Rosi (Markus Stöckle) - Zürich
Von Zeit zu Zeit wird ein Restaurant eröffnet, dessen Entstehung aus der Ferne betrachtet ganz natürlich und nicht weiter aufregend erscheint. Wenn man sich die Geschichte dazu jedoch genauer anschaut, sieht alles plötzlich ganz anders aus, klingt irgendwie unwahrscheinlich. Passend unpassend, sozusagen. Schwups, die Neugier ist geweckt. Ziemlich genau so kommt die Story des Rosi in Zürich daher. Ohne Geschichte, bzw. das Erzählen von Geschichten, funktioniert heutzutage kaum noch ein Restaurant, das etwas auf sich hält. Die Geschichte des Rosi dreht sich um Markus Stöckle. Allgäuer von Geburt, Weltenbürger im Herzen, hat sich mit der Eröffnung seines eigenen Lokals beim Lochergut einen Lebenstraum erfüllt. In Zürich ist er vor allem dank der Wild Bar und Fuego Y Hielo, zwei sehr beliebten und erfolgreichen Pop-Ups, zum Begriff geworden. Und auch dank Miss Marshall, der inoffiziellen Dessert-Queen der Stadt, die eigentlich auf den Namen Elif Oskan hört, und mit Stöckle sowohl berufliche als auch private Leidenschaften teilt. Bevor er in die Schweiz gekommen ist, hat er sich für fünf Jahre im avantgardistischen Dreisterner “The Fat Duck“ nahe London verdingt. Eine hochspannende Vita, die natürlich unzählige Fragen aufwirft. Warum in aller Welt eröffnet dieser Typ ein Wirtshaus? In Zürich? Ist das überhaupt ein Wirtshaus, wie man sich das so vorstellt? Wohl kaum, oder? Die Antworten darauf gibt es hoffentlich bei meinem längst überfälligen Besuch. Draussen an den pinken Tischen herrscht bereits emsige Betriebsamkeit an diesem heissen Sommerabend. Da muss zuerst mal ein Bier her. Entscheiden muss ich heute Abend nur, was ich trinken möchte. Denn der Chef und sein Team haben bereits etwas vorbereitet. Ich bin bereit.
Die erste Welle rollt an. Brot & Brezn, gebacken von John Baker, serviert mit bayrischem Olivenöl. Bayrisches Olivenöl? Eine hübsche Umschreibung für eine fantastische Nussbutter, die das superbe Brot veredelt. Der Weg in den kulinarischen Himmel kann äusserst kurz sein. Ebenfalls auf dem Tisch, und absolut unabdingbar in einem bayrischen Wirtshaus, ein hausgemachter Obatzter (versehen mit dem Zusatz “ein Traum von Penicillium Camanberti”). Der Camambert wird dafür mit Butter, Paprika und Kümmel zu einer Art schimmligen Brotaufstrich geschlagen, der perfekter nicht sein könnte. Ich bin sonst kein grosser Verehrer dieser Spezialität, doch hiervon kann ich einfach nicht die Finger lassen, so verdammt gut ist das. Doch da ist ja auch noch der Hendl-Sulz mit Madeira und Liebstöckel. Im Gegensatz zum Obatzten bin ich ein grosser Sulz-Liebhaber. Viel glücklicher als mit dieser grandiosen Interpretation kann man nicht werden. Die vollmundige Üppigkeit, das optimal eingebundene, süsslich-herbe Aroma des Madeira, dazu der unerwartete, und nun ja, neckische, Liebstöckel, der dem Ganzen eine ungeahnte zusätzliche Dimension verleiht.
Als nächstes widme ich meine Aufmerksamkeit dem Armen Ritter nach Johann Rottenhöfer. Hierfür wird ein Sauerteigbrot mit Muschelsaft und Bisque getränkt, danach in Butter knusprig geröstet und abschliessend mit Schinken und Muscheln belegt. Der erste Bissen dieser herzerwärmenden Kreation lässt direkt Tränen in meine Augen schiessen. Dass dieses unscheinbare belegte Brötchen mit hochwertigsten Zutaten hergestellt und handwerklich perfekt zubereitet wurde, erschein fast schon nebensächlich, soll aber an dieser Stelle natürlich nicht unter den Tisch gekehrt werden. Und trägt trotz des ersten Eindrucks einen wichtigen Teil zu meinem kurzen innerlichen Gefühlschaos bei. Wer an dieser Stelle eine nüchterne Analyse hiervon erwartet, sollte besser beim nächsten Gericht weiterlesen. Denn dieser Arme Ritter berührt mich im tiefsten Inneren, lässt Erinnerungen hochkommen an meine Kindheit, an Düfte, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde, und die mir so selten ins Gedächtnis gerufen werden, dass meine Freude und Dankbarkeit in diesem Moment kaum Grenzen kennt. Wow! Bevor ich weiter essen kann, muss ich zuerst mal kurz durchatmen. Wer hätte gedacht, dass ein Besuch im Rosi so aufwühlend sein kann? Nachdem ich mich wieder gesammelt habe, geht’s weiter mit dem Eiersalat mit Krabben und Kräutern. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich noch nie einen Eiersalat gegessen habe, der auch nur annähernd so gut geschmeckt hat. Dem steht der heissgeräucherte Saibling mit Petersilie und Apfel in nichts nach. Die dezent herbe Kräuteruntermalung des hervorragenden Fischs könnte nicht besser gewählt sein, während Apfel und Kren für einen willkommenen Frischekick sorgen.
