Lakeside (Cornelius Speinle) - Hamburg

Lakeside (Cornelius Speinle) - Hamburg

Gewisse Chancen im Leben kann man sich einfach nicht entgehen lassen. Hat sich wohl Cornelius Speinle gedacht, als der schwerreiche und in der Schweiz wohnhafte Unternehmer Klaus-Michael Kühne ihm von seinem neuen 5-Sterne-Hotel-Projekt in Hamburg erzählte und Speinle die Stelle als Küchenchef im Flaggschiffrestaurant des Hauses anbot. Der junge Schweizer war erst wenige Jahre zuvor in die Heimat zurückgekehrt - nachdem er unter anderem bei Heston Blumenthal in dessen ikonischem "The Fat Duck" und in Klaus Erforts "Gästehaus" gearbeitet hatte - um sich mit dem "Dreizehn Sinne im Huuswurz" selbständig zu machen. Die Auszeichnungen liessen nicht lange auf sich warten. Ein Michelinstern wurde ihm ebenso verliehen wie die Auszeichnung "Entdeckung des Jahres in der Deutschschweiz" durch den Gault Millau. Doch wenn sich, mit Anfang 30, die Möglichkeit bietet ein Restaurant in einem neuen 5-Sterne-Tempel von Beginn an mit aufzubauen, dann sieht man sich wohl fast dazu genötigt, diese Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Und die Koffer packt man gleich mit. Raus aus Schlattingen, einem beschaulichen Fleckchen Erde mit ein paar hundert Einwohnern. Das Wohnhaus, in dem das "Dreizehn Sinne im Huuswurz" untergebracht war, mit der kleinen Küche und den drei Mitarbeitern hinter sich lassen. Ab ins oberste Geschoss des "The Fontenay", in die riesige Küche mit 14 Köchen, die er fortan leiten wird. Mit Blick auf die Alster und Hamburg. Knapp zwei Millionen Menschen leben hier. Viel grösser könnte der Kontrast kaum sein. Wie bei solchen Grossprojekten fast schon üblich, verzögert sich die Eröffnung. Eineinhalb Jahre später als geplant hat das "The Fontenay" seine Tore geöffnet und mit ihm das "Lakeside". Ein paar Wochen später mache ich mich auf den Weg in die Hansestadt, um mir beim Lunch einen ersten Eindruck der Küche Speinles an dessen neuer Wirkungsstätte zu veraschaffen. Als ich dem Lift entsteige und die letzten Meter ins Restaurant laufe, staune ich nicht schlecht über den Ausblick. Wirklich beeindruckend. Was man, oder ich zumindest, vom Interieur des "Lakeside" nicht gerade behaupten kann. Kühl wirkt es, wenig behaglich und irgendwie altbacken. Aber vielleicht stehe ich mit dieser Einschätzung ja auch alleine da. Sowieso: an einem ungemütlichem Innendesign ist ein Essen bei mir noch nie gescheitert. Also, genug des Vorgeplänkels. Vorhang auf...

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Eine schnell servierte Abfolge von Amuses eröffnet den Lunch. Die Joghurt Praliné mit Kaviar besticht durch ein feines Säurespiel gepaart mit der jodigen Salinität des Kaviars. Obwohl die Praliné etwas zu dick geraten ist, ist es dennoch ein toller Snack. Ein Wachtelei mit Trüffel und Hühnerhaut setzt auf Süffigkeit gepaart mit einem delikaten Crunch und reichlich umami. Gelungen.

lakeside_cornelius_speinle_snacks_fishnchips

Es folgt eine Kugel gefüllt mit Tomaten- und Parmesanwasser, die die Aromen der beiden Protagonisten erstaunlich intensiv zu transportieren vermag. Ob diese allerdings zwingend kalt sein müssen, was dem Wohlgeschmack in meinen Augen nicht zuträglich ist, wage ich zu bezweifeln. Bei der Interpretation des britischen Fast-Food-Klassikers Fish & Chips zeigt Speinle zum ersten Mal sein ganzes Können. Heiss und knusprig ist das, saftig, hocharomatisch und "authentisch" im Geschmack. Beeindruckend.

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Ein ultra-leichtes Rotkohl-Meerrettich Macaron ist klar von Speinles ehemaligem Chef Heston Blumenthal inspiriert und besticht durch eine schier unglaubliche Leichtigkeit. Dieses fragile Gebilde löst sich am Gaumen nahezu in Luft auf und zeigt die technische Beschlagenheit der Lakeside-Crew. Der Steamed Bun mit Speck hingegen dürfte durchaus etwas luftiger sein und ist trotz des Specks merkwürdig zahm und lasch.

