Jordnær (Eric Kragh Vildgaard) - Gentofte

Jordnær (Eric Kragh Vildgaard) - Gentofte

Als ich meine Reise nach Kopenhagen vorbereite, scheinen die Möglichkeiten für neue kulinarische Erkundungen endlos zu sein. Seit meinem letzten Trip in Dänemarks Hauptstadt sind schliesslich bereits wieder drei Jahre ins Land gezogen. Neben alten Favoriten wie dem Geranium und dem Relae, die ich unbedingt wieder besuchen möchte, sowie meiner Reservation im Noma - dem Hauptgrund dieser Tour-de-Food - möchte ich dieses Mal unbedingt etwas tiefer in die Restaurantszene der Stadt eintauchen. Kopenhagen hat sich nicht umsonst als einer der Food-Hotspots auf der kulinarischen Landkarte etabliert. Kaum habe ich meine Ziele mehr oder weniger definiert, spreche ich ganz beiläufig mit einem befreundeten Koch über die anstehende Reise, und seine Augen beginnen sofort zu glänzen. “Ich war letztes Jahr in Kopenhagen. Es gibt da einen relativ unbekannten Einsterner in einem Vorort, den musst du unbedingt besuchen. Jordnær heisst der Laden, die machen vor allem Seafood”, erzählt er voller Freude und mit einem dicken Grinsen im Gesicht. Ich habe noch nie davon gehört, vertraue diesem Tipp dennoch blind. Ein anderes Restaurant muss weichen, die Reservation im Jordnær (zu deutsch: erdnah) wird eingetütet.
Von meinem Hotel im Stadtzentrum Kopenhagens benötigt der Taxifahrer gute 15 Minuten, bis er mich vor einem schmucklosen Hotel im Vorort Gentofte ablädt. Auch der erste Eindruck von Inneren des Hotels wirkt nicht gerade einladend auf mich, doch in der Ecke erspähe ich bereits die Gastgeberin und Frau des Chefs, Tina Kragh Vildgaard, die mich herzlich begrüsst. Sie führt mich ins Restaurant, das wie aus einer anderen Welt zu sein scheint, als das Haus, welches es beherbergt. Nordisch klar, schick, dennoch warm und einladend. Meine kurzzeitige Skepsis ist innerhalb eines Sekundenbruchteils verflogen. Spätestens als das erste Glas Champagner auftaucht, fühle ich mich vollumfänglich wohl und angekommen im Jordnær. Das Essen kann kommen.

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Los geht’s mit einem Quartett von Snacks. Teppichmuschel, Geranie, Stachelbeere - Gurke, “Noble Russian Royal Oscietra" Kaviar, Crème Fraîche - Krabbe, Essig, knusprige Kartoffel - Krustade, Schwertmuschel, Liebstöckel. Auffallend ist als erstes die Produktqualität, die über jeden Zweifel erhaben ist. Dazu ist das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten sehr fein justiert. Diese vier hervorragenden Kleinigkeiten machen richtig Lust auf das Menü.

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Optisch winterlich mutet mitten im Kopenhagener Hochsommer die Jakobsmuschel mit Nashi Birne und Yuzu an. Die St. Jacques ist eines der Produkte, die mir in den letzten Jahren ziemlich verleidet sind. Die immer gleiche, süssliche Einfassung, die Röstnoten für mehr Nussigkeit, die mangelnde Qualität, schlicht langweilig. Dass es auch anders geht, zeigt Kragh Vildgaard hier eindrücklich. Eine makellose Muschel, roh aufgeschnitten, absolut rein und klar im Geschmack, mit superber natürlicher Süsse. Obwohl die Optik etwas anderes vermuten lässt, begraben die Beigaben die Muschel aromatisch nicht unter sich. Die leicht florale Fruchtnote der Birne akzentuiert das Muschelfleisch, die bitter-herbe Säure der Yuzu sorgt für die nötige Balance und Frische. Macht richtig Spass.

