Momofuku Shōtō (David Chang) - Toronto

Dave Chang eröffnete seinen Momofuku Ableger in Toronto im Herbst 2012. Eigentlich sind es mehrere Ableger unter einem Dach. Ein neuer Glaswürfel neben dem Shangri-La Hotel beherbergt die Noodle Bar, Nikei, Daishō und Shōtō. Hier kriegt man also zu ziemlich alles was Chang jemals gemacht hat zusammengepresst auf drei Stockwerke. Da ich bis jetzt noch nicht in einem der "originalen" Momofuku Restaurants in New York war, bietet sich hier eine perfekte Möglichkeit um die Momofuku Welt kennenzulernen.

Pünktlich um 18.45 finden sich meine Begleitung und ich im obersten Stock ein, wo das Äquivalent zum New Yorker Momofuku Ko untergebracht ist, Shōtō. Wir werden zu unseren Sitzen geführt, die in diesem Fall Barstühle an einem U-förmigen Tresen sind. Direkt vor uns die Küche und natürlich die Köche, die das Essen zubereiten und auch selbst servieren. Dass dieses Restaurant anders ist als die meisten Restaurants, zeigt sich nicht nur an dieser Tatsache. Ein eklektischer Musikmix (z.B. Bruce Springsteen, Notorious B.I.G.) läuft auf hoher Lautstärke. Weder die Gäste noch die Küchencrew haben das kleinste bisschen Privatsphäre. Wenn man ein romantisches Dinner mit der Liebsten plant und ein nette Unterhaltung führen will, sollte man sich lieber ein anderes Restaurant aussuchen. Shōtō ist laut, eng, irgendwie verrückt und wird mir eines meiner unvergesslichsten Menus servieren. So viel sei schon mal gesagt.

Kurz nachdem wir Platz nehmen, gehts auch schon los. Der Brotgang. Eine Art kleine Brioche, sehr butterig, sehr gut. Weiter gehts ziemlich schnell mit den Amuse Bouches. Ein frittiertes Fischbällchen mit einem klecks rauchiger, dicker Sauce. Gute Textur, aber was genau in diesem Bällchen enthalten ist, kann ich nicht feststellen. Nur aufgrund der Ansage des Kochs weiss ich, dass es sich um Fisch handelt. Könnte auch Hühnchen sein. Naja, es wird der einzige nicht süsse Gang des Abends bleiben, auf den man auch hätte verzichten können. Ab jetzt folgt nur noch ein Highlight dem nächsten. Dungeness Crab with yellow curry, grandiose Qualität der Krabbe, ein bisschen Schärfe und Würze, welche den Geschmack des Krabbenfleisches aber nicht übertünchen. Weiter gehts mit Beef tendon, peanuts and burnt onion. Das Fleisch (eigentlich mehr Sehne als Fleisch) ist ausserordentlich geschmacksintensiv, etwas Crunch von den Erdnüssen und eine willkommene Bitterkeit von den verbrannten Zwiebeln. Und irgendwie, irgendwo wieder ein bisschen Schärfe. Als nächstes folgt ein eindrucksvoller Beweis, dass weniger oftmals mehr ist. Grilled rice cube, liquid pork fat, sea salt. Noch nie hat mich Reis so glücklich gemacht. Zwei Bissen purer Freude. Bitte mehr davon. Nun folgt das letzte Amuse, hot & sour soup. Angenehm scharf, angenehm sauer. Das eigentlich Menu beginnt mit:

Spot Prawn, XO, Snap Pea, Orange
Die Tiefseegarnele wird als Sashimi serviert, getoppt mit einer herzhaften XO Sauce. Die Zuckererbsen bringen Textur und etwas grüne Frische in das Gericht, die Orange eine etwas Süsse und Säure. Sehr gelungen.

Dry-Aged Rib, Green Peppercorn, Lumpfish Roe, Bacon
Das Rind ist hauchdünn aufgeschnitten und hat einen grossartigen und vollmundigen Geschmack. Schon für sich allein genommen ein Genuss. Kombiniert mit den frischen und ganz leicht scharfen grünen Pfefferkörnern, dem salzigen Seehasenrogen und dem Speck ergibt sich ein komplexes Geschmacksbild, welches dennoch einfach zu geniessen ist. So isst man gerne und will immer mehr.

Octopus, Smoked Potato, Ramp, Black Pepper
Der gegrillte Oktopus ist sehr zart, mit einem letzten bisschen Biss. Die geräuchere Kartoffel wird in vielen verschiedenen Zubereitungsarten serviert. Die beste davon ist eine Brühe, welche einfach nur sensationell ist und ein beinahe ätherisches Kartofrelaroma verströmt. Alles in allem ist das hier ein geschmacklich ziemlich rustikales Gericht, was ich in diesem Fall nur positiv finde.

