Ocean (Hans Neuner) - Porches
Die Algarve scheint nicht nur bei Touristen aller Couleur beliebt zu sein, sondern auch bei österreichischen Köchen. Im Süden Portugals gibt es zwei Restaurants die vom Michelin mit zwei Sternen bedacht werden, beide werden von Österreichern bespielt. Und beide sind schon eine ganze Weile in Südportugal tätig. Dieter Koschina kocht seit 1990 in der Vila Joya (zum Bericht) in Albufeira, Hans Neuner feierte heuer sein zehnjähriges Dienstjubiläum im Ocean Restaurant in Porches. Nach Stationen die ihn von seiner Tiroler Heimat über St. Moritz nach London bis auf die Bahamas gebracht haben, verschlug es ihn Ende der 90er nach Deutschland. Er kochte an der Seite von Karlheinz Hauser im Hotel Adlon in Berlin und wurde danach dessen Küchenchef im Seven Seas in Hamburg. 2007 zog es in als Küchenchef ins Ocean Restaurant im Vila Vita Parc an der Atlantikküste. Bereits 2009 wurde dem Restaurant der erste Stern verliehen, 2011 folgte das zweite Macaron.
Bevor es mich an diesem heissen Spätsommerabend ins Restaurant zieht, gönne ich mir einen erfrischenden Gin Tonic auf der Terrasse des Hotels. Aufgemuntert und etwas runtergekühlt erkundige ich mich beim Kellner nach dem Weg ins Ocean, in der Annahme, es befinde sich im selben Gebäude. Doch er verweist mich nach draussen, wo ein Golfcart wartet, um mich zu Hans Neuners Reich zu fahren. In einem Nebengebäude führt eine Treppe ein paar Stufen hoch, bevor man durch eine schwere Türe eintritt, dann einen kurzen Schwenker macht, um von der wohl spektakulärsten Aussicht begrüsst zu werden, die ich jemals in einem besternten Restaurant gesehen habe. Gigantisch! Da muss man sich fast zügeln um den Blick vom Meer abzuwenden, damit man der netten Empfangsdame unfallfrei zum Tisch folgen kann. Kurz nachdem ich es mir gemütlich gemacht habe, folgt die willkommene Ablenkung von der Aussicht in Form der ersten Apéros.
Den Start macht eine Trilogie von Snacks. Der portugiesische Taco, bestehend aus einem knusprigen Kohlblatt und gefüllt mit Chorizo sowie roter Paprika, schmeckt schön herzhaft. Eine Sardine aus dem nahen Sagres liegt auf einem Kartoffelchip und überzeugt durch die tolle Qualität des Fisches. Eine Abwandlung der allgegenwärtigen "Karotten à la Algarve" besticht durch sein schönes süss-sauer-Spiel und eine angenehme Kühle.
Weiter geht's mit Hähnchen Piri-Piri. Dieser Snack macht seinem Namen alle Ehre (Piri Piri werden in Portugal Chillies und allgemein scharfe Speisen genannt) und sorgt für richtig Dampf am Gaumen, gepaart mit instensivem Geflügelaroma. Saulecker und genau mein Ding.
Etwas weniger gelungen ist die Tomate mit Basilikum. Das liegt vor allem daran, dass die Tomate durch die Verarbeitung viel von ihrer Frische verloren hat und eher an eine Tomatensauce erinnert, als an eine frische, knackige Tomate.
Es folgt ein Stück "Sarrajão“ mit Avocado, Fenchel und Jalapenõs. Der Fisch, ein lokal gefangener Bonito, ist von atemberaubener Qualität, weist einen grandiosen Schmelz auf, der von der Einfassung zusätzlich akzentuiert wird. Der Avocadoshot im Glas unterstützt diese Cremigkeit zusätzlich. Exzellent!
Vor dem eigentlichen Menüauftakt schickt Neuner noch einen letzten Gruss aus der Küche. Birne, Yuzu, Foie Gras und Curry macht richtig Spass. Die Leber ist hier toll integriert, spielt nicht die erste Geige und ermöglicht dadurch den anderen, gleichwertigen Komponenten geschmacklich auch zum Zug zu kommen. So entsteht ein grossartiges Ganzes, das sich geschmacklich irgendwo zwischen Frankreich, Indien und Japan bewegt.