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Unscheinbar wirkt die Langoustine mit Tomaten und Kräutern. Der Kaisergranat kommt in Form eines Gelées zum Einsatz, das mit einer Art Tomatenwasser und Kräutern getoppt wird. Beim ersten Löffel drohen meine Synapsen fast zu explodieren. Wohl nie zuvor habe ich ein solch tiefen, ungetrübten Tomatengeschmack gekostet. Und das in Dänemark. Nicht minder grandios ist das Gelée, das ebenfalls mit einer unendlich scheinenden Tiefe gesegnet ist. Zusammen ergibt das ein völlig aufwühlendes Gericht, das in seiner Komplexität, Güte und vor allem auch im Nachhall an ganz grossen Wein erinnert. Unfassbar gut und einer kulinarischen Erleuchtung gleichkommend.

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Rohe Garnelen, Meerrettich und Dill sind die Protagonisten des nächsten, einnehmend hübschen Tellers. Es könnte fast der Eindruck entstehen, dass die kleinen Meeresbewohner noch quicklebendig rumpaddeln. Tun sie aber natürlich nicht. Kragh Vildgaard geht mit den rohen Garnelen ein gewisses Risiko ein, da die Schrimps in diesem Zustand oftmals etwas unangenehm Schleimiges haben. Doch diese Exemplare sind, wie alle Produkte bisher, absolut makellos. Knackig, süss, subtil jodig. Da passt die erdige, dezent scharfe Unterlage als Kontrast perfekt dazu. Obwohl dem Geschmacksbild eine gewisse Vertrautheit innewohnt, ist es doch spannend und irgendwie andersartig. Exzellent.

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Mysteriös wie die Untiefen das Loch Ness - aber ein wenig freundlicher - zeigt sich der weisse Spargel mit Grapefruit und dänischem Hummer. Etwas irritierend ist dann auch der erste Bissen aus der Tiefe. Das Ganze wirkt sehr lieblich und erinnert eher an ein ungewöhnliches Dessert, das zum falschen Zeitpunkt im Menü auftaucht. Doch nach und nach macht sich die Säure der Grapefruit bemerkbar und mit ihr auch ein zart-bitterer Unterton des Spargels. Der erneut hervorragende Hummer droht zuerst ein wenig unterzugehen, kämpft sich dann aber beim dritten Bissen doch auch noch frei. Man muss hier erstmal alle Elemente für sich genommen erschmecken, damit das grosse Ganze auf einmal Sinn macht. Reichlich ungewöhnlich, doch in Summe dann wieder sehr gut.

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Weiter geht’s mit “Royal Belgian Platinum” Kaviar, Blumenkohl und gesalzener Sahne. In den vergangenen Jahren scheinen Köche zunehmend zu kapieren, wie man das schwarze Gold richtig inszeniert: als Hauptdarsteller und in anständiger Portionsgrösse, bitte! Im Jordnær wird der eher subtile, nussige und nur dezent jodige belgische Kaviar relativ süss eingepackt, was sich als goldrichtige Wahl erweist. Für diese spezifische Art des Kaviars braucht es eine Unterlage, die ihn trägt und unterstützt, und keinen allzu impulsiven Gegenpol, der das delikate Aroma zu stark torpediert. Da reicht die Säure der Sahne völlig aus, um für ein wenig Frische zu sorgen. Trotz der mundfüllenden Opulenz kommt das Ganze auffallend leicht daher und entfaltet seine gesamte Schönheit eher langsam, dafür umso heftiger. Erneut grandios!

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Grundsätzlich setzt man im Jordnær auf lokale, nachhaltig gefischte Schätze aus dem Meer. Wenn die kalten Fjorde ein Produkt aber mal nicht in der gewünschten Qualität hergeben, dann wird importiert. Gerne auch aus Japan. Heute gibt’s Hamachi aus dem fernen Osten, der mit Limfjord Auster und Ponzu kombiniert wird. Die Qualität des Fisches ist unglaublich. Absolut makelloses Fleisch, mit einer Textur, die ihn am Gaumen beinahe zerlaufen lässt, aber dennoch eine gewisse Struktur aufweist. Die mit Auster aromatisierte Ponzu dazu ist richtig kräftig, die Säure knackt, die Salinität wirkt fast schon herb, ist aber gut eingebunden. Dazu die Jodigkeit, die den Eigengeschmack des Fisches optimal akzentuiert. So simpel und so verdammt gut.

