Bo Innovation (Alvin Leung Jr.) - Hong Kong
Der selbst ernannte Demon Chef Alvin Leung ist sowas die das Enfant Terrible der Restaurantszene von Hong Kong. Seine Küche beschreibt der Autodidakt als X-Treme Chinese Cuisine. China übt als Ideengeber gemäss eigener Aussage den grössten Einfluss auf die Küche von Leung aus, jedoch darf man sein Restaurant getrost als weltoffen bezeichnen.
Das Bo Innovation war seit der Einführung des Guide Michelin für Hong Kong & Macau mit 2* Sternen ausgezeichnet. Mit Erscheinen des 2014er Guides wurde es in die illustre Riege der mit 3* Michelin Sternen ausgezeichneten Restaurants befördert. An dieser Stelle sei mir ein kurzes Abschweifen erlaubt. Auf meinem Foodtrip durch Hong Kong und Macau ist es nämlich nur eines von zwei 3* Sterne Restaurants die ich besuche (drei waren geplant, zwei wurden besucht. Die Geschichte dazu gibt es hier). Der hiesige rote Guide gilt als der weltweit unberechenbarste. Deshalb habe ich mich bei der Planung dieser Reise hauptsächlich auf meine eigenen Recherchen und die Empfehlungen von anderen Fressreisenden verlassen. Aber zurück zum wesentlichen.
Das Taxi bahnt sich an diesem äusserst heissen und schwülen Mittag den Weg durch den Betondschungel Hong Kongs und findet zu meinem Erstaunen sofort die richtige Adresse. Das war in den letzten Tagen nicht immer so einfach. Ein Lift bringt mich ein Stockwerk höher vor den Eingang des Bo Innovation. Man ist gerade dabei, die Terrasse vom Regenwasser zu befreien. Glücklicherweise werde ich nicht mal gefragt, ob ich draussen Platz nehmen möchte. Im stark klimatisierten, mit einer grossen Glasfront ausgestatteten Speisesaal, bekomme ich einen Tisch mit Blick auf die halboffene Küche. Ideal. Am Mittag stehen zwei Menus zur Auswahl. Einmal nur aus Vorspeise, Hauptgang und Dessert bestehend, und zum anderen das "Lunch Chef Menu" bestehend aus 7 Gängen, auf das meine Wahl fällt. Zu einem Glas "Demon Riesling Kabinett", der vom Schlossgut Diel für das Bo Innovation abgefüllt wird, serviert die Küche das einzige Amuse Bouche dieses Lunchs.
Eierwaffel mit Frühlingszwiebeln
Eine leckere Interpretation des Streetfood Klassikers aus Hong Kong. Die Kombination aus leicht süsslichem, knusprig-fluffigem Teig mit einer Füllung aus kurz angebratenen Frühlingszwiebeln gefällt und harmoniert prächtig.
Jakobsmuschel, Jolo aus Shanghai, Woba, Erbsen, Avocado, Zitrone
Für die erste (optische) Überraschung ist schon mal gesorgt. Schwarze Teller sieht man in der Hochküche sehr selten. Warum eigentlich? Die Weiss-, Gelb- und Grüntöne sehen auf dem schwarzen Hintergrund fantastisch aus. Bevor ich mich an die erste Gabel herantaste, erstmal eine kleine Warenkunde. Ich habe nämlich weder von "Jolo aus Shanghai", noch von "Woba" jemals zuvor etwas gehört. Bei ersterem handelt es sich um fermentierten Reisessig aus Shanghai. Woba ist der knusprige Reis, der beim kochen am Topfboden haften bleibt. Nicht unähnlich dem Socarrat bei einer Paella also. Klingt beides vielversprechend. Zuerst mal probiere ich Stück der rohen Jakobsmuscheln aus Hokkaido. Fantastisch. Warum Köche auf der ganzen Welt auf Meeresfrüchte aus Hokkaido setzen, wird hier mal wieder eindrucksvoll untermauert. Gekonnt unterstützt wird die maritime Süsse der Kammmuschel durch einen Mix aus salzig (Woba), sauer (Jolo und Zitrone), cremig (Avocado) und knackig-frisch (Erbsen). Ein toller Start ins Menü.
