein ein intensiv-ätherisches Basilikumeis serviert. Dazu gesellt sich etwas Polenta in Form von Chips. Das kalte Eis wird durch die knusprigen, erstaunlich vollmundigen Maisgriesschips optimal kontrastiert. Eiscrème und Chips? Klingt nach einer neuen Lieblingskombination.
Manitoba, Nussbutter
Wie in vielen besternten Restaurants mittlerweile üblich, gibt es auch im 'Der Kunsthof' keine riesige Brotauswahl mehr. Christian Geisler lässt ein wunderbares Stück Brot aus Manitobamehl als einzelnen Gang servieren. Dieses kleine Gebäck hat es verdient im Mittelpunkt zu stehen, so gut schmeckt es. Und die Nussbutter erst, himmlisch! Die Küche punktet bis jetzt mit beeindruckend leckerer Simplizität. Ich bin sehr gespannt wie es weitergeht.
Hamachi, Avocado, Senf
Der erste Gang des eigentlichen Menus kommt auf leisen Sohlen daher. Er braucht aber auch gar nicht zu lauter zu werden, weil jeder Ton sitzt. Die Harmonie der einzelnen Komponenten ist herausragend. Am Gaumen ergibt sich ein beeindruckendes Zusammenspiel aus Frische, Schmelz, Crunch und ganz dezenter Schärfe. Toll.
Calamaretti, Gurke, Ajo Blanco
Weiter gehts mit einem nicht weniger faszinierenden Ensemble. Optisch erinnert der Teller an den "Laubfrosch" des ehemaligen 3-Sterne-Kochs Juan Amador. Geschmacklich jedoch gibt es glücklicherweise keine Parallelen (der Laubfrosch hatte mich bei meinem Besuch in Mannheim nicht sonderlich begeistert). Die ultrazarten Tintenfischchen sind für sich genossen schon sensationell. Zusammen mit der Ajo Blanco, die durch ein prächtiges Mandelaroma und perfekt dosierten Knoblauch begeistert, wähnt man sich umgehend an der andalusischen Küste, wo einem eine angenehme Brise die kulinarischen Leckereien zusätzlich versüsst. Unterstützt wird die frische Brise von erdig-frischen Gurken. Das Kopfkino läuft auf Hochtouren.
Saibling, Hokkaido, Steinpilz
Beim nun folgenden Gang erwarte ich eigentlich, dass der Fuss mal etwas vom Gas genommen wird. Das wäre nach so vielen frühen Highlights nur allzu verständlich. Doch ich liege falsch. Und wie! Der Saibling (inklusive seiner wunderbar knusprigen Haut) strotzt nur so von Frische und Eigenaroma (die perfekte Zubereitung zu erwähnen, erscheint mir eigentlich fast schon fehl am Platz). Eingefasst wird die lachsfarbene Schönheit von süss-saurem Kürbis, grandiosem Kürbiskernöl und exzellenten Steinpilzen. Letztere sorgen für eine gelungene Symbiose von Land und Wasser, für die ich ich Marcus G. Lindner's Küche einst lieben gelernt habe, und die Christian Geisler nahtlos weiterführt. Grandios.
Kobe, Dashi, Blutorange
Ein Knüller jagt den nächsten. Eigentlich rechne ich jederzeit mit einem kleinen Hänger, wie er in den meisten Restaurants (und den meisten Menus) gerne mal vorkommt. Er kommt (noch) nicht. Diese Umamibombe, bestehend aus feinstem rohen Kobe, einer filigranen Dashi mit dezentem Blutorangenduft, etwas knuspriger Hühnerhaut, einer Pilzcrème, knackigen Salicornes sowie etwas Spinat (glaube ich) lässt mein Fressherz einen kurzen Schlag aussetzen. So verdammt lecker schmeckt das. Wenn dieses Gericht ein Kind wäre, wäre es ein immer lächelnder Wonneproppen. Einfach umwerfend gut.
