The Yeatman (Ricardo Costa) - Vila Nova de Gaia
Eine kurze Taxifahrt von Portos pittoresker, aber mittlerweile von Touristenströmen überlaufener Innenstadt bringt mich ins Städtchen Vila Nova de Gaia. Genauer gesagt ins hoch über dem Douro auf einem Hügel thronende Fünfsternehotel The Yeatman, das auch das gleichnamige Zweisternerestaurant beherbergt. Von hier oben hat man einen wundervollen Blick auf Portugals zweitgrösste Stadt, den ich vor dem Dinner bei einem Drink auf der grosszügigen Hotelterrasse noch ein Weilchen geniesse - unwissend, dass mich im Restaurant ein Tisch am Fenster erwartet und die Sicht auf Porto bei Nacht noch eindrücklicher ist als bei Tag.
Das Restaurant The Yeatman hat einen ganz eigentümlichen Charme, mit seinem grauen Steinplattenfussboden, den Wänden in blass-hellem Neongrün, in unterschiedlichen Farben bezogenen Stühlen und den kolonialistisch wirkenden Wandbildern. Meinen persönlichen Geschmack trifft man hiermit nicht, doch die gut betuchte Gästeschar älteren Semesters findet vielleicht Gefallen daran.
Der heutige Abend wird eine Art Überraschung, da ich lediglich weiss, dass die Küche von Ricardo Costa als einzige in Portugals Norden mit zwei Michelin Sternen dekoriert ist. Sonst ist das The Yeatman für mich ein weisses Tuch, das beschrieben werden will. Draussen dunkelt es langsam ein, die Lichter auf der anderen Seite des Flusses ringen um meine Aufmerksamkeit, der ausgezeichnete portugesische Schaumwein von Colinas aus der Bairrada erfrischt angenehm. Es kann losgehen.
Ein Trio von Snacks läutet den Abend kulinarisch ein. Sashimi von der Gelbschwanzmakrele wird mit Kaviar verfeinert und lässt die fantastische Fischqualität erkennen, die man in Portugal bekommen kann. Ein Thunfisch-Sandwich überzeugt erneut durch die enorme Produktqualität, leichten Crunch sowie den angenehmen Kick von Meerrettich. Die letzte Kleinigkeit dreht sich erneut um die Gelbschwanzmakrele, dieses mal mit Kimchi bestrichen und in einen Brickteig eingeschlagen. Grossartig, wie Costa hier die Schärfe und Würze des Südkoreanischen Nationalgerichts einsetzt, ohne den Fisch damit zu überlagern. Ein fanastischer Auftakt, der die berechtigte Hoffnung auf einen grossartigen Abend keimen lässt.
Ein weitere Trilogie erscheint, die gemäss des Service an ein typisch portugiesisches Barbecue erinnern soll. Was Tomaten und Mozzarella damit zu tun haben, erschliesst sich mir nur bedingt, doch der Inhalt des kleinen Schälchens schmeckt.
Noch besser ist ein Stück Huhn mit Austernmayonnaise. Saftig, cremig, dezent jodig, fantastisch. Die schmackhafteste Kleinigkeit jedoch ist die Hühnerhaut mit Huhn und Chili. Hier schafft es der Chef, einen Hauch von rauchiger Lagerfeuerromantik in Nüstern und Gaumen zu transportieren. Dazu knackige Schärfespitzen, die für ein bisschen wohlige Wärme in der Klimaanlagenkälte des Restaurants sorgen. Ausgezeichnet.
Noch ist nicht Schluss mit den Grüssen aus der Küche. Auch die letzten Amuses widmen sich einem beliebten portugiesischen Thema, dem Grillen am Strand. Natürlich wird dort Fisch gegrillt, aber auch Eintöpfe finden Ihren Weg auf das Feuer. Costas Interpretation dieser kulinarischen Strandparty beinhaltet einen Meeresfrüchte-Eintopf mit Hummer, eine Avocadorolle und einen Maischip. Das ist wunderbar kräftig und erneut gespickt mit dem besten, was das Meer zu bieten hat. Vor allem der Hummer ist einer der besten Exemplare, das ich jemals gegessen habe. Und trotz der intensiven Würzung ist das ein hochelegantes Ensemble, das mich total begeistert.
Das Menü startet nun mit einer Langoustine, Sepia-Salat, Yuzu und Meerfenchel. Der prächtige Kaisergranat ist tadellos zubereitet und wartet mit der fast schon zu erwartenden, sehr guten Qualität auf. Dazu braucht es eigentlich nicht viel, und das weiss die Küche auch. Der leicht jodige Sepia verstärkt den Eindruck nach frischer Gischt, während die frisch-bittere Yuzu sowie der grüne Meerfenchel punktuell Akzente setzen. Ausgezeichnet.
Gang Nummer Zwei dreht sich um einen "Thai" Rochen, Limette, Kokosnuss und Thai Sauce. Klasse, wie hier die vertrauten Aromen von einem sämigen roten Curry in einen Fine Dining Kontext gesetzt werden. All die typsichen Geschmäcker von den dutzenden exotischen Zutaten sind bestens rauszuschmecken, ohne dass sie dabei jedoch plakativ oder gar forciert wirken. Der fantastische Rochenflügel kann es mit dem Sammelsurium von Säure, Schärfe und Süsse problemlos aufnehmen und wird davon lediglich umspielt und nicht dominiert. So entsteht ein unerwartetes Highlight, das sogar dem bösen Wort Fusionküche eine Berechtigung gibt.