Pea Custard, Pickled Egg, Goat Butter, Trout Roe
Dieses Gericht ist so wunderhübsch angerichtet, es grenzt an Frevel es zu zerstören. Nach einigen kleinen Bissen stellt sich bei mir die Überzeugung ein, dass ich meine Gabel am besten bis zum Boden des Tellers steche, um möglichst alle Zutaten zu fassen zu kriegen. So ergibt sich eine himmlische Kombination die einen in die höchsten Sphären des Foodiehimmels entführen. Fantastisch.

Tortellini, Chicken Liver, Morel, Fava
Die Köche im Shōtō haben Dave Chang's kulinarische Weltoffenheit tief verinnerlicht. Nachdem mich die kulinarische Weltumseglung heute unter anderem bereits nach Korea, Hong Kong, Japan und in die USA geführt hat, kommen wir nun in Italien an. Der klassische Dreiklang aus Hühnerleber, Morcheln und Favabohnen ist und bleibt purer Genuss. Ein Wohlfühlgericht auf höchstem Niveau. Einen minimalen Kritikpunkt kann man hier dennoch finden. Der Teig der Tortellini ist etwas du dick geraten. Das ist, wohlgemerkt, Kritik auf allerhöchstem Niveau. Oder vielleicht sogar nur meine persönliche Präferenz.

Trout, Tomatillo, Almond, Jalapeño
Dieses Gericht rührt mich beinahe zu tränen, als ich den ersten Bissen davon probiere. Ich kann mich nicht erinnern, beim Essen jemals so etwas gefühlt haben. Es ist unmöglich mit Worten zu umschreiben, wie perfekt das schmeckt. Dazu ein Glas "Junmai Ginjo, Nanbu Bijin, Southern Beauty" und Bruce Springsteen's "The River". Ein perfekter Teller, ein perfekter Sake und ein perfekter Song. Für immer unvergesslich.

Pig Face, Pea Shoots, Ginger, Chinese Celery
Für einen kurzen Moment erscheint es mir überflüssig, noch etwas weiteres zu essen heute Abend. Wie kann der folgende Gang keine Enttäuschung sein? Nun, ein grosse Küche lässt auf ein unvergesslich gutes Gericht eben einfach das nächste Folgen. Beim Pig Face handelt es sich in diesem Fall um Zunge, Kopf, Kinn und Ohr des Schweins. Die Zunge butterzart, der Kopf, einem Presskopf ähnlich, wunderbar fett und intensiv im Geschmack, das Kinn beinahe durchsichtig wie Lardo, das Ohr knusprig wie Chips. Ein Schweinehimmel für Schweineliebhaber wie mich. Die weiteren Zutaten sind allesamt gut, jedoch glücklicherweise dem Star dieses Tellers untergeordnet. Dem Schwein in all seiner gloriosen Leckerheit.

In diesem Moment stelle ich fest, dass ich soeben vier Gänge in Folge auf absolutem Weltklasseniveau gegessen habe. Um so etwas erleben zu dürfen, benötigt man sogar in den 3-Sterne-Tempeln dieser Welt ein bisschen Glück. Irgendwie unglaublich. Vor allem unglaublich gut.

Chicken, Fresh Hummus, Za’atar, Asparagus
Beim jetzt folgenden Hauptgericht fühlt es sich erstmals seit einer guten Stunde wieder so an, als ob ein Mensch dieses Gericht gekocht hat. Auch wenn alles immer vor meinen Augen zubereitet wurde. Die Hühnerbrust ist zart und mit Beinfleisch (und Foie Gras?) gefüllt. Der Hummus schmeckt authentisch und entführt einen zusammen mit dem Za'atar in den mittleren Osten. Dort wartet noch etwas gegrillter Spargel und ein Hühnerjus. Und genau durch diesen Jus werde ich endgültig wieder in weltliche Gefilde zurückgeholt. Er ist für meinen Geschmack nämlich an obersten Grenze der Salzigkeit. Ein verzeihbarer Lapsus nach soviel Grossartigkeit.

Cucumber, Lime, Juniper, Condensed Milk
Das erste Dessert überzeugt nicht. Eigentlich mag ich Desserts aus Gemüse, aber hier überwiegt die Erdigkeit doch ein bisschen zu fest. Eine gewisse Frische vermisse ich auch.

Rhubarb, Pine Nut, Vanilla Cake, Crème Anglaise
Es geht doch. Jedes Dessert sollte wie dieses sein. Leicht, frisch und süss. Ein würdiger Abschluss einen grandiosen Abends.

Shōtō ist superb. Shōtō gehört für mich zu den besten kulinarischen Erlebnissen meines Lebens und zu den besten Restaurants der Welt. Falls man in Toronto ist, sollte man sich unbedingt einen Platz am Tresen sichern. Und falls man nicht in Toronto oder Umgebung ist, dann sollte man eine Reise hierhin planen um im Shōtō zu essen.

Das Momofuku Shōtō wurde dauerhaft geschlossen.