Umami, Toro, "Wok Luft" Pulver, Gemischte Nudeln
Als ich das Menü vorher durchgelesen habe, fragte ich mich, um was genau es sich denn wohl beim "Umami" im zweiten Gang handelt. Wie mir erklärt wird, stellen die Köche ein "Umami-Öl" her, welches hauptsächlich aus getrockneten Shrimps gewonnen wird. Nachdem sie rehydriert und gekocht wurden, wird aus ihnen ein Öl hergestellt. Aus diesem Umami-Öl werden dann unter Zuhilfenahme von Agar Agar "molekulare Nudeln" fabriziert, die einen Teil der gemischten Nudeln in diesem Gericht ausmachen. An und für sich schmecken die "Nudeln" nicht schlecht, jedoch legt sich ein langanhaltender Fettfilm über den ganzen Gaumen, was ich als nicht sehr angenehm empfinde. Beim zweiten Teil der Nudeln handelt es sich um gekochte und dann frittierte Eiernudeln, die hauptsächlich als Texturgeber agieren. Weniger gelungen als die Molekularnudeln ist das als Toro bezeichnete Stück Thunfisch, bei dem es sich genau genommen wohl um das mittel-fette Bauchstück Chūtoro handelt. Es weist eine ungewöhnliche Säurenote auf. Der delikate Eigengeschmack des Fischs wird durch die undefinierbare Säurekomponente komplett überlagert. Schade. Die Wok Air ist, nun ja, schwarzes, salziges Pulver, welches so gut wie gar nichts zum Geschmacksbild beisteuert. Dieses Gericht funktioniert für mich weder als Ganzes, noch überzeugen mich die einzelnen Zutaten und Zubereitungsgmethoden.
Molekulares Cha Siu Bao
Nach den Umami-Öl-Nudeln folgt die nächste molekulare Spielerei. Beim mittlerweile weltweit beliebten Cha Siu Bao handelt es sich um Barbecue Schweinefleisch (oftmals vom Bauch des Tieres), welches in einem gedämpften Brötchen als Dim Sum serviert wird. Alvin Leung verflüssigt das Schweinebrötchen, um es dann einer Sphärifikation zu unterziehen. Diese kleine, gelierte Kugel platzt im Mund auf und gibt ihr Inneres preis. Geschmacklich gibt es an diesem Gang wenig auszusetzen. Das Aroma ist relativ authentisch rauchig, süss und fettig, hinterlässt jedoch keinen bleibenden Eindruck. Eine nette Spielerei.
Foie Gras, Mui Choy-Karamell Eiscrème, Grüner Apfel
Bevor der folgende Gang serviert wird, präsentiert der Service das "Mui Choy" in einem Glas. Sieht aus wie eine Gemüseinkarnation der Medusa (leider kein Foto). Es handelt sich aber um eine Art von elaboriert hergestelltem Pickle. Nach dem Pflücken des Gemüses (in diesem Fall Weisskohl), wird dieses zuerst sonnengetrocknet. Dann wird es gesalzen, geknetet (um möglichst viel Flüssigkeit zu entziehen) und darf anschliessend für 2-3 Wochen in einem Tontopf fermentieren. Zum Abschluss wird das fermentierte Gemüse mehrmals gedämpft und wieder getrocknet, bis das gewünschte, ultra-intensive Aroma erreicht wird. Der Kohl wird hier zusammen mit Karamell zu einer Eiscrème verarbeitet. Dazu gesellt sich eine perfekt gebratene Scheibe Entenleber sowie eine Espuma von grünem Apfel. Schon beim ersten Bissen wird klar, das ist eines der besten Foie-Gerichte, dass ich in jüngerer Vergangenheit gegessen habe. Das Mui Choy bringt eine ungewohnte Note, die sich wohl am besten als "funky" beschreiben lässt, ins ansonsten relativ süsse Eis. Mit der Fettleber harmoniert das Glacé naturgemäss prächtig. Abgerundet wird dieses Gericht durch einen Schaum aus grünem Apfel, der eine willkommene Säure beisteuert. Grossartig.
Maotai, Weissdorn, Zitronengras, Passionsfrucht
Weiter geht's mit einem flüssigen Intermezzo, das in einem futuristisch anmutenden Gefäss serviert wird. Der Anblick erinnert mich unweigerlich an Game of Thrones. Beim trinken mache ich mir Sorgen, dass mir das Porzellan auf den Kopf fallen wird, so hoch muss ich den Trinkbecher heben, um auch wirklich die ganze Flüssigkeit rauszubekommen. Praktisch ist anders. Aber es sieht halt gut aus. In diesem Ungetüm befindet sich ein grosszügiger Schuss Maotai Schnaps, der aus roter Hirse und Weizen gebrannt wird und vor allem für seinen hohen Alkoholgehalt bekannt ist, der gerne mal 70% erreichen kann. Der hochprozentige Schnaps wird mit Weissdorn, Zitronengras und Passionsfrucht zu einem ziemlich sauren Cocktail gemixt, der mir nur bedingt schmeckt. Er weckt aber auf jeden Fall die Papillen. Falls dies die Absicht der Küche ist, kann man dieses "Zwischengericht" durchaus als gelungen bezeichnen.
