After Seven (Florian Neubauer) - Zermatt

After Seven (Florian Neubauer) - Zermatt

Nach einem äusserst vergnüglichen und kurzweiligen Abend im nüchternen Alpine Chic des The Omnia (zum Bericht), erwartet mich heute so ziemlich das Gegenteil. Architektonisch gesehen zumindest. Eine Reservation in Zermatts einzigem Zwei-Sterne-Restaurant führt mich ins Backstage Hotel. Dieses gehört dem lokalen Künstler Heinz Julen. Dass es sich beim Gebäude um etwas besonderes handelt, merkt man sofort, nachdem man eingetreten ist. Jedes Einrichtungsstück im Hause wurde vom Besitzer höchstselbst in seinem Atelier handgefertigt. Neben dem Restaurant After Seven - das nachmittags als Café genutzt wird - und den Hotelzimmern beherbergt das Backstage auch noch einen Wellnessbereich, ein Kino sowie eine Bar. Vor dem Essen gönne ich mir eben dort im Untergeschoss einen Drink, um einen ersten Eindruck der kontemporären Kunst und Architektur zu gewinnen. Als sich die Bar so langsam mit gebräunten Wintersportlern zu füllen beginnt, mache ich mich auf den Weg in den ersten Stock, wo mich der Service in schummrigem Licht freundlich empfängt. Für Fotos ist die Beleuchtung zwar nicht grade ideal, doch die beabsichtigte Wohnzimmeratmosphäre entfaltet sofort ihre Wirkung. Man fühlt sich wie bei jemandem zu Hause in der warmen Stube. Die teilweise skurillen Kunstobjekte geben dem Ganzen eine äusserst eigenständige Note. Man sitzt schliesslich nicht in irgendeinem x-beliebigen Wohnzimmer, sondern in Heinz Julens. Einmal auf dem grossen Ledersofa niedergelassen, erscheint auch gleich ein Glas Champagner, das die neugierigen Blicke durch den Raum begleitet. Für die Küche des After Seven zeichnet sich der Berliner Florian Neubauer verantwortlich, der unter anderem bei Heston Blumenthal und Tim Raue gekocht hat, und hier das Küchenzepter im Namen des Gastro-Unternehmers Ivo Adam schwingt.

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Noch auf der zum Rumlümmeln einladenden Couch wird das Dinner mit einem Snack eröffnet. Den Start macht ein leichter, knuspriger und intensiver Flammkuchen mit Trüffeln. Toll abgeschmeckt, passt hervorragend zum Schaumwein.

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Nach dem kurzen Versinken im Sofa, wird das Essen eine Zwischenetage weiter oben am Tisch vegetarisch mit Avocado, schwarzer Knoblauch und gepickeltes Gemüse fortgesetzt. Was sich harmlos anhört, entpuppt sich als absoluter Volltreffer. Auf clevere Art wird nach und nach die komplette Rezeptorenklaviatur angespielt, indem alle Geschmacksrichtungen durchexerziert werden, um sich schliesslich zu einem grandiosen Ganzen zu verbinden. Vollmundig und würzig, leicht und knackig, cremig und knusprig, süss und sauer. Dazu mit der Avocado ein veritables Produkthighlight, das ich in dieser Qualität hierzulande wohl noch nie vorgesetzt bekommen habe. Wow, ist das gut!

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Jakobsmuschel, Blumenkohl und Yuzu sind die Protagonisten des zweiten Gangs. Regelmässige Leser werden es wissen, Jakobsmuscheln hängen mir zum Hals raus. Zu oft gegessen, zu oft in (unter-)durchschnittlicher Qualität. Mich mit St. Jacques zu überzeugen ist also gar nicht mal so einfach. Neubauer schafft es scheinbar mühelos. Was natürlich in erster Linie an der Qualität der Muscheln liegt, die über jeden Zweifel erhaben ist. Dazu ist die Einfassung absolut auf den Punkt gebracht. Den fleischigen Meeresbewohner mit Blumenkohl und einer Zitrusfrucht zu kombinieren ist wahrlich nichts Neues, doch nur ganz selten wurde dieser fast schon klassische Dreiklang in einer Vollkommenheit serviert, wie das hier der Fall ist. Grandioses Produkt, höchst stimmig und akkurat in Szene gesetzt. So geht richtig grosse Küche. Ich traue es mich ja kaum zu sagen, doch in bin regelrecht begeistert. Ein Gang, der es sicher in meine Jahresbestenliste schaffen wird. Und wenn es so weiter geht, wird das heute ein ernsthafter Anwärter für das Menü des Jahres.

