L.E.S.S. (Gert De Mangeleer) - Brügge
Als das dreifach besternte Hertog Jan 2014 von den viel zu eng gewordenen Wänden im Brügger Stadtteil Sint-Michiels in eine aufwendig restaurierte Farm in Zedelgem umgezogen ist, stellte sich plötzlich die Frage, wie man die ehemalige Lokalität fortan nutzen würde. Eine passende Eingebung kam Gert De Mangeleer ziemlich schnell. Er liebt die spanische Tapaskultur. Warum also nicht ein eigenes Tapas-Restaurant eröffnen? Gedacht, getan. Noch bevor das neue Hertog Jan seine Pforten aufsperrte, eröffnete er mit seinem Partner Joachim Boudens das L.E.S.S. (kurz für Love.Eat.Share.Smile.). Die Karte bezieht sich nicht nur auf die spanischen Vorbilder, sondern hat auch viel Belgien und Asien in sich. Bei einem ersten Besuch kurz nach der Eröffnung war ich bereits sehr angetan vom gelungenen Konzept, was eine Rückkehr natürlich unumgänglich machte. Bei meiner Ankunft ist das Lokal bereits gut gefüllt und die Stimmung gelöst - sowohl bei den Gästen als auch beim Service. So sollte es immer sein. Eine Startauswahl aus der ansprechenden Karte ist genauso schnell gefunden wie die erste Flasche Wein. Kurz darauf erreichen bereits die ersten Snacks den Tisch…
Das Mahl beginnt simpel wie köstlich mit einem wunderbar knusprigen Pan Con Tomate 'Coca De Cristal'. Sommer pur. Ein zweites Brot im erweiterten Sinne (und auch im Namen) ist das - A Tribute to El Bulli - Air Baguette. Ich hatte das Original zwar noch nie, doch hier scheint mir der Teig deutlich zu dick geraten, um von “Air“ sprechen zu können. Geschmacklich gut, technisch ausbaufähig. Als totaler Kracher entpuppt sich der Toast 'Vitello Tonnato'. Betörender Crunch, dazu feinster, perfekt gewürzter Thunfisch, saftige Kalbsbrust und knackiger Rucola, der mit seiner bitteren Senfnote als optimaler Konterpart zum Surf’n’Turf fungiert. Wer hätte gedacht, dass dieser Italoklassiker so köstlich sein kann? Ich nicht unbedingt, um ehrlich zu sein.
Das nächste Highlight folgt direkt mit Zeeland Muscheln 'Esabeche' mit Anissamen in der Dose. Wunderbar frisch nach Meer und Gischt duftend, die fleischige Süsse durch die säuerliche Escabeche schön kontrastiert. Durch die Anissamen erhalten die Muschelin ein zusätzliche Dimension, die ich in dieser Ausprägung noch nie so serviert bekommen habe. Klar, mal ein Schuss Pernod in den Muschelsud oder Fenchel dazu, das kennt man. Doch in diesem Fall entlädt sich bei jedem Biss auf einen der Samen ein regelrechter Schwall dieser faszinierend-mystischen Anisnote, die jedoch keineswegs die delikaten Mollusken überlagert, sondern sich brilliant mit ihnen verbindet. Dieses Dosenfutter könnte ich stundenlang in mich reinschaufeln. Weniger gelungen ist das knusprige Barbecue Schwein. Von einem rauchigen Barbecue schmecke ich gar nichts, dazu ist das Gebilde sehr fettig (zu fettig sogar für mich) und eindimensional. Ein kompletter Reinfall ist das zwar nicht, aber im Gegensatz zum Rest des bisher Gezeigten fällt es doch stark ab. Viel besser macht es die Küche beim gegrillter junger Lauch (Calcots) mit Romesco Sauce. Die katalonische Spezialität, im Original Calcot genannt und hauptsächlich zu einem traditionellen Bauernfest serviert, wird über offenem Feuer so lange gegrillt, bis die Aussenschicht pechschwarz verkohlt ist. Gegessen wir dann nur der innere Teil, der herrlich rauchig ist, sehr zart und diese typsiche Zwiebelsüsse hat, die von der würzigen Romesco Sauce toll konterkariert wird. Gehört an jedes Grillfest.
Das nächste Trio zeigt die zweite Vorliebe De Mangeleers neben Spanien, die asiatische Küche. Da wären einmal die Wagyu Dim Sum, die durch einen fein gearbeiteren Teig zu gefallen wissen, deren Füllung jedoch durchaus etwas differenzierter und kräftiger gewürzt sein dürfte. Was dem Wagyu fehlt, machen die Dim Sum Schwein und Gamba richtig. Dieser klassische Shanghai Zweiklang ist nicht umsonst eine bewährte Kombi, dazu perfekt abgeschmeckt. Besser gehts kaum. Exzellent ist auch der Steamed Bun mit Schweinebauch, Hoisin und Kimchi. Herzhaft-fettige Glücklichkeit, bei der lediglich das Kimichi etwas stärker zur Geltung kommen dürfte. Das Yakitori Lamm mit Hummus und Naan bringt den nahen, mittleren und fernen Osten zusammen. Gut, aber nichts, das nachhaltig in Erinnerung bleibt.
Beim Kentucky Fried Chicken 'KFC' überzeugt vor allem die würzige, perfekt knusprige Panade, während das Fleisch einen Hauch zu lange gegart wurde. Einziger Letdown des Abends ist der Taco 'Chilli Con Carne'. Hier muss man wirklich festhalten, dass man das zu Hause sicher genauso gut hinkriegen würde. Wahrscheinlich sogar besser, wenn man die wirklich hervorragenden Teigfladen ebenso gekonnt meistert wie das L.E.S.S.-Team. Zum Schluss gibt’s einen stattlichen gegrillten Carabinero, der lediglich mit Salz gewürzt ist. Der Service weist an, unbedingt den Kopf auszusaugen. Eine Aufforderung, der ich immer wieder gerne nachkomme.
Man würde es vielleicht nicht unbedingt vermuten, aber ich und meine reizenden Begleiterinnen sind alle richtig vollgefressen. Deshalb reicht’s zum süssen Finale nur noch für den Klassiker des Hauses, den L.E.S.S. Kuchen 'Dulce De Leche'. Der ist zwar sehr süss, kratz an der Grenze von Too-Much, aber doch noch absolut köstlich.
Gert De Mangeleer hat mit seinem weltoffenen Tapas-Konzept einen Volltreffer gelandet. Klar, nicht alle Gerichte sind über jeden Zweifel erhaben. Legt man jedoch die enorm hohe Qualität der Produkte zugrunde, das fast durchweg tadellose Handwerk und zieht in Betracht, dass sogar zwei, drei richtige Kracher dabei waren, kann man einen kleinen Ausfall wie den Chili-Taco verschmerzen. Zusätzlich ausgeglichen werden solche kleinen Schnitzer durch die ungezwungene, lebhafte Atmosphäre, den relaxten Service und reichlich tollen Wein. Wer sich im wunderschönen Brügge wiederfindet, sollte unbedingt hier einkehren. Das Restaurant wird übrigens in absehbarer Zeit in die Innenstadt Brügges umziehen, genauer gesagt ins Erdgeschoss des Hotels ‘t Zand. Hier soll das Konzept etwas angepasst werden, sodass man den ganzen Tag über in den Genuss von “Love.Eat.Share.Smile” kommt.
L.E.S.S.
Torhoutse Steenweg 479
8200 Brügge
Belgien
+32 50 69 93 69
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