Das erste substantiellere Gericht dreht sich um Hummer, Passionsfrucht und Kokosnuss. Neuner zeigt hier, wie meisterhaft er mit solch plakativen und süsslichen Aromen umgehen kann. Dass der Hummer von fabelhafter Qualität und perfekt gegart ist, versteht sich eigentlich von selbst. Die nussige Süsse der Kokosnuss und die scharfe Fruchtsäure der Maracuja tragen den delikaten Edelkrebs regelrecht und vermählen sich perfekt mit dem subtilen Fleisch. Wow! Ich bin von keiner der hier verwendeten Zutaten ein grosser Fan und darum umso positiver überrascht, wie überzeugend dieses Gericht ist.
Es folgt eines der Paradeprodukte aus portugiesischen Gewässern, der Carabineiro. Kombiniert wird die rote Riesengarnele mit Melone und Verbene. Die schneeweisse Meeresschönheit ist umhüllt von einer leichten Pankokruste, die dem sowieso schon knackicgen Tierchen einen zusätzlichen Crunch verleiht. Wie beim vorherigen Gang spielt Neuner hier mit maritimer Süsse, die auf Fruchtsüsse trifft. Und es funktioniert erneut exzellent. In diesem Fall ist die leicht dumpfe, an Honig erinnernde Melone aber gleichzeitig Antagonist und Katalysator für den Krebs. Dieses Wechselspiel wird zusätzlich durch den Einsatz der zitrussig-minzigen Käuterfrische gepusht. Fantastisch - hier gibt es einfach nichts zu verbessern.
Felsenoktopus mit Paprika, Gurke und Fenchel setzt den Reigen von ausgezeichnetem Seafood nahtlos fort. Dieser Oktopus ist unglaublich in jeder nur erdenklichen Art. Unglaublich frisch. Unglaublich zart. Unglaublich fleischig. Unglaublich kräftig. Dazu passt die ebenso intensive Einfassung. Während die Gurke und der Fenchel für knackig-grüne Frische sorgen, bringt die Paprika als Sauce eine schier überbordende Intensität mit, sowie eine sehr präsente Schärfe, die dem Teller sehr gut zu Gesicht steht. Macht in Summe das beste Oktopus-Gericht, das ich jemals gegessen habe und ist glasklare drei Sterne wert.
Mit Rochenflügel, Kapern, Petersilie und Wasserkresse folgt nun ein Gang, der sich merklich von der bisherigen Geschmackswelt abhebt. Bittertöne dominieren diesen Teller und umschmeicheln ein fantastisches Stück Rochen auf die bestmögliche Art. Die Frische und Leichtigkeit in diesem Gericht kommt im Gegensatz zu den bisherigen nicht durch eine (Frucht-)Säure, sondern durch die grünen Kräuter. Das bringt einerseits Abwechslung ins Menü und zeigt andererseits auch eine weitere, weniger "sonnige" Facette von Hans Neuners Küche. Auch diese Seite ist umwerfend gut.
Rotbarsch, Mais aus Aljezur, "Xerém" und Muscheln knüpft nahtlos an die bisherige Grossartigkeit an. Das liegt am abermals fantastischen Fisch, aber natürlich auch an dessen Begleitern. Rotbarsch und Mais ist nicht die naheliegendste Partnerschaft, doch der "Xérem" rückt sie sehr nahe zusammen. Dieser klassische Eintopf aus der Algarve (der auch auf den Kapverden und in Brasilien sehr beliebt ist), hergestellt aus Muscheln und Schinken, ist hier als Sud wiederzufinden. Die Wucht und Komplexität, die er verströmt, ist fast schon unheimlich und umhüllt alle Komponenten, ohne sie zu überlagern. Die Proportionen sind perfekt, die Aromen optimal austariert. Das ist richtig grosse Klasse.