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Es folgt Black Cod mit Beurre Blanc, Saiblingskaviar, Seefenchel und Seespargel. Die buttrige Duftwolke, die vom Teller aufsteigt, verheisst schon mal reichlich Gutes. Was dann aber die erste Gabel auslöst, das habe ich dennoch nicht erwartet. Am Gaumen vermählt sich dieses unscheinbare Konglomerat zu etwas derart Köstlichem, dass es mir beinahe Tränen in die Augen treibt. Was sich in diesen raren Momenten abspielt, ist der Inbegriff von kulinarischer Glückseligkeit. Ganz unvermittelt wird das Kopfkino angeschmissen, ich schmecke nicht nur Meer, sondern sehe es förmlich vor mir. Die Brandung schlägt sanft gegen die moosigen Steinformationen, salziger, warmer Wind weht über die hügeligen Dünen, alles ist klar und einladend und frisch. Aufwühlende kulinarische Perfektion, vom auf den Punkt gegarten Fisch, dessen saftiges Fleisch sich einfach in Lamellen teilt, über die mollige, enorm elegante Sauce, bis zum knackigen Meeresgrün und den aufplatzenden Fischeiern. Der (bisherige) Höhepunkt eines an imposanten Kreationen nicht gerade armen Abends.

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Beim ersten Fleischgang dreht sich alles um die Ente, die mit Pak Choi und Orange kombiniert wird. Vom Federvieh verarbeitet Neubauer die Brust, das Herz sowie den Magen. In dieser oder ähnlicher Form kennt man das aus so ziemlich jedem China-Restaurant. Zumeist gibt es dort zwar nur die Brust und keine Innereien, und sowohl die Produktqualität als auch die Zubereitung sind nicht auf dem Level des After Seven, geschmacklich jedoch ist der Unterschied nicht riesig. Diese Version schmeckt anständig, fällt aber gegenüber dem bisher Gezeigten ab. Oder um es in Sternen auszudrücken, bislang waren es solide bis begeisternde zwei Sterne, jetzt ist es noch ein knapper Stern. Schlimm ist das freilich nicht, denn schmecken tut es allemal.

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Farblich aufs dunkelbraune Interieur abgestimmt erscheint das Kalb mit “Strammer Max”, Rosmarin und Schalotten. Beim Strammen Max handelt es sich um ein in Deutschland beliebtes, rustikales Gericht aus Brot, Schinken und Spiegelei, dem Neubauer einen etwas leichteren Anstrich verpasst, das aber immer noch relativ üppig daherkommt. Backe und Onglet vom Kalb sind akkurat zubereitet, die Schalotten dazu passen ins ziemlich rustikale Bild. So weit, so gut, wenn auch nicht sonderlich aufregend. Als richtig problematisch erweist sich allerdings der Rosmarin in der Sauce, der so penetrant ausgearbeitet wurde, dass er eine unangenehm scharfe, medizinische Note bekommt. Ich probiere einige kleine Bissen, doch das ist in meinen Augen schlicht ungeniessbar. Dass das aus derselben Küche kommt, die heute Abend bereits drei exzellente (zwei davon unvergessliche) Teller geschickt hat, ist schwer nachvollziehbar. Schade.

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Neubauer testet im zweiten Abschnitt des Dinners meine Widerstandfähigkeit, indem er nun im Dessert auch noch die so ziemlich einzige Zutat verarbeitet, die ich nicht mag: Banane. Er macht aus der Frucht ein Bananenbrot, das von Schwarzbroteis, Karamell und Passionsfrucht getoppt wird. Trotz der Passionsfrucht und der Banane ist das Geschmacksspektrum hier eher dunkel und wirkt nicht nur schwer, sondern ist aufgrund des Brots und des Eis auch ziemlich massiv. Würde man die säuerliche Fruchtkomponente ein wenig stärker in den Vordergrund rücken und an den Proportionen schrauben, wäre das sicherlich ein durchaus spannendes und auch etwas bekömmlicheres Dessert.
Die Überraschung übrigens, die diesem Gang vorausgegangen ist, hat das eigentliche Dessert in Sachen Geschmack, Einfallsreichtum und Spass bei weitem übertroffen, und wusste zu beeindrucken.

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Als der Friandises Wagen an den Tisch gerollt wird, könnte man mich gleichzeitig zurück ins Hotel rollen, so übersättigt bin ich mittlerweile. Doch probieren muss natürlich noch sein.

Die berühmte Achterbahn der Gefühle beschreibt den Abend im After Seven wohl am besten. Nach den ersten drei Gängen kannte die Begeisterung fast keine Grenzen mehr, der Weg zum heissen Kandidaten für das Menü des Jahres schien fest betoniert. Doch mit den Fleischgängen nahm das Dinner eine unerwartete Abzweigung auf dem Weg zum kulinarischen Himmel. Während die Ente noch annehmbar, aber längst nicht mehr auf Zwei-Sterne-Niveau war, hinterlässt das Kalb auch beim Verfassen dieses Artikels immer noch dicke Fragezeichen und sorgt für Stirnzunzeln. Wie sowas den Pass verlassen kann, ist mir absolut schleierhaft. Doch viel wichtiger als das wenige Schlechte ist das viele Gute. Davon gab es erfreulicherweise schliesslich einiges. Die ersten drei Gänge des Menüs glichen einem fulminanten Steigerungslauf, der nicht nur ein, sondern gleich zwei unvergessliche Kreationen beinhaltete. Eine ziemliche Seltenheit. Nur schon dafür - und für einige der teilweise ebenfalls superben Überraschungen - lohnt sich der Besuch im wohl gemütlichsten und exzentrischsten Wohnzimmer am Fusse des Matterhorns.


After Seven
Hofmattstrasse 4
3920 Zermatt
Schweiz
+41 (0)27 966 69 70
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