Kalb & Langoustine, Aubergine, Pfifferling
Auf diesen Gang freue ich mich beim lesen besonders. Land und Wasser kombiniert gefällt mir ausnehmend gut (siehe unter anderem beim vorletzten Gang), da sich oftmals neue, unbekannte Geschmackswelten eröffnen. Doch leider will der Funke beim probieren nicht überspringen. Es schmeckt alles ein wenig fad. Die Langoustine, mein wohl liebster Meeresbewohner, ist nicht von allerbester Qualität. Obwohl optisch nichts darauf hinweist, ist sie auch etwas zu lange gegart. Generell scheinen die Produkte auf diesem Teller, abgesehen vom sehr guten Kalbsbries, nicht von höchster Güteklasse zu sein. Die Heidelbeeren und die Pfifferlinge schmecken quasi nach nichts. Nun ist er also doch noch gekommen, der kleine Hänger. Schade.
Sommerreh, Melone, Kräuter
Als am Tisch die knallig grüne Sauce angegossen wird, staune ich nicht schlecht. Wie kriegt man bloss diese fast schon neongrüne Farbe hin? Meine Gedanken schweifen nur kurz ab, schliesslich möchte ich dem Hauptgang nun all meine Aufmerksamkeit widmen. Das Sommerreh ist auf den Punkt gegart und erfreut Gaumen und Nase mit betörendem Wildaroma. Durch die Frische der Kräutersauce wird das Reh perfekt unterstützt, bleibt dabei aber jederzeit der Hauptakteur auf dem Teller. Verschiedenste Kohlarten sind die weiteren Protagonisten, die das Gericht wunderbar mit ihren erdigem Geschmack ergänzen und auch für texturelle Abwechslung sorgen. Einzig mit der Melone kann ich im Kontext von Wald und Wiese nicht viel anfangen. Im Prinzip kann ich Honigmelonen grundsätzlich relativ wenig abgewinnen. Davon abgesehen finde ich sie hier nicht wirklich passend. Dennoch ein schmackhafter Hauptgang.
Erdbeere, Hefe, Shiso
Das Pré Dessert fällt durch die Hefe-Espuma überraschend komplex aus. Die Kombination der Erdbeeren mit der minzigen, leicht pfeffrigen Frische des Shiso ist ein durchaus bekanntes Geschmacksbild. Dieses wird durch die Hefe auf ungewohnte Weise erweitert. Es entsteht ein vollmundiges, frisch-fruchtiges Dessert, welches für wohlige Wonne sorgt. Sehr schön.
Lactose, Sanddorn, Birne
Optisch steht beim Hauptdessert wohl Massimo Bottura's "Oops! I dropped the lemon tart" Pate. Hübsch. Geschmacklich überzeugt mich diese Süssspeise jedoch nicht komplett. Vor allem fehlt mir die typische säuerliche Komponente des Sanddorns. Ohne dieses erfrischende, die Papillen anregende Element, driftet alles in den zuckerig-kompottig-beliebigen Bereich. Das schmeckt nicht schlecht, jedoch habe ich mir mehr erhofft. Das Potenzial für einen grossartigen Menuabschluss ist nämlich auf jeden Fall vorhanden.
Petits Fours - Passionsfrucht
Zum Finale schickt die Küche noch eine angenehm überschaubare Anzahl von Petits Fours, die sich um das Thema Passionsfrucht drehen: Passionsfruchtcrème (kein Bild), Passionsfruchtpapier, Mandel mit Passionsfrucht und Passionsfruchtpraline. Gelungen.
Im schön renovierten 'Der Kunsthof' wurde mir heute Mittag ein äusserst überzeugendes Menu serviert. Dass Christian Geisler vom Gault Millau zum Aufsteiger des Jahres 2015 gekürte wurde, ist absolut verdient. Wenn er auf diesem Niveau weiter kocht, bin ich sicher, dass er früher oder später die zwei Michelin Sterne, die sein Chef Marcus G. Lindner erkocht hat, ebenfalls erkochen kann. Der Service unter der Leitung von Christian Magner ist angenehm unkompliziert und trägt einen nicht unerheblichen Teil zu einem tollen Restauranterlebnis bei. Ich freue mich schon auf den nächsten Besuch.
Dem geneigten Leser wird nicht entgangen sein, dass ich die Schliessung vom 'Der Kunsthof' sehr bedauere. Ich hoffe, dass sich Christian Geisler, Christian Magner und Marcus G. Lindner nicht komplett aus der Region verabschieden und schon bald wieder von sich reden machen.