Nachdem die Küche bis hierhin vor allem gezeigt hat, welche Schätze die portugiesischen Gewässer bieten, kommt nun zum Hauptgang das wohl exemplarischste Produkt des Landes zum Einsatz: das "Porco Preto" oder auch schwarzes Schwein. Neuner kombiniert es mit grünem Apfel, „Grelos“, Senf und Hefe. Dieses Stück Fleisch ist über jeden Zweifel erhaben. Eine solch fantastische Schweinefleischqualität kenne ich persönlich nur aus Portugal. Der schiere Wahnsinn. Sehr spannend fallen auch die Mitspieler aus. Die süsse Säure des Apfels passt naturgemäss perfekt zum Fleisch, genauso wie die "Grelos" (eine Art Mus aus Rübstielen) und der Senf. Der eigentlich Clou ist jedoch die Hefe, die mit ihrem typisch "brotigen" Aroma eine unheimliche Komplexität in das Gericht bringt. Die Grossartigkeit reisst einfach nicht ab...
Für die Desserts folgt nicht nur ein kulinarischer Szenewechsel. Hans Neuner lädt mich an den Küchentisch ein, wo ich den Rest des Abends verbringen werde und das Team beim Kochen und Anrichten beobachten kann. Das ist immer wieder aufs Neue spannend. Den Start in den süssen Teil des Abends macht Wassermelone, Shiso, Yuzu und Wasabi. Ein herrlich erfrischendes Ensemble, das weniger von der Fruchtsüsse der Melone getragen wird, sondern von den knackigen Säurespitzen der Yuzu sowie der Frische der Perilla. Ganz ausgezeichnet ist auch die subtile Schärfe des Wasabi, die hier eher unterstützend wirkt und die anderen Elemente nach vorne pusht, als dass er selbst einen Platz im Rampenplicht einnimmt. Ausgezeichnet!
Mit sehr ungewöhnlichen Ingredienzen wartet das zweite Dessert auf. Kaktus, „Chorões“ und Agave fordert den Esser aber nicht so sehr, wie es die Zutaten vermuten lassen. Das Gericht ist geprägt von einer prononcierten, dabei jederzeit angenehmen Süsse. Diese harmoniert wunderbar mit der dem Gang innewohnenden, knackig-grünen Frische. Dieser Teller schlägt gekonnt die Brücke zwischen dem Start und dem nun folgenden Schluss des süssen Teils des Abends.
Denn wie ein "richtiges" Dessert gibt sich das der abschliessende Gang Walnüsse, Trauben, Moscatel und Cassis. Auch hier gibt es rein gar nichts zu mäkeln. Es besteht ein schöne Interaktion von nussigen Akzenten, Fruchtsüsse, säuerlicher Beerenfrucht und dem komplexen Aroma des Moscatel. Es ist beeindruckend, wie die Küche und die Patisserie das Niveau durchgehend hoch gehalten haben und mit diesem Teller einen äusserst würdigen Abschluss servieren.
Ohne die auf einem Keramik-Oktopustentakel servierten Petits Fours werde ich natürlich nicht in die Nacht entlassen. Allesamt ausgezeichnet. Und hübsch dazu.
Hans Neuners Küche hat mich zutiefst beeindruckt und begeistert. Der gebürtige Tiroler serviert in einem der schönsten mir bekannten Restaurantsettings eine spektakuläre Küche, die keine Wünsche offen lässt. Die Gerichte sind sehr durchdacht, fokussiert, teilweise ziemlich mutig abgeschmeckt und immer äusserst schmackhaft. Und sie ist durch und durch portugiesisch. In jedem einzelnen herzhaften Gang scheint ganz eindeutig die portugiesische Seele durch. Und dies auf einem Niveau, wie ich es in Portugal noch nicht erlebt habe. Zu diesem Zeitpunkt gibt es im Land noch kein Dreisternerestaurant. Ich bin überzeugt, dass sich das in absehbarer Zukunft ändern wird. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Hans Neuner im wunderschönen Restaurant Ocean der erste Koch sein wird, der die drei Sterne nach Portugal holt.
Ocean Restaurant
Rua Anneliese Pohl
8400-450 Porches
Portugal
+351 282 310 100
Website
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