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Ein stattliches Stück Königskrabbe steht im Mittelpunkt des nun folgenden Gangs. Estragon und Miesmuscheln sind die weiteren Mitspieler, denen hier aber nur eine untergeordnete Rolle zukommt. Eigentlich ist es müssig, an dieser Stelle erneut auf die superbe Produktqualität hinzuweisen, doch sie ist einfach durchgehend so verblüffend gut, dass sie erwähnt gehört. Das Fleisch ist weich, leistet beim Beissen aber doch noch einen gewissen Widerstand, und ist geprägt von einer hyper-eleganten maritimen Süsse. Ein Eindruck, der durch die Muscheln gekonnt verstärkt wird. Daran schmiegt sich dieser etwas mystische, an Anis erinnernde Duft des Estragons, der ganz vorsichtig in die Sauce eingewoben wurde und lediglich wie der Hauch eines Parfums einer vorbeigehenden Frau in den Windungen der Nüstern verschwindet. Ganz grosses Kino.

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Mit Steinbutt, Yuzu Kosho und Trüffel nähern wir uns langsam dem Hauptgang, was sich in einer deutlich dunkleren und kräftigeren Geschmackswelt manifestiert. Dank des kräftigen Eigenaromas des festfleischigen Fischs kann es dieser locker mit den wuchtigen Trüffeln aufnehmen, die ihn umschliessen. Das Yuzu Kosho (Yuzu, Salz und Chilipfeffer) sorgt einerseits für Balance in Form der bitteren Säure der Zitrusfrucht, setzt andererseits durch die Chili einen ausserordentlichen Akzent. Der ist aber so klasse eingebunden, dass das Ensemble dadurch einen wohlig warmen, leicht kribbelnden Stoss erhält und an Spannung gewinnt. Ganz ohne einen unangenehm überlagernden Nebeneffekt. Klasse.

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Da sich das Jordnær als Seafood-Restaurant versteht, verzichtet man auch beim Hauptgang auf Fleisch. Eine Konsequenz, die ich bewundere. Seeteufel, Zwiebel, Noilly Prat und ein wenig Kaviar verschmelzen zu einem herrlich intensiven, hocheleganten Konglomerat, das wohl selbst den eingefleischtesten Karnivoren nach dem ersten Bissen verstummen lassen würde. Die Lotte bringt selbstredend eine sehr fleischige Qualität mit, die sich vor allem in der zarten, dabei bissfesten Textur zeigt, aber auch im Kontext des Fisches fast schon kernigen Geschmack. Sowas kann man problemlos ganz klassisch mit einer üppigen Sauce begleiten, die durch die natürliche Süsse der Zwiebeln einen noch luxuriöseren Touch erfährt. Luxuriös ist auch die Kaviarnocke, die das Ganze abrundet. Wäre doch nur jeder Hauptgang so mitreissend gut…

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Dieser Tage erwische ich mich immer wieder dabei, wie ich nach einem bereits üppigen Mahl auf den Käse verzichte. Doch Eric Kragh Vildgaards Küche ist so herrlich leicht, dass ich problemlos noch weiteressen kann. Vor allem möchte ich nicht darauf verzichten, die ganze Bandbreite seines Könnens kennenzulernen. Darum gibt’s statt nur einem Käsegang direkt zwei davon. Teil eins besteht aus Comté, Morchel und Sherry. 36 Monate lang durfte der Hartkäse aus dem französischen Jura bei Maître Antony zur Perfektion reifen, ehe er in Gentofte mit einer cremig-würzigen Sauce und einem Berg Morcheln bedeckt wurde. Was soll man hierzu bloss anderes sagen als “mhhhhhhhhhh…”. Zum Reinlegen gut.

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Käsegang Nummer zwei dreht sich um einen Blauschimmelkäse namens 1924, der von Feige und Escabeche begleitet wird. Das wird sicher nicht jedermanns Sache sein, denn die Vehemenz, mit der der Käse seine Wucht verströmt, ist schon besonders. Ein Eindruck, der durch die Escabeche nochmals pointiert hervorgehoben wird. Da kommt die Feige mit ihrer klebrigen Süsse genau richtig, um ein wenig Auflockerung ins Spiel zu bringen. Mir gefällt’s.