Weiter geht's mit portugiesischem Eintopf, der aus einem bei 55 Grad gegarten Stück Kabeljau, Fleischterrine, einer "Fleischeintopf-Sauce" und diversen Kohlstücken besteht. Um einen eigentlich relativ geschmacksarmen Fisch wie den bescheidenen Kabeljau in einem solchen Gericht nicht untergehen zu lassen, braucht es eine tolle Produktqualität und natürlich Fingerspitzengefühl bei der Portionierung und Würzung. Costa verwendet, wie könnte es anders sein, einen prächtigen Fisch und stellt hier erneut sein ganzes Können unter Beweis. Auf dem Teller gibt es dieses Mal keinen eindeutigen Star, sondern ein Ensemble, das gemeinsam brilliert. Der zurückhaltende Meeresbewohner profitiert vom fleischig-deftigen Unterbau, die verschiedenen Kohlarten bringen etwas willkommene Bitterkeit sowie Textur ins Spiel und lockern das Ganze so ein wenig auf. Es klingt so simpel, doch ich bin sicher, dass hier eine Menge Arbeit reingeflossen ist, um zu diesem grandiosen Resultat zu kommen.
Es folgt eine mediterrane Aubergine mit Curry gebacken, Lammsauce und Romesco. Was so unscheinbar aussieht, entpuppt sich als absoluter Volltreffer. Die fleischige Textur der Eierpflanze und vor allem der durch das Backen sehr kräftige Eigengeschmack, mit ganz zarter fernöstlicher Note vom Curry, ist ein richtiges Erlebnis. Verstärkt wird der fleischige Eindruck durch die vortreffliche, dezent klebrige Lammsauce, die wunderbar mit der Aubergine harmoniert. Als Gegenpol wirkt die konzentrierte, erfrischende und leicht scharfe Romesco, die gemeinsam mit der Sauce ein ultra-komplexes Amalgamat formt, das meine Synapsen regelrecht verrückt spielen lässt. Das ist nicht nur der unerwartete kulinarische Höhepunkt des Abends, sondern gleichzeitig eines der besten Gerichte, das ich jemals verspiesen habe. Wow!
Der Hauptgang Kalbsfilet, Kalbssehne und Kalbsmark hat es nach so einem Highlight nun natürlich etwas schwer. Das Fleisch ist von guter Qualität und das naturgemäss etwas langweilige Filet profitiert davon, dass Costa auch Mark und Sehne zum Einsatz bringt. So wird das Ganze etwas vollmundiger und dank der kollagenhaltigen Sehne, die man in Europa eher selten auf dem Teller findet, auch texturell etwas spannender. Mit etwas Stangen- und Knollensellerie sowie einem Karöttchen und der leichten Kalbsjus fällt die Begleitung sehr klassisch aus, was nicht für unnötige Ablenkung sorgt. Gut. Nicht mehr, nicht weniger.
Als kleine Auffrischung lässt die Küche eine kühle Kombination aus Pfirsich, Passionsfrucht und Ananans servieren, die ihren Zweck bestens erfüllt.
Das Hauptdessert dreht sich um Heidelbeeren in verschiedenen Texturen. Die Beeren des Heidekrautgewächses sind herrlich aromatisch und zeigen dank ihres perfekten Reifegrades (es ist September zum Zeitpunkt meines Besuchs) ihr gesamtes aromatisches Spektrum. Solche Heidelbeeren findet man bei uns nur sehr, sehr selten. Diesem fruchtigen Erlebnis stellt man die Säure und Cremigkeit von Joghurt entgegen. Eine so simple wie schmackhafte Kombination, die die wunderbare Hauptkomponente in den Mittelpunkt stellt. Sehr schön.
Das Eis am Stiel mit Himbeere und Litschi setzt den letzten gelungenen Akzent vor den ebenfalls exzellenten Petits Fours (ohne Foto).
Überraschung gelungen! So lässt sich der Abend im The Yeatman am besten zusammenfassen. Ricardo Costas Küche hat mich durchs Band überzeugt und teilweise sogar begeistert. Costa versteht es mit wenigen, makellosen Zutaten spannende, teilweise unerwartete Kombinationen zu kreieren. Vor allem die Aubergine war ein wirklich aussergewöhnlich gutes Gericht, das mich zutiefst beeindruckt hat. Dicht gefolgt von der schieren Qualität aller aus dem Meer stammenden Produkte, die es hier auf die Teller schaffen. Nur schon dafür lohnt sich der Trip auf die iberische Halbinsel. Besondere Erwähnung verdient auch die superbe Weinbegleitung, natürlich ausschliesslich aus lokalen Erzeugnissen, die einige mir unbekannte Trouvaillen enthielt.
Eine ausdrucksstarke, überraschende und vor allem äusserst schmackhafte Küche, ein toller Weinkeller, eine prächtige Aussicht, das kann nur eines bedeuten: ein Besuch im The Yeatman ist ab sofort Pflichtprogramm bei jeder Reise in Portugals Norden.
The Yeatman
Rua do Choupelo
4400-088 Vila Nova de Gaia
Portugal
+ 351 22 013 3100
Website