Cantinho Do Avillez (José Avillez) - Lissabon
José Avillez ist einer der bekanntesten Köche Portugals. Er betreibt diverse Restaurants in Lissabon und Porto. Von der Pizzaria Lisboa (ausgezeichnete Pizza!) bis zum mit zwei Michelin Sternen ausgezeichneten Belcanto. Avillez ist TV-Star, Kochbuchautor, Weinproduzent und vieles mehr. Ein richtiger Tausendsassa. Seine Sporen hat er sich unter anderem bei Ferran Adrià und Alain Ducasse verdient. Er beherrscht damit sowohl die klassische, produktorientierte Küche sowie auch die moderne, spielerische. Meine erste Begegnung mit dem Essen von José Avillez findet heute in seiner Cantinho do Avillez statt. Die Cantinho befindet sich unweit des Nationaltheaters São Carlos im Stadtteil Chiado und ist spezialisiert auf portugiesische Küche. Die meist traditionellen Rezepte sind grösstenteils etwas modernisiert und verfeinert. Auch das eine oder andere "molekulare Element" findet sich in Avillez Küche. So zum Beispiel die berühmte, von Ferran Adrià entwickelte Olivensphäre. Ob solche Spielereien heutzutage noch Spass machen, werde ich gleich bei meinem ersten Mittagessen rausfinden. Die Veal trotters with chickpeas, cumin and lemon confit werden etwas anders als erwartet serviert. In einer kleinen Casserolle befindet sich eine Art Eintopf mit Kalbsfuss. Der Fuss ist relativ klein geschnitten. Dadurch und durch den relativ hohen Gelatinegehalt dieses Fleischstücks ergibt sich ein etwas schmieriges und monotones Mundgefühl. Es gibt einfach nichts zu beissen. Geschmacklich in Ordnung, aber texturell sicher ausbaufähig. Als Hauptgang folgt nun Flaked cod with bread crumbs, LT egg and “exploding” olives. Der "flockige" Kabeljau besticht durch festes Fleisch und ausgezeichneten Geschmack. Zusammen mit dem pochierten Ei und den Croutons erinnert das Ganze etwas an ein Katerfrühstück. Wären da nur nicht die berühmten (oder berüchtigten?) explodierenden Oliven. Ich hatte nie das Vergnügen im elBulli zu essen. Dennoch bin ich mir fast sicher, dass die dortigen explodierenden Oliven besser geschmeckt haben müssen. Hier und heute setzen die aufplatzenden Sphären einfach nur bitteres Olivenwasser frei. An der Qualität der Oliven kann das eigentlich nicht liegen, denn bei einem Mahl im Belcanto einige Zeit nach diesem Lunch, werde ich die wohl besten Oliven meines Lebens serviert bekommen. Alles in allem ist der Hauptgang wiederum ganz ok (minus die Oliven). Mehr aber auch nicht. Bis jetzt bin ich ein wenig enttäuscht. Liegt es an mir und daran, dass ich erkältet bin? Oder ist das Essen hier wirklich eher als Kantinenessen zu sehen, wie es der Name des Restaurants andeutet? Mit dem Dessert Hazelnut³ kann zumindest die zweite Frage mit einem klaren Nein beantwortet werden. Die dreifache Haselnuss ist ganz grosses Kino. Haselnuss-Eis unter Haselnuss-Schaum getoppt von Haselnussstückchen entschädigt mich bereits beim ersten Löffel für die nicht ganz so tollen Gänge zuvor. Nussig, süss, leicht, grandios. In diesem Moment beschliesse ich, der Kantine bei einem Abendessen eine zweite Chance zu geben...