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Nach diesen vielen unterschiedlichen Häppchen gibt es nun den ersten etwas substanzielleren Teller zu verkosten. Gänseleber mit Trüffel, Enoki und Hühnerhaut erfüllt alle Erwartungen, die bei der Annoncierung geschürt werden. Ähnlich wie beim Wachtelei zuvor ist auch hier umami Trumpf, diese Kombination ist jedoch ungleich ausgefeilter. Das Geschmacksbild ist eher dunkel und mollig, unheimlich opulent und komplex. Der Gaumen wird durch einen betörendem Schmelz bezirzt. Dazu gibt's genügend belebenden Crunch, um für texturelle Spannung zu sorgen. Ein dickes Ausrufezeichen.

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Bei der Förde Garnele mit Lardo, Kaviar und Auster fällt als erstes die etwas gewöhnungsbedürftige Optik auf. Aschgrau und Beige passen zwar zum Interieur des Lakeside, aber appetitanregend sieht anders aus. Zur fahlen Optik gesellt sich auch noch ein befremdlicher Klang. Das zusammengespresste Ganze gibt beim Auseinanderziehen Geräusche von sich, die man nur als schleimig bezeichnen kann. Mir wurden schon Teller vorgesetzt, die mehr Vorfreude verursacht haben. Wie dem auch sei, ich esse diesen Gang natürlich trotzdem. Und siehe da, der Geschmack übertrumpft Optik und Klang glücklicherweise bei weitem. Die Süsse der norddeutschen Zuchtgarnelen wird durch die Jodigkeit der Austern (als Perlen) und des Kaviars (ebenfalls Perlen) schön konterkariert, der hauchdünne Lardo bringt schmeichelnde Wärme in dieses ansonten eher 'kühle' Gericht und etwas Substanz auf den Teller. Sehr ausgeklügelt und geschmacklich exzellent, jedoch optisch und klanglich in meinen Augen ausbaufähig.

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Im Gegensatz zum vorherigen Teller punktet Speinle beim nun folgenden Gang bereits optisch. Die drei Röllchen bestehen aus (von links nach rechts) Radieschen und Sellerie, Avocado und Lachs sowie Pulpo und Taschenkrebs. Drei makellose und hochfein gearbeitete Zylinder, von denen vor allem die cremige Avocado mit dem qualitativ hochwertigen Lachs bleibenden Eindruck hinterlässt. Doch auch die anderen beiden schmucken Röhrchen wissen zu gefallen. Ein nettes, abwechslungsreiches kleines Intermezzo.

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Kaisergranat mit Pak Choi, Blumenkohl und Pinienkerne ist ein sehr zugängliches, klassisch-modernes Gericht, das kein grosses Kopfkino erzeugt, sondern einfach dazu einlädt, reinzuhauen. Natürlich ist die Langoustine perfekt gegart, der leicht süssliche Blumenkohl eine logische Begleitung, ebenso wie die nussigen Pinienkerne. Beide Elemente arbeiten dem Meeresbewohner zu, sodass dieser seine ganze aromatische Pracht entfalten kann. Der Pak Choi hingegen bringt eine dezente Bitterkeit ins Spiel, die für Balance sorgt und dafür, dass das Ganze nicht in eine allzu süsse Richtung abdriftet. À part wird ein Jalapeñoschaum mit Chorizo serviert, der diesen Gang grandios erweitern würde, wenn er nicht kalt wäre. Wäre der Inhalt dieses kleinen Schälchens warm, würde Speinle damit beweisen, dass zusätzlich zum Hauptteller gereichte Mosaikstücke ihre Berechtigung haben und ein Gericht vervollständigen können. Es muss nur an einer ganz kleinen Stellschraube gedreht werden, um hieraus einen wirklich grossartigen Gang zu machen.