Rotbarbe, Yuzu, schwarze Bohnen, schwarzer Knoblauch, Rotbarbenrogen
Von extremer chinesischer Küche ist bei Rotbarbe mit Yuzu, schwarzen Bohnen, schwarzem Knoblauch und Rotbarbenrogen wenig zu sehen. Die Küche bewegt sich geschmacklich eher in ziemlich klassisch-mediterranen Gefilden. Die Barbe ist von sehr guter Qualität, die knusprig frittierten Schuppen liefern einen angenehmen Crunch. Umspielt wird der Stachelflosser von einer Crème aus schwarzen Bohnen und schwarzem Knoblauch, die eine gehörige Portion Umami auf den Teller bringt. Genauso wie der nur dezent wahrnehmbare getrocknete Rogen der Rotbarbe, der über eine erstaunlich geschmacksintensive Minipaprika gehobelt wird. Vervollständigt wird das Ganze durch einige Tropfen Yuzu, die das Gericht etwas aufhellen und leichter werden lassen. Ausgezeichnet.
Langoustine, Trüffel, Blumekohlrisotto, Sauce aus gesalzenen Enteneiern, eingelegter Blumenkohl, Schaum aus englischem Senf, Entenjus
Das Mittagesmenu bietet beim Hauptgang die Wahl zwischen Fisch und Fleisch. Da ich heute Abend im Wagyu Takumi einkehren werde, entscheide ich mich für die fleischlose Variante. Eine Sauce aus gesalzenen Enteneiern esse ich heute zum ersten Mal. Abgesehen von der leicht körnigen Konsistenz gefällt sie mir sehr gut. Die Kombination mit der etwas zu lange gegarten Langoustine, die leider nicht dieselbe Qualität hat wie beispielsweise die Rotbarbe zuvor, funktioniert blendend. Die weiteren Komponenten zu einer wohlschmeckenden Gabel zusammenzubasteln, gestaltet sich schwieriger als gedacht. Was hauptsächlich daran liegt, dass einfach zu viele Elemente mit ihren unterschiedlichen Texturen und Geschmäckern um die Gunst des Gaumens buhlen. Es schmeckt im Prinzip nicht schlecht, jedoch ist einfach zu viel los.
Summer Spirit: Drachenfrucht-Ginseng Mousse, in Düftblüten eingelegte und gepresste Wassermelone, Yuzu Eiscrème, Granité aus sauren Pflaumen
Ein bisschen Show muss sein. Nachdem das Dessert vor mir platziert wird, kommt ein zweiter Kellner mit einer dampfenden Schüssel an den Tisch. Daraus wird mit flüssigem Stickstoff gefrorenes Granité aus sauren Pflaumen auf meinem Teller drapiert. Einen Unterschied zu herkömmlich produziertem Granité kann ich nicht erschmecken. Texturell ist diese Version jedoch um einiges fester, was im Kontext dieses Desserts sehr angenehm ist. Von den süssen Duftblüten, mit denen die Wassermelone eingelegt wurde, geht nur ein zarter Hauch aus, der die eher langweilige Melone aber durchaus interessanter erscheinen lässt, als sie wirklich ist. Ingesamt ist der Abschluss des Menus eher sauer. Lediglich die Mousse aus Drachenfrucht und Ginseng versprüht eine gewisse Süsse. Ein etwas unausgewogenes Dessert, welches konzeptionell mehr überzeugt als geschmacklich. Sicherlich kein Höhepunkt zum Abschluss.
Mein Mittagessen endet mit einem ausgezeichneten Jasmintee, der mich noch am Tisch verweilen lässt, um dabei über das eben erlebte nachzudenken. Im Grossen und Ganzen genoss ich das Menü im Bo Innovation. Die besten Gerichte, wie die Foie Gras oder die Rotbarbe, überzeugen durch exzellente Produkte, präzise Technik und sind eher von klassischer Prägung. Die weniger guten Gerichte sind diejenigen, bei denen all die "Modernist Cuisine" zum Einsatz kommt, für die das Bo Innovation steht. Einerseits ist das tragisch, auf der anderen Seite zeigt es, dass das Bo Innovation die ganzen Gimmicks gar nicht benötigt, um ein sehr gutes Restaurant zu sein. Die meisten Gerichte bewegen sich im 1* Sterne Bereich, einige überschreiten die Schwelle zu 2* Sternen. Basierend auf dieser Feststellung muss ich auch meine Kritik am Guide Michelin wiederholen. Wie die Tester der roten Bibel nämlich darauf kommen konnten, dem Bo Innovation 3* Sterne zu verleihen, ist mir ein absolutes Rätsel. Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, sei an dieser Stelle nochmals erwähnt, dass diese Kritik ausschliesslich dem Guide Michelin und in keiner Weise dem Bo Innovation gilt. Ich lege sogar jedem Essverrückten der sich in Hong Kong wiederfindet ans Herz, das Bo Innovation zu besuchen. Vor allem mittags findet man wohl kaum ein besseres Menü zu so einem anständigen Preis (ca. CHF90 / EUR80). Ich werde jedenfalls bei meinem nächsten Trip in die Metropole an der Mündung des Perflusses sicherlich wieder bei Alvin Leung einkehren.
Bo Innovation
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Hong Kong
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