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Weg vom herzhaften und rüber in den finalen Abschnitt des Abends bringen mich Hagebutte, Rhabarber und Honig. Nur dezent lieblich, zeichnet sich dieser Papillenkitzler durch seine fruchtig-säuerliche Note aus und tut genau was er soll: erfrischen. Schmeckt dazu auch noch sehr gut.

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Eine Premiere für mich ist die nun folgende strahllose Kamille, der Rohmilch und grüner Rhabarber zur Seite gestellt wird. Der Korbblütler weist ein frühlingshaftes, sanftes, florales, der echten Kamille sehr ähnliches Aroma auf. Damit dieser zarte Duft nicht übertüncht wird, fällt die Einfassung entsprechend zurückhaltend aus. Lediglich etwas cremige Substanz und ein wenig erquickende Säure wird eingebracht, um das delikate Aroma zu unterstützen. In seiner Subtilität überaus reizvoll.

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Ebenfalls ziemlich nordisch wirkt die Heidelbeere mit Schafsmilch und Thymian. Dem markigen Thymian fällt in diesem Fall eine tragende Rolle zu. Er verleiht den superben Beeren und der saftig-säuerlichen Milch einen markanten Anstrich, der im ersten Moment fast störend wirkt. Doch wenn sich am Gaumen alles zusammenfindet, scheint es, als würde man über eine hochsommerliche Wiese laufen und seine Hände durch die Gräser gleiten lassen, um danach die lebendige Kraft der Natur zu riechen und diesen mit frischer Milch runterzuspülen. Fantastisch!

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Sehr delikat ist das Vanille und Sahne Millefeuille, das mit umwerfenden Erdbeeren getoppt wird. Man versteht sich im Jordnær auch auf ganz klassische Patisserie.

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Zum Schluss geht’s in die Küche, wo Eric Kragh Vildgaard die ausnahmslos exzellenten Petits Fours serviert und ein wenig über das Jordnær plaudert.

Nach diesem Mahl erfüllt mich unendliche Dankbarkeit. Ein Restaurant wie das Jordnær entdecken zu können, ist eine der grössten Freuden, wenn man fürs Essen reist und lebt. Eric Kragh Vildgaards Küche ist geprägt von einer schier unheimlichen Eleganz, Leichtigkeit, und Balance, die einen auch 20 Gänge mit einem Lächeln auf dem Gesicht verspeisen lassen. Alle Kreationen sind im Kern simpel, bestehen lediglich aus drei oder vier Zutaten. Diese werden jedoch mit selten erlebter Uhrmacher-Präzision zusammengeführt, um ein vollkommenes und überaus komplexes Ganzes zu bilden. Besonders erwähnenswert sind natürlich die verwendeten Produkte. Hier werden absolut keine Kompromisse gemacht, weshalb neben den Gerichten an und für sich auch ein Produkt-Highlight das nächste jagt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein auf die Schätze der Meere fokussiertes Menü gegessen zu haben, das so viele unglaubliche Erzeugnisse beinhaltete. Nur schon aufgrund des Product-Sourcings ist der eine mickrige Stern des roten Guides eigentlich eine Frechheit. Kragh Vildgaard und seine Truppe kochen ganz locker auf Zwei-Sterne-Niveau. Und auch wenn es mein erstes Essen in Gentofte war, bin ich überzeugt, dass das Ende der Fahnenstange selbst mit zwei Sternen noch nicht erreicht wäre. Doch diese müssen mit Erscheinen des nächsten Michelin Nordic Countries Guide einfach über dem Restaurant leuchten. Das Jordnær wird in den kommenden Jahren für mächtig Alarm sorgen, dessen bin ich mir ganz sicher. Jeder, der nach Kopenhagen reist, muss einen Besuch in Gentofte unverrückbar fest in seine Reiseplanungen einschliessen. Wer es nicht tut, der verpasst eine wahre Sternstunde der gehobenen Küche.


Restaurant Jordnær
Gentoftegade 29
2820 Gentofte
Dänemark
+45 22 40 80 20
Website


Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Informationen zu unserem Umgang mit Pressekonditionen findest du in den FAQ.