Von den eher kleineren Portionen geht es nun über zu den substanzielleren Gerichten, den Hauptgängen mit ihren Beilagen. Da wäre einmal der Kabeljau mit Genfer Flusskrebs-Zitrondaise. Vortrefflich gegarter Fisch, die Sauce mundfüllend und samtig, mit diesem typischen, süsslich-maritimen Krebsaroma, das Stöckle mit dem grosszügigen Einsatz der Zitrusfrucht klasse kontrastiert. Daneben steht ein wundersames Gebilde, das sich Ponpon-Blanc nennt und aus einem gebackenen Igelstachelpilz (auch Pom-Pom Blanc genannt) mit Kräutervinaigrette und Eigelbmarmelade besteht. Sehr hübsch anzusehen und grundsätzlich auch eine nette Idee, jedoch als Begleitung zum Fisch zu kräftig, was vor allem an den für meinen Geschmack zu grosszügig portionierten Schalotten liegt. Die es noch dazu eigentlich gar nicht braucht, da der Pilz und die tolle Marmelade sowie der Estragon mehr als genug Geschmack bieten. Aber man kann sie glücklicherweise auch problemlos zur Seite schaufeln. Es bedarf der Erwähnung, dass sowohl diese beiden Teller als die folgenden drei gleichzeitig serviert werden. So ist die Kombination von Kabeljau und Pilz in diesem Fall rein zufällig gewählt.
Viel besser zum Meeresbewohner passt da der Gurkensalat nach Anneliese Stöckle, der knackig-frisch und mit feinem Säurespiel als ideale Ergänzung dient. Der Salat passt natürlich auch exzellent zum The Schnitzel mit Hefe-Kartoffeln und Preiselbeeren. Dazu hobelt der Chef am Tisch noch etwas Trüffeln auf das stattliche Schnitzel. Die Optik lässt bereits erahnen, dass es sich um ein ‘richtiges’ Schnitzel handelt. Der erste Bissen bestätigt es endültig. Das Fleisch nicht zu dünn, dadurch noch saftig, die Kruste knusprig und luftig. Ein besseres Schnitzel in Zürich zu finden, dürfte wohl kaum möglich sein. Vor allem dann nicht, wenn dazu noch grandiose Spätzle mit Soss, Trüffeln und Eiche gereicht werden. Diese Beilage ist eine erdige Wuchtbrumme, die man problemlos auch als eigenständigen Hauptgang servieren könnte. Sollte jemals ein Lexikon ein Bild benötigen um das Wort ‘herzhaft’ zu beschreiben, hier ist es. Absolut superb.
Nun heisst es Vorhang auf für die Desserts, bei der Miss Marshall zum Zug kommt. Der erste Streich hört auf den Namen “Heisse Liebe” und besteht aus Earl Grey Tee-Eis mit heissem Cassis. Ultra-cremig, herrlich erfrischend und gekonnt zwischen süss, sauer und bitter changierend. Sowas Gutes geht selbst nach einem üppigen Mahl wie dem bisherigen problemlos noch rein. Genauso wie der Topfenknödel mit Aprikose, Vanilleeis und Kernöl. Der Clou ist hier das Kernöl, das dem fruchtig-süssen Ensemble einen nussigen, dezent herben und dunkeln Anstrich verpasst und diesem Schälchen dadurch Substanz und Spannung verleiht. Sehr gut.
Die Vorfreude war gross. Die Erwartungen noch grösser. Sie wurden heute Abend übertroffen. Was Markus Stöckle mit seinen Partnern im Rosi geschaffen hat, kommt nichts weniger als einer Revolution des Wirtshauses gleich. Wer es (relativ) klassisch mag und seinen Besuch einfach halten will, kehrt zu Schnitzel und Bier ein. Oder nur auf ein Bier. Das geht nämlich auch. Ist ja schliesslich ein Wirtshaus. Oder auch auf ein Glas Wein aus der exzellent zusammengestellten Karte. Wer etwas mehr Zeit und Abenteuerlust mitbringt, der isst sich einmal quer durch das Menü. Oder überlässt die Auswahl direkt dem Chef. So wie ich heute Abend. Egal welchen Weg man wählt, ein dickes, zufriedenes Lächeln am Ziel ist inklusive. Denn das Rosi ist nicht einfach nur dazu da, um Menschen zu verköstigen. Es ist da, um Menschen glücklich zu machen. Immer und immer wieder…
ROSI
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