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Weiter geht's mit Steinbutt, Artischocke, Verjus und Champignons. Erneut ein relativ klassisches Quartett, das einerseits natürlich blendend harmoniert, andererseits aber auch ein bisschen beliebig ist. Es schmeckt zwar sehr gut, jedoch hätte ich mir hier etwas mehr Ecken und Kanten gewünscht. Schliesslich sind gerade die Artischocken und der Verjus prädestiniert, etwas sehr animierendes hervorzubringen und für ordentlich aromatische Fülle zu sorgen. Insgesamt ist das etwas zu brav, auch wenn das Meckern auf sehr hohem Niveau ist. Denn objektiv gesehen wurden hier keine Fehler gemacht. Es wurde aber auch nicht das gesamte Potenzial des Gerichts ausgeschöpft. Dafür weiss der kleine, separat gereichte Snack in diesem Fall komplett zu überzeugen. Was sogar noch ein wenig untertrieben ist, denn eigentlich löst er in mir einen innerlichen Begeisterungssturm aus. Saftig-knusprige Bäckchen vom Steinbutt werden durch eine grandiose, mit Trüffeln gepimpte Hollandaise gezogen und lösen Gaumenpogo vom Feinsten aus. So simpel und so verdammt gut...

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Der Übergang in den fleischigen Teil des Lunchs macht Taube mit Kalbsbries, Preiselbeere und Rote Bete. Zwar ist Taube akkurat zubereitet und die Einfassung grundsätzlich stimmig gewählt, jedoch will der Funke nicht so recht überspringen. Aufgrund der Anrichteweise muss man sich seine Gabelbelegung von links nach rechts zusammensuchen und darauf hoffen, dass man die bestmögliche Kombination erwischt. Das schmeckt dann auch ganz in Ordnung, mehr halt aber auch nicht. Würde man sich in diesem Fall Gedanken über eine "kompaktere" Präsentation machen, liesse sich der Genuss sicher optimieren. Das ist natürlich beileibe nicht schlecht - es gibt immer noch einige besternte Restaurants, die sich davon eine Scheibe abschneiden könnten - aber dennoch der bisher schwächste Gang des Mittags.

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Der erste Hauptgang ist japanisch inspiriert und dreht sich um Miyazaki Gyu Rind, Aubergine, Ponzu und Gai Lan. Wagyu erfreut sich auch in Mitteleuropa immer grösserer Beliebtheit und ist aus der Spitzengastronomie mittlerweile kaum mehr wegzudenken. Nur scheint es oftmals so, als ob die Chefs dieses edle Fleisch - in diesem Fall aus Kyushu im Süden Japans  stammend und von der höchsten Qualitätsstufe A5 - wie ein normales Stück Rind behandeln. Was aufgrund des extrem hohen Fettgehalts wenig Sinn macht. Im Fall von Wagyu ist weniger immer mehr. Ein kleiner Abschnitt reicht vollkommen aus, um die Einmaligkeit dieses Produktes präsentieren zu können. Und idealerweise wird diese überschaubare Menge so begleitet, dass ein Gegenpol zum Fett vorhanden ist. All das weiss Speinle und bringt es entsprechend punktgenau auf den Teller. Die Ponzu setzt den benötigten, säurebetonten Kontrapunkt zum Wagyu, der Gai Lan (auch chinesicher Brokkoli genannt) bringt etwas Bitterkeit und texturelle Abwechslung ins Spiel, während die Aubergine das Geschmacksbild zusätzlich erweitert. Das alles ohne dem Star den Platz im Rampenlicht streitig zu machen. Total durchdacht, präzise umgesetzt, und eines der besten Wagyu-Gerichte, das ich jemals gegessen habe.

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An dieser Stelle wäre nun eigentlich der Käsegang vorgesehen. Doch wenn ich schon den Weg nach Hamburg auf mich nehme um an Speinles neuer Wirkungsstätte zu speisen, kann ich mir die Möglichkeit nicht entgehen lassen, eines meiner liebsten Gerichte aller Zeiten als Zusatzgang einzuschieben: Lamm hoch vier mit Sellerie, Petersilie und Aprikose. Als der Teller endlich vor mir steht, steigt die Vorfreude ins schier Unermessliche. Und wie das dann meistens so ist, folgt eine leise Enttäuschung. Es ist immer noch ein grandioses Gericht, klar. Doch im Gegensatz zur Version im 'Dreizehn Sinne' fehlt überall das letzte kleine Quäntchen, um es perfekt zu machen. Die Ummantelung des Bries ist nicht ganz so dünn und knusprig wie gewohnt, das Rückenfett nicht ganz so geschmeidig, der Bauch nicht ganz so zart, die Jus nicht so umwerfend. Das sind natürlich alles Kleinigkeiten, doch für einen Gast, der das "Original" kennt, sind die Unterschiede insgesamt doch beträchtlich. Hier zeigt sich, dass so kurz nach der Eröffnung einfach noch nicht alles perfekt laufen kann. Und dass ich den Gang in letzter Minute noch zusätzlich eingeschoben habe, war dem guten Gelingen sicherlich auch nicht zuträglich. Eines ist aber auch klar, das ist und bleibt eines der uneingeschränkten Highlights der Lakeside Karte.