... Ich befinde mich am Empfang der Cantinho do Avillez und bin viel zu früh dran. Nach kurzer Wartezeit werde ich in einem anderen Raum platziert, als bei meinem Lunch zuvor. Gefallen mir beide gut. Das Menu ist dasselbe wie mittags und liest sich einfach toll. Durch den versöhnlichen Abschluss meines Mittagsmenus erwarte ich heute Abend beste portugiesische Küche. Los gehts mit Cherry gazpacho with cottage cheese, dry cured ham and basil. Die Suppe ist glücklicherweise weniger süss als erwartet. Sie ist sogar relativ erfrischend. Der Frischkäse bringt etwas Cremigkeit, ist in meinen Augen aber eigentlich unnötig. Die Kombination der Suppe mit dem ausgezeichneten getrockneten Schinken und dem eindringlich duftenden Basilikum ist nämlich bereits optimal. Mehr braucht es nicht. Ohne den Hüttenkäse ein sehr gelungener Start. Meine 21st Century Professor style eggs huldigen dem klassischen Dreiklang von Ei / Speck / Brot. Die Eier sind sehr weich gegart. Das Eiweiss ist für mich noch etwas zu labberig. Aber das ist wohl persönliche Präferenz. Geschmacklich sind die Eier grosse Klasse. Mir kommt wieder das Wort Katerfrühstück in den Sinn. Viele Gerichte der Portugiesischen Küche könnte man wohl in diese Kategorie stecken, was ich keinesfalls negativ verstanden wissen will. Die Produkte machen richtig Freude. Pan fried scallops with tomato, green asparagus and Aljezur sweet potato ist durch die Süsskartoffel aus Aljezur (Portugals berühmteste Süsskartoffelregion in der westlichen Algarve) eine eher ungewöhnliche Kombination von Aromen. Glücklicherweise bringt die Tomate einen aussergewöhnlich kräftigen Eigengeschmack mit, der etwas von der Süsse der Kartoffel und der St. Jacques abfängt. Die Spargeln schmecken nach nichts. Die Produktqualität der Tomate, der Muschel und der Süsskartoffel für sich genommen ist beeindruckend. Jedoch funktionieren diese doch sehr eigenständigen und durchaus kraftvollen Aromen für mich nur bedingt miteinander. Schade. Dafür passt beim nächsten alles Gang umso besser zusammen. Alentejano black pork, french fries, coriander and garlic “farofa” (manioc flour) with black beans wartet mit dem in meinen Augen besten Schweinefleisch der Welt auf, demjenigen des iberischen Schweins. Bekannt in Portugal als Porco Preto oder Porco ibérico, zeichnet sich das Fleisch dieser halbwild lebenden Rasse durch einen sehr nussigen Geschmack aus. Die Schweine fressen fast ausschliesslich Eicheln. Immer wieder ein absoluter Hochgenuss. So auch hier. Das Fleisch ist perfekt gegart und ultra-aromatisch. Die Pommes Frites überraschen durch ihre Dicke und die ideale Balance aus crunchy Kruste und fluffigem Inneren. Die vielleicht besten Fritten, die ich ausserhalb Belgiens bis heute gegessen habe. Als ungewöhnlich gut erweist sich das mit Knoblauch und Koriander aromatisierte Farofa (geröstetes, mit Butter gerührtes Maniokmehl) zusammen mit den schwarzen Bohnen. Hier passen alle Produkte wirklich ausgezeichnet zusammen und ergänzen sich auf wunderbare Weise. Ein toller Hauptgang. Zum Schluss gönne ich mir nochmals die dreifache Haselnuss. Das Dessert ist noch einen ticken besser als beim ersten Mal. Vielleicht war ich doch stärker erkältet, als ich es mir eingestehen wollte. Ich bin froh, dass ich nochmals in die Kantine von José Avillez eingekehrt bin. Die Küche hier ist unprätentios und setzt auf exzellente Produkte. Die Weinkarte ist, wie in Portugal fast überall üblich, gespickt mit Trouvaillen aus dem ganzen Land zu teilweise beinahe schon unverschämt günstigen Preisen. Dies lässt nur ein Fazit zu: Ich komme wieder.