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Speinle ist einer der ganz wenigen Chefs, der mich mit einem Käsegang zu überzeugen vermag. Bereits in Schlattingen waren seine Gerichte mit einem Käse von Affineur Bernard Antony als Mittelpunkt immer exzellent. Das hat er scheinbar mühelos nach Hamburg transportiert. Der wunderbar gereifte Reblochon des Grossmeisters wird mit Zwiebel, Traube und Früchtebrot kombiniert. Der Käse steht dabei im Mittelpunkt, wie es sich gehört, und wird von seinen Begleitern lediglich ein wenig umspielt, welche ein paar zurückhaltende, unterstützende Akzente setzen. Besser kann man einen Käsegang nicht umsetzen. Ausgezeichnet!

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Der süsse Teil des Lunchs beginnt mit einem traditionellen Schmankerl aus der Pâtisserie um Marco D'Andrea: Baba au Rhum. Dadurch, dass das Gebäck im Rum liegt, ist es einerseits leider schon viel zu vollgesogen - somit zu schwer und alkoholisch - andererseits ist das hübsche Topping geschmacklich sehr süss. So ist der Gesamteinruck klebrig und schwer. Hier besteht Optimierungsbedarf.

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Das kann man beim Rhabarber mit Erdnuss, Ingwer und Karamell nicht behaupten. Dieses kleine Schälchen bietet alles, was man sich von einem modernen Dessert nur wünschen kann. Wunderbar ausbalanciert, nicht zu süss, eine papillenkitzelnde Säure, herrlich vollmundig, dabei frisch und leicht zugleich und bietet zu guter letzt noch etwas Crunch, um das Texturspiel anzukurbeln. Hier gibt's einfach rein gar nichts zu mäkeln und nur ein abschliessendes Fazit: saulecker!

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Auch die nun folgende Schokolade mit Shiso, Vanille und Apfel weiss zu gefallen. In diesem Fall bewegt man sich wieder in konventionelleren, sprich bekannteren kompositorischen Gefilden. Schokolade mit Vanille und Obst ist ein bekannter Dreiklang, der in diesem Fall durch die Shiso jedoch toll aufgebrochen und erweitert wird. Diese kräuterig-minzige und etwas mystische Note der Perilla passt hervorragend zu seinen Mitspielern und vervollständigt dieses Dessert. Absolut köstlich.

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Mit der kleinen Auswahl von Petits Fours endet das Mittagessen.

Das war er also, der erste Eindruck von Speinle und seiner Mannschaft im Lakeside. Neues Team, neue Umgebung, Neueröffnung, da kann noch nicht alles zu 100% stimmig und einwandfrei sein. Der Schweizer ist ein Perfektionist und selbst noch nicht mit allem zufrieden, weiss um gewisse Defizite, die es noch auszumerzen gilt. Dennoch hat die Lakeside-Crew, kurz nachdem die Tore des Restaurants überhaupt erst aufgesperrt wurden, bereits ein sehr ansprechendes Level gezeigt. Dass das Team aber sicher noch zulegen kann, ist ebenso klar wie offensichtlich. Meiner Meinung nach kann und wird man hier in Zukunft noch viel grösser aufkochen und dann auch nicht nach "nur" einem Stern streben, sondern eher in Richtung zwei Macarons schielen. Speinle hat definitiv die Anlagen dazu zwei Sterne zu kochen und sobald sich im Lakeside alles richtig eingespielt hat, wird das Niveau bestimmt nochmals merklich anziehen. Nun ist es am jungen Schweizer und seiner Brigade das Restaurant in die Spitze Hamburgs zu kochen. Der Grundstein dafür, dieses Ziel erreichen zu können, ist bereits gelegt. Das hat der heutige Lunch gezeigt.


Lakeside Restaurant
im Hotel The Fontenay
Fontenay 10
20354 Hamburg
Deutschland
+49 (0)40 605 6 605 740
Website


Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Informationen zu unserem Umgang mit Pressekonditionen findest du in den FAQ.